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Allgemeine Kunst-Chronik.
seiner Eigenart aufzufassen und künstlerisch abgeklärt zu
verarbeiten.
Achtundfünfzig Lieder Brunold's, darunter die schon
erwähnten allbekannten „Das Grab auf der Heide" und
„Es schläft das Meer", ferner „Hab' in der Brust ein
Vögelein", „O, Jugendzeit, du schöne Zeit", „Grüß Gott,
das ist der schönste Spruch" u. s. w. wurden, und zwar
manche von mehreren Meistern, wie Abt, Heiser,
Michaelis u. a. zugleich in Musik gesetzt, was wol
am besten für die starke lyrische Begabung des Dichters
spricht. Und doch glauben wir der epischen Seite seines
Talentes den Vorzug geben zu sollen. Weiß Brunold auch
in seinen Liedern die geheimsten Vorgänge in der mensch-
lichen Seele, das bald überwältigende, bald entzückende
Wesen der Natur mit klarem Blicke zu erfassen und zu-
treffend zum Ausdrucke zu bringen, markiger und gedanken-
reicher ist er stets in seinen erzählenden Dichtungen. Die
Stoffe zu denselben sind meist der nordischen oder auch
deutschen Sage und Geschichte entnommen, und wie
Zeugen einer längst entschwundenen Größe treten uns die
alten Heldengestalten mit ihrem tief im Herzen sitzenden
schweren Zuge deutschen Wesens entgegen, so z. B. in
einem der prächtigsten Stücke, dem hier folgenden:
Der alte Uchtenhagen.
Es sprach zu seinen Söhnen drei
Der alte Uchtenhagen:
Und hat der Herr gebrochen die Treu,
Soll man's vom Diener nicht sagen.
Vergaß der Bayer seinen Eid,
Wir halten ihn zur Stund' —
Niemand soll sagen, dass im Streit
Er treu uns nicht befund.
Sie haben gekämpft die ganze Nacht,
Bis an das Morgenroth;
Sie standen alle, wie auf der Wacht,
Bis Mann um Mann wär todt.
Der Feinde junger Führer fand
Sie alle, die da geschlagen;
Nur einer noch wie im Leben stand:
Der alte Uchtenhagen.
Hielt in der Hand sein gutes Schwert,
Wollt' es im Tod nicht lassen;
Sein Haupt dem Feinde zugekehrt,
Thät ihn im Tod noch hassen.
Die Ritter riefen: Dem Bayer nach!
Im Schnee die Spuren sind.
Der Führer sprach: „Das wäre Schmach,
Wo solche Wächter man find't."
„Wer so sein Leben erkaufet hat,
Durch solcher Edlen Tod,
Der sei uns heilig früh und spat,
Des Krieges ist nicht Noth."
Sie gruben auf der Heid' ein Grab,
Der Feind dem Feind als Freund;
Sie senkten den Uchtenhagen hinab,
Mit seinen Söhnen vereint.
Sein Schwert in seiner starren Hand.
Man könnt's ihm rauben nicht;
So senkte man ihn in den Sand,
Deckt Stein' aufs Grab ihm dicht.
Ins andere Grab den Itzenblitz,
Den Pfuel auf sand'gem Pfühl —
Ins dritte Grab da legten sie
Die Knechte still und kühl.
Der Priester segnet die Todten ein,
Das Kreuz ein jeder schlug.
Der Schnee, der webte, weiß und rein,
Darüber ein Leichentuch.
Aber auch der starke Geist unserer Zeit mit ihren
realen Wundern übt eine mächtige Wirkung auf das
leicht empfängliche Wesen des Dichters aus und regt
ihn zu vollendeten Schöpfungen, wie „Im Gebirge", „Auf
der Maschine", „Ein schwerer Zug", „Auf der Zwischen-
station" an, welche einen ehrenvollen Platz in der deutschen
Lyrik behaupten können und zu dem Eigenartigsten ge-
hören, was Brunold überhaupt geschaffen. Das in , der
Stimmung satteste und im Ausdrucke kräftigste Gedicht
dieser Art bringen wir hier zum Abdruck:
Ein schwerer Zug.
Ihr kennt mich, sprach er, strich den Vollbart sich
Und leert' sein Glas mit einem Zuge;
Wo's gilt, da steh' ja meinen Mann auch ich,
Den schwersten Zug ich fuhr ihn sicherlich —
Und manchen schon fast wie im Fluge!
Doch einmal, lasst es offen mich gestehn,
Da fühlt' das Herz ich stärker klopfen —
Die Heere standen auf den Spichern Höhn —
Hatt' hundert Achsen — da ist's mir geschehn,
Dass ich den Schweiß fühlt' niedertropfen.
Mein ganzer Zug in Munition bestand,
Wo die Zigarre darf nicht glühen;
Der Blick oft prüfend wird hinausgesandt,
Am Regulator fester liegt die Hand —
Nicht die Maschin' darf Funken sprühen.
Die Nacht war prächtig! Durch den grünen Wald
Die Bahn sich zog am Abhang nieder,
Die Sterne hellauf glühten, mannigfalt —
Und weiter, weiter ging's ohn' Aufenthalt.
Ich dacht' des Kampfs, der Waffenbrüder.
Da hob der Wind sich durch die Wipfel sacht,
Im Wald begann ein Sausen, Wogen;
Der Telegraphendraht erklang zur Nacht •—
Ein Sturm stieg auf — der Himmel, eh' man's dacht',
Gewitterschwer war rings umzogen.
Die Blitze zuckten. Die Maschine ging,
Laut donnernd, wo die Felsen ragen,
Wo sich das Echo hundertfach verfing,
Wo jeder Blitz, der zuckend niederging,
Schien zündend in den Zug zu schlagen.
Und ist's, ihr wisst's, bei Nacht und Sturm schon schwer,
Den Zug sicher dahin zu lenken,
So denkt, ringsum ein Flammenmeer,
Dann Pulver an die hundert Achsen schwer —
Das andere mögt ihr selbst euch denken.
Kämpft der Soldat siegreich fürs Vaterland,
Ich werd' den Muth gering nicht halten;
Doch als ich einlief, die Maschine stand —
Ich hab' nach oben doch den Blick gesandt,
Musst', wie ein Kind, die Hände falten.
Er sprach's, dann er zum Regulator griff,
Noch einen Blick entlang dem Zuge,
Ein stummer Gruß — dann der Maschine Pfiff
Und rascher drauf der Steuerachse Griff —
Der Zug verschwindet wie im Fluge.
Allgemeine Kunst-Chronik.
seiner Eigenart aufzufassen und künstlerisch abgeklärt zu
verarbeiten.
Achtundfünfzig Lieder Brunold's, darunter die schon
erwähnten allbekannten „Das Grab auf der Heide" und
„Es schläft das Meer", ferner „Hab' in der Brust ein
Vögelein", „O, Jugendzeit, du schöne Zeit", „Grüß Gott,
das ist der schönste Spruch" u. s. w. wurden, und zwar
manche von mehreren Meistern, wie Abt, Heiser,
Michaelis u. a. zugleich in Musik gesetzt, was wol
am besten für die starke lyrische Begabung des Dichters
spricht. Und doch glauben wir der epischen Seite seines
Talentes den Vorzug geben zu sollen. Weiß Brunold auch
in seinen Liedern die geheimsten Vorgänge in der mensch-
lichen Seele, das bald überwältigende, bald entzückende
Wesen der Natur mit klarem Blicke zu erfassen und zu-
treffend zum Ausdrucke zu bringen, markiger und gedanken-
reicher ist er stets in seinen erzählenden Dichtungen. Die
Stoffe zu denselben sind meist der nordischen oder auch
deutschen Sage und Geschichte entnommen, und wie
Zeugen einer längst entschwundenen Größe treten uns die
alten Heldengestalten mit ihrem tief im Herzen sitzenden
schweren Zuge deutschen Wesens entgegen, so z. B. in
einem der prächtigsten Stücke, dem hier folgenden:
Der alte Uchtenhagen.
Es sprach zu seinen Söhnen drei
Der alte Uchtenhagen:
Und hat der Herr gebrochen die Treu,
Soll man's vom Diener nicht sagen.
Vergaß der Bayer seinen Eid,
Wir halten ihn zur Stund' —
Niemand soll sagen, dass im Streit
Er treu uns nicht befund.
Sie haben gekämpft die ganze Nacht,
Bis an das Morgenroth;
Sie standen alle, wie auf der Wacht,
Bis Mann um Mann wär todt.
Der Feinde junger Führer fand
Sie alle, die da geschlagen;
Nur einer noch wie im Leben stand:
Der alte Uchtenhagen.
Hielt in der Hand sein gutes Schwert,
Wollt' es im Tod nicht lassen;
Sein Haupt dem Feinde zugekehrt,
Thät ihn im Tod noch hassen.
Die Ritter riefen: Dem Bayer nach!
Im Schnee die Spuren sind.
Der Führer sprach: „Das wäre Schmach,
Wo solche Wächter man find't."
„Wer so sein Leben erkaufet hat,
Durch solcher Edlen Tod,
Der sei uns heilig früh und spat,
Des Krieges ist nicht Noth."
Sie gruben auf der Heid' ein Grab,
Der Feind dem Feind als Freund;
Sie senkten den Uchtenhagen hinab,
Mit seinen Söhnen vereint.
Sein Schwert in seiner starren Hand.
Man könnt's ihm rauben nicht;
So senkte man ihn in den Sand,
Deckt Stein' aufs Grab ihm dicht.
Ins andere Grab den Itzenblitz,
Den Pfuel auf sand'gem Pfühl —
Ins dritte Grab da legten sie
Die Knechte still und kühl.
Der Priester segnet die Todten ein,
Das Kreuz ein jeder schlug.
Der Schnee, der webte, weiß und rein,
Darüber ein Leichentuch.
Aber auch der starke Geist unserer Zeit mit ihren
realen Wundern übt eine mächtige Wirkung auf das
leicht empfängliche Wesen des Dichters aus und regt
ihn zu vollendeten Schöpfungen, wie „Im Gebirge", „Auf
der Maschine", „Ein schwerer Zug", „Auf der Zwischen-
station" an, welche einen ehrenvollen Platz in der deutschen
Lyrik behaupten können und zu dem Eigenartigsten ge-
hören, was Brunold überhaupt geschaffen. Das in , der
Stimmung satteste und im Ausdrucke kräftigste Gedicht
dieser Art bringen wir hier zum Abdruck:
Ein schwerer Zug.
Ihr kennt mich, sprach er, strich den Vollbart sich
Und leert' sein Glas mit einem Zuge;
Wo's gilt, da steh' ja meinen Mann auch ich,
Den schwersten Zug ich fuhr ihn sicherlich —
Und manchen schon fast wie im Fluge!
Doch einmal, lasst es offen mich gestehn,
Da fühlt' das Herz ich stärker klopfen —
Die Heere standen auf den Spichern Höhn —
Hatt' hundert Achsen — da ist's mir geschehn,
Dass ich den Schweiß fühlt' niedertropfen.
Mein ganzer Zug in Munition bestand,
Wo die Zigarre darf nicht glühen;
Der Blick oft prüfend wird hinausgesandt,
Am Regulator fester liegt die Hand —
Nicht die Maschin' darf Funken sprühen.
Die Nacht war prächtig! Durch den grünen Wald
Die Bahn sich zog am Abhang nieder,
Die Sterne hellauf glühten, mannigfalt —
Und weiter, weiter ging's ohn' Aufenthalt.
Ich dacht' des Kampfs, der Waffenbrüder.
Da hob der Wind sich durch die Wipfel sacht,
Im Wald begann ein Sausen, Wogen;
Der Telegraphendraht erklang zur Nacht •—
Ein Sturm stieg auf — der Himmel, eh' man's dacht',
Gewitterschwer war rings umzogen.
Die Blitze zuckten. Die Maschine ging,
Laut donnernd, wo die Felsen ragen,
Wo sich das Echo hundertfach verfing,
Wo jeder Blitz, der zuckend niederging,
Schien zündend in den Zug zu schlagen.
Und ist's, ihr wisst's, bei Nacht und Sturm schon schwer,
Den Zug sicher dahin zu lenken,
So denkt, ringsum ein Flammenmeer,
Dann Pulver an die hundert Achsen schwer —
Das andere mögt ihr selbst euch denken.
Kämpft der Soldat siegreich fürs Vaterland,
Ich werd' den Muth gering nicht halten;
Doch als ich einlief, die Maschine stand —
Ich hab' nach oben doch den Blick gesandt,
Musst', wie ein Kind, die Hände falten.
Er sprach's, dann er zum Regulator griff,
Noch einen Blick entlang dem Zuge,
Ein stummer Gruß — dann der Maschine Pfiff
Und rascher drauf der Steuerachse Griff —
Der Zug verschwindet wie im Fluge.