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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 2
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0058
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§6 . Vas Ruch für Me

Hsft 2

liebes Fräulein Hcusmann, lassen Sie uns beide
genasführte Eheleute zehn Minuten allein — wir
müssen uns notwendig gründlich aussprechcn. —
Bitte hier, treten Sie ins Nebenzimmer — ich drehe
Ihnen das Licht an."
Der Doktor und Elfriede verschwanden.
Es dauerte nicht einmal zehn Minuten, da lagen
sich Ewald Wiesner und seine Hella in den Armen
unv lachten und schluchzten und schimpften durch-
einander.
„Hattest du wirklich an mir gezweifelt, Hella?"
„Aber ich mußte doch —! Und du — konntest
du nur einen Augenblick annehmcn —"
„Als ich in Misdroy vor die leere Wohnung kam,
begann mein Glaube zu wanken. Fräulein Fried-
chen war es, die mir wieder neuen Mut machte.
Sie ist doch ein kapitales Mädchen."
„Und du glaubst nicht, wie viel mir Doktor Hesse
wert gewesen ist! Ohne ihn wäre ich ganz in Ver-
zweiflung untcrgetaucht. Er ist ein großartiger
Mensch!"
Wiesner lachte. „Die beiden Wächter, die wir
uns gegenseitig gesetzt haben! Wir drolligen
Leute!"-
Das kapitale Mädchen aber und der großartige
Mensch hatten im Nebenzimmer zunächst auch eine
aufklärende Unterhaltung geführt. Als dieser Stoff
versiegte, trat eine Verlegenheitspause ein, und wer
weiß, wie lange die beiden Menschen, deren Hände
so gern bereit waren, sich ineinander zu legen, noch
mit dem entscheidenden Frage- und Antwortspiel
gewartet hätten, wenn nicht im Salon Laute hörbar
geworden wären, aus denen man auf das Ende der
ehelichen Aussprache schließen mußte.
Da nahm Doktor Hesse, fürchtend, daß eine bessere
Gelegenheit, sich die Erkorene zu erringen, nicht so
bald wieder beschert werden würde, einen raschen
Anlauf — und in einer Viertelminute hatte er eine
Braut.
Das wurde ein sehr munterer Abend.
Zwischen dem Ehepaar und dem Brautpaar stand
auf dem nut Blumen schnell geschmückten Tische
eine Flasche Rüdesheimer, und die beiden Männer
brachten die lustigsten Toaste aus — einen sogar auf
den Klatsch.
Das brachte Doktor Hesse fertig.
„Wer will ihn loben?" sagte er. „Gewiß nie-
mand. Der Klatsch, die boshafte Verleumdung des
Mitmenschen gehört mit zu den häßlichsten Dingen
auf dieser Welt. Aber auch das Häßlichste hat irgend-
wo eine bessere Kehrseite. Auch der Klatsch ist ein
Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und
doch — lvie unsere heutige Verlobung zeigt — das
Gute schafft. Ohne ihn wären wir noch lange nicht
so weit."
„Aber dein Klatsch können wir doch unmöglich ein
Hoch ausbringen!" warf Wiesner lachend ein. „Doktor,
Sie vergaloppieren sich! Tod allem Klatsch!"
„Also ein Pereat!" fuhr dieser fort. „Jedoch den
Klatschbasen an der Spree und an der Ostsee, so
niederträchtig und häßlich sie auch sein mögen aus-
wendig und inwendig — wir wollen ihnen ver-
zeihen."
Hell klangen die Gläser zusammen.

Modems kslkdiat.
von Öl', ernst vmnck.
(Nachdruck verboten.)
meinem Frühstückstisch steht, ebenso Ivie
» aus meiner Mittagstafel und dem abendlichen
Ml s Teetisch, neben Salzfaß und Senftöpfchen
lWWM der Essig- und Olmenage ein Fläschchen
mit einer wasserhellen Flüssigkeit. Bringe ich den
Inhalt dieses Fläschchens an die Zunge, so habe ich
einen bitteren, jedoch keineswegs widerwärtigen
Geschmack. Aber unverdünnt trinke ich den Inhalt
auch überhaupt nicht. Ich setze vielmehr von dieser
Flüssigkeit bloß morgens dem Kaffee, mittags der
Suppe, abends dem Tee, Bier oder Punsch je einen
Kaffeelöffel voll zu, und seit ich das tue, befinde ich
mich wohler und frischer, als ich mich je zuvor be-
funden habe.
„Bitte— was ist das für ein Lebenselixir?" höre
ich schon begierig fragen. „Nützt es wirklich? Wo
bekommt man es? Wie heißt es? Was kostet es?"
Ich bin auf einige enttäuschte Gesichter gefaßt.
Denn in meiner Flasche ist nichts als — Kalk. Nur
Kalk. Ganz gewöhnlicher Kalk. Oder, genauer und
chemisch richtiger ausgedrückt: in destilliertem Wasser
aufgelöstes, reines kristallisiertes Chlorkalzium.
Kalk kommt sehr vielfach in der Natur vor. Er
ist, in jeweils verschiedenen chemischen Verbindungen,
im Erdboden und in den Pflanzen enthalten, bildet
den Hauptbestandteil der Knochen und findet sich

im Kalkstein, im Marmor, im Gips und im Glas.
Auch der Hauptbestandteil der Eierschalen, Muschel-
schalen und Schneckenhäuser ist Kalk. Wertvoll wird
er aber für den Menschen vor allein dadurch, daß
er einen wichtigen Stoff für den Aufbau des Kör-
pers bildet. Hüter den mineralischen Salzen, deren
wir neben Wasser, Eilveiß, Fett und Zuckerstärke zu
unserer Ernährung bedürfen, steht neben dem ge-
wöhnlichen Salz, das wir uns als Kochsalz oder
Tischsalz einverleiben, der Kalk an erster Stelle.
Außer den Knochen und Zähnen sind es besonders
Herz, Lunge, Nieren und Nerven, die zu leistungs-
fähigem Zustande Kalk nötig haben.
Nehmen wir nun aber auch wirklich so viel Kalk
zu uns, wie wir bedürfen?
Denken wir uns einmal ein einfaches Mittag-
essen von guter, kräftiger Hausmannskost.. Zuerst
gibt es eine schmackhafte Fleischsuppe mit appetit-
lichen Klößchen darin, sehr gediegen und anregend
zubereitet, dann folgt ein solider Kalbs- oder Rinder-
braten mit Kartoffeln und Gemüse, Erbsen oder
Bohnen zum Beispiel, und als Nachtisch kommt ein
schöner Pfannkuchen mit Apfelkompott. So nahr-
haft und reichlich dies Mittagessen ist, so mangelhaft
und unzureichend ist es doch, wenn man das Be-
dürfnis der Essenden nach Kalksalzen in Betracht
zieht.
Sehen wir zu: Die Suppe ist fast völlig kalkarm,
wenn sie nicht noch durch eine Einlage von Wurzel-
gemüsen, Sellerie oder Kohlrabi, etwas kalkreicher
gestaltet wird. An die Stelle des Bratens müßten,
um bei diesem Menü dem Körper genügend Kalk
zuzuführen, etwa Herz am Spieß, gebratene Leber,
Lungenhaschee oder geröstete Nieren treten, oder es
müßten, wenn es doch Braten sein soll, die Bohnen
und Erbsen durch Spinat, Kohl oder Rotkraut er-
setzt werden. Auch im Pfannkuchen mit Kompott
finden sich nur ungenügende Spuren von Kalk, und
das Glas Bier, das zur Mahlzeit getrunken wird,
hilft dem Mangel auch nicht ab. Ebensowenig ent-
hält selbst das sogenannte „kalkreiche" Trinkwasser
genügend Kalk für den Bedarf des Körpers. Auch
von diesem kalkreichen Trinkwasser würden erst zehn
Liter täglich genügen, um den Kalkbedarf zu decken.
Man müßte also, um dem Körper so viel Kalk zu-
zuführen, wie er in seinem Haushalt braucht, entweder
sehr viel mehr essen, als man gewöhnlich tut — was
seine großen Bedenken haben würde — oder sich
nach einem sorgfältig ausgeklügelten Speisezettel er-
nähren, auf dem aber dann die verhältnismäßig
wenigen kalkreicheren Nahrungsmittel, wie Spinat
oder gebackenes Hirn, in ziemlicher Eintönigkeit
immer wiederkehren müßten.
Den Tieren geht es übrigens nicht viel besser.
Es gibt, besonders im Hochgebirge, eine Erscheinung,
die man als Salzhunger der Schafe bezeichnet. Die
Tiere bekommen zuzeiten auf entlegenen Weide-
triften nicht genug Salz und stürzen sich daher mit
Gier auf alles, wenn es nur etwas salzig schmeckt.
Da kann es einem Bergsteiger, der einer salzhungrigcn
Schafherde begegnet, passieren, daß die Schafe seine
schweißdurchtränkten Kleider zu belecken beginnen.
Es ist auch schon vorgekommen, daß ein solcher Höhen-
wanderer von den salzhungrigen Tieren, die sich
gierig an ihn drängten, durch die Wucht des An-
griffs in einen Abgrund gestoßen wurde.
Eine ähnliche Erscheinung nun ist der Kalkhunger.
Kälber und andere Tiere, die nicht genügend Kalk
erhalten, fangen an, den Mörtel von der Stallwand
abzuleaen. Schafe fressen sogar, wie ein Zoologe
beobachtet hat, in solchem Falle sich gegenseitig die
kalkreiche Wolle weg, Hühner reißen einander die
Federn aus. Stubenvögeln und besonders dem
Geflügel, das Eier legen soll, muß man immer etwas
Kalk, Eierschalen oder Mörtel geben, wie ja auch
Hunde nicht bloß für ihr Gebiß, sondern auch für
ihre Ernährung zuweilen einen der kalkreichen
Knochen haben wollen. Wenn man einem Hunde
kalkfreie Nahrung gibt, sondert sein Magen über-
haupt keinen Magensaft ab, der Hund verliert den
Appetit und kommt herunter.
Ein namhafter Naturforscher machte folgenden
Versuch: Er wollte feststellen, welchen Einfluß der
Kalkmangel auf das Knochengerüst einer Henne
haben würde. Er gab ihr daher nur Kartoffeln und
Gerste, die sehr wenig Kalk enthalten, und gewahrte
nun zu seiner Überraschung, daß diese Henne Eier
ohne Schalen zu legen begann rind bald überhaupt
keine Eier mehr legte. Hätte sie wie eine andere
Henne, die dasselbe Futter erhielt, auch noch ge-
stoßenen Mörtel bekommen, so würde sie ebenfalls
damit fortgefahren sein, jeden zweiter: Tag ihr Ei,
und zwar kein „geschältes", zu legen.
Auch die Nahrung des Menschen kann gelegent-
lich so wenig Kalksalze enthalten, daß er instinktiv
den Kalk anknabbert, wo er ihn findet. So sieht
man mitunter Wohl Schulkinder am Kreidestift
nagen, was nur deshalb nicht sonderlich auffällt,

weil inan gewohnt ist, Kinder auch sonst oft die
merkwürdigsten Dinge verzehren zu sehen. Ich habe
bisweilen kleine Buben von einer frischgekalkten
Wand Stückchen abkratzcn sehen und die Beteuerung
gehört, das schmecke sehr gut. Für deu erwachsenen
Menschen folgt aber aus all jenen Tatsachen die Nct-
wendigkert, dafür zu sorgen, daß sein Körper so viel
Kalk erhält, wie er nötig hat. Der Körper geht ja
nicht gleich zugrunde, wenn das zeitweise nicht der
Fall ist. Aber er wird weniger leistungsfähig, minder
widerstandskräftig lind damit auch weniger lang-
lebig. Der Mensch mit Kalkunterernährung sieht
blaß aus, ist ucrvös, fühlt sich rasch ermüdet und
oft zerschlagen, und das Geheimnis dieses Zustandes
liegt in zahlreichen Fällen nur eben darin, daß die
Nahrung, die er zu sich uimmt, zu kalkarm ist. Bon
größter Bedeutung ist die zureichende Kalkzufuhr
für Mütter, die ihre Kinder nähren. Beobachten
diese eine regelmäßige Kalkdiät, so sind sie nicht ge-
zwungen, den Kalkschatz ihrer Knochen und Zähne
anzugreifen, nm davon an ihr Kind abzugeben, das
für den Ausbau und die Entwicklung seines Knochen-
gerüstes viel Kalk braucht. Junge Mütter ersparen
sich auf tiefe Weise allerlei Schädigungen, Zahn-
fäule und Haarausfall, sowie die nicht selten auf-
tretende Knochenerweichung.
Wir müssen es also machen wie nut dem Salz,
das wir unseren Speisen ja auch zusetzen, und das
wir für den Bedarfsfall immer auf dem Eßtisch stehen
haben: wir müssen unsere Nahrung von außen her
durch Kalk bereichern. Und das geschieht eben am
besten und einfachsten durch das Fläschchen nut jener
wasserhellen Flüssigkeit, von dem ich erzählt habe.
Ich will auch das Rezept an dieser Stelle ver-
raten. In der Apotheke bekommt inan das Chlor-
kalzium gewöhnlich nicht. Man muß schon in ein
Chemikaliengefchäst gehen und verlangt dort hundert
Gramm kristallisiertes Chlorkalzium, die bloß zwanzig
Pfennig kosten. Dies Lebenselixir hat nämlich im
Gegensatz zu allen anderen Lebenselixiren alter und
neuer Zeit den großen Vorzug, sehr billig zu sein.
Das Chlorkalzium besteht aus weißen, durchsichtigen,
etwas klebrig anzufühlenden und bitter schmecken-
den Kristallen, die inan nun in einem halben Liter
destillierten Wassers, der zehn Pfennig kostet, auf-
löst. Von dieser Flüssigkeit setzt nun: seiner Nahrung
dreimal täglich je einen Teelöffel voll zu, uud reicht
mit der Flasche danu ungefähr einen Monat. Diefe
Kalklösung ist, wie gesagt, bitter, und in einer kleinen,
nur schwach gesüßten Tasse Kaffee fühlt man den
bitteren Geschmack wohl durch. In Suppe oder
Bier jedoch verflüchtigt sich der Geschmack, und im
übrigen habe ich gefunden, daß zum Beispiel eine
Tasse Kakao viel kräftiger mundet, wenn sie ihren
Löffel voll Kalk bekommen hat.
Ein kleiner Melstand ist der, daß Milch gerinnt,
wenn man ihr Chlorkalzium zusetzt. Wem das un-
angenehm ist, der muß entweder die.Milch (auch
beim Milchkaffee) erst etwas abkühlen lassen oder
sich mit dem Trost eines hervorragenden Hygienikers
begnügen, der meinte: da die Milch im Magen ja
sowiefo gerinnt, sei es doch ganz gleich, ob sie das
vorher oder nachher täte.
Noch eine manchem unerwünschte Nebenwirkung
hat der Kalkgenuß: er erhöht das Körpergewicht
auffallend rasch. Das kommt höchst wahrscheinlich
daher, daß die Vcrdauungsdrüfen leistungsfähiger
werden und die eingeführte Nahrung besser aus-
nützen. Der unerwünschten Gewichtszunahme be-
gegnet man an: besten nicht durch einen Verzicht
auf die Kalkzufuhr, sondern dadurch, daß man
weniger zu essen anfängt. Wir essen im allgemei-
nen mehr, ost viel mehr, als wir brauchen, und der
Mensch wird viel öfter durch Überernährung krank
als durch Hunger uud Entbehrungen.
Wenn wir unserer Nahrung in dieser Weise Kalk
zusetzen und unseren: Körper damit geben, was er
braucht und haben will, machen wir unsere Organe,
die Lunge, die Nieren und vor allein das Herz,
beträchtlich leistungsfähiger. Mit diesen drei Tee-
löffeln voll Kalk und einem Stück Brot kann man
einen ganzen Tag und noch länger jede weitere
Nahrung völlig entbehren, ohne eine Spur vou Er-
schöpfung zu fühlen. Es ist daher kein Wunder,
wenn die gesteigerte Kalkzufuhr nicht nur der Er-
kraukung des Körpers festeren Widerstand entgegen-
zusetzen, sondern auch geradezu Heilwirkungen zu
erzielen vermag.
In Böhmen gibt es einen Ort, in den: haupt-
sächlich Kalkbrennerei betrieben wird. Zwei Kilo-
meter davon liegt eine Ortschaft, in der die Leute
sich auf andere Weise ihren Lebensunterhalt ver-
dienen. Es ist ausgefallen, daß in den: ersteren
nur halb soviel Menschen an Schwindsucht starben
als in dem letzteren. Der Grund dafür ist aber
nach den neueren Forschungen über die Rolle, die
der Kalk im Körper spielt, nicht schwer zu finden:
jene Kalkbrenner atmen so viel Kalk bei ihrer Tätig-
 
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