M2I. Illn^'irte Fauntion-Deitnng. Zchrg. M3.
Vom Wege verirrt.
komm'
von
Lothar Vrenkendorf.
- (Nachdruck verboten.)
Kustes Kapitel.
rwin v- Hersdorff?'''
Unschlüssig drehte die junge Dame die
Visitenkarte, welche sie soeben empfangen hatte,
zwischen den Fingern. Ein Ausdruck leichter
Verlegenheit war auf ihrem
schönen Gesicht.
„Der Herr Assessor kann in
jedem Augenblick zurückkehren," sagte sie
endlich, nachdem sie einen Blick auf die
Stutzuhr über dem Kamin geworfen hatte,
„es wäre also wohl unartig, einen seiner
Freunde abzuweisen. Sagen Sie dem
Herrn Lieutenant, Martha, daß ich ihn
bitten lasse, näher zu treten."
Tas Mädchen schlüpfte hinaus, und
gleich darauf erschien der.Besucher in der
geöffneten Thür - eine breitschulterige,
hohe Männergestalt in der vollen Blüthe
der Kraft und der Jugend. Auch in dem
eleganten Civilanzuge hätte sich für jedes
einigermaßen geübte Auge durch Haltung
und Bewegung unverkennbar der Soldat
verrathen müssen, selbst wenn das blonde
Haar und der starke Schnurrbart weniger
militärisch zugestutzt gewesen wären und
wenn die scharfen, graublauen Augen min-
der siegesbewußt und zuversichtlich in die
Welt geblickt hätten.
„Mein gnädiges Fräulein!"
Trotz aller ritterlichen Artigkeit war
noch etwas von dem schneidigen Kom-
mandoton des Exerzierplatzes in dem
^lang dieser markigen Stimme; die junge
Dame aber schien davon keineswegs un-
angenehm berührt zu werden, dem: es flog
ein heiteres Lächeln über ihr Gesicht,
während sie mit einer einladenden Hand-
dewegung nach dem nächsten Sessel hin
auf die höfliche Verbeugung des jungen
Offiziers erwiedcric; „Sie werden sich
vorläufig mit meiner Gesellschaft begnügen
Müssen, Herr Lieutenant! Ter Assessor
Flemming, den Sie suchen, ist noch in
hinein Äureau; aber er pflegt stets uni
diese Zeit nach Hause zu kommen, und
'ch hoffe, daß Ihre Geduld darum nicht
allzu hart auf die Probe gestellt werden
wird "
„Meine Geduld?" Herr v. Hersdorff
Pachte eine bezeichnende Bewegung. „Noch
vie in meinem Leben hat mir der Zufall
v'n freundlicheres Gesicht gezeigt als heute,
ivo er mir Gelegenheit gibt, eine Bekanntschaft zu
erneuern, die bis zu diesem Augenblick eine der an-
genehmsten Erinnerungen meines Daseins ausmachte. —
Sie sehen mich erstaunt an, mein gnädiges Fräulein! Sie
erinnern sich meiner natürlich nicht — und wie könnte
das auch anders sein! War doch unsere Begegnung
nur eine sehr flüchtige und wurde dabei doch kein Wort
zwischen uns gesprochen. Mir aber ist sie trotzdem un
auslöschlich im Gedächtnis; geblieben. Ich war ein blut-
junges Bürschchen — es sind nun ja wohl schon an
die sechs Jahre darüber vergangen — und ich war noch
kaum warm geworden in meiner Lieutenantsuniform,
als ich mich in einer dienstlichen Angelegenheit bei dem
Herrn General v. Dönninghaus zu melden hatte. Ich
bin von Natur nicht gerade schüchtern; damals aber klopfte
Neugierig. Nach einem Gemälde von W. Roeggc. (S. 503)
mir doch ganz gewaltig das Herz, denn mein Gewissen
war in manchen Punkten nicht ganz rein, und mein
Vorgesetzter erfreute sich unter den Kameraden des Rufes,
ein strenger und bärbeißiger Herr zu sein. Länger als
eine Viertelstunde mußte ich im Vorzimmer warten,
und von Minute zu Minute wurde mir's weniger be-
haglich um's Herz. Da endlich öffnete sich die Thür
des Nebengemaches, rind kerzengerade fuhr ich von
meinem Stuhle in die Höhe. Was aber da heraustrat,
war nicht, wie ich erwartet hatte, Seine Excellenz selbst,
sondern ein reizendes Kind — Pardon, eine wunder-
hübsche junge Dame von fünfzehn oder sechzehn Jahren,
mit langen Zöpfen und blauen Augen. ,Adieu also,
Tu böser, brummiger Herzenspapa!' rief sie, anscheinend
ohne alle Furcht, mit ihrem Hellen Sümmchen in die
Höhle des Löwen zurück, um dann, da
sie meiner ansichtig wurde, zuerst ein
wenig zu erröthen, bis der Anblick mei-
ner hölzernen Unbeweglichkeit und der
Angst, die mir deutlich genug auf dem
Gesicht geschrieben sein mochte, ihre Ver
legenheit in ein gewisses gutmüthiges Mit-
leid zu verwandeln schien. Sie nickte mir
ermuthigend zu, und dabei lachten mich
die blauen Augen so verständnißvoll und
zugleich schelmisch an, daß mir mit einem
Male ganz leicht und zuversichtlich zu Sinn
wurde, und ich gleich darauf mit viel mehr
Fassung, als ich sie mir in dieser Lage je-
mals zugetraut hätte, vor den Gewaltigen
hintrat. Die Meldung verlief denn npch
glücklich und ohne jeden fatalen Zwi-
schenfall; die langen Zöpfe und die blauen
Äugen aber, die mir wie zwei Helle Sterne
in die Nacht meiner tiefsten Niedergeschla-
genheit hineingeleuchtet hatten, habe ich
seitdem nicht mehr vergessen können. Ich
hatte alsbald erfahren, daß sie einem ge-
wissen Fräulein Hertha v. Dönninghaus
angehörten, und Sie werden es mir ohne
ausdrückliche Verpfändung meines Ehren-
wortes glauben, daß ich mich glücklich
schätze, diesem nämlichen Fräulein Hertha
v. Dönninghaus nunmehr im Hause mei-
nes besten Freundes ganz unerwartet
wieder zu begegnen."
Lächelnd hatte die junge Dame seiner
mit liebenswürdiger Frische vorgetragenen
Erzählung zugehört.
„Ich erinnere mich des kleinen Vor-
falls allerdings nicht mehr," sagte sie,
„aber es freut mich immer, Jemanden
zu treffen, der meinen Vater noch zur
Zeit seiner dienstlichen Thätigkeit gekannt
hat."
„Nicht nur gekannt, mein gnädiges
Fräulein," versicherte Hersdorff eifrig,
„sondern auch bewundert und verehrt als
ein leuchtendes Vorbild aller soldatischen
Tugenden. Trotz seiner gefürchteten Strenge
ivar es für alle Offiziere des ihm unter-
stellten Truppentheils eine wirkliche Trauer-
kunde, als es vor vier Jahren plötzlich
Vom Wege verirrt.
komm'
von
Lothar Vrenkendorf.
- (Nachdruck verboten.)
Kustes Kapitel.
rwin v- Hersdorff?'''
Unschlüssig drehte die junge Dame die
Visitenkarte, welche sie soeben empfangen hatte,
zwischen den Fingern. Ein Ausdruck leichter
Verlegenheit war auf ihrem
schönen Gesicht.
„Der Herr Assessor kann in
jedem Augenblick zurückkehren," sagte sie
endlich, nachdem sie einen Blick auf die
Stutzuhr über dem Kamin geworfen hatte,
„es wäre also wohl unartig, einen seiner
Freunde abzuweisen. Sagen Sie dem
Herrn Lieutenant, Martha, daß ich ihn
bitten lasse, näher zu treten."
Tas Mädchen schlüpfte hinaus, und
gleich darauf erschien der.Besucher in der
geöffneten Thür - eine breitschulterige,
hohe Männergestalt in der vollen Blüthe
der Kraft und der Jugend. Auch in dem
eleganten Civilanzuge hätte sich für jedes
einigermaßen geübte Auge durch Haltung
und Bewegung unverkennbar der Soldat
verrathen müssen, selbst wenn das blonde
Haar und der starke Schnurrbart weniger
militärisch zugestutzt gewesen wären und
wenn die scharfen, graublauen Augen min-
der siegesbewußt und zuversichtlich in die
Welt geblickt hätten.
„Mein gnädiges Fräulein!"
Trotz aller ritterlichen Artigkeit war
noch etwas von dem schneidigen Kom-
mandoton des Exerzierplatzes in dem
^lang dieser markigen Stimme; die junge
Dame aber schien davon keineswegs un-
angenehm berührt zu werden, dem: es flog
ein heiteres Lächeln über ihr Gesicht,
während sie mit einer einladenden Hand-
dewegung nach dem nächsten Sessel hin
auf die höfliche Verbeugung des jungen
Offiziers erwiedcric; „Sie werden sich
vorläufig mit meiner Gesellschaft begnügen
Müssen, Herr Lieutenant! Ter Assessor
Flemming, den Sie suchen, ist noch in
hinein Äureau; aber er pflegt stets uni
diese Zeit nach Hause zu kommen, und
'ch hoffe, daß Ihre Geduld darum nicht
allzu hart auf die Probe gestellt werden
wird "
„Meine Geduld?" Herr v. Hersdorff
Pachte eine bezeichnende Bewegung. „Noch
vie in meinem Leben hat mir der Zufall
v'n freundlicheres Gesicht gezeigt als heute,
ivo er mir Gelegenheit gibt, eine Bekanntschaft zu
erneuern, die bis zu diesem Augenblick eine der an-
genehmsten Erinnerungen meines Daseins ausmachte. —
Sie sehen mich erstaunt an, mein gnädiges Fräulein! Sie
erinnern sich meiner natürlich nicht — und wie könnte
das auch anders sein! War doch unsere Begegnung
nur eine sehr flüchtige und wurde dabei doch kein Wort
zwischen uns gesprochen. Mir aber ist sie trotzdem un
auslöschlich im Gedächtnis; geblieben. Ich war ein blut-
junges Bürschchen — es sind nun ja wohl schon an
die sechs Jahre darüber vergangen — und ich war noch
kaum warm geworden in meiner Lieutenantsuniform,
als ich mich in einer dienstlichen Angelegenheit bei dem
Herrn General v. Dönninghaus zu melden hatte. Ich
bin von Natur nicht gerade schüchtern; damals aber klopfte
Neugierig. Nach einem Gemälde von W. Roeggc. (S. 503)
mir doch ganz gewaltig das Herz, denn mein Gewissen
war in manchen Punkten nicht ganz rein, und mein
Vorgesetzter erfreute sich unter den Kameraden des Rufes,
ein strenger und bärbeißiger Herr zu sein. Länger als
eine Viertelstunde mußte ich im Vorzimmer warten,
und von Minute zu Minute wurde mir's weniger be-
haglich um's Herz. Da endlich öffnete sich die Thür
des Nebengemaches, rind kerzengerade fuhr ich von
meinem Stuhle in die Höhe. Was aber da heraustrat,
war nicht, wie ich erwartet hatte, Seine Excellenz selbst,
sondern ein reizendes Kind — Pardon, eine wunder-
hübsche junge Dame von fünfzehn oder sechzehn Jahren,
mit langen Zöpfen und blauen Augen. ,Adieu also,
Tu böser, brummiger Herzenspapa!' rief sie, anscheinend
ohne alle Furcht, mit ihrem Hellen Sümmchen in die
Höhle des Löwen zurück, um dann, da
sie meiner ansichtig wurde, zuerst ein
wenig zu erröthen, bis der Anblick mei-
ner hölzernen Unbeweglichkeit und der
Angst, die mir deutlich genug auf dem
Gesicht geschrieben sein mochte, ihre Ver
legenheit in ein gewisses gutmüthiges Mit-
leid zu verwandeln schien. Sie nickte mir
ermuthigend zu, und dabei lachten mich
die blauen Augen so verständnißvoll und
zugleich schelmisch an, daß mir mit einem
Male ganz leicht und zuversichtlich zu Sinn
wurde, und ich gleich darauf mit viel mehr
Fassung, als ich sie mir in dieser Lage je-
mals zugetraut hätte, vor den Gewaltigen
hintrat. Die Meldung verlief denn npch
glücklich und ohne jeden fatalen Zwi-
schenfall; die langen Zöpfe und die blauen
Äugen aber, die mir wie zwei Helle Sterne
in die Nacht meiner tiefsten Niedergeschla-
genheit hineingeleuchtet hatten, habe ich
seitdem nicht mehr vergessen können. Ich
hatte alsbald erfahren, daß sie einem ge-
wissen Fräulein Hertha v. Dönninghaus
angehörten, und Sie werden es mir ohne
ausdrückliche Verpfändung meines Ehren-
wortes glauben, daß ich mich glücklich
schätze, diesem nämlichen Fräulein Hertha
v. Dönninghaus nunmehr im Hause mei-
nes besten Freundes ganz unerwartet
wieder zu begegnen."
Lächelnd hatte die junge Dame seiner
mit liebenswürdiger Frische vorgetragenen
Erzählung zugehört.
„Ich erinnere mich des kleinen Vor-
falls allerdings nicht mehr," sagte sie,
„aber es freut mich immer, Jemanden
zu treffen, der meinen Vater noch zur
Zeit seiner dienstlichen Thätigkeit gekannt
hat."
„Nicht nur gekannt, mein gnädiges
Fräulein," versicherte Hersdorff eifrig,
„sondern auch bewundert und verehrt als
ein leuchtendes Vorbild aller soldatischen
Tugenden. Trotz seiner gefürchteten Strenge
ivar es für alle Offiziere des ihm unter-
stellten Truppentheils eine wirkliche Trauer-
kunde, als es vor vier Jahren plötzlich