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Allgemeine Kunstchronik: ill. Zeitschr. für Kunst, Kunstgewerbe, Musik, Theater u. Litteratur — 16.1892

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Allgemeine Kunst-Chronik. XVI. Bd. Nr. 24
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https://doi.org/10.11588/diglit.73754#0640

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KUNST-CHRONIK

Herausgeber

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1892,
Zweites NovemberMf

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„Der Fall Babylons."

chon in Paris und München haben Manche
Anstoß nehmen wollen an G. Roche-
grosse's jüngstem Riesenbilde „Der
Fall Babylons", und wir möchten es
n"' verschwören, dass demselben in
r Chicago Unannehmlichkeiten durch die
bekanntlich mitunter recht sittenstren-
gen Yankees erspart bleiben werden.
Wir aber wissen dem Künstlerhause
Dank dafür, dass es uns endlich auch
einmal durch Augenschein den franzö-
' sischen Makart kennen lehrt, mit dem
sich die „Allgemeine Kunst-Chronik"
schon so viel beschäftigt, und der, seitdem wir seine
Laufbahn verfolgen, Ehren um Ehren und zuletzt noch
in Isar-Athen die erste Medaille eingeheimst hat.
Ein sehr lehrreicher Zufall hatte es gewollt, dass
im Pariser Salon von 1883, wo wir zum erstenmale
ein Bild von Rochegrosse sahen, sein nächster
Nachbar unser Makart war. Der erstere war durch
seine „Andromeda", der letztere durch seinen
„Sommer" vertreten. Dort das blutige Toben der
Achaier beim Falle Trojas, Speere, Helme, Ge-
wänder, Architektur genau der homerischen Schilde-
rung und den allerneuesten kleinasiatischen Funden
nachgebildet, ein gewissenhafter, etwas aufs Bizarre
spitzender Archäologe, gemischt mit dem Künstler,
der seinem Pinsel jede Verwegenheit gestattet; hier
wenig Inhalt in großem Rahmen, rein animalisches
Behagen in ihrer Schönheit seliger Weiber, eine
bestimmte Tracht nur gewählt als besonders tauglich,
den Reiz der Natur selbst noch zu unterstützen, im
übrigen alles in der Anordnung dem Kardinalzweck
untergeordnet: dem Auge eine erfrischende Weide
zu bieten.

Auch im „Falle Babylons" schlägt Rochegrosse
der Archäolog und der Liebhaber von Kuriositäten
in den Nacken. Es geht ihm, wie es.seinem großen
schriftstellerischen Landsmanne Flaubert mit seiner
„Salammbo" ergangen. Die verblüffende Fülle aus-
studirter Einzelheiten hindert einen ruhigen Ge-
sammteindruck. Manche jener weiblichen Schön-
heiten, mit denen König Belsazar und seine Großen
ihren Untergang herangeschwelgt, würden wir, um
uns recht uneigentlich auszudrücken, unbesehen hin-
nehmen, wenn nicht die netzartig durchbrochenen
Seidenhöschen, in die ihre rosig schimmernden Beine
gesteckt sind, die vielfachen Prachtbänder an ihren
Lilienarmen, die Schmucksachen in ihren Haaren, an
ihren Knöcheln und Ringen unser gelehrtes Nach-
denken rege machten.
Im übrigen können wir über das Bild, das
jedermann sehen sollte, nur wiederholen, was uns
seinerzeit aus München darüber berichtet worden.
Unser Berichterstatter, der übrigens die verblüffende
Wahrheit und Greifbarkeit der Geräthe, Teppiche
und all die tausend Einzelheiten anerkannte, schrieb
uns damals: „Das Bild ist mit fabelhafter Kunst-
fertigkeit gemalt, zeugt von unvergleichlicher perspek-
tivischer Virtuosität, birgt eine überwältigende Fülle
archäologischer Kenntnisse, aber dem von dieser
glänzenden Mache unverblendeten Auge erscheint
es trotz seiner Vorzüge ziemlich nüchtern, hohl und
kalt — ein prunkvolles, großartiges Dekorationsstück.
Diese wolgenährten und wolgestalteten Weiber
können keinen Vergleich aushalten mit ähnlichen
Schöpfungen eines Rubens oder Makart, denn sie
sind nicht wie jene um ihrer eigenen siegreichen
Schönheit willen da, einzig zur Verherrlichung ihres
Formen- und Farbenzaubers." W. L.
 
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