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Allgemeine Kunstchronik: ill. Zeitschr. für Kunst, Kunstgewerbe, Musik, Theater u. Litteratur — 16.1892

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Allgemeine Kunst-Chronik. XVI. Bd. Nr. 7
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raff

XVI. Bd. Nr, 7.


I:

!ALLGEMEINE
KUNST-CHRONIK
hstrirte Zeitschrift für Kunst, Kunstperhe, Musik, Theater und Literatur.
Herausgeber
Dr. Wilhelm Lauser.
WIEN.

1892.
Zweites Märzlieft



ie Alten hatten am Fatum
ein tragisches Motiv, das
durch nichts zu ersetzen.
Bekannt ist, wie Schiller,
dieser Dichter des ausge-
bildetsten tragischen In-
stinktes, theoretisch und
praktisch danach rang,
sich in den Besitz der
Schicksa1sidee zu

setzen, jenes salomonischen Zauberrings und Nibe-
lungenhorts, von welchem der große Geisterkönig
innigst überzeugt war, dass er ohne ihn seinen tragi-
schen Hofhalt gar nicht bestreiten könne. Vielleicht
hätte Schiller, wäre sein Leben nicht in die Genera-
tion Kant's, sondern Schopenhauer's gefallen, die
Philosophie des letzteren als den einzig brauchbaren
Effizienten gewürdigt, um den Ausgleich zwischen
dem Fatum und Kant zu ermöglichen. Das antike
Fatum ist durch den modernen Glauben an eine
göttliche Vorsehung abrogirt; dagegen der moderne,
kantisch-formulirte Begriff von Freiheit und Noth-
wendigkeit noch kein Fatum. Riesenhaft schlug sich
Schiller herum, die alte und neue Welt wieder zu-
sammen zu bändigen, das Fatum in die Sittlichkeit
zu verlegen, die sittlichen Prozesse fatalistisch zu ver-
göttlichen. Aber es versagte sich ihm eine innere Kon-
tinuität von der antiken zur modernen Weltordnung,
und er musste sich begnügen, theils mit der leiden-
schaftlichen Blindheit des Liebhabers (des Griechen-
und Kunstliebhabers), theils aber mit offenen und
sehenden Augen von dem antiken Fatum nichts als

*) Mit der Herausgabe der von F. Kürnberg er hinterlassenen,
noch ungedruckten Werke betraut, darf ich als erste Gabe den Lesern
der „Allgemeinen Kunst - Chronik" diese geistvollen Aufsätze des
vaterländischen Denkers und Dichters bieten. W. L.

Über das antik und modern Tragische.
Von Ferdinand KÜRNBERGER.*)
die wesenlosen Formeln, Maschinerien und Hülsen
der modernen Tragödie, welcher sie nichts bedeute-
ten als einen äußerlichen theatralischen Pomp, will-
kürlich zuzueignen. Es versagte sich ihm diese Kon-
tinuität und musste sich ihm versagen, denn ohne
den Nenner der Schopenhauer'schen Philosophie ope-
rirte er mit zwei ungleichnamigen Größen, welche in
Ewigkeit kein Produkt geben.
Die Idee des Fatums ist eine pessimistische
und Schiller — obwol er sich für konfessionslos hielt,
auch von den Ultrakonfessionellen als Heide verrufen
wird — Schiller war Optimist, was er vom
Christenthum hatte. Ist aber auf dem Boden des
Optimismus das Leben einmal bejaht, so steht es
nicht mehr unter der Herrschaft des Fatums, sondern
des Sittengesetzes, und die Tragödie spielt nur noch
als Konflikt der Freiheit und der Nothwendigkeit in
der Region subjektiv - individueller Kraft- oder
Schwächegrade, also in einer niedrigen Region, wel-
cher das Antlitz der Unsterblichen nicht zugewendet
ist. Ganz anders hingegen liegt die tragische Frage,
wenn ich die philosophische aufwerfe: Wer gab der
Natur ein Recht, das Leben zu setzen? Was ist's, das
eure „moralische Nothwendigkeit" so moralisch und
so nothwendig macht? Ganz anders liegt die Frage,
wenn wir nicht bloß von den Pflichten des Menschen,
sondern auch von den Pflichten der Götter sprechen,
wenn wir die Menschen nicht bloß vor ihren, sondern
sie auch vor unseren Richterstuhl ziehen. Hätte
Schiller eine Generation später aus Schopenhauer's
Mund diese Fragen vernommen, er hätte, wie von
einem Blitz in der Nacht; unter dem festen Boden
des kategorischen Imperativs in langen, langen
Strecken die Spuren des Aquädukts erblickt, in wel-
chem die schwarzen Ströme des Fatums auch der
 
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