Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
174

den Hohenstcin'schcn Prozeß und an seine schöne Klientin.
Sein Vorstellungsvcrmögen wurde ausschließlich durch
Hertha's liebliches Bild in Anspruch genommen, und
als er endlich sein Zimmer aufsuchte, schlief er mit einer
sanft verdämmernden Erinnerung an die flüchtige Be-
gegnung im Walde ein.
Irgend ein starker äußerer Eindruck war cs, der ihn
nach einem Schlummer von wenig Stunden weckte. Er
fuhr erschrocken empor, aber er mußte die geblendeten
Augen sogleich wieder schließen; denn das ganze Zimmer
war von einer grellen, zuckenden, bläulichen Helle er-
füllt, die auch den entferntesten Gegenstand deutlich er-
kennen ließ wie im vollen Tageslicht. Dann rollte ein
furchtbarer, knatternder Donnerschlag über seinem Kopfe
dahin, lang anhaltend, als würde er von zehnfachem
Echo zurückgcworfen, und erst, nachdem sein Grollen
endlich erstorben war, wurde wieder das Prasseln und
Plätschern des wolkcnbruchartigen Regens vernehmlich,
durch welches Mahlungen eben aus dem Schlafe auf-
geschreckt worden war.
Einer alten Gewohnheit, die noch aus den Tagen
seiner Kindheit stammte, getreu, erhob sich der Rechts-
anwalt von seinem Lager und kleidete sich an. Es
mußte ein ungewöhnlich schweres Gewitter sein, welches
sich da über der Umgebung von Hohenstein entlud, denn
die einzelne» Schläge folgten in kurzen Zwischenräumen
aufeinander, und manchmal schien die Erde zu erzittern
unter ihrer Wucht.
Wie jeder Naturfreund hatte Währungen eine be-
sondere Vorliebe für diesen Aufruhr der Elemente, und
er trat an das niedere Fenster seines Zimmers, nur ihn
von dort aus besser beobachten zu können. Die näch-
tige Finsterniß war allerdings so dicht, daß sich nicht
einmal die zunächst befindlichen Gegenstände erkennen
ließen; aber jedesmal, wenn ein grell aufzuckcnder Blitz
die schwarze Wolkenmasse für einen Moment zerriß,
offenbarte sich die ganze Gewalt des Univetters an den
von der Wucht des Orkans bogenförmig gekrümmten
Bäumen, an den matt aufblinkcnden Lachen und Seen,
welche der unablässig niederströmcnde Regen auf der
Dorsstraße bereits gebildet hatte, und an den kleinen
weißen Schaumkronen auf dem mit rasender Schnellig-
keit d-Ust TSf-w m Wasser des zu einem reißenden
. w an . w-' men Baches.
r-.ncb ... u;ai. des Hauses wurde es nun lebendig,
oea w nsm geöffnet und wieder zugcworfen, laute
.. o'n -.. -- und hastige, klappernde Schritte eilten
ä v ' - ; ad Gänge. Dann pochte cs derb an
.w Thür von Mohrungen'S Zimmer, und als der
Rechtsanwalt öffnete, sah er den Wirth selbst mit auf-
geregtem Gesicht und in nachlässig übergeworfener
Kleidung vor sich stehen.
„Ah, Sie sind schon auf, Herr Doktor!" sagte er.
„Ich hielt cs für meine Pflicht, Sie zu wecken; denn
das ist ja ein Unwetter, wie wir's seit vielen Jahren
nicht mehr erlebt haben, und wenn ich auch einen Blitz-
ableiter auf dem Dache habe, so kann man doch nie-
mals wissen, was nm Ende geschieht. Haben Sic nicht
vorhin den fürchterlichen Schlag gehört? Blitz und
Donner waren völlig eins. Es muß irgendwo ganz in
unserer Nähe eingeschlagen haben."
Fast in demselben Augenblick ertönte von draußen
ein Hornsignal und der langgezogcne Ruf einer mensch-
lichen Stimme, der in dieser Sturmnacht einen ganz
eigenen, schauerlichen Klang hatte.
„Das ist Feuer!" meinte der Wirth. „Sagte ich's
Ihnen nicht? Es hat Angeschlagen und gezündet."
„Haben Sie denn eine Feuerwehr im Orte?"
„O ja! Der alte Fürst hat die Löschgeräthschafteu
gestiftet und uns auch einüben lassen. Ich gehöre selber zur
Mannschaft, und Sie werden darum entschuldigen, Herr
Doktor, wenn ich mich keinen Augenblick länger auf-
halten darf."
Er lief unter Zurücklassung seiner Laterne die Treppe
hinab, und Mohrungcn folgte ihm nach, nachdem er sich
rasch in seinen Reiseplaid gehüllt hatte.
Die ganze Einwohnerschaft des Hauses war jetzt
unten im Gastzimmer beisammen, lind auch von draußen
her kam Dieser und Jener, um sich für seine schwere
Pflicht im Dienste der Nächstenliebe durch einen kräf-
tigen Trunk zu stärken.
„Bei dem Käthner Kossak im unteren Dorf hat's
gezündet," meldete einer der Leute. „Es ist noch eins
von den wenigen Häusern mit einem Strohdach, und
ich glaube nicht, daß an der alten Baracke etwas zu
retten sein wird."
„Die armen Leute!" sagte der gutmttthige Wirth
bedauernd. „Es ist recht traurig, daß cs gewöhnlich
gerade die Elendesten und Bedürftigsten treffen muß!
Aber nun vorwärts, Kinder! Zum Trinken habt ihr
auch nachher Zeit genug, und ob noch etwas zu retten
ist oder nicht: unsere Pflicht und Schuldigkeit müssen
wir jedenfalls thun."
Die Leute machten sich auf den Weg, und Mohrungen
schloß sich ihnen stillschweigend an. Das Gewitter tobte
noch immer in unverminderter Heftigkeit fort, aber der
blutrothe Feuerschein würde ihm jetzt auch ohne die
Führung der ortskundigen Männer den Weg gezeigt

Das V ii ch für All c
haben, und an der Lebhaftigkeit desselben ließ sich deut-
lich genug erkennen, daß die Rettung hier sehr schnell
kommen mußte, wenn eS nicht überhaupt zu spät für
jede Hilfe war.
Das Spritzenhaus, an dein sie vorüberkamen, ivar-
leer. Es mußten also Andere, die der Unglücksstätte
näher wohnten, schneller gewesen sein als sie. Aber
ivcnn ein gewisser Trost in diesem Gedanken lag, so
schwand er nur zu rasch wieder dahin Angesichts des
Bildes, das sich ihnen nm Ziele ihrer beschwerlichen
Wanderung durch das Unwetter bot.
Das Haus des Käthners Kossak lag in einer kleinen
Einsenkung des hügeligen Geländes und brannte lichter-
loh. Selbst die bestgeschulte Löschmannschaft würde wahr-
scheinlich hier auf jeden hoffnungslosen Versuch verzichtet
haben, der Wuth des zerstörenden Elementes Einhalt
zu gebieten. Aber die freiwillige Feuerwehr von Hohen-
stein schien weder sonderlich unternehmungslustig, noch
wohlgcschult zu sein. An der Spritze war irgend etwas
in Unordnung gerathen, das sich nicht sogleich wieder
in Stand setzen ließ; auch stellte es sich heraus, daß der
Kominandant heftiger Gichtschmerzen wegen sein warmes
Bett nicht verlassen hatte, und es entspann sich unter
den klebrigen ein kleiner Streit, wer an seiner Stelle
die Führung zu übernehmen habe. Augenscheinlich ver-
spürte Keiner große Lust, sich um einer verlorenen Sache
willen einer Anstrengung oder gar Gefahr auszusetzen,
um so weniger, als bei der günstigen Windrichtung die
übrigen Häuser des Dorfes nicht bedroht schienen, und
die ganze Löschmannschaft sah darum aus gehöriger Ent-
fernung dem Feuer mit lebhaftem Interesse, aber so gut
wie unthätig zu.
Der Gastwirth, welcher wohl eine der wichtigsten Per-
sönlichkeiten im Orte sein mochte, machte den Leuten Vor-
würfe über ihre Unentschlossenheit und fragte, ob denn
vor Allem die Bewohner des Hauses geborgen seien
und ob man wenigstens einen Theil ihres Besitzthums
habe retten können.
„Ja, die Kossaks sind drüben in dem alten Schuppen
des Stellmachers Lellau," wurde ihm zur Antwort.
„Und Einiges von ihren Sachen haben sie wohl selbcr
mit herausqeschleppt. Aber es ist ja nichts als werth-
loses Gerümpel."
„Die Alte jammert immerfort, daß ihre beiden
Ziegen verbrennen müßten," mischte sich ein Anderer
ein. „Ich glaube, wenn sie nicht halb gelähmt untre,
würde sic jetzt noch versuchen, die Thiere ans dem
brennenden Stall hcrauszuholen."
„Und hatte Keiner von euch den Muth dazu, so
lange es noch Zeit gewesen wäre?" fragte der Gast-
wirt!) vorwurfsvoll. „Die Kossaks haben ja außer ihrem
alten Gerümpel und den beiden Ziegen nichts. Ver-
sichert sind die ganz gewiß nicht, und euch würde cs
nicht gleich an's Leben gegangen sein, wenn ihr auch
'mal hättet etwas Rauch schlucken müssen.".
„Ach, die sind ja längst erstickt," meinten die An-
deren. „Und am Ende riskirt man doch nicht sein Leben
für ein Paar Ziegen."
„Wollen Sie mir nicht den Schuppen zeigen, in
welchem sich die Abgebrannten befinden?" bat Mohrungen
den Gastwirth, und bereitwillig führte ihn der Mann
ein Stück Weges in der Richtung nach der Landstraße
zurück.
„Die Bretterbude da ist es," sagte er, auf ein halb
offenes und höchst gebrechliches Bauwerk deutend. „Der
Stellmacher läßt sic verfallen, weil er sich einen mas-
siven Schuppen weiter oben im Dorfe gebaut hat."
Sic hatten den Schrippen erreicht und da eine Thür
nicht vorhanden war, konnten sic sich die Mühe des
Anklopfens ersparen. Eine Stalllatcrnc, die auf dem
regennassen Fußboden stand und die bläuliche Helle der
noch immer in rascher Folge aufzuckendcn Blitze be-
leuchteten ihnen ein Bild des Jammers und der Ver-
zweiflung, wie es Hermann Mohrungcn trotz seiner
mannigfachcu Erfahrungcn glcich trostlos und herz-
zerschneidend bisher kaum gesehen hatte.
In dem Schuppen, der bis auf einen Stapel
alter Bretter ganz leer war, hatten die vom Feuer
Heimgesuchtcn Alles untergcbracht, was von ihrer gc
ringen Habe einen Werth für sie haben mochte. Und
ihre Armuth konnte nicht deutlicher offenbart werden,
als durch die Beschaffenheit des Hausraths, den sie da
gerettet hatten. Aber jammervoller als der Anblick
dieser zerbrochenen Möbel, dieser geflickten Strohsäckc
und verbeulten blechernen Küchcngeräthc war doch das
Bild, welches, die Abgebrannten selber darboten.
Der Käthner Kossak, ein bleicher, schlottriger Mensch,
dein Krankheit und Noth aus eingefallenen Wangen und
tiefen Leidenslinien deutlich genug vom Gesicht zu lesen
waren, schien von dem Mißgeschick, das über ihn herein-
gebrochen war, vcrhältnißmäßig noch am wenigsten be-
rührt. Er saß regungslos auf dem Bretterstapel an
der Hinteren Wand des Schuppens, die Ellenbogen auf
den Kniccn und den Kopf in beide Hände gestützt. Mit
leerem, gläsernem Blick stierte er vor sich hin und ver-
änderte seine Stellung auch nicht, als er die beiden
Männer cintrctcn sah. Er mußte entweder betrunken
oder in jene stumpfe Theilnahmlosigkcit verfallen sein,

Ljtst 7.
die das Uebermaß des Unglücks bisweilen im Gefolge
hat. Auf die Fragen des Gastwirths hatte er so wenig
eine Antwort als auf den ermuthigenden Zuspruch des
Fremden, und es war nicht zu verkennen, daß er für
jeden Trost und jede Ermunterung völlig unzugänglich
bleiben werde, so lange er sich in diesem Zustande befand.
Neben ihm kauerten auf einer Art von Matratze zwei
Kinder im Alter von etwa fünf und sieben Jahren. Das
jüngere von ihnen, ein hübscher, flachslockiger Bube,
hatte seinen Kopf in den Schoß der Schwester gelegt
und ivar inmitten all' der Schrecknisse dieser Gewitter-
nacht cingeschlafen. Das Mädchen schlief nicht, und eS
war rührend anzusehen, wie es mit seiner eigenen dürf-
tigen Kleidung den Bruder gegen Kälte und Nässe zu
schützen suchte, obwohl eS selber vor Frost nm ganzen
Körper zitterte.
Neben ihnen, dem Eingang des Schuppens am
nächsten und der Unbill des Wetters am meisten aus-
gesetzt, hockte zwischen dem geretteten Hausrath ein aüeS
Weib von fast hexenartigem Aussehen. In wirren
Strähnen hing das spärliche graue Haar um ihre Stirn,
ihre kleinen, tiefliegenden Augen waren roth umrändert,
und ihr zahnloser Mund war in beständiger Bewegung,
wie wenn sie mit unsichtbaren Geistern eine Unter-
haltung führte, von der gewöhnliche Sterbliche nichts zu
vernehmen vermochten. Sic hielt ein Päckchen auf dem
Schoße, das man wohl hätte für einen Bündel Lumpen
halten können, wenn nicht feine, quäkende Klagclautc,
die zuweilen daraus hervordrangen, seinen lebendigen
Inhalt verrathen hätten. Von dem Gesicht des kleinen
Kindes, das die Alte durch eine wiegende Bewegung dcr
Kniee einzuschlüfern suchte, war nichts zu sehen, denn
in gutgemeinter Fürsorge hatte das Weib eine blaue
Schürze darüber gebreitet, und die wimmernden Töne,
die unter dieser Hülle vernehmlich wurden, hatten infolge
dessen etwas beängstigend Athemloses und Röchelndes.
„Machen Sic doch dem .Kindchen den Mund frei,
liebe Frau," mahnte der Rechtsanwalt freundlich. „Sie
bringen eS ja in Gefahr, zu ersticken."
Die Alte sah ihn zuerst verständnißlos an; dann
schüttelte sie entschieden den Kopf.
„Was verhungern soll, das erstickt nicht," stieß sie
mit einer rauhen männlichen Stimme hervor. „Und
wir müssen Alle verhungern — Alle! Die Life ist ver-
brannt und die Hanne. Wovon sollen wir denn jetzt
leben?"
„Die Life und die Hanne? Das sind doch wohl nur
Ihre Ziegen — nicht wahr?"
„Ja! Ich habe sie klagen und schreien hören — eS
war genau, als, ob kleine Kinder schrien. Und jetzt
können wir miteinander hier in dem Schuppen ver-
hungern."
„Sie werden nicht verhungern, gute Frau! Und Sie
können mit den kleinen Kindern hier auch nicht länger-
bleiben. Ist der Mann dort Ihr Sohn?"
Die Alte machte eine geringschätzige Bewegung mit
dem Kopfe.
„Mein Schwiegersohn ist cs — Kott sei's geklagt!
Schon ein Jahr nach der Hochzeit fing das mit seiner
Krankheit an. Wenn er 'mal ein paar Monate lang
gearbeitet hatte, lag er wieder aus so und so viele
Wochen fest, und meine Tochter mußte für Alles auf-
kommen. Und dann, als das Elend immer größer-
wurde, fing er sogar noch an zu trinken, und. seitdem
ist's mit dem Arbeiten natürlich vollends auS. Meine
Tochter ist gestorben, als das arme Würmchen hier zur
Welt kam, und das war das Beste für sie! Wir An-
deren aber haben seitdem jämmerlich genug gelebt von
dem, was ich mit meinen gichtkrummen Fingern zu-
sammenstricken konnte und von dem, was uns die Life
und die Hanne hergaben. Gehungert haben wir oft
genug; aber wir hatten doch wenigstens ein Dach über
dem Kopfe. Jetzt ist Alles aus! Was aus dem da
wird, ist mir ganz egal, und um mich selber habe ich
wohl auch nicht lange mehr zu sorgen; denn ich habe
meine fünfundsicbzig hinter mir und spüre schon öfters
so ein Brennen in allen Eingeweide», wie es meine
Mutter auch hatte, bevor sic starb. Aber die Würmer -
die armen, unschuldigen Würmer — was soll aus denen
werden!"
Es wäre unmöglich gewesen, ihren Redestrom zu
unterbrechen, und Mohrungen hatte es auch nicht ver-
sucht; denn er wußte, daß man das Vertrauen solcher
Leute nur gewinnen kann, wenn man sie nicht daran
hindert, ihrem Herzen aus ihre Weise Luft zu machen.
Geduldig hatte er ihr zugehört, und nun sagte er mit
gewinnendster Freundlichkeit: „Muth, Mutter, Muth!
Es mag schlimm aussehen, aber zum Verzweifeln ist's
immer noch zu früh. Ucbcr das, was später werden
wird, wollen wir morgen reden; jetzt kommt es vor
Allem darauf an, Sie und die Kinder von diesem un-
gesunden Orte hinweg unter ein schützendes Obdach zu
bringen. Würden Sie im Stande sein, ein kurzes
Stück Weges zu gehen?"
Wieder schüttelte die Alic mit großer Bestimmtheit
den grauen Kopf. „Ich kann's nicht, und wenn ich's
auch könnte, so würde ich's doch nickst thun, so lange
meine Sachen hier liegen und von dem Erstbesten
 
Annotationen