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Möller, Hans-Herbert [Hrsg.]; Institut für Denkmalpflege [Hrsg.]; Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege [Hrsg.]
Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen: Schäden an Wandmalereien und ihre Ursachen: ein Forschungsprojekt des Bundesministers für Forschung und Technologie; aktuelle Vorberichte zu den ersten interdisziplinären Befunden — [Hannover]: Inst. für Denkmalpflege, Heft 8.1990

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Rösch, Heinrich; Schwarz, Hans-Jürgen: Perspektiven mineralogisch-chemischer Untersuchungen bei Wandmalereischäden
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https://doi.org/10.11588/diglit.50505#0039
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Perspektiven mineralogisch-chemischer Untersuchungen
bei Wandmalereischäden
Heinrich Rösch / Hans-Jürgen Schwarz

Was hat Wandmalerei mit Mineralogie und Chemie zu tun?
Viel! Denn sowohl die Wand als auch die Malerei bestehen
überwiegend aus Mineralien - und aus chemischen Elemen-
ten natürlich ausschließlich.
Diese Minerale bewirken unteranderem, daß das vom Künst-
ler geschaffene System Mauerwerk - Putz - Malschichten
keineswegs zum unveränderlichen Denkmal erstarrt. Sie sind
im Gegenteil die Ursache, daß sich hier ein lebendiger Orga-
nismus ausbildet, durch dessen „Adern” Wasser zirkuliert,
dessen „Haut” von der Luft und ihren Schadstoffen angegriffen
wird - ein Organismus, der mit zunehmendem Alter leider
Zerfallserscheinungen zeigt und auch von gewissen Krankhei-
ten heimgesucht wird.
Wie für jeden Patienten ist die richtige Diagnose entscheidend
für den Heilerfolg. Kein Krankheitsverlauf ist jedoch identisch
- bei jeder Therapie und für jede Wandmalerei müssen unter-
schiedliche Arzneien gefunden, müssen spezifische Rezepte
verschrieben werden. Ein guter Arzt - hier entsprechend der
Mineraloge und Chemiker - wird zunächst das Umfeld und
seine Krankheitsgeschichte, die Anamnese, in seine Behand-
lung einbeziehen. So wird es zu den elementaren Aufgaben
im Teilprojekt „Mineralogische und chemische Untersuchun-
gen an historischen Wandmalereien” gehören, den „Ist”-Zu-
stand der Mauerwerks-/Putz-/Malschichtverbände analy-
tisch festzuhalten und Veränderungen durch frühere Restau-
rierungen, wie auch durch lösliche Ionen, die z. B. durch kapil-
lar in der Mauer aufsteigende Grundfeuchte aus dem Unter-
grund eingebracht werden, zu erfassen.
Den Wanderungen löslicher Ionen wird das Hauptinteresse
gelten: Diese Ionen kristallisieren in Abhängigkeit vom Klima
als Salze aus und verursachen dann den weitaus größten Teil
der auftretenden anorganischen Schäden. Die in der Mauer,
im Putz, im Mörtel, in den Malschichten, aber auch in den
umliegenden Böden, im Grundwasser oder im darüberliegen-
den Gewölbe steckenden Kationen und Anionen werden in
möglichst repräsentativen Proben quantitativ analysiert. Die
direkt in den oberflächennahen Putz- und Malschichten aus-
kristallisierenden Salze sollen - klima- und zeitabhängig -
durch flächenhaft aufgelegte Saug-Kompressen gelöst und
nachgewiesen werden. Die dritte Dimension, d.h. die Salzbe-
lastung im Wandinneren, soll durch kleine Bohrkerne an sorg-
fältig ausgewählten Stellen erfaßt werden. In diese Bohrlöcher
werden anschließend „Saugdübel” aus einem noch zu entwik-
kelnden Material gesetzt, die tiefenabhängig die löslichen
Ionen aus dem umgebenden Wandbereich aufsaugen sollen
und von Zeit zu Zeit zur Analyse herausgenommen werden.
Da aber nicht nur Art und Menge der gelösten Ionen von
Interesse sind, sondern besonders auch die Art der Salze,
die unter der Maloberfläche auskristallisieren, wird sich eine
Forschungsaktivität der Erfassung und dem Nachweis dieser
Salze an Ort und Stelle, d.h. im Porenraum selber, widmen.
Die Schwierigkeit besteht darin, einige kritische Salze, deren
Struktur und Wasserhaushalt sehr instabil sind, zuverlässig in
situ zu fixieren, um sie anschließend mikroanalytisch zu be-
stimmen, ihre Verteilung im Porengefüge zu studieren und
damit Aussagen über den Migrationsmechanismus in dem
wichtigsten Transportmedium Wasser machen zu können.

Diese Mikroanalyse zieht sich wie ein roter Faden durch die
naturwissenschaftliche Untersuchung an historischen Wand-
malereien. Denn einerseits erfordert eine Materie von meist
hohem kunsthistorischen Wert die Beschränkung auf mög-
lichst geringe Probenmengen, andererseits haben die im Po-
rengefüge von tausendstel bis zehntel Millimeter Größe auskri-
stallisierenden Minerale auch höchstens diese Dimensionen.
Damit bieten sich zur Untersuchung Methoden wie die Polari-
sationsmikroskopie (zur Beobachtung von Texturen, Verwitte-
rungserscheinungen und kristallographischen Besonderhei-
ten der Minerale) sowie verschiedene elektronenmikroskopi-
sche Verfahren an (für Detailstudien und zur mikrochemischen
Analyse kleinster Partikel). Über den Bindungszustand von
Wassermolekülen unterschiedlicher Art sollen thermische Ver-
fahren und die Infrarotspektrographie neue Erkenntnisse bei-
tragen; auch diese Methoden benötigen lediglich Substanz-
mengen im Milligrammbereich. Gezielte Versuche sollen klä-
ren, ob Verteilungsmuster bestimmter stabiler Isotope und
seltener Erden auf/in der Wand Aussagen über die Herkunft
und die Migrationswege der Salze zulassen. Eine weitere Stu-
die wird der Entwicklung einer nach dem Guinier- und Gan-
dolfi-Prinzip arbeitenden Röntgenkamera gelten: Mikro-Ein-
zelkristallite wie Pigmentkörner, Salzkristalle, Umwandlungs-
phasen sollen mit diesem Verfahren sicher und zerstörungsfrei
identifiziert werden.
Zum besseren Verstehen der Vorgänge in Abhängigkeit von
verschiedenen Faktoren wie Temperatur, Feuchte, Zeit werden
Simulationen mit nachgestellten Mauerwerk-/Putz-/Mal-
schichtverbänden in großen Klimakammern eingesetzt. Alle
Veränderungen in den Variablen haben Reaktionen im Stoff-
haushalt, also lonenwanderung und Salzausblühungen etc.,
zur Folge, die durch analytische Detailuntersuchungen, wie
oben angesprochen, erfaßt werden.
Diese und andere analytische Verfahren sind lediglich das
Handwerkszeug, mit dem eine einigermaßen verläßliche Dia-
gnose über das Krankheitsbild des Patienten Wandmalerei
nach anorganisch-chemischen sowie mineralogischen Sym-
ptomen getroffen werden soll.
Erst durch eine synoptische Auswertung aller interdisziplinär
gewonnenen Erkenntnisse in der Simulation und am Objekt
vor Ort lassen sich dann erfolgversprechende Therapiemaß-
nahmen einleiten, die spezifisch auf das untersuchte Objekt
zugeschnitten sind. Und erst durch die detaillierte Untersu-
chung einer Reihe sorgfältig ausgesuchter Patienten können
Arzneimittel entwickelt und Therapiemaßnahmen allgemein
angesetzt werden.
Summary
Wall paintings and their foundations predominantly consist of
mineralogical and chemical compounds. The deterioration of
the paintings has its cause in alteration mechanisms very
similar to weathering processes of rocks and minerals, while
the rate and intensity of these processes depend on many
variables.
The (micro-)analytical methods to investigate the damages
caused by migration and crystallization of soluble salts are
presented, and the aim of our part of the project is described:
help to develop practicable methods in order to protect histor-
ical paintings from further disintegration.

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