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Möller, Hans-Herbert [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Schäden an Wandmalereien und ihre Ursachen: ein Forschungsprojekt des Bundesministers für Forschung und Technologie; aktuelle Vorberichte zu den ersten interdisziplinären Befunden — [Hannover]: Inst. für Denkmalpflege, Heft 8.1990

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Turek, Peter; Autenrieth, Hans Peter: Modelle für eine grafische Inventarisation mittelalterlicher Wandmalerei
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.50505#0029
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Modelle für eine grafische Inventarisation mittelalterlicher Wandmalerei

Hans Peter Autenrieth / Peter Turek

Das wichtigste Mittel zur Dokumentation des Erhaltungszu-
standes von Kunstwerken, wichtiger als jede Beschreibung,
ist die Fotografie, insbesondere die Farbfotografie, mag sie
auch gewisse Mängel haben. (Dazu gehören nicht die oft
beklagten „Farbstiche”, die nur Resultat mangelhafter Auf-
nahme- oder Drucktechnik sind, wohl aber die geringe Archiv-
festigkeit von Farbfotos.)
Neben der Fotografie mit allen ihren Varianten wie Streif-
licht-, Ultraviolett-, Infrarotfotografie usw. fallen aber auch dem
älteren Darstellungsmittel, der Zeichnung, noch wichtige Auf-
gaben zu: Der Kunsthistoriker, insbesondere der Ikonograph
legt Wert auf die deutliche Lesbarkeit der Bildgegenstände,
ein Wunsch, den die Fotografie bei stark fragmentierten Wand-
malereien nicht zu erfüllen vermag. Gute Arbeitshilfe geben
hier lineare, relativ schematische Zeichnungen.1
Einen anderen Zweck haben grafische Darstellungen, mit de-
nen Restauratoren und Naturwissenschaftler ihre Befunde do-
kumentieren, etwa stratigrafische Abfolgen, sog. Tagewerke
beim Fresko, Risse, Hohlstellen („Perkussionsskizzen”), Salz-
ausblühungen („Salzkartierung”) und vieles mehr.2 Gegenwär-
tig sind Bestrebungen im Gange, für diese Befund-Grafiken
international einheitliche „Legenden" zu vereinbaren.3 Vorteil
und Nachteil der Befund-Einträge ist, daß sie einen je nach
Aufgabe definierten „grafischen Auszug” aus dem Bild bieten,
kaum einmal aber den Gesamtbefund wiedergeben. Man
kann derartige Zeichnungen, wenn sie transparent sind, auf-
einanderlegen und wertvolle Aufschlüsse erhalten, beim Über-
einanderlegen von mehr als drei solcher Blätter entsteht je-
doch ein unleserliches Mischbild. Ein bemerkenswert über-
sichtliches Resultat, aus dem immerhin fünf „Zustände” her-
vorgehen, präsentiert G. Basile 1984 mit einer einfachen, aber
effektiven Rastergrafik.4 Wesentlich differenzierter ist die Dar-
stellung von Glasmalereischäden bei Fitz/Frenzei/Krüger/
Kühn 1984.5 Dieser Forschungsbericht ist durchgehend mit
zwei getrennten Abbildungen (neben den Fotografien) illu-
striert, je eine in Blau-Grün-Farben für den Zustand des
Grundglases, die andere in Gelb-Rot-Abstufungen für den
Zustand der Malerei selbst. Mit zusätzlichen Schraffuren wer-
den so bis zu 6 + 3 bzw. 5 + 3 Schadensgrade wiedergege-
ben.
Unsere Grafik verfolgt wiederum eine andere Absicht als die
Zeichnungen der Restauratoren und Naturwissenschaftler: sie
soll dem Betrachter, insbesondere dem Kunsthistoriker, eine
Antwort auf die kritische Frage geben: „Was ist in diesem Bild
überhaupt noch an Originalsubstanz vorhanden?”. Dabei in-
teressiert sowohl der Umfang als auch die Qualität des Erhal-
tenen. Beides sollte möglichst übersichtlich, auf einen Blick,
abzulesen sein, ohne langwierige Entschlüsselung. Anders
formuliert: gesucht wird eine quantitative und qualitative Dar-
stellung des Erhaltungszustandes mit größtmöglicher Evi-
denz. Auf Informationen, welche die Fotografie besser über-
trägt, kann dabei verzichtet werden.6
Die hier vorgelegten ersten Modelle7 bringen einerseits weni-
ger als eine Serie spezieller Befundaufnahmen, andererseits

mehr als beispielsweise das „Corpus Vitrearum Medii Aevi”
(wo nur die ausgetauschten Scheiben gekennzeichnet sind).
Die Grafiken geben wieder, was jeder aufmerksame Beobach-
ter der Wandmalerei bei Nahbetrachtung selbst sehen könnte.
Was sie dennoch notwendig macht, ist allein die Tatsache,
daß Gelegenheiten zur Nahbetrachtung (vom Gerüst aus) nur
selten bestehen und daß ausreichend detaillierte Befundfotos
in aller Regel auch nur von besonders charakteristischen Stel-
len vorliegen, keineswegs von ganzen Wänden oder Bildern.
Bei der üblichen Betrachtung aus einer gewissen Distanz oder
bei Fotografien in einem Maßstab kleiner als ca. 1:10 (Gesamt-
aufnahmen) ist niemand mehr in der Lage, den Originalbe-
stand korrekt zu beurteilen und auch der tüchtigste Fachmann
kann sich dann in vieler Hinsicht täuschen:
- Ein kontrastreiches Schwarzweißfoto kann Linien und Far-
ben stärker hervortreten lassen als es dem wahren Augen-
eindruck entspricht.
- Beim Farbfoto können die Töne zu blaß ausfallen (z.B.
Effekt hervorgerufen durch Kalkschleier auf der Wand), um-
gekehrt aber auch durch Bearbeitungstechniken unange-
messen forciert werden, obwohl sie kaum noch den Grund
decken.
- Ausgedehnte Putzflächen, auf denen sich noch Reste von
Zeichnungen befinden, täuschen malerische Substanz vor,
weil der Putzgrund noch „mitspricht” (vgl. etwa Abb. 5
mit 7: vom Eilsumer Lukas-Stier ist materiell nur noch die
Silhouette vorhanden).
- Untermalungen können irrtümlich für die (verlorene) oberste
Malschicht gehalten werden (in Idensen war das Taufbek-
ken [Abb. 1] nicht einfarbig rot, sondern hatte aufgemaltes
Kosmatenwerk; im selben Bild besaß die weißlich gewan-
dete mittlere Figur der rechten Gruppe urspünglich ein
feingemustertes, grünes Gewand).
- Eingefärbte und verschmutzte Auskittungen täuschen Ori-
ginalsubstanz vor. (Die einzige scheinbar gut erhaltene
Stelle bei der Stierdarstellung in Eilsum ist eine Ausflickung.)
- Die heute meistverbreitete Methode der Retusche, das
sog. Tratteggio (winzige, parallele Pinselstriche) vermeidet
es zwar strikt, Originalsubstanz materiell zu übermalen,
wohl aber pflegt man diese an vielen kleinen und kleinsten
Stellen optisch „aufzufüllen” (das ist ja der oft berechtigte
Zweck der Retusche). AusgiebigesTratteggio kann so ganz
erhebliche Mengen neuer Farbe „in” den alten Bestand
bringen, ohne daß dies immer erkennbar ist. (Bei Nahsicht
oder in der Nahaufnahme lassen sich Retusche und Origi-
nal sehr gut unterscheiden, bei größerer Betrachterdistanz
„fließen” die Striche aber optisch zusammen.)
Über alle solchen Minderungen oder Vermehrungen der Origi-
nalsubstanz sollte sich der interessierte Betrachter, insbeson-
dere der Kunsthistoriker in einer Grafik informieren können.
Am besten dafür wäre wohl eine Befundgrafik, die der oben
zitierten Glasmalereidarstellung Fitz/Frenzei/Krüger/Kühn
entspricht, aber es dürfte utopisch sein, dieses System für

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