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Möller, Hans-Herbert [Editor]; Institut für Denkmalpflege [Editor]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Editor]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Schäden an Wandmalereien und ihre Ursachen: ein Forschungsprojekt des Bundesministers für Forschung und Technologie; aktuelle Vorberichte zu den ersten interdisziplinären Befunden — [Hannover]: Inst. für Denkmalpflege, Heft 8.1990

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Vorwort
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https://doi.org/10.11588/diglit.50505#0007
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Vorwort

Wandmalereien waren immer durch ihre technischen Bedingt-
heiten, also durch ihre untrennbare Verbindung mit Architektur,
besonderen Gefährdungen ausgesetzt. Bauphysikalische und
atmosphärische Einflüsse, Umbauten, Stilwandlungen und
Veränderungen religiöser Ansichten haben zu einer außeror-
dentlichen Verminderung des ursprünglich wesentlich um-
fangreicheren Bestandes geführt. Nur ein geringer Teil der
Wandmalereien des Mittelalters und der Renaissance ist daher
erhalten geblieben. Fast ausnahmslos wurde er während des
17. und 18. Jahrhunderts übermalt und erst seit der ersten
Hälfte des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt. Immerhin haben
diese noch immer beachtlichen Reste dadurch Jahrhunderte
relativ unbeschadet überstanden.
Den Widerspruch zwischen Denkmalpflege und Kunstwissen-
schaft formulierte Otto Demus, der in Österreich die Grundla-
genarbeit bis zur Inangriffnahme des Corpus der Wandmalerei
erfolgreich vorangetrieben hat, in dem treffenden Satz: „Die
mittelalterliche Wandmalerei ist das Lieblingskind der Denk-
malpflege und das Stiefkind der Forschung.” Mit dem Beginn
ihrer Aufdeckung im vergangenen Jahrhundert - 1845 bei-
spielsweise der großartigen Ausmalung des Braunschweiger
Domes - setzt ein bis heute andauernder, sehr schwieriger
Kampf um die Konservierung und Restaurierung dieser für
die Kunst- und Kulturgeschichte bedeutenden Denkmalgat-
tung ein. Es muß als tragisch gelten, daß gerade mit den
gutgemeinten Freilegungen der unter Tünchen lange verbor-
genen und damit letztlich erhalten gebliebenen Wandmale-
reien, die bis heute voller Entdeckerfreude fortgeführt werden,
der Substanzverlust bis hin zum unaufhaltsamen Zerfall vor-
programmiert wird. In ihrem meist erheblich geschädigten,
fragmentierten und verblaßten Zustand werden sie von der
Kunstgeschichte immer noch vielfach künstlerisch der gleich-
zeitigen Buch- und Tafelmalerei als nicht gleichrangig angese-
hen, von Restauratoren interpretiert und seit Beginn der Ent-
deckungen dem jeweiligen Zeitgeschmack entsprechend be-
handelt, wobei die immer wieder erkennbar auftretenden
Schäden und damit verbundenen Verluste meist mit unsach-
gemäßen Mitteln bekämpft werden.
Das 19. Jahrhundert suchte die beste Form der stilgerechten
Wiederherstellung in einer Ergänzung des Fehlenden, die bis
zur völligen Rekonstruktion reichen konnte. So wurden die
originalen Ausmalungen des Nonnenchores im Kloster Wien-
hausen 1866-68 und die gut erhaltene, aber abgedünnte
Deckenmalerei in der Hildesheimer Michaeliskirche 1856 frei
nachschöpfend übermalt. Während man bei der Restaurie-
rung von Tafelmalerei und Gemälden schon lange behutsam
vorgeht und sie möglichst nur spezialisierten Restauratoren
anvertraut, blieben Wandmalereien auch im 20. Jahrhundert
in ihrem Bestand durch malermäßige „Auffrischungen” stärk-
stens gefährdet: durch Nachziehen von partiell fehlender Kon-
turen und durch willkürliche Ergänzungen nur noch undeutlich
erkennbarer Details wurden nicht nur die künstlerische Hand-
schrift verfälscht, sondern vielfach auch die originale Mal-
schicht irreversibel überdeckt.
Wenn auch heute das restauratorische Vorgehen wesentlich
behutsamer ist, freigelegte Wandgemälde lediglich in ihrem
Bestand gesichert und möglichst nicht durch Farbretuschen
ergänzt werden: die Lieblingskinder bleiben besondere Sor-
genkinder der Denkmalpflege. Immer wieder treten bei frisch
restaurierten Wandmalereien neue bedrohliche Schäden auf,
die bisher zu immer erneuten Versuchen der Konservierung
geführt haben. Die Ursachen des schnell fortschreitenden

Zerfalls, der in wenigen Jahren den völligen Verlust vieler mittel-
alterlicher und nachmittelalterlicher Raumausmalungen er-
warten läßt, sind aber bis in die jüngste Vergangenheit nicht
systematisch untersucht worden. Es hat zwar in den vergan-
genen Jahren vereinzelte Forschungsansätze gegeben, eine
Zusammenführung in einen interdisziplinären Forschungsver-
bund war jedoch nicht möglich.
Der Bundesminister für Forschung und Technologie hat sich
des Problemfeldes „Schäden an Wandmalereien und ihre Ur-
sachen” angenommen und 1987 ein auf zunächst 5 Jahre
angelegtes, mit 11,2 Mill. DM aus Bundesmitteln gefördertes
Forschungsprojekt gestartet. Gemeinsam mit dem projektlei-
tenden Institut für Denkmalpflege im Niedersächsischen Lan-
desverwaltungsamt in Hannover arbeiten seit Ende 1987 Re-
stauratoren, Kunsthistoriker, Techniker und Naturwissen-
schaftler verschiedenster Disziplinen. Sie werden von Exper-
ten aus anderen europäischen Ländern bei ihren Untersu-
chungen unterstützt.
Das Forschungsvorhaben bietet hervorragende Möglichkei-
ten, an ausgewählten Wandmalereien in der Bundesrepublik
Deutschland in einem breitgefächerten Wissenschaftsver-
bund Schäden unter den verschiedensten Gesichtspunkten
zu erfassen und zu dokumentieren sowie Schadensanalysen
mit zum Teil neuen Verfahren und Geräten durchzuführen. Die
detaillierte Aufarbeitung der Bau- und Restaurierungsge-
schichte der Wandmalerei steht am Beginn der Untersuchun-
gen, der die Erforschung der Maltechnologie als Grundlage
der weiterführenden, vertiefenden naturwissenschaftlichen
Messungen und Analysen durch Biologen, Mineralogen, Che-
miker, Bauphysiker, Klimatologen u.a. folgt.
Begonnen wurde das Pilotprojekt mit der Untersuchung
zweier mittelalterlicher Kirchen in Niedersachsen, deren
Wandmalereien erhebliche Schäden aufweisen: der Dorfkirche
in Krummhörn-Eilsum bei Emden und der Alten Kirche in
Wunstorf-Idensen.
Die in diesem Band in Aufsätzen und vergleichenden Betrach-
tungen vorgelegten ersten Forschungsergebnisse geben ei-
nen Eindruck von der Komplexität des Projektes und verdeutli-
chen darüber hinaus die unbedingte Notwendigkeit der inter-
disziplinären Zusammenarbeit von Naturwissenschaftlern,
Kunsthistorikern, Restauratoren und Denkmalpflegern im Hin-
blick auf die Erhaltung wertvoller kulturgeschichtlicher Zeug-
nisse der Vergangenheit. Daß nicht nur Angehörige des For-
schungsteams, sondern auch erfahrene Wandmalereiexper-
ten aus England und Dänemark mit Beiträgen zu Wort kom-
men, dokumentiert die dem Gesamtprojekt innewohnende
Konzeption einer engen länderübergreifenden Kooperation.
Es ist den Verfassern wie dem Herausgeber bewußt, daß es
sich dabei nur um einen ersten Zwischenbericht handeln
kann, der in die Problematik und in die Vielfalt der Fragestellun-
gen einführt. Weitere Veröffentlichungen werden dieses Thema
aktualisieren und vertiefen müssen. Die Aufsätze spiegeln das
hohe Niveau der fachlichen Auseinandersetzung mit der
schwierigen Materie wider, sie zeigen aber auch, daß zunächst
fundierte Grundlagenforschung erforderlich ist, bevor konkrete
denkmalpflegerisch-restauratorische Erhaltungsstrategien als
Handreichung für die Praxis entwickelt werden können.
Dem Forschungsteam ist für sein großes Engagement und
die Bereitschaft mit Einzelbeiträgen diese Publikation zu er-
möglichen, nachdrücklich zu danken.
Prof. Dr. Hans-Herbert Möller
Landeskonservator

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