DOI Artikel:
Kiener, Hans: Stilbildungstheorien in der Vergangenheit und Gegenwart
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.7092#0080
FRANZ VON STUCK.
Villa Stuck, Vorplatz.
STILBILDUNGSTHEORIEN
IN DER VERGANGENHEIT UND GEGENWART.
Von „Stilbildungstheorie" ist streng zu scheiden die „Kunsttheorie". „Kunsttheorien" hat es
immer dann in der Kunstentwicklung gegeben, wenn Perioden hochentwickelter künstlerischer Pro«
duktion zusammenfielen mit Perioden einer gesteigerten Wachheit des Geistes, der es Bedürfnis war,
das unbewußt Erlebte und Geübte in die helle Sphäre des Bewußtseins zu heben. „Kunsttheorie"
in diesem Sinne ist die Poetik des Aristoteles so gut als die Schriften jener griechischen Architektur«
theoretiker, die dem Vitrus als Quelle gedient haben, sind die Schriften Albertis und Lionardos
so gut wie die von Dürer und Adolf von Hildebrand. Eigentümlichkeit dieser Art Kunsttheorie
ist es, daß sie der wirklich geübten Kunst nachfolgt, daß sie nicht Programme und Leitsätze
aufstellt davon, was sein sollte, sondern, daß sie berichtet, was ist, daß sie wenig vom „letzten
und höchsten" der Kunst redet, von ihren Ausdrucksmöglichkeiten, sondern immer vom Nächsten,
davon, wie man es auf alle Fälle machen müsse, damit etwas Gutes zustandekomme. Was in die
Helle des Bewußtseins gehoben wird, das ist vor allem die Grammatik der Kunst, deren Beherrschung
eben erforderlich ist, um sich in der Sprache des Sichtbaren ausdrücken zu können. Und das, was
dann den Lebensfunken des einzelnen Kunstwerks bedeutet, jenen geistigen Impuls, das bleibt
unangetastet im Dämmerscheine des Unterbewußtseins ruhen. Diese Art Kunsttheorie hat dem unge*
störten organischen Wachstum der Kunst nicht geschadet, sie war ja nichts als eine Art schriftlich
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Villa Stuck, Vorplatz.
STILBILDUNGSTHEORIEN
IN DER VERGANGENHEIT UND GEGENWART.
Von „Stilbildungstheorie" ist streng zu scheiden die „Kunsttheorie". „Kunsttheorien" hat es
immer dann in der Kunstentwicklung gegeben, wenn Perioden hochentwickelter künstlerischer Pro«
duktion zusammenfielen mit Perioden einer gesteigerten Wachheit des Geistes, der es Bedürfnis war,
das unbewußt Erlebte und Geübte in die helle Sphäre des Bewußtseins zu heben. „Kunsttheorie"
in diesem Sinne ist die Poetik des Aristoteles so gut als die Schriften jener griechischen Architektur«
theoretiker, die dem Vitrus als Quelle gedient haben, sind die Schriften Albertis und Lionardos
so gut wie die von Dürer und Adolf von Hildebrand. Eigentümlichkeit dieser Art Kunsttheorie
ist es, daß sie der wirklich geübten Kunst nachfolgt, daß sie nicht Programme und Leitsätze
aufstellt davon, was sein sollte, sondern, daß sie berichtet, was ist, daß sie wenig vom „letzten
und höchsten" der Kunst redet, von ihren Ausdrucksmöglichkeiten, sondern immer vom Nächsten,
davon, wie man es auf alle Fälle machen müsse, damit etwas Gutes zustandekomme. Was in die
Helle des Bewußtseins gehoben wird, das ist vor allem die Grammatik der Kunst, deren Beherrschung
eben erforderlich ist, um sich in der Sprache des Sichtbaren ausdrücken zu können. Und das, was
dann den Lebensfunken des einzelnen Kunstwerks bedeutet, jenen geistigen Impuls, das bleibt
unangetastet im Dämmerscheine des Unterbewußtseins ruhen. Diese Art Kunsttheorie hat dem unge*
störten organischen Wachstum der Kunst nicht geschadet, sie war ja nichts als eine Art schriftlich
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