oberösterreichische Plastik des sog. Ritters aus dem Kloster Sankt
Florian bei Linz — wahrscheinlich eine frühe Arbeit des Meisters der
Madona von Michle vor Ankunft in seinersüdmährischen Wirkungs-
stätte. Sie inspirierte das Bratislavaer/Preßburger Relief in seinem
edel konzipierten Kopf und ist obendrein durch verwandte Merkmale
mit dem sog. Preziosenstil gekennzeichnet, der sich auf den Grundla-
gen des nachklassischen französischen Manierismus als Paralleler-
scheinung zum Rottweiler Stil im 2. Viertel des 14. Jahrhunderts
entfaltete.
Das Ausklingen der nachklassisch transponierten Kathedralen-
kunst in Mitteleuropa, die nach Ungarn und in die Slowakei meist
durch den oberrheinisch-schwäbischen und österreichischen Wir-
kungskreis vermittelt wurde, ist gleichfalls noch im stilistisch-forma-
len und ikonographischen Charaker des Bratislavaer/Preßburger
Tympanons lebendig, wenn auch in den Intentionen verinnerlichter
Mystik zu einer geschwächten Sinnenwelt und Körperlichkeit, zu
Gunsten der Vorstellung Apriori und eines vertieften Gefühlslebens
umgestaltet. Im Einklang damit steht letztendlich auch die „kathed-
rale“ Form des Bratislavaer/Preßburger Portals, dessen entfernte
französische Genese ebenso durch den deutschen und wahrscheinlich
auch österreichischen Wirkungskreis vermittelt wurde (westliches
Hauptportal der Hallenkirche der Minoriten in Wien).
Aus den gleichen Quellen schöpfte auch das Hallenkonzept für die
dreischiffige Bratislavaer/Preßburger Kirche, deren Anfänge — auch
mit dem neuen Typ der Basen der Gewölbedienste an der Nordwand
des Domschiffes belegt (auch nahe am inneren Gewände unseres
Portals) — vielleicht schon an das Ende der dreißiger Jahre des 14.
Jahrhunderts zurückreichen. Die wesentliche und bedeutendere
Anregung für den Hallenumbau der Bratislavaer/Preßburger Kirche
war wahrscheinlich das Heiligkreuzmünster in Schwäbisch Gmünd,
seit Ankunft Heinrich Parlers im Jahre 1330 als Halle erbaut. An das
Münster knüpfte der Bratislavaer/Preßburger Bau neben der räumli-
chen Lösung auch in seinem Formenapparat an, der die glatten
nackten Wände bevorzugt und die vereinigenden raumschaffenden
Tendenzen unterstützt. Bei der Wahl des nicht traditionellen,
modernen Raumtyps konnten die Handels- und Kaufkontakte des
Bratislavaer/Preßburger Patriziats schwäbischer Herkunft an der
Spitze mit der Familie des Richters Jakob und seines Enkels Jakob II
mit der Heimat ihrer Vorfahren eine nicht zu unterschätzende Rolle
spielen. Der langwierige Umbau der Bratislavaer/Preßburger Kir-
che, bereits im 2. oder 3. Jahrzehnt basilikal begonnen und seit dem 4.
oder 5. Jahrzehnt im Hallenschema forgesetzt, konnte dann in den
vierziger Jahren durch den relativen wirtschaftlichen Aufstieg der
Stadt beschleunigt werden, deren allmähliche ökonomisch-gesell-
schaftliche Stabilisierung von den dreißiger bis siebziger Jahren von
verschiedenen wirtschaftlich-kommerziellen Privilegien bestimmt
wird.
Das theologisch-ikonographische Programm der plastischen Aus-
stattung des Bratislavaer/Preßburger Portals, konzentriert auf den
Gnadenstuhl, hatte eschatologischen Sinn. Es knüpft an den allge-
meinen geistigen Gehalt des christlichen Kircheneinganges als
Verbindungsstelle zwischen zwei Welten an, bedeutete eine bestimm-
te Art gedanklicher Synthese, die die Symbolik des gesamten
Sakralbaus als Himmelstor durch das Mysterium der Erlösung
zusammenfaßt. Es betrifft also das zweite, salvatorianische Patrozi-
nium der Bratislavaer/Preßburger Hauptkirche (auch dem hl.
Martin von Tours geweiht). Der Tod Christi, verbildlicht auf dem
Kreuz im Schoße Gottvaters, wurde auch mit tierischen Symbolen
ideell weiterentwickelt — der Pelikan als Symbol des Opfertodes und
die Löwin als Symbol der Auferstehung. Das untere Paar — heute
nicht erhaltener und unbekannter — Baldachinstatuen konnte in
diesem Sinne die nächsten Zeugen des Kreuzopfers Christi, Mutter
Maria und Johannes der Evangelist sein, des Verfassers der
Apokalypse. Noch eher jedoch konnte die Aussage des Reliefs im
Zusammenhang mit seiner Gerichtsebene dienen, bei der die zentrale
Gruppe des Gnadenstuhls, ähnlich wie beim erwähnten Portal in
Erfurt, in die Rolle des Richters transponiert wird, des Gutheißers der
ethischen Befähigung des Enzelnen, die himmlische Erlösung zu
erlangen. In diesem Falle würde es sich um die Fürbitter für die
sündige Menschheit vor dem Jüngsten Gericht handeln, um Mutter
Maria mit Johannes dem Täufer. Sie bilden nämlich mit der
zentralen Gruppe das Motiv der sog. Deesis, die den apokalyptischen
Untertext der ganzen Szene betont und verkürzt den Gedanken des
Jüngsten Gerichts berührt. Die Aktualität dieser Bedeutungsebene
unterstreicht auch der Umstand, daß vor dem Portal tatsächlich
Prozesse stattfanden und noch die dem Portal angebaute spätgotische
Annenkapelle einst Ordalienkapelle genannt wurde.
Zum Schluß seiner Studie verweilt der Autor bei weiteren
Funktionen des figuralen Tympanons und bei der Frage seines
existentiellen Status. Er vermutet, daß das Relief des Gnadenstuhls
nicht nur symbolisch-illustrativ als auf die in die Kirche Eintretenden
ausgerichtete Bildplatte fungierte und ihrer inhaltlich-geistigen
Vorbreitung oder Belehrung diente und nicht nur die Rolle einer
begleitenden Kulisse der Gerichtsverhandlungen erfüllte. Es stellte
tatsächlich ein optisch abgegrenztes und verselbständigtes Bildobjekt
für sich selbst dar. Es entsprach der neu belebten Religiosität des 14.
Jahrhunderts und war fähig eindringlich die Psyche des zeitgenössi-
schen mittalelterilichen Besuchers anzusprechen, seine Überlegun-
gen zum eigenen Sein herauszufordern und das Gefühl der Aussöh-
nung, der Gnade, der Barmherzigkeit und des Trostes zu gewähren.
Das Relief des Gnadenstuhls war hier im eigentlichen Wortsinn ein
Gnadenbild, von drängendem innerem Ausdruck durchgeistigt, der
ihm Leben verlieh. Es sprach nicht nur den Gläubigen an, sondern
rief auch zum inneren Dialog auf und wurde selbst ein gefühlsmäßiges
Erlebnisobjekt der Anbetung und des innigen Gebets des Einzelnen
— ein Andachtsbild.
Deutsch von Kuno Schumacher
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Florian bei Linz — wahrscheinlich eine frühe Arbeit des Meisters der
Madona von Michle vor Ankunft in seinersüdmährischen Wirkungs-
stätte. Sie inspirierte das Bratislavaer/Preßburger Relief in seinem
edel konzipierten Kopf und ist obendrein durch verwandte Merkmale
mit dem sog. Preziosenstil gekennzeichnet, der sich auf den Grundla-
gen des nachklassischen französischen Manierismus als Paralleler-
scheinung zum Rottweiler Stil im 2. Viertel des 14. Jahrhunderts
entfaltete.
Das Ausklingen der nachklassisch transponierten Kathedralen-
kunst in Mitteleuropa, die nach Ungarn und in die Slowakei meist
durch den oberrheinisch-schwäbischen und österreichischen Wir-
kungskreis vermittelt wurde, ist gleichfalls noch im stilistisch-forma-
len und ikonographischen Charaker des Bratislavaer/Preßburger
Tympanons lebendig, wenn auch in den Intentionen verinnerlichter
Mystik zu einer geschwächten Sinnenwelt und Körperlichkeit, zu
Gunsten der Vorstellung Apriori und eines vertieften Gefühlslebens
umgestaltet. Im Einklang damit steht letztendlich auch die „kathed-
rale“ Form des Bratislavaer/Preßburger Portals, dessen entfernte
französische Genese ebenso durch den deutschen und wahrscheinlich
auch österreichischen Wirkungskreis vermittelt wurde (westliches
Hauptportal der Hallenkirche der Minoriten in Wien).
Aus den gleichen Quellen schöpfte auch das Hallenkonzept für die
dreischiffige Bratislavaer/Preßburger Kirche, deren Anfänge — auch
mit dem neuen Typ der Basen der Gewölbedienste an der Nordwand
des Domschiffes belegt (auch nahe am inneren Gewände unseres
Portals) — vielleicht schon an das Ende der dreißiger Jahre des 14.
Jahrhunderts zurückreichen. Die wesentliche und bedeutendere
Anregung für den Hallenumbau der Bratislavaer/Preßburger Kirche
war wahrscheinlich das Heiligkreuzmünster in Schwäbisch Gmünd,
seit Ankunft Heinrich Parlers im Jahre 1330 als Halle erbaut. An das
Münster knüpfte der Bratislavaer/Preßburger Bau neben der räumli-
chen Lösung auch in seinem Formenapparat an, der die glatten
nackten Wände bevorzugt und die vereinigenden raumschaffenden
Tendenzen unterstützt. Bei der Wahl des nicht traditionellen,
modernen Raumtyps konnten die Handels- und Kaufkontakte des
Bratislavaer/Preßburger Patriziats schwäbischer Herkunft an der
Spitze mit der Familie des Richters Jakob und seines Enkels Jakob II
mit der Heimat ihrer Vorfahren eine nicht zu unterschätzende Rolle
spielen. Der langwierige Umbau der Bratislavaer/Preßburger Kir-
che, bereits im 2. oder 3. Jahrzehnt basilikal begonnen und seit dem 4.
oder 5. Jahrzehnt im Hallenschema forgesetzt, konnte dann in den
vierziger Jahren durch den relativen wirtschaftlichen Aufstieg der
Stadt beschleunigt werden, deren allmähliche ökonomisch-gesell-
schaftliche Stabilisierung von den dreißiger bis siebziger Jahren von
verschiedenen wirtschaftlich-kommerziellen Privilegien bestimmt
wird.
Das theologisch-ikonographische Programm der plastischen Aus-
stattung des Bratislavaer/Preßburger Portals, konzentriert auf den
Gnadenstuhl, hatte eschatologischen Sinn. Es knüpft an den allge-
meinen geistigen Gehalt des christlichen Kircheneinganges als
Verbindungsstelle zwischen zwei Welten an, bedeutete eine bestimm-
te Art gedanklicher Synthese, die die Symbolik des gesamten
Sakralbaus als Himmelstor durch das Mysterium der Erlösung
zusammenfaßt. Es betrifft also das zweite, salvatorianische Patrozi-
nium der Bratislavaer/Preßburger Hauptkirche (auch dem hl.
Martin von Tours geweiht). Der Tod Christi, verbildlicht auf dem
Kreuz im Schoße Gottvaters, wurde auch mit tierischen Symbolen
ideell weiterentwickelt — der Pelikan als Symbol des Opfertodes und
die Löwin als Symbol der Auferstehung. Das untere Paar — heute
nicht erhaltener und unbekannter — Baldachinstatuen konnte in
diesem Sinne die nächsten Zeugen des Kreuzopfers Christi, Mutter
Maria und Johannes der Evangelist sein, des Verfassers der
Apokalypse. Noch eher jedoch konnte die Aussage des Reliefs im
Zusammenhang mit seiner Gerichtsebene dienen, bei der die zentrale
Gruppe des Gnadenstuhls, ähnlich wie beim erwähnten Portal in
Erfurt, in die Rolle des Richters transponiert wird, des Gutheißers der
ethischen Befähigung des Enzelnen, die himmlische Erlösung zu
erlangen. In diesem Falle würde es sich um die Fürbitter für die
sündige Menschheit vor dem Jüngsten Gericht handeln, um Mutter
Maria mit Johannes dem Täufer. Sie bilden nämlich mit der
zentralen Gruppe das Motiv der sog. Deesis, die den apokalyptischen
Untertext der ganzen Szene betont und verkürzt den Gedanken des
Jüngsten Gerichts berührt. Die Aktualität dieser Bedeutungsebene
unterstreicht auch der Umstand, daß vor dem Portal tatsächlich
Prozesse stattfanden und noch die dem Portal angebaute spätgotische
Annenkapelle einst Ordalienkapelle genannt wurde.
Zum Schluß seiner Studie verweilt der Autor bei weiteren
Funktionen des figuralen Tympanons und bei der Frage seines
existentiellen Status. Er vermutet, daß das Relief des Gnadenstuhls
nicht nur symbolisch-illustrativ als auf die in die Kirche Eintretenden
ausgerichtete Bildplatte fungierte und ihrer inhaltlich-geistigen
Vorbreitung oder Belehrung diente und nicht nur die Rolle einer
begleitenden Kulisse der Gerichtsverhandlungen erfüllte. Es stellte
tatsächlich ein optisch abgegrenztes und verselbständigtes Bildobjekt
für sich selbst dar. Es entsprach der neu belebten Religiosität des 14.
Jahrhunderts und war fähig eindringlich die Psyche des zeitgenössi-
schen mittalelterilichen Besuchers anzusprechen, seine Überlegun-
gen zum eigenen Sein herauszufordern und das Gefühl der Aussöh-
nung, der Gnade, der Barmherzigkeit und des Trostes zu gewähren.
Das Relief des Gnadenstuhls war hier im eigentlichen Wortsinn ein
Gnadenbild, von drängendem innerem Ausdruck durchgeistigt, der
ihm Leben verlieh. Es sprach nicht nur den Gläubigen an, sondern
rief auch zum inneren Dialog auf und wurde selbst ein gefühlsmäßiges
Erlebnisobjekt der Anbetung und des innigen Gebets des Einzelnen
— ein Andachtsbild.
Deutsch von Kuno Schumacher
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