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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 14.1920

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Heimann, Betty M.: Das ästhetische Naturerlebnis
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https://doi.org/10.11588/diglit.3620#0229
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VII.

Das ästhetische Naturerlebnis.

Von

Betty M. Heimann.

Natur als ästhetischer Gegenstand ist anscheinend ein Doppeltes:
einmal ein Ganzes, in welches der Mensch gestellt ist, eine Welt, die
ihn umgibt — ein andermal eine Vielheit von Einzeldingen, denen ef
gegenübersteht. Wir sprechen von einem ästhetischen Genüsse an
der Natur sowohl dann, wenn wir uns der edlen Bildung einer Rose
freuen, den schlanken Wuchs einer Gazelle bewundern, als auch dann,
wenn wir — losgelöst von den praktischen Interessen des Lebens,
hinausgehoben über seine Alltäglichkeiten — uns von dem Zauber des
Waldes einspinnen lassen, in die erhabene Weite und den tönenden
Gesang des Meeres uns verlieren. Nun aber nimmt alles, was zur
Natur gehört, an dieser Doppelheit teil: Umwelt oder Gegenüber sein
zu können. Als ein Gegenüber ist das Naturwesen — der Kristall,
die Pflanze, das Tier, der Mensch — eine selbständige Bildung, die
aus der Natur herausragt und zu gesonderter Beschäftigung mit ihm
auffordert. Es ist ein Einzelnes, ein Einziges und Individuelles, das
seinen Wert und Unwert in sich selber hat, über das wir nicht weiter
hinausfragen, das wir nicht einstellen in einen größeren und um-
fassenderen Zusammenhang. Ebenso kann dasjenige, dem diese Dinge
in anderer Einstellung eingegliedert sind: die Landschaft, auch ihrer-
seits wieder als ein in sich geschlossener selbstgenugsamer Gegen-
stand angesehen werden, als ein Bild, das wir durch das Gezweig der
Waldgesträuche hindurch wie in einem natürlichen Rahmen erblicken,
zu dessen Genüsse wir uns den günstigsten Standpunkt, die richtige
Aussicht wählen. Schließlich kann sogar die ganze Natur, die ganze
Welt als ein Individuum aufgefaßt werden, als Kosmos, der freilich
gar nicht mehr sinnlich, sondern rein intellektuell und gefühlsmäßig
zustande kommt und dessen ästhetischer Charakter insofern fraglich ist.

Oder aber wir begeben uns in die andere Art des Naturerlebens.
Dann werden die Einzelwesen zu Elementen der Umwelt, eingebettet
in die landschaftliche Natur. Ja selbst wenn wir unsere Aufmerksam-
keit einem von ihnen besonders zuwenden, so erhält es nicht mehr

Zeitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschift. XIV. 15
 
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