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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 3
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66 -
den Redestrom im Tone eisigster Höflichkeit. „Leider
müssen wir uns jetzt aber verabschieden, denn wir
haben noch einen weiten Weg nach Hause. Adieu
denn, und einen recht angenehmen Aufenthalt hier!"
„Ach, wir müssen ja leider morgen schon wieder
fort," erwiderte Frau Müller mit klagendem Tone
und setzte eifrig hinzu: „Aber können wir uns nicht
heute abend irgendwo treffen? Es wäre ja so reizend,
wenn unsere jungen Mädchen sich etwas näher treten
könnten."
„Reizend wäre es," meinte Frau v. Eckschmidt
trocken. „Wir müssen aber sehr bedauern, da wir
für heute abend schon versagt sind. Nochmals glück-
liche Reise! — Liebe Thea —"
Damit legte sie ihren Arm in den meinen und
zog mich fort, während der Doktor sich in ein etwas
verlängertes Abschiednehmen einließ — vielleicht um
die ziemlich kurz angebundene Ablehnung seiner
Frau etwas zu mildern.
„Das hätte gerade noch gefehlt!" sagte diese
lachend, als sie mit mir davonzog. „Mit diesen Leuten
einen sogenannten ,gemütlichen" Abend zuzubringen
— danke bestens! Daheim hat einen die hochnäsige,
neugierige Gans nur über die Achsel angesehen, und
hier fließt sie über von Süßigkeit wie ein überfüllter
Honigtopf!"
Dieser Vergleich war zwar drastisch, aber treffend,
und ich mußte herzlich darüber lachen, wobei Frau
v. Eckschmidt rückhaltlos einstimmte. Überhaupt hatte
die Begegnung sie in eine brillante Laune versetzt,
vielleicht, weil sie es angenehm fand, Leute kurz ab-
gefertigt zu haben, die ihr früher nicht gerade mit
offenen Armen entgegengekommen zu sein scheinen.
Übrigens war auch der Doktor sehr aufgeräumt,
als er uns wieder einholte.
„Ich mache dir mein Kompliment, liebe Mo-
dest«," sagte er vergnügt. „Diese Abfuhr war ja
köstlich! Der Wunsch, mit uns heute abend irgendwo
zusammenzutreffen, damit .unsere jungen Mädchen
sich näher treten" — ja, was denn noch? Diese
Müllers sind für mich immer der Inbegriff der
Ungemütlichkeit gewesen! — Sie, liebe Thea, hätten
ja freilich nur von diesem Gänschen profitieren
können, das mit weit offenen Augen — Schneider-
studien an Ihnen gemacht hat."
In diesem Tone ging es noch eine ganze Weile
fort, und ich muß schon sagen, daß ich genug davon
hatte und mich wunderte, daß ein so hochgebildeter
Mann wie der Doktor Geschmack an diesem billigen
Triumph über gesellig so ungewandte Leute fänden
konnte. Dafür können diese Menschen doch schließ-
lich nichts, und wenn man von ihnen srüher über
die Achsel angesehen wurde, so hängt man's doch
nicht noch an die große Glocke.
Die Heimfahrt bescherte uns in der Straßenbahn
eine recht erheiternde Episode. Es saß uns gegen-
über ein junges deutsches Paar, Hochzeitsreisende
der „besseren Stände", das sehr beglückt schien, als
ein Bekannter einstieg und sich zu ihnen gesellte.
Es folgten die üblichen Fragen nach dem, was man
schon in Rom gesehen, darunter die des Zugestiege-
nen: „Waren die Herrschaften schon im Kolosseum?"
„N—nein," erwiderte der junge Ehegatte. „Ist
das anständig? Kann man da mit Damen hingehen?"
Der andere warf einen verzweifelten Blick auf
uns, ob wir's etwa verstanden hätten, schneuzte sich
umständlich, murmelte etwas und verduftete dann
auf die Plattform.
Wir schneuzten uns auch, um unser Vergnügen
zu verbergen.
„Das war solch ein kleines Pröbchen davon, was
die lieben Reisenden von einer Stadt wissen, die
sie besuchen, und noch dazu von solch einer Stadt,"
meinte der Doktor lachend, als wir ausgestiegen
waren. „Dabei sah ich aus der Tasche des um den
Anstand des Kolosseums so sehr Besorgten einen
Baedeker herausgucken."
„Mich ärgert eine derartige sträfliche Unwissen-
heit," gestand ich unverhohlen ein. „Wozu reisen
solche Leute, wenn sie nicht einmal den Wunsch
haben, sich über das zu unterrichten, was sie sehen
wollen? Wenn sie nicht schon vorher wissen, was
das Kolosseum in Rom ist?"
„Weil eine Reise eben zum guten Ton gehört,"
sagte der Doktor. „Und das ist dann die ständige
Wiederholung des alten Sprüchleins: ,Es zog ein
Gänslein übern Rhein und kam als Gickgack wieder
heim." Nein, mich ärgern diese Leute nicht, sie er-
heitern mich. Nur dann, wenn die glänzendste Un-
wissenheit mit der Arroganz zusammenreist, wenn
solche Leute, die das Kolosseum in Rom für einen
Tingeltangel halten und sich dann noch anmaßen,
eine scharse und abfällige Kritik an Land, Leuten
und Kunst zu üben, dann kann einem schon die Galle
überlaufen."
Damit hat der Doktor Wohl recht. Aber wenn
wir wieder einen Ausflug machen, dann werde ich
mir erlauben, aus meiner Börse eine Droschke zu

— Vas Luch sül- Mie :-m
stiften, was Eckschmidts indes voraussichtlich nicht
annehmen werden. Nun, dann war's wenigstens
ein kleiner Wink mit dem Zaunpfahl.
* - *
*
19. September.
Im Laufe des gestrigen Nachmittags hatte ich
gar nicht mehr an meine wunderbare Bekanntschaft
mit der „Ammonatrice" gedacht. Als ich aber abends
im Bett lag, kam die seltsame und doch ein wenig
unheimliche, weil unerklärliche Sache mir wieder ins
Gedächtnis zurück. Lange konnte ich darüber nicht
einschlafen, und dann habe ich ganz natürlich von
ihr geträumt, denselben Traum wie in der vorigen
Nacht, nur mit dem etwas veränderten Schluß, daß
Donna Viviana nicht kurzerhand hinter dem Arazzo
neben dem Kopfende meines Bettes verschwand,
sondern, den Teppich zurückschlagend, mit einem sehr
lieblichen Lächeln auf die holzgetäfelte Wand da-
hinter deutete.
Auge in Auge vor meinem eigenen Spiegelbildc
stehend, würde ich die Hand aufheben und schwören,
daß ich nicht geträumt, sondern auch diese zweite
Begegnung in wachem Zustande, im ungeschmä-
lerten Besitze meiner fünf Sinne erlebt habe. Da
mir meine Vernunft aber sagt, daß man eine ver-
storbene Person nicht mehr sehen kann, so bleibe ich
beim Traum, und auch dieser ist schon wunderbar
genug — wunderbarer, als ihn alle Weisen der Welt
erklären können. Ich brenne eigentlich darauf, ihn
dem Doktor zu erzählen und mich mit ihm darüber
zu besprechen, aber trotzdem hält mich eine gewisse
Scheu davon zurück. Vielleicht ist's nur die Furcht,
ausgelacht zu werden, die ich eigentlich ihm gegen-
über nicht zu haben brauchte, "dennoch aber steht
meinem Wunsche etwas entgegen, das ich erst über-
winden muß.
Ehe ich's vergesse — ich muß mir ein anderes
Versteck für meine Aufzeichnungen suchen, denn die
Matratze ist doch nur ein Notbehelf. Vielleicht ist
in meinem Schreibsekretär ein Geheimfach, denn in
jener Zeit stattete man die Möbel gern mit dergleichen
Fächern aus; mein Schreibpult daheim wenigstens,
das mein Vater mir geschenkt, besitzt ein solches
Geheimfach. Ich muß diesen Sekretär hier doch
einmal daraufhin untersuchen.
Der heutige Tag war sehr ereignisreich. Er
begann damit, daß der Doktor beim Frühstück
einen Besuch der Vatikanischen Museen ankündigte,
was mich mit Heller Begeisterung erfüllte. Natür-
licher- oder vielmehr recht unnatürlicherweise sollten
wir den weiten Weg zum Petersplatze und den Weg
um Sankt Peter herum, an der Torre Borgia und
an der Pinakothek vorbei, zu Fuß zurücklegen. Auf
diese Weise kommt man aber doch schon hundemüde
am Museum an, und darum machte ich den Vor-
schlag, eine Droschke stiften zu wollen, was bereit-
willigst und mit größtem Danke angenommen wurde.
Man sieht daraus, daß man die Leute mit irgend
etwas immer falsch taxiert! Denn, so frage ich nun
schon zum soundsovielten Male, wie stimmt das mit
dem übrigen zusammen? Gar nicht stimmt's mit
dieser Wohnung und mit der Weltreise! Ich werde
mir schon die Mühe geben müssen, die Augen etwas
weiter aufzumachen.
Im Vatikan kann man, trotz dem Vandalen vom
Pinciv gestern, in zwei Stunden wirklich nicht „alles"
sehen, man müßte denn Räder haben und sich mit
den Kunstwerken nicht aufhalten, was ja doch immer-
hin noch für einige Leute der Zweck der Sache ist.
Wir beschlossen daher nur einen vorbereitenden
Rundgang durch die Skulpturensammlung, was für
einen Vormittag schon eine Leistung ist.
Die lieben Reisenden sorgten indes neben dem
Kunstgenuß für auffrischende Erheiterungen. Schon
in der Sala della Rotonda mit ihren ausgewählten
Meisterwerken wurde uns die erste Probe davon
zuteil, aber ich hatte schon früher ein Pfälzer Trio,
offenbar Vater, Mutter und eine eben erwachsene
Tochter, mit Vergnügen beobachtet, wie es erstaunt
von Statue zu Statue trat, und wie der weibliche
Teil mit dem Zeigefinger im viel zu großen Zwirn-
handschuh mit oben 'zusammengedrehten Fingern
auf die Bildwerke pochte-und dazu im schönsten
Pfälzisch Bemerkungen machte. Diese drei traten
dann dicht hinter uns in die Rotonda ein.
„Jerum, hat die 'n große Kopp! Svene
Leit gibt's doch gar nich!" rief das junge Mädchen
beim Anblick der Kolossalbüste der Mutter des Cara-
calla, Julia Domna, der syrischen Gemahlin des
Kaisers Septimius Severus, deren dämonische Schön-
heit ein Kunsthistoriker so treffend „ein Seitenstück
zur Lady Macbeth" genannt hat.
„Selleres nennt mer halt iewerlewensgroß," be-
lehrte der Papa sein Töchterlein und kommandierte
dann: „Links 'rum geht's, sonst müßte mer die
G'schicht' ja noch emol mache!"
Sie wandten sich also nach links und blieben mit

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offenen Mäulern vor der majestätischen Statue der
Juno Sospita aus dem Tempel von Lanuvium
stehen.
„Aber die is scheen!" rief Mama. „Guck emol!
Dees muß e Walkire sein mit enem Schpeer in
der Hand — weischt, so eine, wo ,Hojotoho" singe,
wie mer'sch im Theater in Mannem g'sehe hawwc.
Wirklich scheen, dees muß mer sage!"
Darauf der Vater: „Hat's e Schiern?"
Die Mutter blätterte in einem Heft in ihrer Hand
und sagte dann kleinlaut: „Ich glaab's net."
„Ha, da gehe mer als weiter!" rief der Papa
ärgerlich. „Was solle denn d' Leit von uns denke,
wenn mer so Dinger angaffe, wo als kein Schiern
hawwe!"
Mit einem bedauernden Blick riß die Mama sich
von der „Walküre, wo im Theater in Mannheim
Hojotoho singe", los, und damit verloren wir die
Gruppe aus den Augen. Schließlich waren das eben
einfache Leute, von denen man nicht mehr verlangen
darf. Hingegen wurden wir in der „Galeria delle
Statue" von einer sehr gelehrt aussehenden Dame
im gerafften, graugrünen Lodenrock mit der Frage
angehalten, ob wir Deutsch sprächen.
Auf des Doktors Bejahung fragte sie dann, sicht-
lich erleichtert: „Ach, da können Sie mir gewiß
sagen, wo der Amor des Euripides steht?"
„Bedaure unendlich," erwiderte dex Doktor mit
unerschütterlichem Ernst. „Euripides war, soviel mir
bekannt ist, nur ein Dichter. Wenn Sie aber vielleicht
den Amor des Praxiteles meinen, der steht dort
neben der Tür."
„Wenn ich Euripides sagte, dann meine ich doch
nicht den Praxiteles!" entgegnete dies Dame ver-
ächtlich. „Sagen Sie doch lieber gleich, daß die
Statue gar nicht da ist. Na, dann lassen wir's eben
— es muß ja nicht sein."
Sprach's und marschierte ohne Dank davon. Das
gelehrte Aussehen hatte schmählich getrogen.
Auch vor dem „Meleager", meiner besonderen
Liebe, durften wir einer ergötzlichen Szene bei-
wohnen, aber diesmal waren, in richtiger Steige-
rung, die handelnden Personen ersichtlich Mitglieder
der „oberen Zehntausend".
Die Dame prüfte, seidenraschelnd, die wunder-
bare Gestalt mit dem geistvollen Kopfe durch eine
lange Stocklorgnette von juwelenbesetztem Elfen-
bein und sagte dann mit unsäglicher Verachtung:
„Dem fehlt natürlich wieder eine Hand. Es ist doch
nichts in Ordnung in diesem liederlichen Museum!"
„Ich begreife nur nicht," sagte der Herr darauf,
„wie es in einem doch wohlbehüteten Museum mög-
lich ist, alle diese Statuen so zu verstümmeln."
Achselzuckend wandelten sie weiter, und mir war's,
als hörte ich den klassischen Eselskopf am Eingänge
der „Sala degli Animali" vergnügt lachen.
Und wir lachten mit.
Vor dem Laokoon im Belvedere hielt der Doktor
uns einen längeren Vortrag, der zwar im wesent-
lichen an Lessing sich anlehnte, aber auch Eigenes
enthielt, das ebenso belehrend wie anregend war.
Zum Glück hatte er eben geendet, als ein Trupp
Berliner durchmarschierte, deren Anführer so laut
verkündete, daß man's auf dem Petersplatze hätte
hören können: „Den ollen Onkel dort können wir
uns schenken; Laokoonen haben wir ooch in Berlin
in Jips. Wejen dem Museum hätten wir überhaupt
nicht Herreisen brauchen, denn was wir in Berlin
nicht in Jips haben, dat wird ja ooch nicht jrade
Otto Bellmann sein."
Nach dieser Kraftprobe hatten wir annähernd
Ruhe, denn daß vor dem Apollo des Belvedere zwei
Damen im schönsten Sächsisch Kochrezepte austausch-
ten, ging ja dieses Kunstwerk nichts an und brauchte
uns deshalb in seinem Namen nicht zu empören.
Im Museo Chiaramonte hat man mit Ausnahme
derer, die nach dem Braccio nuovo hasten, das
Terrain so gut wie für sich, denn die Durchschnitts-
reisenden betrachten im allgemeinen diese Sammlung
für viel zu untergeordnet, um sich mit ihr aufzu-
halten; es sind ihnen zu viele Büsten darin, für die
sie sich gar nicht interessieren.
Der Doktor fand das ganz begreiflich. „Denn,"
meinte er, „wer die Geschichte der hier Abgebildeten
nicht kennt, dem sagen ihre Büsten auch nichts."
Vollends in der anschließenden Galeria Lapidaria,
der Sammlung der Inschriften, ist man ganz un-
gestört. Die meisten können ja die präzis und elegant
stilisierten heidnischen, die pathetischen christlichen
Inschriften nicht lesen — es hat also wirklich keinen
Zweck, sie nur anzusehen. Frau Modesta leistete sich
dort auch, trotzdem der Doktor ihr vieles übersetzte,
einen kleinen Gähnkrampf.
Im Braccio nuovo waren schon wieder mehr
Besucher zu finden, aber doch nicht zu viel, um einem
den Genuß dieser kostbaren Sammlung zu stören —
und auf alle, alle lächelt der wunderbare Satyr des
Praxiteles sein geistvolles, spöttisches Lächeln herab
 
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