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330

Das Bu ch für All e.

gerichteten dunklen Augen erhielten einen eigen-
ihümlich forschenden Ausdruck, „aber gerade deshalb
hätten sie sich zunächst vertrauensvoll an mich wenden
sollen. Mit Freuden märe ich zu jedem Opfer bereit
gewesen, ihnen das neue Heim lieb und werth zu machen,
zumal jetzt, nach dem Niederschlagen des Aufstandes,
Angriffe auf Leben und Eigenthum nicht mehr zu be-
fürchten sind."
„Auch das würde keinen Einfluß aus ihren einmal
gefaßten Entschluß ausüben," versetzte Lionel mit einer
gewissen Entschiedenheit, „sie wurden nämlich darüber
belehrt, daß die Farm noch immer Eigenthum eines
gewissen Werbeland sei, der also jeden Tag erscheinen
kann, um sie von seiner Besitzung zu vertreiben."
Flüchtig entzog Dionysia ihr Antlitz seiner Auf-
merksamkeit. Es >var eine unwillkürliche Bewegung,
die sie in der nächsten Sekunde bereute. Zugleich streifte
ihr gleichsam stechender Blick Vincenti, der sie fort-
gesetzt mit düsterer Spannung überwachte. Nicht die
unscheinbarste Wandlung in ihrer Haltung übersah
Lionel. Er entdeckte daher, daß, als sie sich ihm wie-
der zukehrte, das blühende Roth ihrer Wangen etwas
Heller geworden war, während der in der verborgensten
Tiefe ihrer Augen versteckte unheimliche Triumph in
seltsamem Widerspruch mit dem um ihre Lippen schweben-
den milden Lächeln stand.
„Das ist eine verwickelte Angelegenheit," meinte sie
nachdenklich, „zu verwickelt, um einem mit den Verhält-
nissen wenig Vertrauten schnell einen einigermaßen
klaren Einblick in sic verschaffen zu können. So viel
ich weiß, ging die Farm von dem verschollenen Werbe-
land in den Besitz eines gewissen Cenador über," und
der in ihren Augen wohnende Triumph erhielt einen
Auslug von Grausamkeit, „des früheren Eigentümers
meiner anderen Sügemühle. Haben da Unregelmäßig-
keiten stattgcfunden, so fallen sie ihm zu Last. Seit-
dem Cenador aber für eineu begangenen Mord hin-
gerichtet wurde, ist eine eingehende Prüfung der Sachlage
unmöglich geworden."
Bei Erwähnung Cenador's hatte Vincenti sich ihr
zugeneigt. Mit geöffneten Lippen blickte er aus sie,
während die heftige Erregung ihm den Athem zu rau-
ben schien. Lionel erschrak. Leicht errieth er, daß
Dionysia in dem angeblichen Labour längst ihren
Schwestersohn ahnte und durch die verhängnißvolle
Redewendung sich Gewißheit darüber zu verschaffen,
zugleich aber eine entscheidende Katastrophe herbeizuführcn
trachtete. Gleichsam unwillkürlich hob er die Hand
abmehrend. Dionysia gab sich das Ansehen, die War-
nung nicht zu bemerken, und beendigte den begonnenen
Satz mit erheuchelter Sorglosigkeit, jedoch vorsichtig ver-
meidend, Vincenti's Blicken zu begegenen. Auf diesen
aber hatte die furchtbare Kunde geradezu vernichtend
eingewirkt. Todtenbleich war er auf seinen Stuhl
zurückgesunken. Einer verhaltenen Wehklage ähnlich
lugte es aus seinen großen Augen, die indessen gleich
darauf in Haß und Entsetzen gleichsam sprühten. Doch
gewohnt, sich von Lionel blindlings leiten zu lassen, suchte
er dessen Blick. Er verstand den ihm ertheilten Wink, und
sich erhebend, schritt er schwerfällig aus dem Zimmer.
Besremdet sah Dionysia ihm nach. Erst nachdem
die Thür sich hinter ihm geschlossen hatte, kehrte sie
sich Lionel mit dem befangenen Lächeln eines unschuldigen
Kindes zu, und seine heftige Erregung gewahrend,
fragte sie theilnahmsvoll: „Was fehlt dem jungen
Menschen —"
„Nicht mehr und nicht weniger," fiel Lionel mit
schwer bekämpfter Entrüstung über diese neue versuchte
Täuschung ein, „als daß Sie den Sohn Ihrer unglücklichen
Schwester über etwas aufklärtcn, das vor ihm geheim
zu halten mir bis jetzt eine heilige Aufgabe gewesen."
„Der Sohn meiner verstorbenen Schwester!" rief
Dionysia erstaunt aus. „Mein Gott, weshalb führten
Sie ihn denn unter einem falschen Namen hier ein?
Wie viel anders hätte ich mich ihm gegenüber gestellt,
wäre man ehrlicher zu Werke gegangen. Dafür verlor
ich jetzt sein Vertrauen — doch ich will nicht müde
werden, Alles aufzubieten, ihn dennoch zu mir heran-
zuzichen — wie die alten schmerzlichen Erinnerungen
wieder lebendig werden - sprechen wir von anderen
Dingen. Ich muß mich zuvor an den Gedanken der
Rettung des armen Kindes gewöhnen: dann aber will
ich sehen, was ich für den jungen Menschen thun kann."
„Kommen wir also auf die Wheelers zurück," nahm
Lionel wieder höflich das Wort, „und da erlaube ich
mir als deren Vertreter darauf aufmerksam zu machen,
daß Ihr Eigenthumsrecht auf die Farm keineswegs er-
wiesen —"
„Sie ist dennoch mein Eigenthum," unterbrach Dio-
nysia ihn etwas lebhafter: „da sic über den unglückseli-
gen Cenador hinweg meiner Schwester zufiel, diese aber
sammt ihrem Kinde zu den Todten und Verschollenen
gezählt wurde, war ich die nächste und einzige Erbin."
„Was nach dem Auftnuchen Vincenti's sich natürlich
ändert," fügte Lionel, wie etwas Selbstverständliches
erwähnend, hinzu.
Dionysia preßte die Lippen aufeinander, erwicderte
aber freundlich: „Wird der junge Mann wirklich als

der Sohn meiner Schwester anerkannt, dann soll eS
meine Ausgabe sein, ihm, wenn auch nicht hier, dagegen
auf eiuer anderen Stelle ein gutes Fortkommen zu
sichern. Doch lassen wir ihn zur Zeit. Ich wiederhole,
das ungeahnte Ereignis; brach zu jäh auf mich herein,
um mich schnell hineinfinden und für irgend einen
Entschluß entscheiden zu können."
„Einen solchen anzubahnen, dürfte es dagegen sicher
nicht zu früh sein," versetzte Lionel hart, „denn es
handelt sich ja nicht allein darum, das für die Farm
empfangene Geld zurückzucrstatten, sondern auch um den
Besitz der anderen Mühle. Ich setze nämlich voraus,
daß der auf Werbeland entfallende Antheil an der
Mühle nebst dazu gehörender Waldung gebucht wurde
und daher leicht von dem ungeschmälerten Erbtheil
Vincenti's getrennt werden kann."
Dionysia sah durchdringend in Lioncl's Auge. Eine
Ahnung stieg in ihr auf, daß der Zweck seines ersten
Besuches sich nicht auf die Sorge um ihren Schwester-
sohn beschränke, sondern weit über diese hinaus reiche.
Das auch auf ihrem schönen Antlitz sich ausprägende
Erstaunen ging indessen bald in einen sprechenden
Ausdruck herzlichen Vertrauens über, und wunderbar
einschmeichelnd klang ihre Stimme, indem sie anhob:
„Herr Lionel, ich glaube, die Ueberzeuguug hegen zu
dürfen, alle Pflichten der Gastfreundschaft gewissenhaft
erfüllt zu haben, Ueberschritt ich sogar hier und da
die üblichen Grenzen, so daß es als eine Bevorzugung
Ihrer Person hätte gedeutet werden können, so war
das nur der unverfälschte Beweis für vielleicht etwas
mehr, als freundschaftliche Gesinnungen — Sie sehen,
ich spreche mit rückhaltloser Offenheit. Dadurch aber
konnte Ihnen nimmermehr das Recht eingeräumt wer-
den, wenn auch aus Theilnahme für den jungen Mann,
einen begutachtenden Blick in meine Vcrmögensverhält-
nisse zu werfen, wohl gar einen Eingriff in dieselben
sich zu erlauben."
„Ihre Zweifel erkenne ich als gerechtfertigt an,"
erwicderte Lionel, nnd ernste Spannung spiegelte sich
in seinen Zügen, „bin aber meinerseits überzeugt, daß
Sie mein kkrtheil nicht verwerfen, wenn ich mich als
den Vertreter und Bevollmächtigten Jemandes ausweise,
der durch mancherlei Umstünde verhindert war, persönlich
vor Ihnen zu erscheinen," und mit dem letzten Wort
zog er den Talisman hervor, ihn Dionysia so weit
entgegenhaltend, wie die um seinen Hals laufende
Schnur es erlaubte.
Nur einen Blick warf Dionysia auf die Münze,
dann erzeugte es den Eindruck, als wäre ein lähmender
Blitzstrahl auf sie herein gefahren. Sich zurücklehnend,
verharrte sie sprachlos. Die anfänglich ihr Antlitz über-
strömende Gluth erlosch alsbald wieder. Ihr Busen
hob und senkte sich so heftig, wie bei einem Erstickungs-
anfalle. Hörbar entwanden sich die tiefen Athemzüge
den üppigen Lippen. In ihren glänzend dunklen Augen
aber webte ein Heer entfesselter böser Dämonen, die
untereinander im zügellosen Kampf um die Alleinherrschaft
begriffen. Lionel dagegen gewann angesichts der gleich
sam kopflosen Bestürzung die Ueberzeuguug, daß Pad-
leton, entgegengesetzt seiner Vermuthung, die Entdeckung
des Talismans vor ihr verheimlicht hatte.
„Das konnte ich freilich nicht erwarten," sprach sie
nach einer Weile angestrengten Erwägens, ihre Worte
vorsichtig abmessend: „Sie hingegen wird es nicht über-
raschen, wenn der erste Anblick des Kleinods mich über-
wältigte, mir fast die Besinnung raubte. Mag dessen
eigentlicher Besitzer immerhin als gebrandmarkter Mör-
der dastehen: das hindert nicht, daß plötzlich Erinnerun-
gen erwachten, die, obwohl in ferner Vergangenheit
geboren, bis zum heutigen Tage nichts von ihrer er-
greifenden Wirkung einbüßten."
„Sie erkennen die Echtheit an?" fragte Lionel.
Dionysia neigte sich ihm zu, nahm die Münze, und
sie zwischen den Fingern drehend, prüfte sie das Ge-
präge aufmerksam. Indem sie dieselbe wieder freigab,
seufzte sie schmerzlich, wie nach einem schweren Verlust,
und zögernd folgten die Worte: „Die Echtheit kann
nicht angezweifelt werden. Als ich sie zum letzten Male
vor Augen hatte, wurde sie gerade oberhalb des Kopfes
des Erzengels von schwachen, zitternden Händen mühsam
durchbohrt: es kann also keine Fälschung stattgefunden
haben. Die neu hinzugefügten Oeffnungen ändern
daran nichts. Sie werden ebenfalls jede ihre besondere
Bedeutung haben," und wie nach einer Lösung der sich
daran knüpfenden verschiedenen Räthsel suchend, sah sie
auf Lionel.
„Unstreitig," bestätigte dieser feierlich, „Bedeutungen,
die sich als zuverlässig auswiesen und m ihren Folgen
mich über alle Erwartung befriedigten. Wie weit ich
Aehnliches von dem ersten Merkmal werde behaupten
dürfen, hängt von Ihnen ab. Daß Sie mir Gelegen-
heit bieten, meine Nachforschungen mit Erfolg zu Ende
zu führen, wage ich zu hoffen, aber kaum zu glauben."
„Es kommt darauf an, wie weit Sie von Werbeland
für die Ihnen zuerkannte Aufgabe vorbereitet wurden."
„Ich schied von ihm ohne jegliche Vorbereitung.
Er überreichte mir die Münze als ein Andenken, wie
ich wähnte, und sprach ihr die einzige Eigenschaft zu,

Akt 14.

mir das Eindringen in Kreise zu ermöglichen, in denen
er selbst sich einst heimisch fühlte."
„Und gab Ihnen keine besonderen Aufträge?"
„Keine. Solche entstanden erst, durch mancherlei
Ereignisse herbeigeführt, auf meinem Wege jedesmal
da, wo ich die Münze gewissermaßen als Talisman
benutzte."
„Fluchte er Jemand, oder warnte er Sie vor Diesem
oder Jenem?" forschte Dionysia weiter, und heimliches
Zagen einte sich mit der theilnahmvollen Spannung
des Blickes, die in seltsamem Widerspruch stand mit der
Gehässigkeit, in der sie zuvor Werbeland's gedachte,
mit dem Umstande, daß sie nicht die kleinste Frage
betreffs des Endes ihrer Schwester erhob.
„So lange ich mit ihm verkehrte, hörte ich nie ein
von Feindseligkeit getragenes Wort von ihm."
Dionysia sah grübelnd vor sich nieder. Sie mochte
sich Denjenigen vergegenwärtigen, der die Münze so
viele Jahre hindurch wie ein Heiligthum bewahrte.
Welcher Art aber die Empfindungen, die daraus ent-
sprangen, das zu ergründen hätte Lionel die Gabe
besitzen müssen, in ihr tiefinncrstes Gemüthsleben ein-
zudringen. In ihren jetzt ruhig verschlossenen Zügen
offenbarte sich nichts.
„Ich vermuthe, er änderte seinen Namen," bemerkte
sie nach einer Weile träumerisch, ohne auf,zusehen.
„Ich lernte ihn als einen Herrn Jonas kennen,
und der bleibt er für mich, bis er selbst mich eines
Anderen belehrt. Ich schätze und achte ihn zu hoch,
um seinen unausgesprochenen Wünschen nicht jederzeit
peinlich Rechnung zu tragen."
In Dionysia's Antlitz flackerte es auf wie vor er-
wachender Leidenschaftlichkeit. Förmlich überstürzt floß
von ihren Lippen: „Ja, er war ein achtungSwcrther,
aber auch ein schöner Mann —" sie verstummte er-
schrocken, biß flüchtig auf die Unterlippe; ihre Augen
funkelten unverkennbar feindselig, während sie wieder
anknüpfte: „Doch zu was halfen ihm diese Vorzüge?
Sie konnten ihn nicht davor bewahren, einen berechneten
Mord zu begehen. Ich setze voraus, Sie wurden be-
reits ausgiebiger darüber unterrichtet."
„Mehrfach. Wo ich durch Vermittelung der Münze
Zutritt fand, hörte ich aber auch jedesmal die Betheue-
rung, daß man ein derartiges Verbrechen ihm nimmer
mehr zugetraut hätte."
„Und doch beging er es mit kalter Ueberleaung an
einem mir Nahestehenden."
Jetzt sah Lionel scharf in die zu ihm erhobenen
dunklen Augen. Er konnte nicht fassen, was er ver-
nahm.
„Sollte nicht dennoch die Möglichkeit einer falschen
Anklage vorliegen?" fragte er zögernd.
„Undenkbar. Erdrückende Beweise waren zur Hand.
Hütten noch Zweifel gewaltet, sie wären durch seine jähe
Flucht beseitigt worden."
Lionel neigte das Haupt. Die Brauen tief run-
zelnd, ging er mit sich zu Rathe, wie er die ihm zu
Gebote stehenden Gegenbeweise am wirkungsvollsten
ausnutzen könne. Zugleich fühlte er gleichsam die auf
ihn gerichteten Blicke. Erst nach längerem Zaudern
sah er wieder auf und in das schöne Antlitz, in dem
sich eine eigenthümliche Unruhe ausprägte.
„Ich schicke voraus," begann er höflich, „daß ich
unser Gespräch als ein solches betrachte, das für keine
anderen Ohren, als die unserigen bestimmt ist."
„Sofeierlich?" bemerkte die geschmeidige Südländerin
beinahe muthwillig.
„Nur der Gelegenheit entsprechend," nahm Lionel
seine Mittheilungen wieder auf; „wie ich selbst im
Verfolg meiner Aufgabe, wo ich gehe und stehe, auf
Geheimnisse stoße, in die über eine bestimmte Grenze
hinaus einzudringen mir verwehrt ist, bin ich auch,
schon allein aus Pietät für meinen verehrten Freund,
bereit, alles zwischen uns zur Sprache Kommende als
mir nicht gehörendes Eigenthum zu betrachten."
„So viel Theilnahme für einen Mörder?" floß es
wie unbewußt uud doch berechnet von Dionysia's Lippen.
„Sie glauben selbst nicht, was Sie behaupten," er-
widerte Lionel nunmehr in seiner Verachtung ungeduldig,
und das Taschenbuch hervorziehend und aufschlagend,
hielt er Dionysia das entscheidende Zeugnis; vor Augen;
„das hier schrieb Padleton nur wenige Minuten vor
seinem Tode mit dem eigenen Blute."
Mit einem einzigen Blick erfaßte Dionysia den
Inhalt der Schrift. Dann drohten die letzten Kräfte
ihr zu versagen. Ihre sonst so zuversichtliche Haltung
erschlaffte. Auf ihr Antlitz trat die Farbe einer Ge-
storbenen. Starr hingen ihre Blicke an den häßlich
rothen Zeilen.
„Todt, Padleton todt," lispelte sie entsetzt, „ich
ahnte es, als er aufbrach, um gegen die Aufständischen
zu fechten — er starb eines gewaltsamen Todes —
wodurch wurde sein Ende herbeigeführt?"
„Sie kannten seinen Haß gegen mich. Nach Miß-
glücken des ersten Versuches, sich meiner, den er durch-
schaute, zu entledigen, unternahm er, gemeinschaftlich
mit einer Rotte Wilder, einen zweiten, dem er selbst
zum Opfer fiel. Was Ihnen leicht wurde: Vincenti über
 
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