ADOLF RADtNG
BRESLAU
ZeHtupe
Gut wäre es, wenn wir alle einmal eine Zeitlang stoppten, Tempo
Tempo sein ließen, zusähen, wie herrlich weit wir gediehen...
Nur einmal das Bewußtsein, was unsere Städte, unsere Wohnungen
geworden sind...
Wenn wir nur wußten, was Leben ist, wenn wir begriffen, daß Gut an
Böse, Freude an Leid, Berg an Tal, Licht an Schatten geknüpft ist,
nichts Menschliches, nichts Lebendiges ohne Abgrund, ohne Rätsel.
Eine Stunde, eine Minute Besinnung, wer auf Gottes weiter Welt könnte
noch die Verantwortung übernehmen, fortzusetzen, was seit fast
hundert Jahren in schimmeligen Amtsstuben immer lebensferner,
immer doktrinärer ausgebrütet wird: Schutz des Mitmenschen vor
den Einflüssen des Lebens.
Zum Teufel den guten Willen. Er ist keinen Groschen wert, wenn er
Gesetze macht, die versuchen, die Auseinandersetzungen mit dem
Leben auszuschalten, handelnde, lebendige Menschen in traurige,
schicksalsgebundene und ach so bereinigte und zufrieden-wider-
spruchslose Puppen zu verwandeln.
Unsere Baupolizeigesetze sind zu dicken Wälzern, zu einem Wust von
Paragraphen angeschwollen; alle Propheten nicht und jemals er-
fundenen Vorsehungen zusammen konnten voraussehen, was hier
angstvoll vorausgeahnt und auf die „goldene Mittelstraße" ab gedrängt
wurde. Diesem höchst verdächtigen, sehr unbequemen und wenig
berechenbaren Leben wurde die Zwangsjacke übergeworfen. Angst,
Kompromiß und brutaler Zwang schreien steingeworden zum Himmel.
Das ist die Situation.
Habt ihr zum Leben kein Vertrauen, hat das Leben kein Vertrauen zu
euch. Darum ekelt es euch, in euren Städten zu leben, darum kann
kein Raffinement des Gesetzes Freude an euren Wohnungen geben.
Sorgen wir doch dafür, daß dieser ganze Wust von törichten Hem-
mungen über Bord geworfen wird, fürchten wir uns doch nicht vor
Härten und Häßlichkeit, wenn wir damit statt trauriger Kompromisse
die ganze Fülle und Farbigkeit des Lebens erringen.
Die Menschen sind weder Bösewichter noch Kinder. Nur Arroganz und
unbelehrbare Dummheit können versuchen, sie unter Kuratel zu
stellen. Seien wir bescheiden, sehen wir ein: der Versuch, Vorsehung
zu spielen, ist kläglich gescheitert, Versündigung am Menschen,
belanglos guter Wille, Hilfsbereitschaft.
103
BRESLAU
ZeHtupe
Gut wäre es, wenn wir alle einmal eine Zeitlang stoppten, Tempo
Tempo sein ließen, zusähen, wie herrlich weit wir gediehen...
Nur einmal das Bewußtsein, was unsere Städte, unsere Wohnungen
geworden sind...
Wenn wir nur wußten, was Leben ist, wenn wir begriffen, daß Gut an
Böse, Freude an Leid, Berg an Tal, Licht an Schatten geknüpft ist,
nichts Menschliches, nichts Lebendiges ohne Abgrund, ohne Rätsel.
Eine Stunde, eine Minute Besinnung, wer auf Gottes weiter Welt könnte
noch die Verantwortung übernehmen, fortzusetzen, was seit fast
hundert Jahren in schimmeligen Amtsstuben immer lebensferner,
immer doktrinärer ausgebrütet wird: Schutz des Mitmenschen vor
den Einflüssen des Lebens.
Zum Teufel den guten Willen. Er ist keinen Groschen wert, wenn er
Gesetze macht, die versuchen, die Auseinandersetzungen mit dem
Leben auszuschalten, handelnde, lebendige Menschen in traurige,
schicksalsgebundene und ach so bereinigte und zufrieden-wider-
spruchslose Puppen zu verwandeln.
Unsere Baupolizeigesetze sind zu dicken Wälzern, zu einem Wust von
Paragraphen angeschwollen; alle Propheten nicht und jemals er-
fundenen Vorsehungen zusammen konnten voraussehen, was hier
angstvoll vorausgeahnt und auf die „goldene Mittelstraße" ab gedrängt
wurde. Diesem höchst verdächtigen, sehr unbequemen und wenig
berechenbaren Leben wurde die Zwangsjacke übergeworfen. Angst,
Kompromiß und brutaler Zwang schreien steingeworden zum Himmel.
Das ist die Situation.
Habt ihr zum Leben kein Vertrauen, hat das Leben kein Vertrauen zu
euch. Darum ekelt es euch, in euren Städten zu leben, darum kann
kein Raffinement des Gesetzes Freude an euren Wohnungen geben.
Sorgen wir doch dafür, daß dieser ganze Wust von törichten Hem-
mungen über Bord geworfen wird, fürchten wir uns doch nicht vor
Härten und Häßlichkeit, wenn wir damit statt trauriger Kompromisse
die ganze Fülle und Farbigkeit des Lebens erringen.
Die Menschen sind weder Bösewichter noch Kinder. Nur Arroganz und
unbelehrbare Dummheit können versuchen, sie unter Kuratel zu
stellen. Seien wir bescheiden, sehen wir ein: der Versuch, Vorsehung
zu spielen, ist kläglich gescheitert, Versündigung am Menschen,
belanglos guter Wille, Hilfsbereitschaft.
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