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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0026
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troffen, denn ich habe stets einen gewissen Wider-
willen davor empfunden; mich mit meinem Tode zu
beschäftigen, geht mir gegen den Geschmack. Ich halte
es mit Seiner Majestät, die mir neulich auseinander-
setzte, das sicherste Mittel, alt wie Methusalem zu
werden, fei, nicht an den Tod zu deuten."
„Dann, Herr Marquis, verzeihen Sie es dem
Priester, wenn er Ihnen zuruft: Sie täuschen sich.
Wer sein Haus wohl bestellt hat, an dem läßt Gott in
seiner Gnade den Tod vorübergehen, wer aber vor
dem Tode die Augen verschließt und sein ewiges Heil
versäumt, den überfällt er im Schlafe."
„Es wird noch Zeit sein. Ich gebe Ihnen mein
Wort, daß an meinem Sterbelager Arzt, Priester und
Notar nicht fehlen sollen."
„Und wie ist's mit einem Tode ohne Sterbelager,
einem Schlagfluß in heiterer Gesellschaft, einem un-
erwarteten Degenstich? Oh, Herr Marquis, wenn Sie
glauben, für Robert etwas tun zu müssen, so verschieben
'Sie es nicht! Wir alle, ob alt oder jung, sind mitten
im Leben stets vom Tode umfangen."
Herr v. Saluces hatte fich erhoben und ging indem
geräumigen Gemache hin und her. „Nun, das nenne
ich mir einen fchönen Empfang!" rief er zornig, als der
Priester schwieg. „Noch bin ich keinen Tag im Kreis
der Meinen, und schon will mau mich zwingen, mein
Testament zu machen. Gehen Sie, Abba, und erteilen
Sie den Herren Armand und Hektor Ihre Lektionen!
Da möchte der Same, den Sie ausstreuen, auf frucht-
bareren Boden fallen."
Der Abbe verbeugte fich. Er stand schon an der
Tür, als der Marquis ihn zurückrief. Er war blaß
und preßte die Hand an die linke Schläfe.
„Sie haben vielleicht doch recht, Herr Abbe," sagte
er. „Es ist besser, ich tue es gleich. Ich werde mit dem
Intendanten etwas aufsetzen. Aber sprechen Sie mit
niemand darüber, am wenigsten mit meiner Frau."
-l-
Der Gebieter auf Chanteloup, der seit Jahren kein
Lever seines Monarchen versäumt hatte, war gewohnt,
um zehn Uhr aufzustehen. Es war daher noch nicht
elf, als er, von seinen Söhnen und seinem kleinen
Neffen begleitet, einen Rundgang durch die ausge-
dehnte Besitzung antrat. Er hatte vorzüglich geschlafen
und war sehr guter Laune. Er zog mit Behagen die
balsamischen Düste ein, die von den im Tau des
Morgens glänzenden Blumenbeeten und Ziersträuchern
aufstiegen, und sagte sich im stillen, daß die Ungnade
eines Monarchen mitunter eine Gnade des Himmels
sein könne. Hier, inmitten der ewigen, sich jeden Tag
verjüngenden Natur, mußte er ja selber wieder jung
werden. Hier, auf dein Seinen und unter den Seinen,
winkte ihm ein heiterer, durch keinerlei reuevolle Rück-
erinnerung vergifteter Lebensabend.
Nachdem er sich von dem blühenden Zustande seines
kleinen Reiches überzeugt hatte, begab er sich zu den
Pferdeställen, wo der Reitlehrer ihn erwartete. Armand
und Hektor schwangen sich lachend in den Sattel ihrer
Rappen; für Robert war ein allerliebster Pony da.
Es war für den selbst in allen Edelmannskünsten wohl-
bewanderten Vater eine Augenweide, wie kräftig sie
ihre Gäule zwischen die Schenkel nahmen, wie sicher
und elegant sie dahinschossen. Sogar der kleine Robert
schien mit seinem Tier wie verwachsen. Die bleichen
Wangen des Knaben röteten sich unter den Beifalls-
rufen seines Oheims, und er stachelte seinen Pony zu
immer rasenderem Lauf an, bis der Reitlehrer, ein
Unheil befürchtend, herbeieilte und ihm in die Zügel fiel.
Als der Marquis, von allem Geschehenen hoch-
befriedigt, sich dem Hause wieder näherte, kam ihm
der Intendant Lebel mit einem Bogen Papier in der
Hand entgegen. Sein Herr zog ihn auf die Seite.
„Haben Sie es ins Reine geschrieben?" fragte er.
„Ganz genau; wollen Euer Gnaden belieben, es
durchzulesen —"
Der Marquis vertiefte sich in das Papier und las
einen der letzten Paragraphen, der ihm von beson-
derer Wichtigkeit dünkte, mit halblauter Stimme:
„Meinem Neffen Robert vermache ich das Land-
gut Blois nebst allem toten und lebenden Inventar,
sowie zweihunderttausend Franken. — Hören Sie,
Lebel," unterbrach er sich, „meinen Sie nicht, daß die
Zinsen von zweihunderttausend Franken für den künf-
tigen Besitzer von Blois eine etwas schmale Rente
darstellen?"
„Euer Gnaden, mir scheint, als wenn zweihundert-
tausend Franken eine sehr bedeutende Summe seien."
„Immerhin, das Gut wirft nicht viel ab, und er
wird sich gute Pferde halten. Ah, wie vorzüglich der
Bengel im Sattel sitzt! Setzen wir dreihunderttausend,
statt zweihunderttausend!"°
Der Intendant verneigte sich.
„Und dann fügen Sie unter dem Titel,Legate°
hinzu, daß dem Intendanten von Chanteloup, mit
dem ich immer sehr zufrieden gewesen bin, eine Leib-
rente von jährlich dreitausend Franken bis zu seinem
Tode ausgeworfen wird."


„Oh, Herr Marquis!" stammelte der Intendant
ganz verwirrt. „Ich tat nur meine Schuldigkeit, und
wenn es mir geglückt ist, aus Chanteloup mehr zu
machen als mein Vorgänger —"
„Schon gut. Sie werden mir hoffentlich deswegen
kein schnelles Ende wünschen. Ich bin ein alter Mann.
Seine Majestät hat es mir erst vor zwei Tagen gesagt.
Die paar Jährchen, die Sie vielleicht noch zu warten
haben, gehen bald vorüber. Also schreiben Sie den
Entwurf mit diesen Zusätzen und Abänderungen noch-
mals ab, lassen Sie ihn von meinem Notar prüfen und
bringen Sie mir dann das Dokument zur Unterschrift." —
Nach dem Abendessen, das die Familie in dem
großen Speisesaale eingenommen hatte, begab man
sich auf die Veranda, um die Abendkühle zu genießen.
Der Marquis ließ Robert auf feinen Knieen reiten und
ergötzte sich an seinem Geplauder. Ta erschollen drei
heftige Schläge von der-, nach hinten zu gelegenen
Haustür.
„Himmel!" rief der Marquis. „Tas kommt aus
Versailles! Was will Seine Majestät noch von mir?"
„Kurier Seiner Majestät des Königs!" meldete
der Diener, die Tür zur Veranda aufreißend.
„Eilige Botschaft von Seiner Majestät dem König,"
wiederholte ein Mann in hohen Reiterstieseln und mit
Offizierstressen an den Schultern, und überreichte dem
Marquis ein Schreiben, auf dessen großem blauen
Siegel das Wappen der Bourbonen, drei ineinander
verschlungene weiße Lilien, prangte.
Frau v. Saluces betrachtete unruhig ihren Gatten,
der rot und blaß wurde, während er las. „Was
gibt's?" fragte sie, als er das Papier auf den Tisch warf.
„Seine Majestät haben Launen wie ein altes Weib.
Da, lies!"
Während Armand und Hektor die Köpfe über ihrer
Mutter Schulter reckten und neugierig die seltsam ver-
schnörkelten königlichen Schriftzüge betrachteten, las
sie vor:
„Mein lieber Marquis!
Alte Leute sollten sich nicht ohne Not entzweien.
Die Jüngeren verstehen uns nicht, und wir verstehen
sie nicht mehr. Ich habe Sie zweimal bei meinem
Lever gesucht und nicht gefunden. Morgen früh werden
Sie den Herrn Herzog von Aumale, der unpäßlich ist,
vertreten und mir das Hemd reichen.
Ihr wohlgewogener, wenn auch wirklich acht Jahre
älterer Ludwig."
„Man lasse den Wagen Vorfahren!" rief der Marquis.
„Ist's möglich, du willst uns lvieder verlassen?"
fragte feine Gattin.
„Ob ich will! Freilich will ich! Denke doch, Frau,
denkt doch, Kinder, zum kleinen Lever befohlen! Nur
die Prinzen von Geblüt haben das Recht des kleinen
Lever. Und das, nachdem ich ihm gesagt habe, daß
er acht Jahre älter ist als ich! Ah, wie sie bersten
werden vor Neid, meine offenen Feinde, wie sie
ersticken werden vor Wüt, meine geheimen Wider-
sacher! Den Wagen, Kinder, den Wagen!"
Und der Marquis, der eben noch von einem hei-
teren Lebensabend im Kreise der Seinen phantasiert
hatte, schwelgte im Vorgefühl der unverhofft wieder-
kehrenden königlichen Gunst und brannte vor Ungeduld,
seinem Paradies wieder zu entfliehen. Er begab sich
in sein Schlafgemach, um sich zur Reise zu rüsten. Von
Chanteloup nach Versailles, wo er, wie die meisten
Höflinge, ein eigenes Hotel hatte, war eine mehrstün-
dige Wagenfahrt.
Als er reisefertig in sein Arbeitszimmer trat, eilte
der Intendant Lebel mit einem Schriftstück auf ihn zu.
„Hier ist das Testament, Euer Gnaden," sagte er
hastig. „Es ist vom Notar geprüft und beglaubigt. Nur
Ihre Unterschrift und Siegel fehlen noch, um es gültig
zu machen."
„Gut, mein lieber Lebel, geben Sie es her. Ich
werde es, sobald es mir möglich ist, unterzeichnen und
siegeln."
Eine Viertelstunde darauf fuhr der Wagen vor.
Der Marquis, um Jahrzehnte verjüngt, schritt die
Freitreppe hinab, umarmte die Seinen und warf sich
in die Polster seiner Karosse.
„Vorwärts, Kutscher! Was die Pferde laufen
können!"
„Herr Marquis! Herr Marquis!" schrie Lebel, her-
beistürzend.
Sein Herr steckte den Kopf aus dem Schlage.
„Haben Sie unterzeichnet, Herr Marquis?" rief die
aufgeregte Stimme des Intendanten.
In diesem Augenblick setzte sich das Gefährt mit
solchem Ungestüm in Bewegung und zugleich wühlten
die Hufe der Pferde eine so dicke Staubwolke auf, daß
man weder sehen noch hören konnte, ob Herr v. Sa-
luces diese wichtige Frage bejaht oder verneint habe.
* -st *
Chanteloup war wieder in die angenehme, etwas
langweilige Ruhe zurückgesunken, aus der es die
plötzliche Ankunft des Gebieters gerissen hatte. Der
Abbe hielt mit derselben Pünktlichkeit, wie immer,
 
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