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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 1.1967

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II.
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Chadraba, Rudolf: Zwei Welten im Bilde: zu den antiken Grundlagen dualistischer Komposition
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https://doi.org/10.11588/diglit.51369#0123

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eine Charitas. Die Beziehung zur italienischen
Kunst und Dichtung ist damit noch von anderer
Seite her bestätigt.
Von diesem aussätzigen Bettler, der zum Licht
hinaufsieht, geht der Weg weiter über den „bren-
nenden Busch“ des Nicolas Froment (1475) zu Dü-
rers Johannes, der wie aus einem dunklen Erden-
schlund hervorgelockt ist und gezwungen, den
Kopf zum Lichte zu heben, dann folgt Miche-
langelo. Die „Gefangenen“ Michelangelos ver-
suchen, sich zu befreien und drehen zugleich ihre
Köpfe nach einem obigen Lichte, wo eine Vision
des Adventus des neuen Zeitalters heraufkommt
(supervenit), von Moses als Herrscher und Richter
prophezeit. Der vielverheissende „Retter Italiens“
Papst Julius II. hinterließ ein Andenken, welches
Michelangelo in den Entwürfen zu seinem Grab-
mal in der Form eines turmartigen Triumphbogens
(Panofsky) mit einer utopischen Vision in eins
bringt. Der anagogische (vom Diesseits zum
Jenseits die Seele hinaufführende) Sinn des indi-
viduellen Heiles bleibt hier nicht aus, den eigen-
tlichen Anlaß gab jedoch die utopische Idee. Man
könnte hier wie bei allen von uns erörterten Bei-
spielen den vierfachen Sinn der Heiligen Schrift,
quattuor sensus sacrarum litterarum in Erinnerung
bringen, wie ihn ein Melanchthon 1542 mit Jeru-
salem exemplifiziert: Jerusalem bedeutet wörtlich
oder historisch die Stadt des Namens, allegorisch
die Kirche, moralisch die gut verwaltete Gemeinde,
anagogisch das ewige oder himmlische Leben.
Die utopische, auf die Gesellschaft bezogene
Struktur geht vor der anagogischen, subjektiv-
religiösen. — Über den sprichwörtlich gewor-
denen „Guido Reni-Blick“34 geht dann die Tradi-
tion auf die optische Kommunikation zwischen
Erde und Himmelsrescheinung in den dualisti-
schen Kompositionen des Barock über. Viele
Zwischenglieder müssen wir beiseite lassen. Oscar
Ollendorf beging eine Einseitigkeit, indem er die
ganze Tradition unter dem Namen „Andacht in
der Malerei“35 (dabei spricht der auch von Miche-
langelos Plastik) zusammenfaßte. Er ging zu
sehr vom Eindruck aus, den Holbeins „Madonna
des Bürgermeisters Meier“ gibt. Jedoch auch dieses
Bild zeigt nicht nur Andacht, sondern zugleich
prophetische Vision und Selbstunterwerfung. 01-
lendorfer zitiert die Ansicht, daß das Falten der
Hände auf römische Victoria-Symbolik zurück-
geht, mit dieser Geste ergab sich der Barbar dem


45. Carei van Mander, Triumph der Liebe, um 1590
(Schlossgallerie Duchcov in Böhmen).

Legionär und ließ sich die Hände fesseln. Rubens
bringt Pathos in die Apotheose des hl. Thomas
von Aquin hinein, eine Komposition diagonalen
Typus, es ist jedoch nicht nur ein Pathos der
Andacht, wie Ollendorfer meint,36 sondern zu-
gleich Pathos der Prophetie, das hier Oben mit
Unten vereint, wogegen Zurbaráns Berarbeitung
des Themas zur subjektiven Illusion im Sinne der
hämischen Miniatur greift.
In Dürers Vision des Starken Engels ist mit
der Blickdiagonale noch eine andere Kommuni-
kation zwischen den beiden Welten zusammen
bemerkbar. Vergleichen wir das Bild mit der
entsprechenden Vision auf der „Stele Echnatons“
(XVIII. Dynastie, Mitte des 15. Jhs v. u. Z.),
wo die Sonne mit kleinen Händen am Ende der
Strahlen für das Gedeihen des Erdenlebens sorgt.
Auch bei Dürer läßt die Sonne alles wachsen und
gedeihen, wobei Blätter im Gras ihrer Flamme
ähneln. In der Charitas der hl. Elisabeth von

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