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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 4): Denkmäler der neueren Zeit — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3504#0137
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Zwei alte Häuser in Ronen.

Die bürgerliche Architectur des secliszehnten Jahrhunderts zeigt nicht allein einen Uebergang des
Styls von der Häuserarchitectur des Mittelalters zu der unserer Tage, sie legt ebenso auch einen Ueber-
gang in den Bräuchen und Bedürfnissen der Bevölkerung, bei der sie sich entwickelte, offen dar. Sie ist
uns aus vielen Beispielen genügend bekannt, denn es giebt der Häuser aus dieser Zeit mehrere, die ihren
ursprünglichen Character bewahrt haben; ja in einigen Städten giebt es sogar Strassen, ja zuweilen ganze
Häuserquartiere, die die Physionomie der Renaissance fast ganz intact behalten haben. Dass diese Häuser
eben so gut wie die in viel neuerer Zeit erbauten als Wohnung für die ärmere Klasse des Volks dienen
konnte war ohne Zweifel mit ein Grund ihrer Erhaltung. Die Beobachtung von Gesundheitsregeln, die
Rücksicht auf bequeme Anordnung bei Anlage kleinerer und für die ärmere Volksklasse bestimmter Wohn-
gebäude gehört erst dem neunzehnten Jahrhundert an. Vor der Revolution konnte die wohlhabende
Bourgeoisie nur durch die Einrichtung der Wohnung selber einigen Comfort erreichen.

Im sechszehnten Jahrhundert wurde der grösste Theil der städtischen Wohnhäuser nur aus Holz
erbaut. Doch war ein Luxus an Verzierungen und Schnitzwerk bei ihnen nicht selten. In alten Städten
begegnet man sehr häufig Häusern, die wenn sie auch sonst fast ganz ihr ursprüngliches Ansehen verloren
haben, doch noch ganz mit Simswerl», mit Maass- und Laubwerk verzierte Giebelsparren, mit allerhand
Schnitzwerk verzierte Thürpfosten zeigen. Auch wurde nicht allein Schnitzwerk zu der Verzierung der
Häuser verwendet, sondern auch die mit Mauerziegeln ausgesetzten Fachwerke der Umfassungswände
derselben erhielten durch verschiedene Zusammensetzung der Ziegel verschiedene Muster, und zuweilen
traten hier auch Fliesen von gebranntem Thon ein, die in verschiedenen Farben glasirt waren.

Die beiden Häuser, deren Facaden wir auf unserer Bildtafel mittheilen, sind aus Holz erbaut; sie
befinden sich in der Strasse de la Grosse-Horloge zu Rouen, und sind die reichsten und zierlichsten
ihrer Art in dieser Stadt. Sie sind, wie man sieht, ganz mit Schnitzwerk bedeckt und machen gewiss
nicht eines der geringsten Meisterstücke in dieser mit kostbaren Architecturwerken so erfüllten norman-
nischen Hauptstadt aus. Das erste dieser Häuser, das die N°s 115 — 117 hat, ist von sehr merkwürdiger
Arbeit; an einer Mauer desselben befindet sich die Jahreszahl 1523, die vollkommen mit seinem Style
stimmt. Das Jahr der Erbauung des zweiten Hauses, das die IN?S 129—131 hat, kennt man nicht; man
vermuthet aber, dass es vor dem Jahre 1520 erbaut worden sei, denn in diesem Jahre wurde es zum
ersten Male verboten die oberen Stockwerke der Häuser vor den unteren nach der Strasse hin vorzukragen,
und bei diesem Hause springt das zweite Stockwerk vor dem ersten vor. Diese Bauweise muss früher,
wie aus ihrem Verbote hervorgeht, erlaubt gewesen sein, und es giebt noch zahlreiche Beispiele derselben.
Durch dieses Vortreten der oberen Stockwerke vor den unteren wurden erstere geräumiger, letztere vor
dem von den Dächern ungehindert herabfiiessendem Regen- und Traufwasser mehr geschützt, und die
vorspringenden Balkenköpfe der Holzdecken waren, frei von Luft umspielt, mehr vor Fäulniss bewahrt.
Auch fanden die Fussgänger auf der Strasse bei Regenwetter unter diesen vortretenden Stockwerken der
Häuser mehr Schutz vor dem von den Dächern abgeleiteten Traufwasser, das von der Höhe durch weit
vorspringende Regenröhren nach der Mitte der Strassen hin sich ergoss *)• Um diesen Zweck besser zu
erreichen, baute man auch wohl den Häusern in den oberen Stockwerken Galerieen vor, die den Fuss-
gänger auf der Strasse gleich vor Regen wie vor Sonne schützten. Von diesen Galerieen hat sich noch
ein Beispiel zu Paris in den Piliers des halles erhalten.

*) Im nördlichen Deutschland, besonders in den alten Städten am Fuss des Harzes und da, wo Holzbau vorherrschend war,
sehen wir dieselbe Bauweise bei alten Wohngebäuden angewendet, von denen noch sehr merkwürdige aus dem XV und
XVI Jahrhundert existiren. Erst im vorigen Jahrhundert scheint man an diesen Orten jene Bauweise verlassen zu haben.
Wir verweisen auf C. Böttichers Holzarchitectur des Mittelalters und auf Egle's Aufsatz über denselben Gegenstand in
L, Försters allgemeiner Bauzeitung. J. 1844. L. L.

Literatur.

1) Delaquerriere, Description historique des maisons de Rouen. Rouen, 1821—41. 2) Villemain, Monuments fran^ais in^dits. Paris. Fol. Mit Kupfern.

2 vol. 8.

Denkmäler der Baukunst. CXXXVl. Lieferung.
 
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