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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 1
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kiest 2

Vas Such fül- Mle

i 7

kusemia v. Udlersfeld-Uallestrem. (5.10)

kindlich. „Der Reiz des Abends dürfte Wohl noch
durch ein Tänzchen erhöht werden?"
„Wir haben es so beschlossen," sagte die Bürger-
meisterin. „Mein Mann —"
In diesem Augenblick tat sich die Tür auf, und neben
dem Stadtoberhaupt erschien eine kleinere Männer-
gestalt mit dickverbundencm Kops aus der Schwelle.
Frau Susanne sprang wie ein Gummiball in
die Höhe. „Leberecht! Bei diesen: Wetter! Du
kannst dir den Tod holen!"
„Will ich!" sagte der Schwergeplagte. „Je
eher, desto besser!"
FranJettchen, diese Lebensmüdigkeit überhörend,
schritt dazu, die Herren miteinander bekannt zu machen.
„Freut mich!" sagte der Bürgermeister mit seiner
Art, sich erst des Beifalls seiner Gattin zu versichern.
Der Syndikus knurrte etwas in seinen Verband
hinein von Berrücktwerden.
„Er hat die Kopsgicht," sagte Poghammer.
„Lidersang behauptet es jetzt mit Bestimmtheit."
Wostcrmann hütete.sich wohl, Meiuung oder
Rat zum besten zu geben. Weit mehr interessierte
ihn die allerliebste und verschämte Neugier, mit der
Lorchens blaue Augen über Mamsell Lavinias Schul-
ter hinweg zu ihm aufblinzelten, wenn sie nämlich
glaubte, daß er gerade wo anders hiusähe- Wie er
daran dachte, daß dieses Antlitz sich nächtlicherweile
vielleicht noch stundenlang über den Stickrahmen
beugte, um kärglichen Lohn zu erwerben, glitt herz-
liches Mitleid über seine Seele wie ein warmer Strahl.

unser Wohltätigkeitsfest besuchen?" fragte sie, und
ein angenehmer Reiz, auch ihn zum Zeugen ihrer
Triumphe zu machen, goß sogar etwas Farbe in
das Blumenweiß ihrer Wangen.
„Wenn der Eintritt allgemein gestattet ist —
gewiß," sagte Wostcrmann. „Ich meine sür jeden,
der sein Scherslein beizutragen bereit ist?"
„Ach ja!" kam es wie ein Hauch über Lorchens
Lippen.
Lavinia warf einen verweisenden Blick znr Seite,
wo die ob ihrer Kühnheit tödlich Erschreckte ihre Sei-
denschürze nut beiden Händen zu streicheln begann.
„Meine Tochter — meine Nichte," sagten beide
Damen zugleich, „wird mit musikalischen Genüssen
mehrfach ans dem Programm vertreten sein."
Er sah jetzt voll auf die blonde, schlanke Schön-
heit. Dein: daß sie selbst sich dafür hielt, las Woster-
mann ihr von der hochfahrenden Stirn. „Um so
mehr sind meine Erwartungen gespannt," erklärte
er galant. Er erinnerte sich dessen, was der Wirt
„Zum goldenen Stern" ihm erzählt betreffs der so-
eben erhobenen Erbschaft und verneigte sich ver-

ÜberfuU durch Wikinger.
(Ziehe die eNte Itunstdeii^ge.)
^tlva mit dem Beginn des 9. nachchristlichen
Jahrhunderts nahmen die großen Kriegs-
nnd Raubzüge der Normannen oder Wikinger
ihren Anfang. Länger als zwei Jahrhunderte
waren diese wilden, waffengeübten Nordland-
söhne, die an der Fjordenküste Skandinaviens
ihre Wohnsitze hatten, die Geißel Europas vom
hohen Norden herab bis zu den Ländern am
Mittelmeer. Auf ihren „Meerrappen", scharf-
gekielten, decklosen, schwarzen Schiffen mit
dräuendem Drachenkopf und Rammsporn am
Bug und großem, viereckigem Rahensegel am
einzigen Mast, fuhren sie in die Mündungen der
Flüsse, wie der Themse, des Rheins, der Seine,
Loire, ein, drangen weit ins Innere des Landes
vor, verbreiteten durch ihre wilden Taten und
ihre Raublust überall Schrecken, warfen schließ-
lich ganze gleiche über den Haufen und schufen
neue Staaten. Gar mannigfaltiger Art waren
die Gründe, die die Wikinger in die Ferne
trieben: die Unfruchtbarkeit ihres rauhen
Heimatlandes, das Erbrecht, das die jüngeren
Söhne geradezu zwang, dnrch Seeraub ihr Leben
zu fristen, da aller Besitz dem Erstgeborenen
zufiel, das Mißvergnügen über die zunehmende
Macht der Könige und die Einführung des sie
beengenden Christentums, dann auch die Lust
an Abenteuern, das Verlangen nach Beute und
Waffenruhm und vieles andere mehr. So
zogen also diese Nordlandsrecken durch die Welt, furchtlos
und schonungslos, raubend, mordend und verwüstend. „Die
Wikinger schonen niemandes," sagt ein alter Chronist;
„ein einziger von ihnen jagt oft zehn Feinde in die Flucht
und bisweilen noch mehr; die Armut macht sie kühn, die
unstete Lebensart es unmöglich, sie zu treffen, und die
Verzweiflung unüberwindlich " Packend schildert unsere
erste Kunstbeilage eine solche Schreckensszene aus einem
Wikingerzuge. Nach des Mittelmeeres heiteren Gestaden
werden wir versetzt, wo ein stolzer Herrensitz einem Über-
fall jener nordischen Räuber zum Opfer gefallen ist. In
Flammen stehen die prunkvollen Bauten; ihre männlichen
Bewohner sind erschlagen, die Frauen aber werden nebst
dem zusammengcraublen Gut als willkommene Beute fort-
geschleppt zum Drachenschiff, das in geschützter Bucht zur
Abfahrt bereit liegt.
Vie bannende Heide.
(Ziehe dss Mid guf Zeile 1.)
6eiße, trockene Tage haben die Heide ausgedörrt.
Flimmernder Sonnenglast liegt über der "meilen-
weiten, graugrünen Fläche. Die versprengten Wacholder-
büsche stehen gebeugt, als suchten sie sich von der sengen-
den Glut abzukehren. Da steigt in der Ferne dunkles
Gewölk empor. Zieht ein Gewitter heraus, das den ver-
durstenden Boden mit Regen tränken will? Aufatmend
spähen die Bewohner des Heidedorfes nach den Erfri-
schung verheißenden, schwärzlichen Ballen aus. Doch in
kurzem verdüstern sich ihre hoffnungsfreudigen Mienen.
Die grauschwarze Wand weit hinten verbreitert sich mehr
und mehr, sie reckt sich zum Himmel hoch, sie gerät in
flutende, wirbelnde Bewegung, und jetzt flackert auch am
Horizont ein Heller, züngelnder Feuerstreisen aus. Die

Wostcrmann, die Zeit über im Gange harrend,
hörte das Getuschel und Gerenne nut gutem Humor,
und als die Stubentür ihm endlich aufging, die drei
Damen ihm mit steifen Verbeugungen gegenüber-
standen, Lorchen im Hintergrund, empfand er ob
dieses Hintergrundes eine.angenehme Überraschung.
So allerliebst hatte er sich die hübsche Neugierige
vom Posthause gar nicht vorgestellt.
„Meine Schwester, die Bürgermeisterin, wird so-
gleich erscheinen," sagte Frau Susanne, den üblichen
Nachdruck auf die führende Stellung dieser Dame
legend.
Da kam sie schon herein, eine mächtige weiße
Spitzenhaube mit lila Bandschleifen über den Locken-
tuffs und unterm Kinn.
Als sie Wostermanns ansichtig wurde, zogen sich
ihre Brauen dichter zusammen. „Den Herrn kennen
wir ja schon, Suse!" rief sie.
„Ach, Herrje!" sagte Frau Susanne, schärfer
zuschauend. „Ist er das wirklich?"
„Ich hatte allerdings bereits die Ehre," ent-
gegnete Wostcrmann, sich zustimmend verneigend.
„Nun, Sie sind hoffentlich doch noch bei
stuter Zeit angekommen, nachdem Sie's so
übermäßig eilig hatten," sagte die Bürger-
meisterin anzüglich. „Auch müssen Sie ent-
schuldigen, daß ich Sie einen Augenblick
habe warten lassen. Man macht hiesigen
Ortes vor zwölf Uhr keine Besuche und nach
ein Uhr auch nicht. In den guten Häusern
wird um diese Zeit zu Mittag gegessen. —
Nehmen Sie Platz! — Suse! Lavinia!"
Von Lorchens Platznehmen war nicht
me Rede. Sie setzte sich also als letzte, die
Hande sittsam auf dem Schoß gefaltet,
zwischen Spieltisch und Sofa in die Ecke.
Lavinias Augen überflogen die Gestalt
des jungen Mannes mit forschenden Blicken.
Sie ließ sich kein Wort entgehen von dem,
was er sprach, denn die Bürgermeistern: be-
gann jetzt zum Entzücken der wißbegierigen
Damen, ihn zwanglos auszuhorchen.
„Ganz chierbleiben wollen Sie wohl
nicht? Ich kann's Ihnen auch nicht wün-
schen. Die Stadt ist klein und die Praxis
in festen Händen."
„Mein Onkel," sagte Wostermann, von
dieser Art Examen innerlich belustigt, „wird
viel in Anspruch genommen von Personen,
die er abschlägig bcscheidet — es ließe sich
davon eine ganz hübsche Tätigkeit zusammen-
fassen. Die Stadt an sich ist nicht anders als
viele andere kleine Städte. Ich hätte ja in
Meiner Heimat bleiben können, aber es hält
mich dort nichts. Doktor Beckmoder ist mein
einziger Verwandter und —"
„Ihre Mutter war demnach wohl eine
geborene Beckmoder? Hoffentlich von an-
derer Art als Ihr Onkel. Denn das halte
ich für meine Pflicht, Ihnen zu sagen, dieser
Doktor Beckmoder hat sich mit allen Hono-
ratioren der Stadt auf den feindseligsten
Kriegsfuß gestellt. Bei den geringen Leuten
geht sogar ein Getuschel um, daß er einen
-kund mit dem Bösen geschlossen habe und
meser ihm beistände, feine pferdemäßigen
Kuren mit Erfolg durchzubringen."
. Hwr konnte Wostermann feine Lachlust
Acht länger bezwingen. Es schüttelte ihn förmlich vor
Vergnügen, wenn er sich den Alten im gelben Schlaf-
^ck.nnt feinem diabolischen Kompagnon im Verkehr
. Die Bürgermeisterin bekam von ihrer Schwester
amen aufmerksam machenden Stoß in die Seite
kvvgen dieses respektlosen Betragens, worauf
Frau Iettcheu das Haupt so hoch aufrichtete, als
fhre Halsbeschaffenheit es nur gestattete, und einen
fmstercn Blick auf den Sünder heftete. Lorchen er-
bebte in unbegriffenen Ängsten, und Lavinia ent-
deckte bei sotaner Gelegenheit, daß der junge Mann
sehr schöne Zähne hatte und einen ganz besonders
hübschen Zug um die Lippen, wenn er lachte.
„Verzeihen Sie, meine Damen," sagte Woster-
Aann und fing einen scheuen Blick aus Lorchens
blauen Augen auf, „wenn diese Unterstellung mich
überwältigte. — Ich könnte," fuhr er angesichts
der drohenden./Haltung der Bürgermeisterin fort,
„d:ese Anschwärzung eines nahen Verwandten ja
Aich Übelnehmen, aber ich denke, wenn es jemandem
Vergnügen macht, an mittelalterlichen Hokuspokus
sch, Muben, soll man ihn darin nicht stören. Den
größten Spaß daran, das kann ich Ihnen versichern,
M Mein Oheim selbst."
Lavinia benützte das vielsagende Schweigen nach
Mesen Worten, um dem Sprecher ihr Antlitz voll
üuzuwenden. Es war etwas wie Leben in ihre
wasserhellen Augen gekommen, etwas Bewegung in
ihre reglosen Züge. „Werden Sie morgen abend
i- :su>.

Der Syndikus, dem die heiße Zimmerluft er-
höhten Schmerz verursachte, unternahm einen kurzen
Dauerlauf durchs Zimmer, gefolgt von seiner Gattin,
die in ihrem Krinolinenrund wie eine Rollpuppe
hinter ihm hereilte.
„Du willst dich also umbringcu, Leberecht? Du
willst es? Und das" — hier erreichte sie ihn und hielt
ihn fest an: Arn: — „das macht mich zur Witwe!
Weißt du das? Hast du soviel Besinnung in dir?"
„Nein," knurrte Hirsinger. „Ich bin nur noch
ein einziger Schmerz. Komm nur nicht etwa wieder
nut deinem Brechmittel zu nahe! Ich bin wie ein
Tiger, wenn ich nur die Flasche zu Gesicht bekomme.
Ich warne jedermann öffentlich davor, mich zu reizen."
„Lidersang," sagte der Bürgermeister zu Frau Su-
sanne, „hat ihm geistige Getränke strengstens unter-
sagt. Jhnkann sonst auf der Stelle der Schlag rühren."
„Leberecht," rief Frau Snsaune, die Hände
ringend, „wolltest du denn —"
„Ja, ich will mich betrinken," knurrte Hirsinger.
„Du schließest sofort alle Flaschen ein!" unter-
stützte Frau Jettchen ihre Schwester energisch. „Den
Schlüssel nimmst du in die Tasche. Dann
hast du deine Schuldigkeit getan."
„Meine werteste Frau Bürgermeister—"
„Ah so! Sie wollen gehen?" wandte sie
sich an Wostermann, der dieser Unterredung
nut stillen: Vergnügen gefolgt war.
„Halte mich allerseits aufs beste emp-
fohlen. Dem Herri: Syndikus wünsche ich
baldige Besserung!"
Es klang mehr wie eine Verwünschung
als Ivie Dank, was da aus dem dichten
Verband herausknurrte. Gewisses gab cs
über diesen merkwürdigen Larck nicht, dem
Poghammer einen seiner dürren Hände-
drücke zufügte, bevor sich dieTürhinter dem
jungen Mann schloß. (Forifehnng folgt.,
 
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