Beitrag zur Erforschung der Architektur
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
in der Slowakei
EDUARD TORAN
Nach den bürgerlichen Aufständen in den Jahren
um 1848 hat in den Bedingungen des scharfen
Bach’ sehen Absolutismus eine Zentralisierung des
politischen und gesellschaftlichen Lebens nach
Wien eingesetzt; dieser Prozess hat sich entspre-
chend auch in der Bautätigkeit dieser Periode
bemerkbar gemacht. In der Hauptstadt des grossen
Reiches kam es zu grandiosen urbanistischen Neue-
rungen: die den alten Stadtkern umgebenden
Wälle wurden abgerissen, die Stadtgräben wurden
zugeschüttet, und auf dieser neuen Grundlage
wurde die grosse Ringstrasse aufgebaut; sie wurde
zu einer Revue monumentaler Bauten der ver-
schiedenen staatlichen und städtischen Organe,
wissenschaftlicher und kultureller Institutionen.
Die sich in Wien abspielende Bautätigkeit diente
in architektonischer Hinsicht als Muster für die
übrigen Teile der Monarchie und wurde zur Weg-
bereiterin des sog. pseudohistorischen Stils in
Ungarn. Die politischen Auseinandersetzungen
zwischen den beiden Hauptpartnern des Öster-
reichisch-Ungarischen Reiches gingen jedoch unun-
terbrochen weiter; nach den Niederlagen Öster-
reichs an der italienischen und preussischen Front
kam es im Jahre 1867 zum Ausgleich zwischen
Österreich und Ungarn, zu einem dualistischen
System mit einer relativen Selbstständigkeit Un-
garns; Budapest wurde die tatsächliche Hauptstadt
dieses Landes und aus diesem Grunde hat die neue
Hauptstadt dem eigenen Aufbau erhöhte Auf-
merksamkeit gewidmet. Bratislava hat aufgehört,
die Krönungsstadt der ungarischen Könige und
Sitz des Parlaments zu sein; aus diesem Grunde
wurde im Jahre 1870 auch der Krönungshügel
an der Donaulände abgetragen. Nach der grossen
Wirtschaftskrise der Siebzigerjahre kam es zu einer
Stabilisierung in den Achtzigerjahren, die sich
durch eine industrielle Entwicklung und durch
eine intensive Bautätigkeit erkenntlich machte.
Die im Jahre 1886 erfolgten innerpolitischen Re-
formen haben u. a. die Autonomie der privilegierten
Städte annulliert; weiter wurden gesetzliche Mass-
nahmen getroffen, anhand welcher eine definitive
Auflage der Grundbücher erfolgte; dies war von
grundlegender Bedeutung für die planmässige Re-
gulierung des Städtebaues. Als ein Triumph der
ungarischen Innenpolitik kann die Verminderung
des Defizits des Staatshaushaltes und schliesslich
der im Jahre 1889 erfolgte Budgetausgleich be-
trachtet werden; besonders auffallend haben sich
diese Erscheinungen in der darauf folgenden gigan-
tischen Baukonjunktur in Budapest und gewisser-
massen auch in einer nachträglichen Erhöhung der
Bauinvestitionen in der Slowakei gespiegelt.
Der Architektur dieser Jahre ist die Aufgabe
zugekommen, die wirtschaftlichen Erfolge äusser-
lich, mittels einer würdigen Dekorativität der
Gebäudefassaden zum Ausdruck zu bringen. Eine
ausserordentliche Gelegenheit zum Engagiertsein
der Baukunst aller Arten bildeten die Vorbereitun-
gen zur grossartigen Feier des Milleniums im
Jahre 1896; dies war gleichzeitig der Höhepunkt
der Baukonjunktur in Ungarn gegen Ende des
19. Jahrhunderts. Nach 1900 war, auch wenn
kleinere Wirtschaftskrisen dazwischenkamen, eine
weitere intensive Bautätigkeit zu verzeichnen; die
von uns erforschte Periode nahm ihr Ende mit
dem Ersten Weltkrieg und mit den nachher erfolg-
ten Umsturz. Die Entwicklung unserer Archi-
tektur und unserer Städte hängt eng mit all
diesen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen
Geschehnissen in Österreich-Ungarn zusammen,
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der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
in der Slowakei
EDUARD TORAN
Nach den bürgerlichen Aufständen in den Jahren
um 1848 hat in den Bedingungen des scharfen
Bach’ sehen Absolutismus eine Zentralisierung des
politischen und gesellschaftlichen Lebens nach
Wien eingesetzt; dieser Prozess hat sich entspre-
chend auch in der Bautätigkeit dieser Periode
bemerkbar gemacht. In der Hauptstadt des grossen
Reiches kam es zu grandiosen urbanistischen Neue-
rungen: die den alten Stadtkern umgebenden
Wälle wurden abgerissen, die Stadtgräben wurden
zugeschüttet, und auf dieser neuen Grundlage
wurde die grosse Ringstrasse aufgebaut; sie wurde
zu einer Revue monumentaler Bauten der ver-
schiedenen staatlichen und städtischen Organe,
wissenschaftlicher und kultureller Institutionen.
Die sich in Wien abspielende Bautätigkeit diente
in architektonischer Hinsicht als Muster für die
übrigen Teile der Monarchie und wurde zur Weg-
bereiterin des sog. pseudohistorischen Stils in
Ungarn. Die politischen Auseinandersetzungen
zwischen den beiden Hauptpartnern des Öster-
reichisch-Ungarischen Reiches gingen jedoch unun-
terbrochen weiter; nach den Niederlagen Öster-
reichs an der italienischen und preussischen Front
kam es im Jahre 1867 zum Ausgleich zwischen
Österreich und Ungarn, zu einem dualistischen
System mit einer relativen Selbstständigkeit Un-
garns; Budapest wurde die tatsächliche Hauptstadt
dieses Landes und aus diesem Grunde hat die neue
Hauptstadt dem eigenen Aufbau erhöhte Auf-
merksamkeit gewidmet. Bratislava hat aufgehört,
die Krönungsstadt der ungarischen Könige und
Sitz des Parlaments zu sein; aus diesem Grunde
wurde im Jahre 1870 auch der Krönungshügel
an der Donaulände abgetragen. Nach der grossen
Wirtschaftskrise der Siebzigerjahre kam es zu einer
Stabilisierung in den Achtzigerjahren, die sich
durch eine industrielle Entwicklung und durch
eine intensive Bautätigkeit erkenntlich machte.
Die im Jahre 1886 erfolgten innerpolitischen Re-
formen haben u. a. die Autonomie der privilegierten
Städte annulliert; weiter wurden gesetzliche Mass-
nahmen getroffen, anhand welcher eine definitive
Auflage der Grundbücher erfolgte; dies war von
grundlegender Bedeutung für die planmässige Re-
gulierung des Städtebaues. Als ein Triumph der
ungarischen Innenpolitik kann die Verminderung
des Defizits des Staatshaushaltes und schliesslich
der im Jahre 1889 erfolgte Budgetausgleich be-
trachtet werden; besonders auffallend haben sich
diese Erscheinungen in der darauf folgenden gigan-
tischen Baukonjunktur in Budapest und gewisser-
massen auch in einer nachträglichen Erhöhung der
Bauinvestitionen in der Slowakei gespiegelt.
Der Architektur dieser Jahre ist die Aufgabe
zugekommen, die wirtschaftlichen Erfolge äusser-
lich, mittels einer würdigen Dekorativität der
Gebäudefassaden zum Ausdruck zu bringen. Eine
ausserordentliche Gelegenheit zum Engagiertsein
der Baukunst aller Arten bildeten die Vorbereitun-
gen zur grossartigen Feier des Milleniums im
Jahre 1896; dies war gleichzeitig der Höhepunkt
der Baukonjunktur in Ungarn gegen Ende des
19. Jahrhunderts. Nach 1900 war, auch wenn
kleinere Wirtschaftskrisen dazwischenkamen, eine
weitere intensive Bautätigkeit zu verzeichnen; die
von uns erforschte Periode nahm ihr Ende mit
dem Ersten Weltkrieg und mit den nachher erfolg-
ten Umsturz. Die Entwicklung unserer Archi-
tektur und unserer Städte hängt eng mit all
diesen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen
Geschehnissen in Österreich-Ungarn zusammen,
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