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Klein, Dieter; Dülfer, Martin; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege; Dülfer, Martin [Ill.]
Martin Dülfer: Wegbereiter der deutschen Jugendstilarchitektur — Arbeitshefte des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Band 8: München: Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.63235#0033

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nen Entwürfen sah man eine „Quelle der Anregungen für
den Jugendstil“421); dabei zeigte seine Ornamentik in der
Regel auf Tapeten und Stoffen naiv gezeichnete Vogel-
paare, Blümchen und Herzen422), keinesfalls aber die für
den frühen Jugendstildekor typischen „Schlangenlinien“.
Erkannte man zunächst am Kontinent in diesen Erzeugnis-
sen eine völlige Emanzipation von den historischen Stilen,
so fand man doch bald das Blümchenornament „etwas
kindisch“ und setzte „individualistische Schnörkel“ an
seine Stelle.423) Dafür gab es erstaunlich viele englische
Vorbilder, vor allem William Blake, der mit seinen Zeichnun-
gen die Graphiker Walter Grane und Aubrey Beardsley
ebenso beeinflußte wie den Architekten Arthur H. Mack-
murdo; Mackmurdo zeigte schon 1883 asymmetrische,
flammend-florale Kompositionen, wie sie erst ein Jahrzehnt
später Mode werden sollten.424)
Natürlich waren auch die ostasiatischen Einflüsse von Be-
deutung, wie man besonders deutlich bei Grane und
Beardsley sehen kann. Solche Formenelemente kamen un-
ter anderem auch bei Dülfers Stuckdekor zur Anwendung;
eindeutig auf England (genauer: auf Voysey) verweist das
durch einen Zeitraum von etwa zwei Jahren verwendete
Streublümchen-Muster, das an der Villa Albert Schmidt
(1897/98), der Bruckmann-Fassade (1898), und der Schön-
feldstraße 4 (1900) sowie an den Plafonds der Ausstellungs-
räume von 1898 und des Salons der Villa Schmidt (ebenfalls
um 1898) zu finden ist (Abb. 99, 37).
Auffallenderweise hielt sich England — nachdem es mitge-
holfen hatte, den Jugendstil zu formen — von ihm fern,
sowie er voll ausgeprägt war.425) Man erinnerte sich nach-
drücklich der von Morris und Shaw geprägten Kunsttheo-
rien, Voysey bezeichnete den kontinentalen Jugendstil so-
gar als „ungesund und abstoßend“.426)
Schottische Einflüsse
Eine mit dem englischen Kunstgeschmack nicht zu ver-
gleichende Formensprache kam aus Schottland: Künstler
wie Charles Rennie Mackintosh zogen mit ihren „wunder-
lich gezeichneten figürlichen Dekorationen“, dem ein-
fachen unsymmetrischen Linienspiel und den stilisierten
Blumen deutliche Grenzen zu den grundverschiedenen, ein-
fachen englischen Formen und dem simplen Blümchen-
ornament.427)
Als Gegensatz zu Voyseys behaglichen Interieurs empfan-
den die Zeitgenossen Mackintoshs relativ leer wirkende
Räume als „chambres garnies für schöne Seelen“.428) Im
Zusammenhang mit den zart und zerbrechlich wirkenden
Innendekorationen überrascht die auffallend kubisch-
blockhafte äußere Gestaltung der schottischen Bauten, die
einige Beziehungen zum schottischen Mittelalter und auch
Ähnlichkeit mit der Massengestaltung des Amerikaners
Richardson zeigt.429)
Auf Dülfer und auf die Münchner scheinen die Schotten ge-
ringeren Einfluß als auf die Wiener um Otto Wagner gehabt
zu haben; die für Dülfers spätere Monumentalbauten typi-
sche „trutzige Geschlossenheit“ suchte ihre Vorbilder wohl
eher bei Richardson als bei der schottischen Architektur.
Trotzdem lassen sich einige Objekte aus Dülfers Werk in
Zusammenhang mit den schottischen Jugendstilformen
bringen: das Haus Unterer Anger Nr. 28 erinnerte in seinen

Umrißlinien an die burgartigen Gebäude Mackintoshs; am
Haustor und im Eingangsflur der Agnesstraße Nr. 8 sind die
bei den Schotten so beliebten, langgezogenen Ovalformen
verwendet worden, sie sind auch bei einigen Details im In-
neren der Villa Schenk (Freiburg) zu finden.
Auf die Verwandtschaft zwischen Dülfers „Grünem Saal“ in
Lübeck und Jane Fonie’s für die Ausstellung von 1902 in Tu-
rin entworfenem Wohnzimmer wird bei der Beschreibung
des Lübecker Theaters näher eingegangen (S. 87).


Abb. 18 München: Unterer Anger Nr. 28

Amerikanische Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts
Zum ersten Mal waren amerikanische Anregungen 1893
von der Chicagoer Weltausstellung nach Europa gebracht
worden430); in der Folgezeit wurden besonders Henry H.
Richardson (der zu dieser Zeit bereits gestorben war), Louis
Sullivan und dessen Schüler Frank Lloyd Wright internatio-
nal bekannt. Wright’s Werk hat mit dem Jugendstil wenig
zu tun, es wurde erst für später folgende architektonische
Stilrichtungen von Bedeutung.
„ In neuester Zeit hat man den Amerikanern die Führung in
der Baukunst zugewiesen, als den Unbefangenen, die, nicht
durch den Ballast der Stile früherer Zeiten bedrängt, uns ei-
ne neue Kunst geben würden“ — so hoffte man um 1900 in
Deutschland.431)
Henry Hobson Richardson
Richardson (1838-86) darf als führender amerikanischer Ar-
chitekt des 19. Jahrhundert gelten; er war nicht nur Vorbild
für Sullivan und die meisten anderen amerikanischen Archi-
tekten, seine Bauweise erregte auch in Europa Bewunde-

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