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Das Bu ch f ü r A l l c.

HM 14.


das traurige Ende seines Baters aufzuklären, das ge-
wann er angesichts des unabwendbaren Todes nicht
über sich. Dadurch und mit diesem Zeugnis; sühnte er
wenigstens einen Theil dessen, was er gegen Werbcland
und den Sohn Ihrer Schwester verbrach. Oder sollten
Tie wirklich den vernichtenden Schlag nach dem ehren-
werthen jungen Mann ahnungslos geführt haben?
Sollte Ihnen, trotz der näheren Beziehungen zu Pad-
letou, fremd geblieben sein, das; Werbeland nie die
Hand meuchlerisch nach einem Mitmenschen ausstreckte?"
„Beziehungen?" fuhr Dionysia schnell gefaßt scharf
aus, indem cs gehässig aus ihren Augen sprühte. „Sie
scheinen Sträfliches hinter denselben zu suchen. So
wögen Sie denn wissen, daß die Beziehungen zwischen
ihm und mir nicht über den genau begrenzten Geschäfts-
verkehr hinausreichten, in dem Jeder das Seinige ver-
trat. Er ist jetzt todt, und ich athme auf. Was aber
an meinem Thun und Lassen zweifelhaft erscheint, als
Ungerechtigkeit gedeutet werden könnte, ist einzig und
allein auf ihn und seine Handlungen zurückzuführen."
Sinnend betrachtete Lionel die mit so vielen ver-
lockenden Reizen geschmückte Fran, die in ihrer heftigen
Aufregung mit einer gereizten Hyäne zu vergleichen
sich ihm aufdrüngte. Wo lag die Grenze der Wahrheit
ihrer leidenschaftlichen Betheuerungen, wo begannen
Täuschungen und Entstellungen von Thatsachen? Was
aber mußte zwischen ihr und Padleton geschwebt haben,
daß sie so viele Jahre hindurch Eines von dem Anderen
gewissermaßen abhängig gewesen waren, und daß sie
jetzt, mehr noch im Herzen, als mit Worten, seinen
Tod als einen von ihrer Seele gewichenen Bann mit
heimlichem Frohlocken begrüßte?
„Sprach ich von Beziehungen," hob Lionel unter
den auf ihm ruhende» glühenden Blicken wieder an,
„so konnte das nur ein Ausdruck oer Vermuthung sein,
daß, wenn Padleton in glaubwürdiger Weise die Un
schuld Werbeland's mit dem letzten Athemzug verbürgte,
dieser Umstand auch Ihnen nicht fremd geblieben sein
könne. Der Zusammenhang entzieht sich freilich meiner
Beurtheilung; aber welch' hoher Grad von Edelmuth
gehört dazu, um Anderer willen — und den Eindruck
erzeugt es — sich mit einem Brandmal durch's Leben
zu schleppen, ohne Klagen die Folgen ungerechter Feind-
seligkeit zu tragen, von jedem unmittelbaren Versuch
abzustehen, seinen Namen da, wo er vielleicht noch fort-
kebte, von der ihm anhaftenden Schmach zu reinigen!"
„Sollte er in der That keine Anklage gegen Die-
jenigen aufgeworfen haben, von denen er sich geschädigt
wähnte?" umging Dionysia listig das Einrüumen oder
Zurückweisen des Verdachtes, wie Padleton ebenfalls
die Schuldlosigkeit Werbeland's gekannt zu haben.
„Mein Wort ist das eines Mannes, der sich nie
durch eine Falschheit herabwürdigte," erwiederte Lionel
streng; „ich wiederhole daher, was durch meinen Mund
ging, gelangte durch Zufall zu meiner Kenntniß. Solche
Zufälle aber mochten Werbeland vorschweben, als er
wich mit dein Talisman ausrüstete, der dann auch sei-
hen Zweck in ungeahnter Weise erfüllte. Selbst darin
liegt ein klarer Beiveis, daß er sogar da zu schonen
wünschte, wo man im Grunde keine Schonung verdiente.
An mir aber ist es, gewissenhaft in seinem Sinne zu
handeln, zugleich die Hoffnungen rege zu halten, daß
Wan seinem Edelmuth Rechnung trägt, freiwillig im
weitesten Umfange sühnt, wo eine Sühne noch möglich."
Dionysia sah vor sich nieder. Ein Bild längst ver-
gangener Tage mochte ihr vorschweben, ein Bild, das
Ist mit Wehmuth und Trauer erfüllte, ihre Züge er-
hielten allmälig einen milderen Ausdruck. Zwei schwere
Thränen schlichen über ihre Wangen.
„Nachdem unsere Unterredung soweit gedieh, was
erwarten Sie da von mir?" fragte sie nach einer Pause
vhne aufzuschauen, und der Wohlklang ihrer Stimme
war zu rein, um ungekünstelt zu erscheinen.
„Auf die Beantwortung dieser Frage bin ich vor-
vereitet," erklärte Lionel, „nicht mehr als Gerechtigkeit
Erwarte ich. Als unbetheiligter Verteter meines Freun-
ssts Jonas, sogar strengere Gerechtigkeit, als er in
seiner Anspruchslosigkeit und grenzenlosen Herzensgüte
fordern würde."
„Bitte, nennen Sie Ihre Bedingungen."
„Wohlan: zunächst Anerkennung meines Schützlings
sind seiner Rechte. Dahin gehört in erster Reihe, daß
stw das Erbe seiner Mutter, die so lange von Padle-
kon verwaltete Mühle, unverkürzt zugesprochen wird."
„Eine billige Forderung. Ich bewillige sie, ohne
oaß Sie deshalb die Entscheidung eines Gerichtes an-
äürufen brauchen."
. „Irgend welchen Druck auszuüben oder auch nur
swzuleiten, würde schwerlich im Einklänge mit den An-
schauungen Werbeland's stehen. Das ist maßgebend
sür mich."
.--Ich bezweifle, daß der junge Mann geneigt ist, den
besitz anzutreten und sich dauernd hier niederzulassen,"
Meinte Dionysia spöttisch.
, . „Was nicht hindert, sein Eigenthum gesetzlich ver-
lesen zu lassen," erklärte Lionel; „er geht gewiß mit
Freuden daranf ein, wenn ich ihm vorschlage, Wheelcr
und Eliza als Verwalter oder Pächter der Mühle ein

zusetzen und die ausbedungenen Zinserträge unmittelbar
von ihnen einzuziehen."
„Und den Kaufkontrakt über die Farin zu vernichten?"
fragte Dionysia, wieder unter denn vollen Einfluß un-
unbesiegbarer Habgier, mit scharf hervorklingendcm
Hohn.
„Ueber deren Zukunft zu entscheiden, dürfte unter
den obwaltenden Verhältnissen nur als dein Bevoll-
mächtigten Werbeland's zufallen," versetzte Lionel nun-
mehr kühn. „Alles wohl erwogen, würde ich sie der
schwer geprüften Frau Wendworth, die heute noch eine
warme Freundin Werbeland's ist, der die jungen Leute
verdanken, daß sie überhaupt noch unter den Lebenden
weilen, für eine billige Summe käuflich überlassen."
„Lehr großmüthig," lstihnteDionysia wieder, dadurch
Lionel's Unwillen auf's Neue anfachend, und so er
wiederte er kurz:
„Werbeland würde großmüthiger sein. Doch weiter
jetzt mit Ihrer Erlaubnis;. lieber sein Vermögen, das
auf die Mühle eingetragen wurde, darf ich wohl nähere
Auskunft von Ihnen erwarten. Gewiß findet sich bald
Jemand, und wären Sie es selbst, der sich bereit er-
klärte, die Summe abzulösen, so daß ich in die Lage
gerathe, sie an Werbeland zu übermitteln. Ihm sowohl
ivie Ihnen selber kann nur daran gelegen sein, daß die
letzten ihn an dieses Land fesselnden Beziehungen ab-
gebrochen werden."
„Sie fordern viel, ohne zu wissen, ob man Ihre
Bevollmächtigung hier anerkennt."
„Es genügt, wenn sie von Ihnen anerkannt wird.
Die Münze bietet Ihnen die sicherste Bürgschaft."
„Andere möchten ihr schwerlich einen höheren Werth
beimessen, als den des Goldes."
„Sollten Andere um ihre Meinung befragt werden,
so würde ich bedauern, solche Briefschaften vorlegen zu
müssen, die, meine Forderung unterstützend und in ihrer
Wirkung weniger rücksichtsvoll, manche Unannehmlich-
keiten im Gefolge haben könnten."
„Auf welche Briefschaften beziehen Sie sich?"
„Auf ein verloren gegangenes Lchreiben von Ihrer
Hand mit der Aufschrift: ,S. W. St. Joseph,' das ich
mit vieler Mühe einem indianischen Zauberer abjagte.
Ferner sind da eine Anzahl Briefe und Papiere, die
Werbeland in San Francisco in sicherer Obhnt znrück-
ließ, um verkommenden Falls nicht dnrch sie vcrrathen
zu werden."
Dionysia hatte sich wieder entfärbt. Verstohlen
leuchtende Blitze znckten aus ihren Augen. Erst nach
längeren: Ueberlegen fragte sie gelassen. „Wollen Sie
mir einen Einblick in die erwähnten Briefe gestat
ten?"
„Nur in den zuerst erwähnten und den beiliegenden
Zeitungsausschnitt. Dann ist da noch ein von Ihrer
Hand an Cenador gerichteter Zettel. Auch den stelle
ich zu Diensten."
„Wie kam der in Werbeland's Hände?" fragte Dio-
nysia sichtbar bestürzt.
„Ich ahne es nicht," antwortete Lionel, jedes ein
zelne Wort besonders betonend; „der Inhalt ist nur
sehr kurz, steht aber in krassem Widerspruch mit dem
zuerst erwähnten herzlichen Schreiben. .Trifft W.
verfrüht ein, ist ihn: Alles zuzntraucn. Der Vater ge-
rieth schon in's Schwanken. Die größte Eile ist geboten,
soll die Mühle nicht verloren gehen. Ein schneller
Entschluß kann sie nur retten,' lautet er. Wollen Sic
sich von der Nichtigkeit überzeugen?" fügte er hinzu,
einen schmalen Papierstreifen darreichend.
Dionysia nagte flüchtig auf den Lippen und sah in
eine andere Richtung.
„Es wäre überflüssig; denn welchen Werth hätte
das Jugendgeschwütz heute noch?" bemerkte sie anschei-
nend gelangweilt mit wunderbarer Fassung, „eine
bestimmte Antwort kann ich übrigens jetzt nicht ertheilen.
Sie begreifen, um in dieser verwickelten Angelegenheit
einen Entschluß zu fassen, bedarf es reiflichen Er-
wägens und des Prüfens meiner eigenen Verhältnisse."
„Wann dürfte ich mir erlauben, ivieder heraus zu
kommen?"
Ueber Dionysia's Antlitz breitete sich jenes eigen-
thümliche sonnige Lächeln einer Circe aus, welches in
den ersten Tagen seines Aufenthaltes in ihrem Hause
sogar auf ihn einen allerdings begrenzten Zauber aus-
übte, jetzt dagegen eine an Widerwillen grenzende
Scheu in ihm wachrief.
„Ich hoffte zuversichtlich, Sie würden sich wenigstens
einige Tage meine Gastfreundschaft gefallen lassen,"
sprach sie mit einem rüthselhaft feuchten Blick, „unser
fernerer Verkehr trüge sicher dazu bei, die Wolken zu
zerstreuen, die unser heutiges Gespräch umdüstertcn."
Lionel fühlte es kalt durch seine Adern rieseln. In
seiner Phantasie erstand das Bild der einst zu Jurassic
erwähnten Messalina, von deren Launen der Gebrauch
von Gift und Dolch abhängig.
„Man erwartet mich noch heut' zurück," erwiederte
er höflich entschuldigend, „und ich selbst bin zu sehr
gewohnt, sogar in den unscheinbarsten Dingen meinen:
Versprechen treu zu bleiben."
„Wir sehen uns doch wieder?"

„Unbedingt. Sie haben nur den Tag und die
Stunde zu bestimmen."
„Wie das geschäftlich klingt — doch eine beiläufige
Frage: hinterließ der unglückliche Padleton eine Be-
stellung, einen letzten Gruß für mich?"
„Nichts," antwortete Lionel, sofort begreifend, daß
sie zu erfahren wünschte, ob der Genannte sich zu irgend
welchen Enthüllungen habe hinreißcn lassen und wie
weit sie reichten. „Wohl stellte ich Fragen an ihn, allein
er verweigerte jede Auskunft. Er beschränkte sich auf
die Bemerkung, wenn eine Andere mich ausgiebiger
unterrichten wolle, bliebe es ihr unbenommen."
Dionysia athmete auf. Freier blickten die strahlen-
den Augen. Un: die sie bestürmenden Empfindungen
zu verheimlichen, fragte sie gleichmüthig: „Wie starb
er? Habe ich keine Ursache, den gefährlichen Rathgeber
zu betrauern, so kann ich den: langjährigen Nachbarn
doch meine Theilnahme nicht versagen."
„Durch mich verwundet, Hütte er vielleicht geheilt
werden können. Er zog indessen vor, Hand an sich
selbst zu legen."
Dionysia erschrak heftig, besaß aber die Ueberlegung,
nachdenklich zu erkläre::: „Das hätte ich ihn: an:
wenigsten zugetraut. Es muß doch Arges sein Ge-
nüssen beschwert haben. Sein Tod stürzt mich übrigens
in ein Meer von Unannehmlichkeiten und Arbeit. Was
er an mir verbrach — doch schweigen nur von ihn:;
Weiteres möchte meine letzte Theilnahme für den Todten
ersticken."
„Fernere Theilnahme würde Sie herabwürdigcn,"
erklärte Lionel unwillig, „nach den nur in: Umpquathal
gewordenen Mittheilungen war er es, der einst mit
einer Horde brauner Wegelagerer die Farn: Werbeland's
überfiel, ausplünderte und die gemordeten Bewohner
unter der Asche des niederbrennenden Gehöftes begrub.
Den Namen seines Genossen: erfuhr ich ebenfalls. Ich
nenne ihn nicht, weil die zuverlässigen Zeugenanssagen
sich nicht ans seine Person erstreckten."
„Das wäre furchtbar," versetzte Dionysia, und das
offenbarte Entsetzen war ungekünstelt, „ich möchte Sie
mit einem Unglücksraben vergleichen, der nur unheilvolle
Kunde verbreitet." Ein Schauder durchlief ihre Gestalt,
und sie war gerüstet zur Fortsetzung des Gespräches.
„Lassen Sic es jetzt genug des Schrecklichen sein," hieß
es dann weiter, „versprechen Sie lieber, den Doktor
und seine ebenso mannhafte wie liebliche Tochter nur
noch einmal zuzuführen. Auch die jungen Wheelers
würde ich herzlich willkommen heißen:" und nunter
unterhielten sie sich über Lionel's und seiner Freunde
jüngste Erlebnisse. Es geschah von Seiten des jungen
Deutschen nut düsterem Ernst. Dionysia bewahrte ihre
Ruhe. Arglose Neugierde allein schien sie zu beseelen.
Sie hatten sich erhoben und waren auf die Veranda
hinausgetreten. Besorgt sah Lionel sich nach Vincenti
um. Er rief ihn. Keine Antwort erfolgte. Ein Blick
herben Vorwurfs traf Dionysia, während er bemerkte:
„Den Eindruck, den er heute durch die leibliche Schwester
seiner Mutter empfing, ich fürchte, er wirft einen Schatten
auf sein künftiges Leben. Ihn auf der bereits betretenen
Bahn höherer Gesittung weiter zu führen, wird fortan
auf Schwierigkeiten stoßen."
„Er ist jung," erwiederte Dionysia, heiter beschwich-
tigend, „was er heute durch mich, die leibliche Schwester
seiner Mutter erfuhr, hätte ohnehin über kurz oder
lang zu seiner Kenntniß kommen müssen. Ahnte ich
seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu mir, wäre ich
allerdings vorsichtiger gewesen."
Lionel antwortete nicht. Ihm graute vor der Frau,
die offenkundig anderen Menschen ebenso wenig tieferes
Gefühl zuschrieb, wie sie selbst besaß. -
Während Beide die peinlichen Verhandlungen weiter
führten, hatte Vincenti sich über den Hof nach den:
Waldessaum hinüber begeben. Dort saß er mit Pietro,
den er aufsuchte, auf einem für die Säge hergerichteten
Block.
„Ich glaube Dir mehr, als Deiner Herrin," hatte
er ihn angeredet, „da mag ich Dir anvertrauen, daß ich
nicht Labour, sondern Cenador heiße. Ich bin dcr
Sohn desselben Cenador, dessen Frau einst die andere
Mühle gehörte."
Anstatt Ueberraschung zu verrathen, antwortete
Pietro in seiner ausdruckslosen Weise: „Das wußte
ich, sobald ich in Ihr Angesicht sah. Den: Padleton
und der Wittive Dionysia war es ebenfalls nicht fremd
geblieben, ich weiß es. Der Sohn Cenadors und des
süßen Kindes, der lieblichen Beatriz, die sich manches
liebe Mal auf den Knieen des braunen Chinookburschen
schaukelte. Ja, deren Sohn; die Augen verrathen es
und der Mund."
Vincenti, der nach der grausamen Eröffnung seine
gewöhnliche Gesichtsfarbe noch nicht zurückerlangt hatte,
starrte vor sich auf den mit Artspänen bedeckten Erd-
boden nieder.
„Sage mir Eines," preßte er zwischen den fest auf-
einander ruhenden Zähnen hindurch, „wurde Derjenige,
dessen Sohn sie mich heißen, wegen Mordes zum Tode
verurtheilt? Antworte offen und ehrlich; mache keine
Umschweife. Ich bin in der letzten Stunde sehr alt
 
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