rung. Er bediente sich in bedingtem Maße historischer
Stile; posthum sollte seine Formensprache von ungeahn-
tem Einfluß auf die europäischen Architekten werden.
Man findet in seinem Werk Formen der spanischen und
südfranzösischen Romanik, aber auch solche des byzanti-
nischen Kulturkreises432); typisch sind große Rundbogen-
öffnungen und zyklopenhafte, massige Rustika.
Durch die neuartige Massenverteilung wirkten die bekann-
ten romanischen Formen aber ganz anders als die der euro-
päischen, historisierenden Bauten: hier wurden in der zeit-
genössischen Architektur erst viel später der Gruppierung
von Fenster- und Türöffnungen große, ungegliederte
Flächen gegenübergesetzt.433)
Richardson war einer der ersten, die im 19. Jahrhundert be-
gannen, den rohbehauenen Stein als Ersatz für das Orna-
ment zu benutzen; von Palladio übernommen war die Ver-
bindung gegensätzlicher Oberflächenbehandlung als archi-
tektonisches Ausdrucksmittel: Schichten rauher Steine un-
terbrachen ansonsten glatt bearbeitete Flächen und umge-
kehrt.434)
„Wje wirkten doch die ersten Bilder Richardson’scher
Bauten auf den deutschen Architekten! Hier sah er natür-
liche, aus dem Material heraus entwickelte Einzeldurchbil-
dungen .. in vollendeter Form geschaffen, was unsere kurz-
atmigen Kompromisse zu erreichen versuchten... Diese
Amerikaner zeigen uns, wie aus der klaren Erkenntnis histo-
rischer Stile heraus etwas Lebenskräftigeres zu schaffen
war.. ,“435).
Der Herausgeber der Zeitschrift „Deutsche Bauhütte“, Ar-
chitekt Rudolf Vogel,■hatte jahrelang in den Vereinigten
Staaten gearbeitet, unter anderem auch im Atelier Richard-
sons. Er bemühte sich besonders intensiv, die amerikani-
sche Baukunst in Deutschland bekannt zu machen; rück-
blickend stellte er 1908 fest, daß sich die deutschen Archi-
tekten „ in den Geist Richardsons hineingelebt haben“ und
daß die Baukunst wieder zu „Material und zu natürlichen
Ausdrucksmitteln zurückgekehrt sei“.436)
Louis Sullivan
Im Gegensatz zu Richardson war Sullivan (1855-1924) von
historischen Vorbildern nur wenig beeinflußt; seine 1892 er-
schienene Schrift „Ornament in der Architektur“ ist wohl
die früheste Manifestation eines neuen Stiles, der sich auf
keinerlei Vorbilder beruft.
Sullivan sah das Ornament als „geistigen Luxus“, nicht als
Notwendigkeit437): „Ich glaube, daß man ein ausgezeichne-
tes und schönes Bauwerk ganz ohne Schmuck entwerfen
kann; aber genauso fest glaube ich, daß ein verziertes Ge-
bäude, das harmonisch entworfen ist, seines dekorativen
Systems nicht beraubt werden kann, ohne daß seine Indivi-
dualität zerstört wird. Allerdings muß zu Beginn des Baues-
darüber entschieden sein, ob mit oder ohne Dekor gebaut
wird.“438)
Er hielt die „Sympathie zwischen Ornament und Konstruk-
tion“ für unerläßlich, weil „draufgeklebtes“ Ornament nie
so wirken kann, als „ob es durch eine geheimnisvolle Kraft
aus dem Material selbst gewachsen sei“.439) Vorüber-
gehend wollte er auf dekorativen Schmuck ganz verzichten,
um bessere Bauformen ausbilden zu können.440)
Seine Ornamentik, diese „seltsamen Wirrnisse von Kraut-
ranken, ausgezackten Blättern und Korallenriffgewäch-
sen“441) nimmt bereits um 1888am Auditorium-Building in
Chicago Jugendstilformen vorweg; sie war von größerem
Einfluß auf die deutschen Jugendstilformen, als bisher be-
kannt ist. Die Pflanzenornamentik mit ihren ostasiatischen
Vorbildern gelangte zum großen Teil über Amerika nach
Deutschland.442)
Im Gitterwerk des Guaranty-Building in Buffalo (1894/95)
sind beispielsweise Elemente zu entdecken, die später bei
Riemerschmid und Dülfer Verwendung fanden: so das
Rankenwerk von Riemerschmids „Zimmer eines Kunst-
freundes“, so die später für Dülfer typische, in geometri-
sche Felder eingepaßte Blattornamentik. Weiters scheint
der seesternartige Dekor der Fensterbrüstungen des Wain-
wright-Building in St. Louis (1890) für den Lübecker Fassa-
denschmuck als Anregung gedient zu haben, ähnlich wie
die an den Ecken abgerundeten Backsteinpilaster (Abb. 72).
Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Dülfer spätestens
während seines Amerika-Aufenthaltes anläßlich der Welt-
ausstellung von 1904 dieses Gebäude gesehen hat; die Pla-
nung für das Lübecker Theater nahm er 1906 auf.
Art Nouveau und ostasiatische Vorbilder
Aus den englischen Bewegungen gegen Historismus und
Maschinenarchitektur war in Westeuropa der Art Nouveau
hervorgegangen, bei dem Kunstgewerbe und Ornament
eine bislang kaum gekannte Bedeutung beigemessen
wurde.443) Deutlicher als alle anderen Tendenzen zeigte
dieser Stil die Einflüsse der ostasiatischen Kunst, die in
Einzelfällen schon seit den achtziger Jahren in Deutsch-
land, England und Frankreich wirksam waren.
Für sein Entstehen war der Hamburger Orientalistika-Händ-
ler Samuel Bing von einiger Bedeutung, der seinen Pariser
Laden in eine Verkaufsgalerie für moderne Kunstgegen-
stände umwandelte und sie „Art Nouveau“ nannte. Außer-
dem beschäftigten sich Justus Brinckmann und Georg
Hirth (in Hamburg, bzw. in München) schon früh mit japani-
scher Kunst.444)
„Naturformen“ in stilisierter Wiedergabe kamen in Mode;
neu war die freie Verteilung des Ornaments über die
Flächen, wobei auf Symmetrien keine Rücksicht genom-
men wurde.445) Prominentester Vertreter dieser Richtung
war in Deutschland zweifelsohne August Endell, als typi-
sches Beispiel sei sein Münchner Fotoatelier Elvira ge-
nannt.
Aus dem „abstrakten Schnörkel“, der den „stilisierten
Pflanzen“ folgte, resultierte bald ein „Linienkult“, dem eine
„Vergeistigung der Linie“ nachgesagt wurde.446). Die
meisten jener Dekorationen versuchten einem „Wachsen,
Keimen, Entstehen, Form zu verleihen, eine organische Be-
wegung anzudeuten“; sie sind nur bedingt gegenständlich
auslegbar.447) Gerade diese, am ehesten als „floral“ zu
kennzeichnende Richtung war für den deutschen Jugend-
stil maßgebend.
Belgien, Frankreich und die Niederlande
Zuerst fand der neue Stil in Belgien Verbreitung: dort ent-
wickelte er sich zum „Evangelium des Linienornamen-
tes“448); Victor Horta und Henry van de Velde sind die ersten
und wichtigsten Vertreter der neuen Stilbestrebungen ge-
wesen. Im Gegensatz zur Arts- and Crafts-Bewegung er-
32
Stile; posthum sollte seine Formensprache von ungeahn-
tem Einfluß auf die europäischen Architekten werden.
Man findet in seinem Werk Formen der spanischen und
südfranzösischen Romanik, aber auch solche des byzanti-
nischen Kulturkreises432); typisch sind große Rundbogen-
öffnungen und zyklopenhafte, massige Rustika.
Durch die neuartige Massenverteilung wirkten die bekann-
ten romanischen Formen aber ganz anders als die der euro-
päischen, historisierenden Bauten: hier wurden in der zeit-
genössischen Architektur erst viel später der Gruppierung
von Fenster- und Türöffnungen große, ungegliederte
Flächen gegenübergesetzt.433)
Richardson war einer der ersten, die im 19. Jahrhundert be-
gannen, den rohbehauenen Stein als Ersatz für das Orna-
ment zu benutzen; von Palladio übernommen war die Ver-
bindung gegensätzlicher Oberflächenbehandlung als archi-
tektonisches Ausdrucksmittel: Schichten rauher Steine un-
terbrachen ansonsten glatt bearbeitete Flächen und umge-
kehrt.434)
„Wje wirkten doch die ersten Bilder Richardson’scher
Bauten auf den deutschen Architekten! Hier sah er natür-
liche, aus dem Material heraus entwickelte Einzeldurchbil-
dungen .. in vollendeter Form geschaffen, was unsere kurz-
atmigen Kompromisse zu erreichen versuchten... Diese
Amerikaner zeigen uns, wie aus der klaren Erkenntnis histo-
rischer Stile heraus etwas Lebenskräftigeres zu schaffen
war.. ,“435).
Der Herausgeber der Zeitschrift „Deutsche Bauhütte“, Ar-
chitekt Rudolf Vogel,■hatte jahrelang in den Vereinigten
Staaten gearbeitet, unter anderem auch im Atelier Richard-
sons. Er bemühte sich besonders intensiv, die amerikani-
sche Baukunst in Deutschland bekannt zu machen; rück-
blickend stellte er 1908 fest, daß sich die deutschen Archi-
tekten „ in den Geist Richardsons hineingelebt haben“ und
daß die Baukunst wieder zu „Material und zu natürlichen
Ausdrucksmitteln zurückgekehrt sei“.436)
Louis Sullivan
Im Gegensatz zu Richardson war Sullivan (1855-1924) von
historischen Vorbildern nur wenig beeinflußt; seine 1892 er-
schienene Schrift „Ornament in der Architektur“ ist wohl
die früheste Manifestation eines neuen Stiles, der sich auf
keinerlei Vorbilder beruft.
Sullivan sah das Ornament als „geistigen Luxus“, nicht als
Notwendigkeit437): „Ich glaube, daß man ein ausgezeichne-
tes und schönes Bauwerk ganz ohne Schmuck entwerfen
kann; aber genauso fest glaube ich, daß ein verziertes Ge-
bäude, das harmonisch entworfen ist, seines dekorativen
Systems nicht beraubt werden kann, ohne daß seine Indivi-
dualität zerstört wird. Allerdings muß zu Beginn des Baues-
darüber entschieden sein, ob mit oder ohne Dekor gebaut
wird.“438)
Er hielt die „Sympathie zwischen Ornament und Konstruk-
tion“ für unerläßlich, weil „draufgeklebtes“ Ornament nie
so wirken kann, als „ob es durch eine geheimnisvolle Kraft
aus dem Material selbst gewachsen sei“.439) Vorüber-
gehend wollte er auf dekorativen Schmuck ganz verzichten,
um bessere Bauformen ausbilden zu können.440)
Seine Ornamentik, diese „seltsamen Wirrnisse von Kraut-
ranken, ausgezackten Blättern und Korallenriffgewäch-
sen“441) nimmt bereits um 1888am Auditorium-Building in
Chicago Jugendstilformen vorweg; sie war von größerem
Einfluß auf die deutschen Jugendstilformen, als bisher be-
kannt ist. Die Pflanzenornamentik mit ihren ostasiatischen
Vorbildern gelangte zum großen Teil über Amerika nach
Deutschland.442)
Im Gitterwerk des Guaranty-Building in Buffalo (1894/95)
sind beispielsweise Elemente zu entdecken, die später bei
Riemerschmid und Dülfer Verwendung fanden: so das
Rankenwerk von Riemerschmids „Zimmer eines Kunst-
freundes“, so die später für Dülfer typische, in geometri-
sche Felder eingepaßte Blattornamentik. Weiters scheint
der seesternartige Dekor der Fensterbrüstungen des Wain-
wright-Building in St. Louis (1890) für den Lübecker Fassa-
denschmuck als Anregung gedient zu haben, ähnlich wie
die an den Ecken abgerundeten Backsteinpilaster (Abb. 72).
Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß Dülfer spätestens
während seines Amerika-Aufenthaltes anläßlich der Welt-
ausstellung von 1904 dieses Gebäude gesehen hat; die Pla-
nung für das Lübecker Theater nahm er 1906 auf.
Art Nouveau und ostasiatische Vorbilder
Aus den englischen Bewegungen gegen Historismus und
Maschinenarchitektur war in Westeuropa der Art Nouveau
hervorgegangen, bei dem Kunstgewerbe und Ornament
eine bislang kaum gekannte Bedeutung beigemessen
wurde.443) Deutlicher als alle anderen Tendenzen zeigte
dieser Stil die Einflüsse der ostasiatischen Kunst, die in
Einzelfällen schon seit den achtziger Jahren in Deutsch-
land, England und Frankreich wirksam waren.
Für sein Entstehen war der Hamburger Orientalistika-Händ-
ler Samuel Bing von einiger Bedeutung, der seinen Pariser
Laden in eine Verkaufsgalerie für moderne Kunstgegen-
stände umwandelte und sie „Art Nouveau“ nannte. Außer-
dem beschäftigten sich Justus Brinckmann und Georg
Hirth (in Hamburg, bzw. in München) schon früh mit japani-
scher Kunst.444)
„Naturformen“ in stilisierter Wiedergabe kamen in Mode;
neu war die freie Verteilung des Ornaments über die
Flächen, wobei auf Symmetrien keine Rücksicht genom-
men wurde.445) Prominentester Vertreter dieser Richtung
war in Deutschland zweifelsohne August Endell, als typi-
sches Beispiel sei sein Münchner Fotoatelier Elvira ge-
nannt.
Aus dem „abstrakten Schnörkel“, der den „stilisierten
Pflanzen“ folgte, resultierte bald ein „Linienkult“, dem eine
„Vergeistigung der Linie“ nachgesagt wurde.446). Die
meisten jener Dekorationen versuchten einem „Wachsen,
Keimen, Entstehen, Form zu verleihen, eine organische Be-
wegung anzudeuten“; sie sind nur bedingt gegenständlich
auslegbar.447) Gerade diese, am ehesten als „floral“ zu
kennzeichnende Richtung war für den deutschen Jugend-
stil maßgebend.
Belgien, Frankreich und die Niederlande
Zuerst fand der neue Stil in Belgien Verbreitung: dort ent-
wickelte er sich zum „Evangelium des Linienornamen-
tes“448); Victor Horta und Henry van de Velde sind die ersten
und wichtigsten Vertreter der neuen Stilbestrebungen ge-
wesen. Im Gegensatz zur Arts- and Crafts-Bewegung er-
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