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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 3
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0080
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. Vas Luch süi- viie


Reihen der Österreicher getrieben habe. Aber er
schob seinen Bericht immer weiter hinaus — bis
zum heutigen Tage. Jetzt wollte er reden, denn
er hatte ein eigentümliches Gefühl, als ob es nicht
so gewiß sei, daß er später noch einmal Gelegenheit
dazu haben würde.
So begann er: „In der Offiziersmesse meines
Regiments kam die Sprache auf die Erziehung des
Soldaten, schließlich auch auf das, was man so
gemeinhin Begeisterung nennt. Ich widerlegte die
Behauptung, daß es eine Begeisterung im wahren
Sinn des Wortes gebe. Meiner Meinung nach
existiert dieser Begriff überhaupt nicht. Es gibt
eine Aufregung, die uns alle Gefahren gering er-
scheinen läßt, eine Massensuggestion, die sich für ein
feststehendes Ziel hinreißen läßt, es gibt auch einen
Sinnestaumel, den man durch Alkohol Hervorrufen
kann — eine Begeisterung an und für sich gibt es
nicht."
Der Sprecher machte eine kleine Pause und blies
mit ironischem Lächeln den Ranch seiner Zigarette
vor sich hin.
Dann fuhr er fort: „Eine Begeisterung lebt viel-
leicht im Hirn eines Dichters, mag auch den Zeitungs-
leser entstammen, der die Berichte über glän-
zende Siege liest, wenn er so recht behaglich
beim warmen Ofen sitzt und den dampfenden
Mokka vor sich hat. Aber hier, in der Wirk-
lichkeit, kann sie nicht bestehen. Hier lauert
der Tod uud die Vernichtung, vor diesem
Gefühl verstummen alle anderen, die viel-
leicht bis zum Eintritt in die erste Schlacht
angehalten haben. Das Todesgrauen bläst
sie weg, nur Pflichttreue und Mannes-
bewußtsein hält uns aufrecht — und die
Schande, die den Feigling trifft. — Ist es
vielleicht nicht so?"
„Nein!" Hauptmann Farkas schüttelte
den Kopf. „Da hättest du unsere Soldaten in
den ersten Gefechten sehen sollen, wie du
noch auf der Fahrt hierher warst. Diese
glühenden Gesichter mit den strahlenden
Augen, die so kampfesmutig in die Welt
blickten, ihre zitternde Freude, als der Be-
fehl zum Angriff kam. Hättest es nur sehen
sollen! Der herzerfreuende Anblick hätte dich
eines Besseren belehrt. Da fühlte man die
Begeisterung, die im Herzen faß und jeden
Nerv durchprickelte. Da hättest du —"
Crottoui behielt sein spöttisches Lächeln
bei. „Ich bestritt also die Existenz der Be-
geisterung, meine Kameraden waren der
gegenteiligen Meinung. Wir wetteten, und
das Ende war, daß ich Urlaub nahm und in-
folge meiner Kenntnis der deutschen Sprache
vom Kriegsministerium in Wien angenom-
men und Leutnant bei deinem Regiment
wurde."
Crottoni warf seine ausgebrannte Ziga-
rette in weitem Bogen von sich.
„Nach dem Feldzuge werde ich wohl
wissen, ob ich im Recht war oder nicht. Bis
jetzt habe ich ja noch nichts mitgemachk,
aber hoffentlich kommt es heute dazu. Und
was die Begeisterung anbetrifft, von der
du eben sprachst" — der Leutnant klopfte
seinem Vorgesetzten leicht auf die Schulter —
„weißt du, was der Alkohol alles kaun? Aus Menschen
Bestien machen, aus solchen wieder Lämmer. Er
verwandelt den Charakter, weil man durch seinen
Genuß mehr im Traun: als in der Wirklichkeit
lebt. Und eure Soldaten in den ersten Kämpfen —
nicht wahr, sie haben tüchtig getrunken?"
Hauptmann Farkas schüttelte ärgerlich den Kopf.'
So lieb er feinen Leutnant trotz der kurzen Be-
kanntschaft hatte, wie sehr er auch das Vornehme
und Ritterliche in Crottoni achtete, heute gefiel er
ihm gar nicht. So spöttisch hatte noch niemand
über Soldatentugenden gesprochen, und Farkas war
ein einfacher Mann, der diese Haarspaltereien über-
haupt nicht verstand. Für ihn gab es wirklich eine
Begeisterung, und ihn und den letzten seiner Jungen
sollte sie in der Schlacht fortreißen — zum Siege
oder zum Tode.
So antwortete er ganz kurz: „Heute wie bisher
haben die Soldatennoch keinen Tropfen erhalten. Und
du wirst trotzdem ihre Begeisterung sehen, wenn —"
Er konnte nicht vollenden. Denn drüben beim
Feinde blitzte es plötzlich aus allen Feuerfchlünden
auf, eine Wolke von Schrapnellen kam geflogen, die
Schwarmlinien der Serben sprangen auf und stürzten
auf den Fluß zu.
„Sie durchwaten den Fluß!"
Ein Murmeln und Staunen ging durch die Reiheu
des österreichischen Regiments, als man die ersten
Abteilungen in den Fluß stürzen sah. Sie hatten
eine Furt herausgefunden und trachteten, durch sie
das jenseitige Ufer zu gewinnen.

Die Artillerie der Serben begann ein Höllen-
konzert, um den Kameraden von der Infanterie
das Vorwärtskommen zu erleichtern. Schlag auf
Schlag erdröhnte, die Maschinengewehre begannen
ein ohrenbetäubendes Rasseln und Knattern, die
Schwarmlinien steckten die letzten Magazine in die
Gewehrkammern und suchten die österreichischen
Abteilungen mit einem Hagel von Eisen und Blei
zu überschütten.
Doch diese blieben nicht untätig. Prompt er-
widerten sic die Grüße der Feinde, ruhig uud kalt-
blütig zielten die kaiserlich und königlichen Infan-
teristen auf die die Drina durcheilenden Serben.
Das Wasser färbte sich blutrot, und die strahlende
Sonne beleuchtete die starren, blassen Gesichter der
Toten, die mit krampfhaft verzerrten Gliedern den
Fluß hinabschwammen.
„Ruhig zielen!" tönten die Stimmender Offiziere.
„Jawohl, Herr Leutnant!" antworteten die
Leute.
„Bald werden wir an die Reihe kommen!"
Hauptmann Farkas brüllte es feinem Leutnant
zu. Jeder Groll gegen seinen Untergebenen war
geschwunden. Denn jetzt ging es. los, jetzt wußte

Papst Piu5 X. j-, (5. 67)
Nach einer phowgraplM von S. Neiici in Nom.
man nicht, ob mau uoch die nächste Stunde erleben
werde.
Nervös zündete er sich eine Zigarette an, als
sein Leutnant keine Antwort gab, sondern nur die
Achseln zuckte uud mit seinem Glas die serbischen
Schwarmlinien beobachtete.
Diese erklommen eben das diesseitige steile Fluß-
ufer. Noch fünfzig Schritte brauchten sie vorzu-
rücken, dann befanden sie sich vor den österreichischen
Schützengräben.
Immer neue Abteilungen durchwateten den
Fluß, für jeden gefallenen Serben trat ein dreifacher
Ersatz ein. Und die Geschütze des Feindes spieen
nach Ivie vor Feuer und Verderben über die öster-
reichischen Stellungen aus, das Kleingewehrfeuer
sprühte in ununterbrochenen Lagen, mit grellem
Pfeifen gruben sich die Stahlmantelgeschofse in den
lehmigen Boden und warfen den österreichischen
Schützen ganze Klumpen in die geröteten Gesichter.
Da stieß Hauptmann Farkas einen kurzen Schrei
aus. Wie Zorn und Wut klang es, wie Haß und
lodernde Ungeduld.
Auch sein Leutnant richtete sich etwas aus seiner
liegenden Stellung auf, mit spähenden Augen blickte
er nach vorne, wo sich die österreichischen und ser-
bischen Schwarmlinien auf kaum zwanzig Schritte
gegenüber lagen, sich die Gewehre gegenseitig fast
an die Gesichter hielten und dann losdrückten. Es
war die moderne Taktik, die erst zum Sturme schreitet,
weun man das Weiße in: Auge des Gegners sieht.
Und auch dann schossen sie noch. Zuerst möglichst

viele Feinde erschießen, lautete ihre Parole, dann
erst mit den: Bajonett angehen. So hatten sie cs
vom ersten Gefecht an gehalten und wiederholten
es auch hier an der Drina.
Da wurden von rückwärts, wo der österreichische
Korpskommandant stand, Signale an die Feuerlinie
gegeben.
Grün-rot!.— Grün-rot! — Und nochmals Grün-
rot !
Das bedeutete Sturm. Im Nu hatten die
Signalisten ihre Fähnchen hervorgezogen. Einen
Augenblick lang wurden sie in die Höhe gehalten
und zeigten dem Oberkommandierenden, daß das
Signal verstanden worden war, dann verschwanden
sie wieder.
Eine rasche Bewegung ging durch die Reihen
der Soldaten — sie ahnten das Naheü der Entschei-
dung.
So war es auch.
Der Regimentskommandeur sprang vor die
Front, die Offiziere rissen ihre Säbel aus der Scheide,
hell uud klar blitzten die Klingen im Sonnenlicht,
und ein brausendes „Hurra" der Manuschaft ant-
wortete dem in drei Gefechten erprobten Führer,
dem tapferen Obersten.
Ein paar scharfe Kommando, das Regi-
ment flatterte auseinander.
Noch ein Befehl, und die lange Linie
erhob sich wie ein Mann und stürmte nach
vorn, wo die Serben eben in die öster-
reichische Stellung eindringen wollten.
Vor der Front die Offiziere, die Säbel
wie in tollem Schlachtenreigen über den
Köpfen schwingend.
Die Tambours schlugen den Sturm-
marsch, die Hornisten fielen mit den gellen,
aufreizenden Tönen des Angriffsignals ein.
Allen übrigen voran zwei Offiziere —
Hauptmann Farkas und Leutnant Crottoni!
Das Gesicht des ersteren war wie mit
Blut übergossen, Leutnant Crottoni hatte
sein Monokel noch immer am Auge.
Und hinter ihn: flog in einem Klumpen
geballt die Mannschaft seines Zuges, er
glaubte trotz des Schlachtenlärms ringsum
das schwere Keuchen der Lungen zu hören,
das rasche Pochen der Herzen, von denen
wohl manchem nur noch wenige Schlüge ge-
gönnt waren.
Einen Augenblick noch zuckte der Ge-
danke an feine Kameraden in Rom durch
sein Gehirn, der Gedanke an seine Wette,
die er natürlich gewinnen wollte — dann
befand er sich schon im Handgemenge.
Wie wütende Katzen sprangen die ver-
wildert aussehendcn Serben an ihm empor,
kaum daß er Zeit hatte, ein paar Säbelhiebe
anzubringen. Beim Regiment hätten sie
ihm das Lob des Fechtlehrers eingetragen,
auch hier schafften sie ihm Luft. Und als
die nächsten Feinde auf ihn losstürzten, war
er schon von den Leuten seines Zuges um-
geben.
„Hurra! — Hurra!" dröhnte es um ihn.
Er sah die Bajonette blitzen und die Kolben
der Mannlichergewehre auf die Köpfe der
Serben niedersausen. Hin und wieder tauchte
das bärtige Gesicht eines Reservisten vor ihm auf,
glühend vor Zorn und Rachedurst, ein unbekanntes,
seltsames Etwas in den flackernden Augen. Dann
schoben sich wieder Serben dazwischen, und Crottoni
hatte alle Mühe auszuwenden, sie mit Säbel und
Revolver von sich abzuwehren.
Plötzlich zuckte er zusammen und sah nach rechts,
wo sich sein Hauptmann mit einigen Infanteristen
gegen eine fast zehnfache Übermacht wehrte. Wie
ein Recke aus grauer Vorzeit stand Farkas da. Die
Sonne fiel auf fein gesundes, braunes Gesicht und
spielte mit dem blitzenden Säbel, den er weite Kreise
beschreiben ließ. Crottoni meinte das. Krachen der
Schädel zu höreu, weun der schwere Pallasch des
Hauptmanns niedersauste. Er wunderte sich über
das fast heitere Gesicht seines Kompaniechefs, in
den: nur die Freude am Waffenhaudwerk und sonst
nichts anderes zu lesen war. Wie hypnotisiert starrte
er hin und konnte sich nicht davon losreißen.
Was war das, was aus den Augen Farkas'
strahlte? Das war nicht der Zorn, das war nicht
die Wut, sich nun seines Lebens erwehren zu müssen.
Das Ivar auch mehr als Pflichttreue, das war ja —
Crottoui gab sich einen gewaltsamen Ruck und
erinnerte sich, daß er seinem Kapitän zu Hilfe eilen
sollte.
„Mir nach, Leute!" brüllte er. „Unser Haupt-
mann ist in Gefahr!"
Er sah gar nicht hin, ob ihm seine Leute folgten.
Seine scharfe Klinge flog einmal rechts und einmal
links, zu beiden Seiten fiel ein Serbe blutend zu
 
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