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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 75.1925

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Wolf, Georg Jacob: Der Wandel der Raumkunst im letzten Jahrhundert
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https://doi.org/10.11588/diglit.7092#0096
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ADOLF VON MAYRHOFER. Silberschüssel.

DER WANDEL DER RAUMKUNST IM LETZTEN JAHRHUNDERT

Biedermeier ist das verbürgerlichte Empire. Diese Möbelstücke in Mahagoni*, Nußbaum» oder
Kirschbaumholz, zuweilen mit anderen Hölzern kombiniert (Birkenmaser, Erle, Rosenholz), glatt und
schmucklos, aber von höchster Zucht in Form und Gestalt und mit der selbstverständlichen moralischen
Verpflichtung zur Qualität hergestellt, die späteren Zeiten ebenso selbstverständlich verloren ging, ent*
hüllen ihren Reiz, ihre Anmut und Schönheit besonders dann, wenn sie in Ensemblewirkung auftreten.
Wohl kannte auch die Zeit um 1830, als das Biedermeier blühte, sogar schon wieder leise abblühte,
den Kultus des Einzelmöbels, des besonders schön gearbeiteten, liebevoll durchgebildeten Möbel*
„Solitärs". Aber was als Einzelleistung entstand, war trotzdem in einem Grade auf das Zusammen*
spielen und Zusammenwirken mit der allgemeinen Form gestellt, daß es nirgends „herausfiel", sondern
in jedes Zimmer eingereiht werden konnte. Nachempfindend erlebt dies, wer sich heute aus Original*
Biedermeier*Möbeln verschiedenster Provenienz eine Raumausstattung zusammenstellt. Es ist im besten
Sinne „Hausgestühl". Erstaunlich, welch bedeutsamer innerer Konnex da besteht, wie dieses „Haus*
gestühl" zur Ganzheit zusammengeht und wie es einigermaßen geschickt angeordnet und durch die
Gemeinsamkeit eines ruhigen, die verschiedenen Stücke kräftig zusammenfassenden farbigen Rah*
mens vereinigt, ein Raumensemble bildet, das heute kaum mehr oder nur, wenn ein besonders ge*
schmackvoller und überlegender Möbelkünstler die Hand im Spiele hat, erreicht wird.

Es ist bei dem vor allem andern wesentlich, daß die Zeiten des Biedermeiers, die Jahre, die auf die
napoleonischen und auf die Befreiungskriege folgten, die Zeit vom Wiener Kongreß bis zur März*
revolution von 1848, in wirtschaftlicher Hinsicht eines der ärmsten Zeitalter Mitteleuropas darstellen.
Arm, aber tüchtig. Das Bürgertum wußte sich zu bescheiden und arbeitete sich, materiell, sozialpolitisch
und in seiner geistigen Kultur, langsam wieder hinauf. Darin kann und muß uns dieses Zeitalter vor*
bildlich sein. Wirtschaftlich befindet sich das deutsche Volk heute in einer ähnlichen Situation wie
damals. Hat es den gleich tüchtigen Kern, wie er den Deutschen von 1820 eigen war, so wird es die
schwere Krisis überwinden. Der Beweis für solche Tüchtigkeit aber kann in erster Linie durch die Neu-
gestaltung der häuslichen Umgebung, wie sie die Notlage der Zeit erfordert, erbracht werden. Vor hun*

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