Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heft 16. Illnstvivte Fclttriiien-Deitung. 2ahrg. ltt93.




Kenrili Jöscn. (S. 383)

Was nur vereinbarten, werden Sie zunächst reiflich er-
wägen. Stoßen Sie dabei auf Punkte, die Zweifel
erwecken, Sie beunruhigen, so wissen Sie, wohin Lae
sich zu wenden haben, um wenigstens Erleichterung
Ihrer Sorgen zu finden."
Konstanze hatte sich erhoben und reichte ihm zum
Abschied die Hand.
„Kann der unheimliche Druck nicht ganz von meiner
Seele entfernt werden," sprach sie bekümmert, „so gehe
ich doch um freundlichen Trost bereichert von dannen."
Sie waren aus der Laube getreten Einen träumerischen
Blick sandte sie über den Garten hin, und wie un-
bewußt ihre Gedanken in Worte kleidend, bemerkte sie
schwermüthig: „Wie Alles grünt, blüht und gedeiht.
Es ergeht mir zur Zeit ähnlich, wie den Blumen,
die nach dörrendem Sonnenschein unter Ihrem Einfluß
sich immer wieder gekräftigt aufrichten. Verzweiflung
im Herzen kam ich, und wenn ich mich jetzt ermuthigt
auf den Heimweg begebe, so ist es ebenfalls auf Ihren
Einfluß zurückzuführen."
„Erfreulicheres hätten Sie mir nicht sagen können," !
versetzte Jonas in seiner ruhigen Weise, „ich möchte

aber deshalb das Verdienst meiner Eva nicht geschmä
lert wissen. Sie ist der eigentliche Schuhgeist des
Gartens, in dem ohne ihr wachsames Auge und die
gleichsam Segen spendende Hand — wie es mir oft er-
scheint — kaum ein Knöspchen sich zur vollen Blüthe
entfalten könnte." Er zog ein Messer hervor und
schnitt hier und dort eine besonders schöne Rose.
„Und doch rauben Sie dem lieben Kinde grausam
die lieblichste Augenweide," entgegnete Konstanze be-
dauernd.
„Ich thue nicht mehr — o, weniger, als Eva an
meiner Stelle gethan Hütte," erklärte Jonas frcnndlich,
„ich nehme nur drei, und die sind morgen wieder er-
setzt, wie ich sehe. Denn nicht nur auf dem mütter-
lichen Stämmchen sollen sie uns erfreuen — mein Gott,
da müßte man ja, um sie nach Herzenslust zu bewundern,
den ganzen Tag vor ihnen stehen. Erzähle ich aber
Eva, daß ich Ihnen drei ihrer Lieblingskinder als Be-
gleiterinnen mit auf den Weg gab, so ist das eine
zwischen Ihnen getheilte und daher doppelte Freude."
Er überreichte Konstanze die Rosen, sah aber zur
Seite, sobald er entdeckte, daß Thränen in ihre Augen
gedrungen waren. Er verstand deren Be-
deutung, errieth, daß sie unwillkürlich einen
Vergleich zwischen dem stolzen väterlichen
Gut und der bescheidenen friedlichen Heim-
stätte zog.
Als Konstanze sich vor der Hausthür
von ihm verabschiedete, sah er ihr lange
nach. Trübes Sinnen spiegelte sich in sei-
nem Antlitz.
„Armes Geschöpf," lispelte er unbewußt,
„die Saat der Hoffahrt konnte in Dei-
nem treuen Gemüth keine feste Wurzeln
schlagen-, es verdorrten die ersten mit
Bedacht üppig genährten Keime. Armes
Geschöpf; Dir mit Deinem scharf ausge-
prägten Rechtlichkeitsgefühl märe wohl ein
glücklicheres Loos zu wünschen gewesen.
Möchten auf Deinem ferneren Lebenswege
Dir auch solche Rosen erblühen, die nicht
von der Mutter Natur aus dein dankbaren
Erdreich cmporgetrieben wurden." Und
noch ernster, sogar traurig: „Auch Du
magst dazu berufen sein, aus der Ferne
einen Blick.in den Himmel zu werfen und
ihn dann vor Dir verschlossen zu sehen.
Ich kenne das, kenne das," und das Haupt
neigend, begab er sich gedankenvoll in den
Garten zurück.

KinnnddveißigftvLi Kccpitok.
Mehrere Tage waren seit Konstanzers
Besuch bei Jonas verstrichen, als wiederum
ein einsamer Wanderer sich den: Vorwerk
näherte. Es war zur späten Nachmittags-
stunde. Wie befriedigt nach vollbrachtem
Tagewerk, blickte die Sonne auf die hin-
ter ihr liegende Landschaft zurück. Durch
die in der Atmosphäre lagernden zarten
Dunstschichten der Strahlen zum großen
Theil beraubt, erzeugte sie jene träumerische

Der Talisman

Roman

(Fortsetzung.)
—- (Nachdruck verboten.)
err v. Radelhain ist vielleicht früher hier,
als wir glauben," bemerkte Jonas.
Konstanze schrak empor.
„Er kommt?" fragte sie beinah athem-
los, uneingedenk, daß sie vor Jonas mehr
offenbarte, als es bei ruhiger Ueberlegung
geschehen wäre. Und weiter mit cigen-
thttmlicher Hast: „Sie hörten von ihm?
Wohl gar in neuerer Zeit? Wie ich von Eva
erfuhr, erhielten Sie nur selten Nachrichten von ihm.
Wie ergeht es ihm? Hatte er keinen" — „Gruß für
Aich" wollte sie in ihrer Kopflosigkeit hin-
Kifügen, verschloß aber die Lippen in
Trotz und Selbstverspottung.
Rücksichtsvoll erklärte Jonas: „Er
schrieb in der That sehr selten und dann
uur wenige Zeilen, die sich ausschließlich
Ms Leben und Wohlbefinden bezogen; so
jvar es zwischen uns verabredet worden.
Irre ich nicht, so trifft er noch vor Be-
Mn des Herbstes ein. Den Zeitpunkt
Mnähernd zu bestimmen, vermied er, und
^vhl weniger, um uns zu überraschen,
?ls weil er sich — den Eindruck gewann
Ich wenigstens — mit der Absicht trägt, nach
kurzem Aufenthalt wieder fremde Länder
Mfzusuchen. Unter solchen Bedingungen
"kag ihm daran gelegen sein, so viel wie
Möglich hier unbemerkt zu bleiben. Und
kch verdenke cs ihm kaum —"
„Sie meinen, weil er dadurch der Ge-
^tzenheit auSmeicht, meinem Vater oder
Pir zu begegnen," warf Konstanze herbe
kW, „und wohl begreife ich, daß wie unser
Elnblick sicher peinliche Betrachtungen in
khw wachruft, er auch dem Vater großmüthig
ersparen möchte, an manches erinnert zu
werden, ums — was ihm — ich weiß
'ucht, wie ich eS bezeichnen soll —"
„Fern lagen mir solche Gedanken," fiel
ft.onas ein. „Aber erscheint es nicht na¬
türlich, ich möchte sagen: gerechtfertigt, nwnn
nicht gern da auftritt, wo seine Bor
luhren immerhin eine glänzende Rolle
lpwlten? Ich für meine Person rathe ihm
kueder zum Bleiben, noch ermuthige ich ihn
?Isur neuen Hinausfliegen. Er ist zu ein
Uchtsvoll, zu sehr Mann im vollsten
sftnne deZ Wortes, als daß ein Anderer in
f^ne Pläne eingreifen dürfte. Und nun,
theures Fräulein, lassen Sie es vor-
kuusig bei dieser Unterredung bewenden. -

von
Baldum MüUhausen.
 
Annotationen