sehe Tat zeitgebunden und einem historischen Wandel unter-
stellt ist und damit immer zu einer Interpretation wird, haben
sich in heutiger Zeit hauptsächlich folgende Richtlinien und
Erkenntnisse durchgesetzt:
1. Die kategorische, puristische Auffassung, die den Originali-
tätsbegriff so eng wie möglich faßt und damit der Praxis
keinen Handlungsspielraum läßt, besteht folgerichtig auf
einer Unantastbarkeit des Originals und im Fall eines allzu
spärlichen Erhaltungszustands konsequent auf einer er-
neuten Zudeckung/Übertünchung.16 Im Fall einer Freile-
gung hat dies allerdings in nicht wenigen Fällen die Unles-
barkeit und damit den Verlust der Aussagekraft und Zweck-
bestimmung zur Folge.
2. Um einen möglichst geschlossenen, einheitlichen Gesamt-
eindruck eines Wandbildes zu vermitteln, wird ein zurück-
haltendes, verantwortungsbewußtes, „museales Restau-
rieren” bevorzugt.17 Dabei steht gemäß einer großzügigeren
Auslegung des Originalitätsbegriffs die Reintegration in den
architektonischen und liturgischen Umraum im Vorder-
grund; technisch erzielt mit Tratteggio-Ergänzungen
(Schließen kleinerer Fehlstellen) und zurückhaltenden mo-
nochromen Putzeintönungen (bei größeren neu eingeputz-
ten Fehlstellen). Selbstverständlich wird auf jede anglei-
chende Neuausmalung verzichtet, um irrtümliche und will-
kürliche Ergänzungen auszuschließen. Die behandelten
Stellen bleiben als solche optisch nachvollziehbar (in der
Nähe und für das Fachpublikum), andererseits wird das
Laienpublikum aus der Entfernung mit einem geschlosse-
nen Gesamteindruck zufriedengestellt.
3. Gerade in den letzten Jahren wird man sich zunehmend
bewußt, daß dem Original auch der Alterungsprozeß18 und
1 Goslar, Neuwerkkirche, Apsis: Detail mit Mandorla und Sedes
Sapientiae.
dessen Genese19 zu eigen ist. Dies hat zur Folge, daß -
insbesondere im Hinblick auf die Maßnahmen der Jahrhun-
dertwende - heute schwerwiegend zwischen Ent-Restau-
rierung und Re-Restaurierung entschieden werden muß.20
Derartige theoretische Überlegungen zum „originalen Schau-
wert” und einige, teils kategorische, teils illusorische Forderun-
gen nach dem Erhalt der originalen Gesamtsituation lassen
sich veranschaulichen an drei ausgewählten, aber beispielhaf-
ten niedersächsischen Denkmälern: Neuwerkkirche in Goslar;
Ev.-ref. Kirche in Krummhörn-Eilsum, Ldkr. Aurich; Alte Kirche
in Wunstorf-Idensen, Ldkr. Hannover (die genannten Denkmä-
ler werden im folgenden ausschließlich in Kurzform des jeweili-
gen Ortsnamens zitiert). Die dabei angesprochenen problem-
behafteten Aspekte mögen zugleich manche vorherige pole-
mische Äußerung oder resignierende Lamentatio rechtferti-
gen.
Zur allgemeinen Erläuterung sei noch vorausgeschickt, wie
sich der jeweils charakteristische Zustand optisch erfassen
und einschätzen läßt und welche Hilfsmittel und Dienstleistun-
gen zur näheren Überprüfung und zur Objektivierung herange-
zogen werden können bzw. müssen: Bei einer Sensibilisierung
für gewisse Probleme und entsprechenden Erfahrungen wer-
den dem geschulten Auge bereits unter normalen Umständen
(z. B. die eines Kirchenbesuchers: Entfernung vom Objekt,
von Fenstern gefiltertes Tageslicht etc.) gewisse Veränderun-
gen oder Schäden - auf optischem Wege - erkennbar. Bei
Nahuntersuchungen (vom Gerüst aus), unter bestimmten op-
timalen Bedingungen (z.B. Streiflicht von Spezialscheinwer-
fern, aber auch mit anderen fototechnischen Geräten) läßt
sich der Allgemeinzustand erfassen und bis in Details karto-
graphieren und kann gegebenenfalls um Analyseergebnisse
von entnommenen Proben ergänzt werden. Darüber hinaus
läßt sich der aktuelle Status mit älteren Dokumentationsmate-
rialien vergleichen und anhand von Archivalien (z.B. unveröf-
fentlichte Restaurierungsberichte) überprüfen, was einer Rela-
tivierung des jeweiligen „originalen Eindrucks" dienlich sein
kann.
1. Aspekt „Original und Restaurierung”
Wie wirkt sich eine „Restaurierungs-Geschichtsträchtigkeit”
auf ein mittelalterliches Wandbild aus? In welchem Verhältnis
stehen bereits historische Restaurierungsmaßnahmen zum
Original und welche möglichen Konsequenzen ergeben sich
daraus für heutige, aktualisierte Denkmalpflegekonzepte?
Diese Fragen stellen sich dringlich bei einer Beschäftigung
mit Wandmalereien, die bereits im 19. Jahrhundert entdeckt,
freigelegt und restauriert wurden und die möglicherweise bis
zum heutigen Tag gar mehrere Restaurierungsphasen erleben
mußten.
Das Demonstrationsobjekt, die Wandmalerei der Goslarer
Neuwerkkirche,21 in seiner Gesamtheit und in dem hier ge-
wählten fotografischen Ausschnitt mit der Sedes Sapientiae
im speziellen Detail (Abb. 1) spricht durchaus für sich selbst
und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Schon dem unvorein-
genommenen Betrachter erscheinen die Darstellungen in un-
bestimmter Weise merkwürdig unstimmig, steif und leblos,
kurz: Irgend etwas stimmt nicht ganz und ist vor allem auf
den ersten Blick augenfällig. Ist es nicht bezeichnend, daß
sich eine Restaurierung des 19. Jahrhunderts (mit z.T. späte-
ren Maßnahmen) als solche dem unbewehrten Auge zu erken-
nen gibt?!
Dieser offensichtliche Eindruck kann nicht nur aus der Verwen-
dung neuartiger und ungeeigneter Materialien und unerprob-
ter Vorgehensweisen resultieren, auch nicht allein von dem
freizügigen Umgang mit dem Original (hinsichtlich Ergänzun-
gen und Übermalungen) oder von einem möglicherweise un-
genügend qualifizierten Kirchenmalerabhängig sein. Darüber
20
stellt ist und damit immer zu einer Interpretation wird, haben
sich in heutiger Zeit hauptsächlich folgende Richtlinien und
Erkenntnisse durchgesetzt:
1. Die kategorische, puristische Auffassung, die den Originali-
tätsbegriff so eng wie möglich faßt und damit der Praxis
keinen Handlungsspielraum läßt, besteht folgerichtig auf
einer Unantastbarkeit des Originals und im Fall eines allzu
spärlichen Erhaltungszustands konsequent auf einer er-
neuten Zudeckung/Übertünchung.16 Im Fall einer Freile-
gung hat dies allerdings in nicht wenigen Fällen die Unles-
barkeit und damit den Verlust der Aussagekraft und Zweck-
bestimmung zur Folge.
2. Um einen möglichst geschlossenen, einheitlichen Gesamt-
eindruck eines Wandbildes zu vermitteln, wird ein zurück-
haltendes, verantwortungsbewußtes, „museales Restau-
rieren” bevorzugt.17 Dabei steht gemäß einer großzügigeren
Auslegung des Originalitätsbegriffs die Reintegration in den
architektonischen und liturgischen Umraum im Vorder-
grund; technisch erzielt mit Tratteggio-Ergänzungen
(Schließen kleinerer Fehlstellen) und zurückhaltenden mo-
nochromen Putzeintönungen (bei größeren neu eingeputz-
ten Fehlstellen). Selbstverständlich wird auf jede anglei-
chende Neuausmalung verzichtet, um irrtümliche und will-
kürliche Ergänzungen auszuschließen. Die behandelten
Stellen bleiben als solche optisch nachvollziehbar (in der
Nähe und für das Fachpublikum), andererseits wird das
Laienpublikum aus der Entfernung mit einem geschlosse-
nen Gesamteindruck zufriedengestellt.
3. Gerade in den letzten Jahren wird man sich zunehmend
bewußt, daß dem Original auch der Alterungsprozeß18 und
1 Goslar, Neuwerkkirche, Apsis: Detail mit Mandorla und Sedes
Sapientiae.
dessen Genese19 zu eigen ist. Dies hat zur Folge, daß -
insbesondere im Hinblick auf die Maßnahmen der Jahrhun-
dertwende - heute schwerwiegend zwischen Ent-Restau-
rierung und Re-Restaurierung entschieden werden muß.20
Derartige theoretische Überlegungen zum „originalen Schau-
wert” und einige, teils kategorische, teils illusorische Forderun-
gen nach dem Erhalt der originalen Gesamtsituation lassen
sich veranschaulichen an drei ausgewählten, aber beispielhaf-
ten niedersächsischen Denkmälern: Neuwerkkirche in Goslar;
Ev.-ref. Kirche in Krummhörn-Eilsum, Ldkr. Aurich; Alte Kirche
in Wunstorf-Idensen, Ldkr. Hannover (die genannten Denkmä-
ler werden im folgenden ausschließlich in Kurzform des jeweili-
gen Ortsnamens zitiert). Die dabei angesprochenen problem-
behafteten Aspekte mögen zugleich manche vorherige pole-
mische Äußerung oder resignierende Lamentatio rechtferti-
gen.
Zur allgemeinen Erläuterung sei noch vorausgeschickt, wie
sich der jeweils charakteristische Zustand optisch erfassen
und einschätzen läßt und welche Hilfsmittel und Dienstleistun-
gen zur näheren Überprüfung und zur Objektivierung herange-
zogen werden können bzw. müssen: Bei einer Sensibilisierung
für gewisse Probleme und entsprechenden Erfahrungen wer-
den dem geschulten Auge bereits unter normalen Umständen
(z. B. die eines Kirchenbesuchers: Entfernung vom Objekt,
von Fenstern gefiltertes Tageslicht etc.) gewisse Veränderun-
gen oder Schäden - auf optischem Wege - erkennbar. Bei
Nahuntersuchungen (vom Gerüst aus), unter bestimmten op-
timalen Bedingungen (z.B. Streiflicht von Spezialscheinwer-
fern, aber auch mit anderen fototechnischen Geräten) läßt
sich der Allgemeinzustand erfassen und bis in Details karto-
graphieren und kann gegebenenfalls um Analyseergebnisse
von entnommenen Proben ergänzt werden. Darüber hinaus
läßt sich der aktuelle Status mit älteren Dokumentationsmate-
rialien vergleichen und anhand von Archivalien (z.B. unveröf-
fentlichte Restaurierungsberichte) überprüfen, was einer Rela-
tivierung des jeweiligen „originalen Eindrucks" dienlich sein
kann.
1. Aspekt „Original und Restaurierung”
Wie wirkt sich eine „Restaurierungs-Geschichtsträchtigkeit”
auf ein mittelalterliches Wandbild aus? In welchem Verhältnis
stehen bereits historische Restaurierungsmaßnahmen zum
Original und welche möglichen Konsequenzen ergeben sich
daraus für heutige, aktualisierte Denkmalpflegekonzepte?
Diese Fragen stellen sich dringlich bei einer Beschäftigung
mit Wandmalereien, die bereits im 19. Jahrhundert entdeckt,
freigelegt und restauriert wurden und die möglicherweise bis
zum heutigen Tag gar mehrere Restaurierungsphasen erleben
mußten.
Das Demonstrationsobjekt, die Wandmalerei der Goslarer
Neuwerkkirche,21 in seiner Gesamtheit und in dem hier ge-
wählten fotografischen Ausschnitt mit der Sedes Sapientiae
im speziellen Detail (Abb. 1) spricht durchaus für sich selbst
und bedarf keiner weiteren Erläuterung. Schon dem unvorein-
genommenen Betrachter erscheinen die Darstellungen in un-
bestimmter Weise merkwürdig unstimmig, steif und leblos,
kurz: Irgend etwas stimmt nicht ganz und ist vor allem auf
den ersten Blick augenfällig. Ist es nicht bezeichnend, daß
sich eine Restaurierung des 19. Jahrhunderts (mit z.T. späte-
ren Maßnahmen) als solche dem unbewehrten Auge zu erken-
nen gibt?!
Dieser offensichtliche Eindruck kann nicht nur aus der Verwen-
dung neuartiger und ungeeigneter Materialien und unerprob-
ter Vorgehensweisen resultieren, auch nicht allein von dem
freizügigen Umgang mit dem Original (hinsichtlich Ergänzun-
gen und Übermalungen) oder von einem möglicherweise un-
genügend qualifizierten Kirchenmalerabhängig sein. Darüber
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