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v38 Such fül- MIe
Vie fliege im vemstein.
i^omsn von e. v. vdlel-sfeld-vallestrem.
t7vrtscftung.) m tNachdruck 021-botrn.)
UN weiß ich aber wirklich nicht, wie ich die
jedenfalls ehrlich gemeinte Güte von Frau
Modesta mir gegenüber mit ihrer ent-
schiedenen Neugierde in betreff meiner
> Privatangelegenheiten in Einklang brin-
gen soll. Hat die „Prüfung" meiner Papiere
und so weiter sie beruhigt und befriedigt, oder
ist ihr's leid, daß sie an meiner Respektabilität,
meiner Integrität, oder was immer es ist, gezweifelt
hat? Mag es sein, wie es will, das Geschenk dieses
Ringes ist mir sehr peinlich, denn es legt mir gewisse
Verpflichtungen auf, die ich nicht gern auf mich
nehme. Nun, es soll mir eine Lehre sein, niemals
wieder etwas bei jemand zu bewundern! Und dabei
habe ich es diesem Ringe gegenüber nicht einmal
getan. Er ist originell, gewiß, und hervorragend
schön gearbeitet, und macht mich, je länger ich ihn
betrachte, begierig auf seine Geschichte. Ich bin
überzeugt, daß er eine solche hat, denn es geht
wie ein elektrischer Strom von ihm auf meine Hand
aus. Der breite, durchbrochene Reif hat auch nicht
das gewöhnliche Arabeskenmuster, wie ich eben sehe,
sondern mehr die Form von Runen — nein! Ma-
juskeln sind's, die zwischen den Rändern ein Durch-
bruchmuster bilden. — Laß sehen, ob ich sie heraus-
bringe — —
Ich hab's. — Die Majuskeln heißen, von rechts
nach links gelesen: „NXX. IvbM.** Wer
ist oder wer war dieser „Max", der „immer derselbe"
zu sein versichert? Weiß Frau Modesta nicht, daß
diese Arabesken Buchstaben sind? Unmöglich wäre
es nicht, daß sie keine Ahnung davon hat, denn der
erste und letzte Buchstabe zu beiden Seiten des in
Brillanten gefaßten Chiastolithen ist der gleiche,
nämlich ein ,M**, und man muß schon sehr genau
Hinschauen, um zu erkennen, daß die Durchbruch-
arbeit aus Buchstaben besteht.
Ich werde einmal bei Gelegenheit darauf zurück-
kommen.
Es war an diesem Morgen von einem Ausgang
keine Rede mehr, und ich wollte deswegen nicht an-
fragen, weil das Unwohlsein des Doktors jedenfalls
die Ursache dazu war. Trotzdem die Stunden in
der Einsamkeit meines Zimmers mir etwas lang
wurden, weil's mich sehr hinauszog, stand ich
doch davon ab, allein auszugehen, weil man mich
am Ende hätte brauchen können. Dies war aber
nicht der Fall; der Doktor schien bei der Mahlzeit
sogar wieder ganz erholt zu sein und stellte einen
Spaziergang nach dem Tee in Aussicht. Es wurde
auch wieder von dem Ringe gesprochen, das. heißt
Frau Modesta fragte mich mit gutmütigem Spott,
ob ich mich nun mit meinem Geschenke ausgesöhnt
hätte, worauf ich erwiderte, daß ich ihre Güte und
freundliche Absicht nicht einen Augenblick unter-
schätzt hätte. Es lag mir nun auf der Zunge, zu
fragen, ob sie von dem Vorhandensein der Buch-
staben wüßte, merkwürdigerweise wollte die Frage
aber nicht über meine Lippen und formulierte sich
zu meiner eigenen llberraschung in eine Bemerkung
über die Eigentümlichkeit des Chiastolithen, den ich
zum ersten Male gesehen.
„Ja, der Stein ist sonderbar, mir aber unsym-
pathisch. Sie brauchen sich also schon deswegen kein
Gewissen daraus zu machen, den Ring von mir an-
genommen zu haben," sagte Frau Modesta, und
damit war das Thema erledigt.
In mein Zimmer zurückgekehrt, hatte ich nicht
die geringste Lust, bis zum Tee fast drei Stunden
darin zu hocken, und nachdem ich noch ziellos etwas
herumgekramt und einen Brief geschrieben, beschloß
ich, mir den Palazzo etwas anzusehen, also auf Ent-
deckung auszugehen. Es ist nicht gerade angenehm,
daß ich immer bis zur Antikamera laufen muß,
um auf den Korridor zu kommen, denn abgesehen
davon, daß mein Zimmer überhaupt keinen Ausgang
dahin hat, sind die Türen im Salon und im Studier-
zimmer abgeschlossen — ich weiß nicht, warum.
Ich finde es sehr langweilig, bei jedem Schritt, den
man tut, beobachtet zu werden.
Ich hatte heute aber Glück, denn in den Räumen,
die ich passieren mußte, war niemand. In der
Antikamera angelangt, hörte ich Eckschmidts sich
in ihrem Schlafzimmer lebhaft unterhalten, was
also ihr Begriff von „Siesta" zu sein scheint, und
leise schlüpfte ich auf den Korridor hinaus.
Das bißchen Freiheit, das ich schon angefangen
hatte, schmerzlich zu vermissen, machte mich ganz
übermütig, und im Walzertakt tänzelte ich die end-
losen Korridore hinab, sprang die Treppe hinunter in
einem Tempo, über das ich selbst lachen mußte, und
landete in dem wundervollen gartenartigen Hofe
mit dem blauen Himmel von Rom als Dach darüber,
nut den bis über die Loggien des ersten Stocks hinauf-
kletternden Rauken von wildem Wein, Hängerosen
und purpurner Klematis — Gott, was ist dieser
Cortile für ein wunderbarer Ort, mitten im Herzen
von Rom!
Ich war noch nicht lange dort, da gesellte sich
die Signora Filomena, die Frau des Portiers,
zu nur, und ich fragte natürlich um Erlaubnis, den
Hof betreten zu dürfen, die mir bereitwilligst zu-
gestanden wurde. Dabei kam mir ein Gedanke.
„Darf man den Palazzo auch sehen?" fragte ich
die freundliche Frau, die strahlend meine Freude
über deu schönen Hof teilte.
Sie zögerte einen Augenblick mit der Antwort.
„Signorina, es ist uns ernstlich verboten, den Frem-
den die Staatsgemächer zu zeigen," sagte sie dann.
„Aber ich denke, ich kann es verantworten, Sie- im
Piano nobile herumzuführen, weil Sie doch, streng
genommen, keine Fremde sind, sondern eine Be-
wohnerin des Hauses. Natürlich, wenn die Herr-
schaft anwesend wäre, ginge es nicht an, aber der
Herzog und die Frau Herzogin-Mutter sind noch für
den ganzen Herbst in Poggio Laureto. Freilich kommt
der Herr Herzog oftmals und immer unangesagt
nach Rom — nun, er war ja erst vorgestern hier
und wird wohl heute nicht schon wieder kommen."
„Hoffen wir's," meinte ich lachend. „Da ich
nicht die Ehre habe, den Herrn Herzog zu kennen,
so wird's ja keine Beleidigung sein, wenn ich ihn
gerade jetzt nicht zu sehen wünsche."
„Aber, Signorina — erinnern Sie sich denn
nicht mehr? Der Herr Herzog war's ja, dem Sie
dort in der Halle begegneten, als Sie mit dem
Signor Dottore und seiner Signora zur Audienz
im Vatikan sichren!" rief Filomena aus.
„Ich bin doch noch gar nicht hier ausgefahren,
am allerwenigsten —" begann ich, aber die Frau
war schon davongelaufen, um die Schlüssel zu holen,
und bis sie wiederkam, hatte ich die Sache vergessen,
schon weil mich das, was ich unter ihrer Führung
vom Palazzo Roccasanta sah, so interessierte, daß
mir dieser kleine Irrtum der Guten total ent-
schlüpfte.
Vor allem: der Palast macht nicht den Eindruck,
als ob der Besitzer es aus finanziellen Rücksichten
notig hätte, Wohnungen darin zu vermieten. Tat-
sächlich ist ja auch der Doktor der einzige Mieter.
Aber das geht mich nichts an.
Die Eingangshalle, die ich durch die Glastür nach
dem Cortile gesehen, ist an sich schon ein Prachtstück
mit ihrer gewölbten, holzgeschnitzten Kassettendecke;
die mit breiten, roten Smyrnaläufern belegte
Marmortreppe mit ihren schmiedeeisernen, ver-
goldeten Geländern, ihrem Kassettengewölbe ist
einfach großartig. Sie mündet oben in einen weiten,
glänzenden Vorraum, aus dem wundervoll einge-
legte Flügeltüren zu beiden Seiten in die langen
Reihen von Sälen und Zimmern führen, die mir
mit großem Stolz gezeigt wurden unter Hinweis auf
das elektrische Licht in den Lüstern und Girandoleu
und auf die Warmwasserheizung, die sich wohltuend
in diese gewiß sonst eisige Pracht eingeschmuggelt
hat. Die zum größten Teil wundervollen Möbel,
namentlich einige Kabinettschränke mit Elfenbein-
reliefen und mit Edelsteinen besetzt, erregten mein
ganzes Entzücken, und die alten Stoffe, mit denen die
Sitzmöbel in einigen Zimmern bezogen sind, machten
mich ganz wild vor Begeisterung. Daß sie vielfach
sichtbare Spuren ihres ehrwürdigen Alters trugen,
tat dem keinen Abbruch; im Gegenteil, es verleiht
dem Ganzen den Stempel einer großen Vergangen-
heit. Natürlich gibt es in diesen Räumen viele
prächtige Spiegel in breiten, wundervoll geschnitzten
und vergoldeten, auch in rein silbernen Rahmen,
und die Wände des enormen, galerieähnlichcn Tanz-
saales, dessen Decke von Pietro da Cortona al Fresco
bemalt ist, sind ganz mit Spiegelglas bekleidet^ das
Mario de' Fiori über und über mit seinen graziösen
Blumenranken bemalt hat, während Carlo Marattis
Pinsel die übermütige Puttenschar dazwischen-
zauberte. Die Gemälde in diesen Repräsentations-
räumen sind fast ausschließlich Familienbilder, meist
von Künstlerhand, von Pinturicchio angefangen;
auch einige van Dycks aus seiner römischen Zeit
sind vorhanden und viele sehr graziöse Maler der
Barock- und Rokokozeit, darunter zwei köstliche von
Ghislandi, dessen Werke man ja fast ausschließlich
nur im Privatbesitz finden kann. Und schließlich ein
Goya in seiner ganzen naturalistischen, fast grau-
samen Naturtreue.
„Gibt es denn kein Bild von Tizian in diesem
Palast?" fragte ich meine freundliche, beredte und
wie ein lebender Katalog unterrichtete Führerin.
„Eines — nur eines, Signorina," erwiderte sie
strahlend. „Sie werden es im nächsten Zimmer
sehen."
Natürlich eilte ich so schnell als möglich in dieses
-- -- liest Z
Schatzkästlein, denn für Tizian habe ich nun einmal
eine ganz besondere Vorliebe.
Das Zimmer, in das wir traten, war nicht groß
und mit goldgepreßten Ledertapeten bekleidet —
der rechte Hintergrund für den Fürsten unter den
Malern.
„Wo?" fragte ich neugierig, noch aus der
Schwelle.
„Da, Signorina!" rief Filomena, auf die Wand
neben der Tür deutend.
Mit einem Schritt stand ich vor dem Bilde im
reichgeschnitzten Goldrahmen und — war im selben
Moment einfach starr vor Erstaunen und — ja,
vor Schrecken, denn die Dame, die mit ihren sanften,
dunklen Augen aus dem Bilde auf mich herabsah,
war dieselbe, von der mir in der vergangenen
Nacht geträumt. Zug um Zug war sie's — Gesicht,
Kleidung und alles, nur daß die lange, schmale,
weiße linke Hand mit dem großen Smaragdring
auf dem Zeigefinger hier nicht ein Tuch an den
Hals drückte, sondern mit der edelsteinschimmernden
Kette ihres Gürtels spielte.
Ich glaube, es hat eine ganze Weile gedauert,
bis ich mit einer mir selbst ganz fremden Stimme
fragen konnte: „Wer war sie — diese Dame?"
„Oh, das ist die Ammonatrice* — ich meine
Donna Viviana Roccasanta," erwiderte Filomena
vom Fenster her, wo sie sich mit dem Laden zu
schaffen gemacht. „Sie war aus Neapel, eine
Alvarez da Toledo und Nichte des berühmten
spanischen Vizekönigs."
„Sie sieht wie eine Spanierin aus," murmelte
ich, ohne den Blick von dem Bilde losreißen zu können.
„Aber Sie nannten sie doch noch mit einem anderen
Namen — die Ammonatrice?"
„Ganz recht, so sagte ich Wohl. Es ist mir so
herausgeschlüpft," antwortete Filomena verlegen.
„Es hat nichts zu bedeuten."
Ich war anderer Meinung, denn ich hatte mir
inzwischen überlegt, daß das „Warnerin" oder „Er-
mahnerin" bedeuten mußte.
„O bitte, sagen Sie mir, warum Sie die Dame
auf dem Bilde so nannten," bat ich. „Sie sehen,
es interessiert mich alles so sehr."
„Es ist dumm, daß mir der Name herausfuhr;
da es mm aber einmal geschehen ist, so will ich's der
Signorina schon erzählen," erwiderte Filomena mit
einer Bereitwilligkeit, die darauf schließen ließ, daß
ihr die Geschichte eigentlich auf der Seele brannte.
„Freilich, die Signorina müßte mir schon fest ver-
sprechen, niemand zu sagen, daß Sie es' von mir
wissen, denn es könnte der Herrschaft am Ende nicht
recht sein, wenn schon jedes Kind im Viertel weiß,
wer die,Ammonatrice* ist. Aber Sie sind eine Fremde
und werden wahrscheinlich über die ganze Sache
nur lachen, und da möchte ich doch lieber —"
„Bestimmt werde ich nicht darüber lachen und
werde auch mit niemand, mit keiner Seele darüber
sprechen," fiel ich nun vor Neugierde brennend ein.
„Wenn Sie es sagen, dann wird es schon so
sein. Ich glaube Ihnen, Signorina, denn Sie
sehen nicht so aus, als ob Sie über so eine Sache
spotten würden," meinte Filomena befriedigt. „Also,
Donna Viviana wird die ,Ammonatrice* genannt,
weil sie der Familie, und nur dieser allein, durch
ihr Erscheinen anzeigt, wenn einem von ihr eine
Gefahr droht. Sicherlich, das tut sie — sie kommt,
um zu warnen! Ich für meinen Teil habe sie noch
nicht gesehen und werde es auch nicht, denn ich ge-
höre ja nicht zur Familie, aber ich weiß, daß die
Frau Herzogin sie gesehen hat. Warum sie zur
Erde zurückkommt, um zu warnen? Wer kann es
wissen! Natürlich hat man nach einer Erklärung
gesucht, und danach kam es so: Donna Viviana,
heißt es, hatte einen spanischen Verwandten, einen
Vetter, gegen den Don Camillo Roccasanta, sagt
man, eine so heftige Abneigung oder Eifersucht
sühlte, daß er seiner Gemahlin verbot, ihn zu sehen,
denn er kam häufig nach Rom. Donna Viviana
aber fand die Bande des Blutes stärker als ihres
Gatten Verbot und soll dem Vetter oft durch
Geldspenden geholfen haben, wenn er, wie ge-
wöhnlich, das Seinige verspielt hatte. Nun, ver-
borgen bleiben solche Heimlichkeiten auf die Dauer
nicht, irgend ein hämischer Neider hinterbrachte Don
Camillo die Zusammenkünfte seiner Frau mit ihrem
Vetter, und ein wohlwollender Freund warnte
Donna Viviana vor der drohenden Gefahr. Sie aber
mißachtete die Warnung, und damit kam das Ende
vom Liede. Don Camillo fand den Vetter wieder
einmal in ihrem Salon und — tötete seine schöne
junge Frau durch einen Dolchstich in den Hals,
während der Vetter entkam und nicht mehr gesehen
ward. So glaubt man denn, weil sie den freund-
lichen Warner mißachtete, kommt Donna Viviana
seitdem wieder, wenn einem von der Familie eine
Gefahr droht, um ihn zu warnen, und darum wird
sie die ,Ammonatrice* genannt."
v38 Such fül- MIe
Vie fliege im vemstein.
i^omsn von e. v. vdlel-sfeld-vallestrem.
t7vrtscftung.) m tNachdruck 021-botrn.)
UN weiß ich aber wirklich nicht, wie ich die
jedenfalls ehrlich gemeinte Güte von Frau
Modesta mir gegenüber mit ihrer ent-
schiedenen Neugierde in betreff meiner
> Privatangelegenheiten in Einklang brin-
gen soll. Hat die „Prüfung" meiner Papiere
und so weiter sie beruhigt und befriedigt, oder
ist ihr's leid, daß sie an meiner Respektabilität,
meiner Integrität, oder was immer es ist, gezweifelt
hat? Mag es sein, wie es will, das Geschenk dieses
Ringes ist mir sehr peinlich, denn es legt mir gewisse
Verpflichtungen auf, die ich nicht gern auf mich
nehme. Nun, es soll mir eine Lehre sein, niemals
wieder etwas bei jemand zu bewundern! Und dabei
habe ich es diesem Ringe gegenüber nicht einmal
getan. Er ist originell, gewiß, und hervorragend
schön gearbeitet, und macht mich, je länger ich ihn
betrachte, begierig auf seine Geschichte. Ich bin
überzeugt, daß er eine solche hat, denn es geht
wie ein elektrischer Strom von ihm auf meine Hand
aus. Der breite, durchbrochene Reif hat auch nicht
das gewöhnliche Arabeskenmuster, wie ich eben sehe,
sondern mehr die Form von Runen — nein! Ma-
juskeln sind's, die zwischen den Rändern ein Durch-
bruchmuster bilden. — Laß sehen, ob ich sie heraus-
bringe — —
Ich hab's. — Die Majuskeln heißen, von rechts
nach links gelesen: „NXX. IvbM.** Wer
ist oder wer war dieser „Max", der „immer derselbe"
zu sein versichert? Weiß Frau Modesta nicht, daß
diese Arabesken Buchstaben sind? Unmöglich wäre
es nicht, daß sie keine Ahnung davon hat, denn der
erste und letzte Buchstabe zu beiden Seiten des in
Brillanten gefaßten Chiastolithen ist der gleiche,
nämlich ein ,M**, und man muß schon sehr genau
Hinschauen, um zu erkennen, daß die Durchbruch-
arbeit aus Buchstaben besteht.
Ich werde einmal bei Gelegenheit darauf zurück-
kommen.
Es war an diesem Morgen von einem Ausgang
keine Rede mehr, und ich wollte deswegen nicht an-
fragen, weil das Unwohlsein des Doktors jedenfalls
die Ursache dazu war. Trotzdem die Stunden in
der Einsamkeit meines Zimmers mir etwas lang
wurden, weil's mich sehr hinauszog, stand ich
doch davon ab, allein auszugehen, weil man mich
am Ende hätte brauchen können. Dies war aber
nicht der Fall; der Doktor schien bei der Mahlzeit
sogar wieder ganz erholt zu sein und stellte einen
Spaziergang nach dem Tee in Aussicht. Es wurde
auch wieder von dem Ringe gesprochen, das. heißt
Frau Modesta fragte mich mit gutmütigem Spott,
ob ich mich nun mit meinem Geschenke ausgesöhnt
hätte, worauf ich erwiderte, daß ich ihre Güte und
freundliche Absicht nicht einen Augenblick unter-
schätzt hätte. Es lag mir nun auf der Zunge, zu
fragen, ob sie von dem Vorhandensein der Buch-
staben wüßte, merkwürdigerweise wollte die Frage
aber nicht über meine Lippen und formulierte sich
zu meiner eigenen llberraschung in eine Bemerkung
über die Eigentümlichkeit des Chiastolithen, den ich
zum ersten Male gesehen.
„Ja, der Stein ist sonderbar, mir aber unsym-
pathisch. Sie brauchen sich also schon deswegen kein
Gewissen daraus zu machen, den Ring von mir an-
genommen zu haben," sagte Frau Modesta, und
damit war das Thema erledigt.
In mein Zimmer zurückgekehrt, hatte ich nicht
die geringste Lust, bis zum Tee fast drei Stunden
darin zu hocken, und nachdem ich noch ziellos etwas
herumgekramt und einen Brief geschrieben, beschloß
ich, mir den Palazzo etwas anzusehen, also auf Ent-
deckung auszugehen. Es ist nicht gerade angenehm,
daß ich immer bis zur Antikamera laufen muß,
um auf den Korridor zu kommen, denn abgesehen
davon, daß mein Zimmer überhaupt keinen Ausgang
dahin hat, sind die Türen im Salon und im Studier-
zimmer abgeschlossen — ich weiß nicht, warum.
Ich finde es sehr langweilig, bei jedem Schritt, den
man tut, beobachtet zu werden.
Ich hatte heute aber Glück, denn in den Räumen,
die ich passieren mußte, war niemand. In der
Antikamera angelangt, hörte ich Eckschmidts sich
in ihrem Schlafzimmer lebhaft unterhalten, was
also ihr Begriff von „Siesta" zu sein scheint, und
leise schlüpfte ich auf den Korridor hinaus.
Das bißchen Freiheit, das ich schon angefangen
hatte, schmerzlich zu vermissen, machte mich ganz
übermütig, und im Walzertakt tänzelte ich die end-
losen Korridore hinab, sprang die Treppe hinunter in
einem Tempo, über das ich selbst lachen mußte, und
landete in dem wundervollen gartenartigen Hofe
mit dem blauen Himmel von Rom als Dach darüber,
nut den bis über die Loggien des ersten Stocks hinauf-
kletternden Rauken von wildem Wein, Hängerosen
und purpurner Klematis — Gott, was ist dieser
Cortile für ein wunderbarer Ort, mitten im Herzen
von Rom!
Ich war noch nicht lange dort, da gesellte sich
die Signora Filomena, die Frau des Portiers,
zu nur, und ich fragte natürlich um Erlaubnis, den
Hof betreten zu dürfen, die mir bereitwilligst zu-
gestanden wurde. Dabei kam mir ein Gedanke.
„Darf man den Palazzo auch sehen?" fragte ich
die freundliche Frau, die strahlend meine Freude
über deu schönen Hof teilte.
Sie zögerte einen Augenblick mit der Antwort.
„Signorina, es ist uns ernstlich verboten, den Frem-
den die Staatsgemächer zu zeigen," sagte sie dann.
„Aber ich denke, ich kann es verantworten, Sie- im
Piano nobile herumzuführen, weil Sie doch, streng
genommen, keine Fremde sind, sondern eine Be-
wohnerin des Hauses. Natürlich, wenn die Herr-
schaft anwesend wäre, ginge es nicht an, aber der
Herzog und die Frau Herzogin-Mutter sind noch für
den ganzen Herbst in Poggio Laureto. Freilich kommt
der Herr Herzog oftmals und immer unangesagt
nach Rom — nun, er war ja erst vorgestern hier
und wird wohl heute nicht schon wieder kommen."
„Hoffen wir's," meinte ich lachend. „Da ich
nicht die Ehre habe, den Herrn Herzog zu kennen,
so wird's ja keine Beleidigung sein, wenn ich ihn
gerade jetzt nicht zu sehen wünsche."
„Aber, Signorina — erinnern Sie sich denn
nicht mehr? Der Herr Herzog war's ja, dem Sie
dort in der Halle begegneten, als Sie mit dem
Signor Dottore und seiner Signora zur Audienz
im Vatikan sichren!" rief Filomena aus.
„Ich bin doch noch gar nicht hier ausgefahren,
am allerwenigsten —" begann ich, aber die Frau
war schon davongelaufen, um die Schlüssel zu holen,
und bis sie wiederkam, hatte ich die Sache vergessen,
schon weil mich das, was ich unter ihrer Führung
vom Palazzo Roccasanta sah, so interessierte, daß
mir dieser kleine Irrtum der Guten total ent-
schlüpfte.
Vor allem: der Palast macht nicht den Eindruck,
als ob der Besitzer es aus finanziellen Rücksichten
notig hätte, Wohnungen darin zu vermieten. Tat-
sächlich ist ja auch der Doktor der einzige Mieter.
Aber das geht mich nichts an.
Die Eingangshalle, die ich durch die Glastür nach
dem Cortile gesehen, ist an sich schon ein Prachtstück
mit ihrer gewölbten, holzgeschnitzten Kassettendecke;
die mit breiten, roten Smyrnaläufern belegte
Marmortreppe mit ihren schmiedeeisernen, ver-
goldeten Geländern, ihrem Kassettengewölbe ist
einfach großartig. Sie mündet oben in einen weiten,
glänzenden Vorraum, aus dem wundervoll einge-
legte Flügeltüren zu beiden Seiten in die langen
Reihen von Sälen und Zimmern führen, die mir
mit großem Stolz gezeigt wurden unter Hinweis auf
das elektrische Licht in den Lüstern und Girandoleu
und auf die Warmwasserheizung, die sich wohltuend
in diese gewiß sonst eisige Pracht eingeschmuggelt
hat. Die zum größten Teil wundervollen Möbel,
namentlich einige Kabinettschränke mit Elfenbein-
reliefen und mit Edelsteinen besetzt, erregten mein
ganzes Entzücken, und die alten Stoffe, mit denen die
Sitzmöbel in einigen Zimmern bezogen sind, machten
mich ganz wild vor Begeisterung. Daß sie vielfach
sichtbare Spuren ihres ehrwürdigen Alters trugen,
tat dem keinen Abbruch; im Gegenteil, es verleiht
dem Ganzen den Stempel einer großen Vergangen-
heit. Natürlich gibt es in diesen Räumen viele
prächtige Spiegel in breiten, wundervoll geschnitzten
und vergoldeten, auch in rein silbernen Rahmen,
und die Wände des enormen, galerieähnlichcn Tanz-
saales, dessen Decke von Pietro da Cortona al Fresco
bemalt ist, sind ganz mit Spiegelglas bekleidet^ das
Mario de' Fiori über und über mit seinen graziösen
Blumenranken bemalt hat, während Carlo Marattis
Pinsel die übermütige Puttenschar dazwischen-
zauberte. Die Gemälde in diesen Repräsentations-
räumen sind fast ausschließlich Familienbilder, meist
von Künstlerhand, von Pinturicchio angefangen;
auch einige van Dycks aus seiner römischen Zeit
sind vorhanden und viele sehr graziöse Maler der
Barock- und Rokokozeit, darunter zwei köstliche von
Ghislandi, dessen Werke man ja fast ausschließlich
nur im Privatbesitz finden kann. Und schließlich ein
Goya in seiner ganzen naturalistischen, fast grau-
samen Naturtreue.
„Gibt es denn kein Bild von Tizian in diesem
Palast?" fragte ich meine freundliche, beredte und
wie ein lebender Katalog unterrichtete Führerin.
„Eines — nur eines, Signorina," erwiderte sie
strahlend. „Sie werden es im nächsten Zimmer
sehen."
Natürlich eilte ich so schnell als möglich in dieses
-- -- liest Z
Schatzkästlein, denn für Tizian habe ich nun einmal
eine ganz besondere Vorliebe.
Das Zimmer, in das wir traten, war nicht groß
und mit goldgepreßten Ledertapeten bekleidet —
der rechte Hintergrund für den Fürsten unter den
Malern.
„Wo?" fragte ich neugierig, noch aus der
Schwelle.
„Da, Signorina!" rief Filomena, auf die Wand
neben der Tür deutend.
Mit einem Schritt stand ich vor dem Bilde im
reichgeschnitzten Goldrahmen und — war im selben
Moment einfach starr vor Erstaunen und — ja,
vor Schrecken, denn die Dame, die mit ihren sanften,
dunklen Augen aus dem Bilde auf mich herabsah,
war dieselbe, von der mir in der vergangenen
Nacht geträumt. Zug um Zug war sie's — Gesicht,
Kleidung und alles, nur daß die lange, schmale,
weiße linke Hand mit dem großen Smaragdring
auf dem Zeigefinger hier nicht ein Tuch an den
Hals drückte, sondern mit der edelsteinschimmernden
Kette ihres Gürtels spielte.
Ich glaube, es hat eine ganze Weile gedauert,
bis ich mit einer mir selbst ganz fremden Stimme
fragen konnte: „Wer war sie — diese Dame?"
„Oh, das ist die Ammonatrice* — ich meine
Donna Viviana Roccasanta," erwiderte Filomena
vom Fenster her, wo sie sich mit dem Laden zu
schaffen gemacht. „Sie war aus Neapel, eine
Alvarez da Toledo und Nichte des berühmten
spanischen Vizekönigs."
„Sie sieht wie eine Spanierin aus," murmelte
ich, ohne den Blick von dem Bilde losreißen zu können.
„Aber Sie nannten sie doch noch mit einem anderen
Namen — die Ammonatrice?"
„Ganz recht, so sagte ich Wohl. Es ist mir so
herausgeschlüpft," antwortete Filomena verlegen.
„Es hat nichts zu bedeuten."
Ich war anderer Meinung, denn ich hatte mir
inzwischen überlegt, daß das „Warnerin" oder „Er-
mahnerin" bedeuten mußte.
„O bitte, sagen Sie mir, warum Sie die Dame
auf dem Bilde so nannten," bat ich. „Sie sehen,
es interessiert mich alles so sehr."
„Es ist dumm, daß mir der Name herausfuhr;
da es mm aber einmal geschehen ist, so will ich's der
Signorina schon erzählen," erwiderte Filomena mit
einer Bereitwilligkeit, die darauf schließen ließ, daß
ihr die Geschichte eigentlich auf der Seele brannte.
„Freilich, die Signorina müßte mir schon fest ver-
sprechen, niemand zu sagen, daß Sie es' von mir
wissen, denn es könnte der Herrschaft am Ende nicht
recht sein, wenn schon jedes Kind im Viertel weiß,
wer die,Ammonatrice* ist. Aber Sie sind eine Fremde
und werden wahrscheinlich über die ganze Sache
nur lachen, und da möchte ich doch lieber —"
„Bestimmt werde ich nicht darüber lachen und
werde auch mit niemand, mit keiner Seele darüber
sprechen," fiel ich nun vor Neugierde brennend ein.
„Wenn Sie es sagen, dann wird es schon so
sein. Ich glaube Ihnen, Signorina, denn Sie
sehen nicht so aus, als ob Sie über so eine Sache
spotten würden," meinte Filomena befriedigt. „Also,
Donna Viviana wird die ,Ammonatrice* genannt,
weil sie der Familie, und nur dieser allein, durch
ihr Erscheinen anzeigt, wenn einem von ihr eine
Gefahr droht. Sicherlich, das tut sie — sie kommt,
um zu warnen! Ich für meinen Teil habe sie noch
nicht gesehen und werde es auch nicht, denn ich ge-
höre ja nicht zur Familie, aber ich weiß, daß die
Frau Herzogin sie gesehen hat. Warum sie zur
Erde zurückkommt, um zu warnen? Wer kann es
wissen! Natürlich hat man nach einer Erklärung
gesucht, und danach kam es so: Donna Viviana,
heißt es, hatte einen spanischen Verwandten, einen
Vetter, gegen den Don Camillo Roccasanta, sagt
man, eine so heftige Abneigung oder Eifersucht
sühlte, daß er seiner Gemahlin verbot, ihn zu sehen,
denn er kam häufig nach Rom. Donna Viviana
aber fand die Bande des Blutes stärker als ihres
Gatten Verbot und soll dem Vetter oft durch
Geldspenden geholfen haben, wenn er, wie ge-
wöhnlich, das Seinige verspielt hatte. Nun, ver-
borgen bleiben solche Heimlichkeiten auf die Dauer
nicht, irgend ein hämischer Neider hinterbrachte Don
Camillo die Zusammenkünfte seiner Frau mit ihrem
Vetter, und ein wohlwollender Freund warnte
Donna Viviana vor der drohenden Gefahr. Sie aber
mißachtete die Warnung, und damit kam das Ende
vom Liede. Don Camillo fand den Vetter wieder
einmal in ihrem Salon und — tötete seine schöne
junge Frau durch einen Dolchstich in den Hals,
während der Vetter entkam und nicht mehr gesehen
ward. So glaubt man denn, weil sie den freund-
lichen Warner mißachtete, kommt Donna Viviana
seitdem wieder, wenn einem von der Familie eine
Gefahr droht, um ihn zu warnen, und darum wird
sie die ,Ammonatrice* genannt."