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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 61.1910-1911

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Pudor, Heinrich: Vorboten eines neuen Stiles?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7091#0355

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Vorboten eines neuen Stiles?

sie selbst
Wicklung
einfache,

(Vorboten eines neuen Ktikesd

(Von Dr. Heinrich Pudor.

ist schon ausgesprochen worden, daß
die Nüchternheit, die der kunstgewerb-
liche und architektonische Stil seit einigen
fahren zeigt, mehr eine erziehende und
reinigende Bedeutung hat, als daß
schon irgendwelchen Pöhepunkt der Ent-
weist. Wir inußten eine Zeitlang diese
nüchterne Sprache reden, uin uns zur
Zweckmäßigkeit, zur Konstruktion, zum waterial
zurückzufinden. Aber es
war vorauszusehen, daß
wir diesen Stoizismus, der
sich für Philosophien besser
als für die Kunst eignet,
recht bald satt bekommen
könnten und daß eine neue
Sehnsucht kommen würde,
die Sehnsucht nach dem
blühenden Leben, die Sehn-
sucht nach dem Frühling,
die Sehnsucht nach dem
Weibe.

wird es in diesem
Sinne wieder Frühling
werden? wer sieht die
ersten Knospen? Die Knos-
pen, die an: dürreit pölze
schwellen? Bor acht- bis
neunhundert Zähren, als
der romanische Stil zu Ende
ging, der übrigens auch
wesentlich mit geometrischen
Ornamenten sich begnügte,
da war es so, daß plötzlich
über Nacht hier und da
eine Knospe aufbrach, und
dann folgte Blatt um Blatt,

Blüte um Blüte. Nlit
jener Zeit hat die unsrige
viel Ähnlichkeit. Auch da-
mals die Sehnsucht nach
blühendem Leben nicht nur,
sondern nach Deutschtum,
nach nationalem Leben und

weiter nach Gemüt, nach Innigkeit und Herzlichkeit.
And all dies brachte der gothische Stil in überraschen-
der Fülle. Er ist vor allein einmal der am meisten
deutsche Stil, den es gegeben hat, er bringt alle
guten und charakteristischen Seiten des deutschen Ge-

563.

mütes zum Ausdruck, nicht am wenigsten den Idea-
lismus, das Streben nach dein Höchsten, die Ge-
wissenhaftigkeit. Gr ist der Stil der Sehnsucht.
Zugleich der wahrhaft christliche Stil. Zwischen
Christentum und Deutschtum führen iiiehr Brücken
als man deiikt. Christus selbst darf man vielleicht
als den Borboten der arischen Epoche ansehen, die
Idealismus, Sehnsucht, Entsagungsfähigkeit, Selbst-
losigkeit, Geiiiüthaftigkeit auf deii Schild erheben
sollte. Ich sage, vielleicht koiiiiiit nuii jetzt wieder
eine Zeit, in der das Deutschtum in diesen: Sinne
in der Kunst wieder triumphiert, in der wir nicht
nur richtig, nicht nur sachlich, sondern auch innig

empfinden und arbeiten
werden.

Gerade wir Deutschen
sollten am wenigsten Grund
haben, die Renaissance zu
überschätzen. Sie ist etwas,
was jenseits der Alpen
liegt, ich meine ihrem Wesen
nach, ihren: Charakter nach,
wenn sie auch in Deutsch-
land so außerordentlich
schöne Früchte hat reifen
lassen. Aber die deutschen
Wesenszüge, die Sehnsucht,
die Innerlichkeit, bringt sie
nicht zun: Ausdruck, nach
der Sehnsucht vielmehr die
Erfüllung, nach Gewissens -
kan:pf die Befreiung, nach
Innerlichkeit die Entäuße-
rung.

Heute leben wir in der
Sehnsucht. Es ist uns
etwas Großes verheißen
worden. Die Seele des
Deutschtuins beginnt wieder
zu klingen und durch den
deutschen Blätterwald geht
ein Flüstern und Lispeln,
und bald wird es zun:
Rauschen —■ es wird
etwas.

Schon in: vorigen

Jahrhundert gab es ein
Wiederaufleben der Gothik.
Aber es war nur ein Aufflammen. Es wurde er-
stickt n:it Asche. Der 70 er Sieg zerstörte alle Hoff-
nung auf Kultur.

Aber das englische präraffaelitentum war so
etwas wie eine neue Gothik. Eine große Sehn-

Grabmal ans dem katholische» Friedhof
zu Dresden-A.

(Meister unbekannt.)

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