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Architektonische Rundschau: Skizzenblätter aus allen Gebieten der Baukunst — 21.1905

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Heft 3
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Zetzsche, Carl: Friedhofkunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.44852#0029

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1905

ARCHITEKTONISCHE RUNDSCHAU

Heft 3


Grabkapelle in Mailand. Architekt: De Boni.
Aus »The Architectural Record«.

Friedhöfe nicht ebenso belächeln werden,
wie wir in unsrer Jugend die schwülsti-
gen Inschriften auf den Epitaphien der
Barockzeit?

Grabmal in Mailand. Bildhauer: T. Pogliani.
Aus »The Architectural Record«.


Grabkapelle in Mailand. Architekt: De Boni.
Aus »The Architectural Record«.


Ein Reisegefährte, der zum ersten
Male den Campo santo in Genua durch-
wandelte, verstummte plötzlich in seiner
berechtigten Bewunderung der unver-

Es soll damit ja keineswegs gesagt sein, daß die Künstler
allein an diesen Mißgriffen schuld seien. Bewahre! Unsre
Auftraggeber mit ihrem Theatergeschmack, mit ihrem Protzen-
turn und Banausengelüste wollen natürlich auch etwas haben,
was ihnen nach dem Tode noch ein besonderes Relief ver-
leiht. Sie können sich’s ja leisten und glauben allen Ernstes,
daß der Stein nicht verrät, wie das Geld gewonnen wurde,
mit dem das prunkhafte Ehrendenkmal errichtet ist. Als ob
nicht doch die Gesinnung zu erkennen wäre! Tradition —
wahre Größe und vornehmes Empfinden lassen sich eben
nicht kaufen, auch nicht für Milliarden.
Also vor allem mehr einfache Grabsteine, einfache
Kreuze, die sich einordnen und nicht überall Denkmäler von
alles überragender Größe und Kostbarkeit als Zeichen der
Selbstüberschätzung!
Wie mit dem Maßstab geht es nicht selten auch mit dem
Reichtum der Schmuckformen, und da überrascht es uns zu
sehen, wie im Gegensatz zu der nachgerade bis zum Über-
druß gehörten Lehre von der ausschließlich deutschen Vor-
liebe für Überladung mit kleinem Ornament die vielgepriesenen
Italiener sich in
der Häufung des
Schmucks nicht
genug tun können.
Man durchwandle
nur die Campi
santi in Genua und
Mailand, diese
Treibhausbeete
persönlicher Eitel-
keit und äußer-
licher Prunksucht,
undbeobachte,wie
die stolzen und
keuschen Formen
des Mittelalters
und der Renais-
sance an den
Gruftkapellen er-
drückt werden un-
ter dem Wust von
Zieraten.
Grabmal der Familie Architekt: Del Moro.
Ricasoli in Florenz.
Aus »The Architectural Record«.


gleichlichen Lage und der virtuosen Behandlung des kostbaren
Marmors, als er in den langen Hallen immer und immer wieder
vor dem Marmorobelisken mit der Photographie des geliebten
dahingegangenen Gatten die trauernde Witwe in ganzer Figur
aus Marmor oder Alabaster gebildet sah — natürlich Porträt und
bis auf die Spitzen der kokett gezeigten Jupons durchgeführt!
Wenn das möglich ist bei einem Volke, dessen Vorfahren
Dei Frari und die Skaligergräber geschaffen, was brauchen wir
uns da zu wundern, daß der Nürnberger Johannisfriedhof und
das Grabmal des Marschalls Moritz von Sachsen in Straßburgs
Thomaskirche vergessen sind?
Was soll aber geschehen? Solange auf den Kunstausstel-
lungen die Entwürfe für ein Erbbegräbnis der Familie X. mit
einer weiten romantischen Landschaft umgeben erscheinen,
solange die Denkmäler wie Porzellanservice ohne Rücksicht
auf den Platz entworfen und modelliert werden, solange fällt
es schwer, an eine nachhaltige Gesundung zu glauben. Solange
verfängt wohl auch der berechtigte Hinweis kaum auf die
schlichte, selbstverständliche Eigenart alter Kleinstadtfriedhöfe
und ihres Gräber¬
schmucks, auf die
bescheidenen und
doch so wirkungs¬
vollen Muschel¬
einfassungen in
den Orten nahe
der Seeküste, auf
die Verwendung
verschiedenfarbi¬
gen Sandes, in
Tonkübel oder
Blechformen ein¬
gesetzter Blumen
u.s.w. Aber viel¬
leicht könnte für
die kleinen und
engenVerhältnisse
unsrer Kirchhöfe
doch manches
davon übernom¬
men werden, viel¬
leicht auch aus
Grabmal in Mailand. Architekt: M. Locati.
Aus »The Architectural Record«.


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