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Möller, Hans-Herbert [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Schäden an Wandmalereien und ihre Ursachen: ein Forschungsprojekt des Bundesministers für Forschung und Technologie; aktuelle Vorberichte zu den ersten interdisziplinären Befunden — [Hannover]: Inst. für Denkmalpflege, Heft 8.1990

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Feld, Marion: Über den Schauwert mittelalterlicher Wandmalerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.50505#0021
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Über den Schauwert mittelalterlicher Wandmalerei

Marion Feld

Es ist davon auszugehen, daß der ursprüngliche Bestand an
mittelalterlichen Wandmalereien nur sehr lückenhaft erhalten
geblieben ist. Diese lapidare Feststellung bezieht sich sowohl
auf das Einzeldenkmal in seinem technischen Zustand wie in
seiner inhaltlichen Vollständigkeit als auch auf die relative und
zufällige Zahl der überkommenen Denkmäler insgesamt.
Wenn man bedenkt, welche „natürlichen” Ursachen1 in frühe-
rer Zeit den Bestand dezimiert haben, wie selbst der letzte
Weltkrieg mit seinen zahllosen Zerstörungen nochmals eine
riesige Lücke in den Bestand gerissen und der daraufhin ein-
setzende „Freilegungshunger”2 vielfache Verluste verursacht
haben, so wirken Bemerkungen von Bader3 und Bornheim,4
die eine noch größere Verlustursache der puristisch ausgerich-
teten Denkmalpflege und der neuen liturgischen Umordnung
der Kircheninnenräume zuschreiben, zugleich erschreckend
und alarmierend. Und nicht zuletzt die starke, schnelle wirt-
schaftliche und gesellschaftliche Entwicklung seit dem Zeital-
ter der Industrialisierung5 steht durch die schwerwiegenden
Veränderungen mit den Verlusten in ursächlichem Zusammen-
hang und muß für die Folgen verantwortlich gemacht werden.
Was haben mangelnder Sachverstand und übereifriges
„Kunstwollen” der wenigen vergangenen Jahrzehnte an die-
sem, die Jahrhunderte relativ unbeschadet überstandenen
Denkmälerbestand verändert, beschädigt, vernichtet!
Hinzu kommt ein allgemeiner Werteverlust6 gerade der an den
Sakralbereich gebundenen Kunstwerke, sei es in bezug auf
eine vermehrt um sich greifende, bis allgemein verbreitete
Säkularisierungseinstellung, sei es in bezug auf einen eher
ästhetisch geprägten Umgang mit Kunst, die in ihrer ursprüng-
lichen Bestimmung von einem Kunstbegriff weit entfernt war.
Dies hat vor allem für die Wandmalerei schwerwiegende Kon-
sequenzen: Sie wird formal-ästhetisch zu einem musealen
Ausstattungsstück oder zu einem Versuchsobjekt degradiert,
sie verliert ihre Authentizität im Rahmen des liturgisch-sakralen
Gesamtzusammenhangs.
Daraus wird ersichtlich, daß über allem Bemühen um geeig-
nete Restaurierungskonzepte die Würde und Zweckbestim-
mung des jeweiligen Kunstwerkes stehen muß, dessen Erhal-
tung nicht nur zur Befriedigung des Kunstverstandes, zur Be-
reicherung des statistischen Dokumentationsmaterials oder
zur Untersuchung von „Fallstudien” dienen darf, sondern das
seine Stellung im ursprünglich räumlichen wie liturgischen
Zweckzusammenhang zurückerhalten soll. Wichtiger als die
bloße Wiederherstellung, die durch den sehr eng gefaßten
Originalitätsbegriff zu einer allzu puristischen Betrachtung ten-
diert und das betreffende Kunstwerk in musealer Weise aus
seinem Umraum isoliert, bleibt in jedem Fall die Wiederbele-
bung7 der Monumente in ihrem Entstehungszusammenhang
und „Lebensraum”.
Doch was versteht man unter Originalzusammenhang?8 Wie
faßt man den Originalitätsbegriff?9 Was ist ein Original?10 Von
der Beantwortung dieser Fragen hängen letztlich das gesamte
restaurative Vorgehen wie auch die Bewertung des Einzel-
und des Gesamtkunstwerkes ab. Sie sind bis heute jedoch
nicht verbindlich beantwortet worden und können es bei der

Vielgestaltigkeit der Denkmäler, des künstlerischen Ausdrucks
und der maltechnischen Ausführungen sowie bei den indivi-
duellen Erhaltungsumständen wohl nie werden. Sie müssen
im Gegenteil bei jedem Denkmal immer wieder neu und immer
wieder mit schwerwiegenden Überlegungen verbunden, ver-
antwortungsbewußt und einfühlsam entschieden werden.
Wenn es also kein verbindliches und einheitlich gültiges „Re-
zept” für denkmalpflegerische Vorgehensweisen geben
kann,11 kann doch die innerhalb eines Jahrhunderts gemachte
Erfahrung sowie ein ständig wachbleibender Austausch unter
den Verantwortlichen als Korrektiv dienen und die Diskussion
über theoretische Idealvorstellungen und praktische Durch-
führbarkeit lebendig erhalten.
Basierend auf der lexikalischen Definition12 von „origo” (= Ur-
sprung), bedeutet Original grundsätzlich: Ursprünglichkeit und
Eigentümlichkeit; auf Kunst bezogen: Das ursprüngliche, an
den Zeitpunkt seiner Entstehung gebundene Kunstwerk13 in
seiner Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit.14 Wenn man also
- angewendet auf mittelalterliche Wandmalerei - unter Origi-
nal im engsten Sinne das im Mittelalter geschaffene, in den
damals üblichen Techniken und Arbeitsschritten ausgeführte
Wandbild versteht, wie es in seinem meist stark verblaßten
farblichen Zustand und oft in kompositorisch und inhaltlich
fragmentarischem Umfang auf uns gekommen ist, bleibt für
die Praxis, die sich in puristischerWeise der reinen Erhaltung
des Originals verschrieben hat, wenig Spielraum. Mit der For-
derung nach Unantastbarkeit bieten sich als Alternativen nur
eine erneute Übertünchung bei zu geringem Befund oder bei
ausreichenden Resten eine Freilegung, die bewußt auf Ergän-
zungen - selbst noch so zurückhaltende und erkennbar ge-
machte - verzichtet. Da allerdings selten Ausmalungen derart
komplett erhalten sind, daß sie ein farblich geschlossenes
Bild vermitteln und kompositorisch die Darstellung und den
Inhalt erkennbar werden lassen, muß hierbei - insbesondere
für den Laien, der letzten Endes den Kirchenraum im liturgi-
schen Zusammenhang erlebt - das Gesamtbild nicht nur
optisch unbefriedigend und unverständlich bleiben.
Berücksichtigt man darüber hinaus Verluste an Bestand und
Umfang und vor allem die nachgelassene Leuchtkraft der
ursprünglichen Farbigkeit, was z.T. sogar auf die mittelalterli-
chen Techniken selbst zurückzuführen ist, so könnte im wahr-
sten und engsten Sinne eigentlich nirgends von Original, im
günstigsten Fall von einem außerordentlich guten Erhaltungs-
zustand die Rede sein. Da jedoch die originale Richtigkeit
nicht nur von optischen Farbwerten abhängig ist, sondern
ebenso die Lichtverhältnisse, wie auch die architektonische
Umgebung mit all ihren Ausstattungsstücken zu einem ein-
heitlichen Gesamteindruck zugehörig sind, wäre es sinnvoll,
auch den Originalitätsbegriff weiter und allgemeiner zu fassen.
Welcher Spielraum bleibt der Denkmalpflege bei aller Diskus-
sion um einen definitiven Originalitätsbegriff? Wie gefährlich
können denkmalpflegerische Maßnahmen dem Original wer-
den? Wie stark greift sie in die Substanz und das Wesen der
Wandmalerei ein? Abgesehen von der durch den historischen
Rückblick15 bewiesenen Tatsache, daß jede denkmalpflegeri-

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