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Ars: časopis Ústavu Dejín Umenia Slovenskej Akadémie Vied — 1991

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Bakoš, Ján: Peripherie und kunsthistorische Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.51720#0014

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einfachen Schicksal, d. h. von der Situiertheit am
äußeren Wellenbereich. In diese Position der Unpro-
duktivität wurden sie auch mit ihrer inneren Veranla-
gung gezwungen: Die Peripherien waren angeblich
unfähig die Stilentwicklung gerade deshalb zu begrün-
den, weil in ihnen die Traditionsgebundenheit
herrscht. Die Tradition wurde, wie ersichtlich, aus dem
Schaffensvermögen verbannt und der Entwicklung
gegenübergestellt. Dieser Gegensatz Entwicklung-Tra-
dition als Synonym für Schaffensvermögen-Unproduk-
tivität wurde im Grunde auch mit dem radikalen
Pluralismus und Nominalismus, wie ihn selbst Vayer
propagiert, nicht überwunden. Die Entwicklung ver-
vielfältigt sich so sehr (auch der Dualismus ist aufgege-
ben), daß sie die Richtung verliert. Sie wird ein
atomistisches Chaos kurzer regionaler Entwicklungsfä-
den. Das Universelle in ihr ist entweder der Lauf, der
diese selbständigen, gegenseitig abhängigen, gleich-
wertigen und gleichlaufenden Bächlein verschmilzt
oder stellt die Abstraktion des Historikers aus der
Ohnmacht des historischen Abstands dar. In extremer
Darstellung dieses absoluten Pluralismus kommt es
zum Verwischen aller Hierarchie, zur Aufgabe jegli-
cher Entwicklungsinitiative, zum Egalitarismus. Inder
häufigeren, weniger radikalen Darstellung werden
kurzzeitige Initiativen, Brennpunkte kurzer Dauer
anerkannt, die stets schwer aber notwendig ad hoc zu
erforschen sind. In diesem Atomismus verliert sich
auch der prinzipielle Unterschied zwischen Zentren
und Peripherien, also der Unterschied, der ihnen
irgendein Maß der Uberlebenszeit zuschreiben würde.
Aber die Pluralisierung mündete nicht nur in die
atomistische Richtung ein; viel häufiger war das
Einmünden in den Streit um die Hegemonie zwischen
den beteiligten nationalen Komponenten. Im Streben
um den Erwerb des Statuts der Autochthonie setzte ein
unbarmherziger Krieg um das Verdienst um die
Entwicklungsbildung ein. Der Gegensatz zwischen
Zentren und Peripherien wurde zwar gemäßigt, aber
nicht beseitigt, er wurde irgendwie auf eine Ebene tiefer
verschoben. Für die Peripherien wurden schon nicht
mehr die ganzen ausgedehnten Gebiete gehalten,
sondern nur Teile kleinerer Einheiten. Das Grundkrite-
rium: Entwicklung versus Tradition, Stil versus passive
Imitation, Originalität versus deformierende Vereinfa-
chung blieb jedoch erhalten und funktionierte weiter-
hin als Unterscheidungsmittel zwischen Zentren und
Peripherien. Gewiß war der Kampf um das Autochtho-

niestatut nichts anderes als das Streben, kleineren
Gebieten bzw. Regionen, die traditionell für peripher
gehalten wurden, die Fähigkeit des eigenständigen
Schaffensvermögens zuzugestehen. Das Schaffensver-
mögen wurde aber weiterhin ausschließlich mit Origi-
nalität, Stilbildung und Konstituierung der Entwick-
lungskontinuität gleichgesetzt.
Zum Wechsel der Erkenntniskriterien kam es im
wesentlichen von ganz unerwarteter Seite: Die künstle-
rischen Avantgarden unseres Jahrhunderts negierten
das Kriterium der Entwicklung als Synonym des
Schaffensvermögens keinesfalls, sie verschoben jedoch
seine Bedeutung. Nicht allein die Gründung der
Entwicklungskontinuität, sondern auch die Fähigkeit
der diskontinuierlichen Anknüpfung, die Fähigkeit der
Entwicklungsoriginalität und der Wechsel der Rich-
tung kam unter die schöpferischen Werte. Nicht das ist
jedoch in unserem Zusammenhang wesentlich, weil das
nur das Kriterium der Originalität und damit auch die
Disqualifikation der Regionen vertiefte, die nicht fähig
sind, die Entwicklungsrichtung zu wechseln. Von
Seiten der Avantgarden wurde die Voraussetzung für
die Umbildung des dualistischen Hierarchismus aus
anderem Grunde geschaffen: Ihr Bestreben, den ursp-
rünglichen, nicht a priori konstruierten, nichtrationalen
Zugang zum Wesen der Wirklichkeit zu finden, führte
sie zur Rehabilitierung uralter Traditionen. Die künst-
lerischen Phänomene, die vom Standpunkt des univer-
salistischen Hegemonismus als Verfall, Deformation,
Unverständnis und Primitivität erschienen, gewannen
plötzlich das Statut spezifischer Werte.16 Die Simplifi-
zierung als die grundlegende Eigenschaft der Peripheri-
tät ist fraglich geworden. Dieser Rehabilitationstrend
blieb jedoch bei der Axiologie nicht stehen, beschränkte
sich nicht auf das Finden mehrerer Typen gleichwerti-
ger Werte. Der Strukturalismus, vor allem die struktu-
relle Ethnographie schob die Rehabilitierung der Pri-
mitivismen um einen Schritt vorwärts.17 Sie rehabili-
tierte nicht nur den spezifischen Wert der Expressivität
und Simplifikation (Rustikalisierung) des Volksschaf-
fens. Sie zeigte, daß das Volksschaffen einen eigenstän-
digen Schaffensorganismus spezifischer Funktions-
struktur darstellt. Infolgedessen ist zu dem rehabilitier-
ten Ausdruck, Deformation oder Simplizität die Reha-
bilitation der sog. Abhängigkeit von entlehnten Vorbil-
dern hinzugekommen. Es zeigte sich, daß es nie um die
bloße Passivität, um das passive Erliegen den Vorbil-
dern und Einflüssen gegenüber geht, daß die Richtung

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