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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0100
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8b -
Ich ging zunächst nach der Loge des Portiers
und fragte die dort anwesende Filomena, ob ich mich
in dem Cortile etwas aufhalten dürfe, was sie sofort
bewilligte.
„Es geht ja doch kein Mensch hinein," setzte sie
hinzu. „Warum? Weil die Herrschaft nur im
Winter hier ist, und dann kommt die Sonne nur um
Mittag auf kurze Zeit hinein. Also benützen Sie
den Cortile nur ruhig, Signorina — der Herr Herzog
würde auch sonst nichts dagegen haben; ich glaube
sogar, es würde ihn freuen, daß Sie in diesem Herbst
so viele Freude an dem Cortile gefunden haben.
Im vorigen schien er Ihnen aber nicht so zu gefallen."
„Signora, ich glaube, daß Sie mich für eine
andere halten," begann ich, weil die Fran auf ihrem
Irrtum zu beharren schien.
Aber sie fiel mir mit einem gutmütigen Lachen
ins Wort. „Eh!" machte sie abwehrend. „Es ist
ja richtig, daß Sie im vorigen Jahre immer den
dichten Schleier trugen, und daß Sie jetzt viel schlanker
sind, aber die Haare sind doch dieselben, und dann
der Ring mit dem schwarzen Kreuze an Ihrer Hand
— wie sollte ich Sie da für eine andere halten?"
Natürlich war's jetzt ganz klar, daß sie mich für
die „entfernte Verwandte" von Eckschmidts hielt,
und ich gab es auf, sie eines anderen zu belehren.
Was kam es auch schließlich darauf an? Ich ging
also in den Cortile zurück mit dem schönen Bewußt-
sein, gegebenenfalls in der Grotte ebenso einfach
als effektvoll verduften zu können. Denn dieses
Geheimnis wollte ich zunächst noch für mich behalten,
keinesfalls darüber mit Eckschmidts sprechen, weil
die Gelegenheit, mich ohne weiteres und ohne erst
um gütige Erlaubnis zu fragen, entfernen zu können,
um während der Siesta frische Luft zu schnappen,
mir denn doch zu unerwartet in den Schoß gefallen
war, als daß ich Lust verspürt hätte, sie gleich an
die große Glocke zu hängen.
Ich erfreute mich also mit vollen Zügen der
frischen Luft, und falls Eckschmidts etwa ihre Siesta
verkürzen und mich rufen sollten, so mochten sie
meinetwegen glauben, daß ich zu fest schliefe, um
ihr Klopfen zu hören; sie konnten auch glauben,
daß ich durchs Schlüsselloch mein Zimmer verlassen
hätte. Jedenfalls machte es mir ein diebisches Ver-
gnügen, sie bei der Annahme dieses Kunststückes zu
lassen, denn daß sie diesen Ausgang kennen sollten,
war nicht anzunehmen, weil ja sonst der Riegel der
Grottentür nicht gar so verrostet gewesen wäre.
Ich wandelte also vergnügt unter Lorbeer und
Palmen auf und ab und dachte, wie schön es sein
müßte, solch einen Palast zu besitzen. Nicht, daß ich
mich nach dem Rezept von Wilhelm Busch:
Entsagung nennt man das Vergnügen
An Dingen, welche wir nicht kriegen,
in Sehnsucht oder gar Neid danach zu verzehren
pflege, aber warum sollte man nichts davon wün-
schen dürfen?
Sei im Wünschen nicht zu karg;
Wünsche sind der Weg zum Siege,
Des Genügens üpp'ge Wiege
Ist der Tatkraft früher Sarg —
habe ich einmal irgendwo und von irgendwem ge-
lesen und dieser Auffassung Berechtigung zugestehen
müssen, eine so große Tugend das Genügen ja sonst
auch sicherlich ist. Ob zwar das Wünschen gerade
auf römische Paläste auszudehnen ist, steht freilich
auf einem anderen Blatte.
Liebevoll mit der Hand über einen schlanken Lor-
beerzweig streifend, der sich ein wenig vordrüngte,
fiel mein Blick auf den Ring, den Frau v. Eckschmidt
mir geschenkt und den die Filomena an der „ent-
fernten Verwandten" gesehen haben will. Hat dieser
der Ring früher gehört, und hat sie ihn Frau Modesta
gegeben? Vermutlich wohl, denn wie käme er foust
in der letzteren Besitz? Nun, mich ging's nichts an,
aber die Frage kam mir doch, ob die „Entfernte" der
Inschrift des Ringes „Nax. 8smpsr iclsm" nahe ge-
standen. Dann aber hätte sie den Ring wohl nicht
fortgegeben.
Daß Frau v. Eckschmidt es getan, machte mich
heute, in der Erinnerung an die ersparten Centesimi
für die Straßenbahn kopfschütteln, denn wenn der
Chiastolith auch wirklich keinen großen Marktwert
hat, so ist seine Fassung doch wertvoll genug, um das
Geschenk zu einem bedeutenden zu machen. Es
stimmt also wieder etwas nicht.
Während ich über diese Rätsel, die mir die Eck-
schmidts aufgeben, noch nachsann, hörte ich wohl,
daß vor dem Ostportal ein Wagen vorfuhr, hörte die
Filomena auch öffnen und mit einer männlichen
Person sich unterhalten, da ich aber an der Neu-
gierde nach Dingen, die mich nichts angehen, nicht
leide, so drehte ich mich nicht einmal um, als ich im
Cortile Schritte hörte. Erst als eine sympathische
Männerstimme hinter mir halb ungläubig, halb herz-

. ... IT V38 Luch ^5 Mle IllTTlilill
erfrischend freudig ausrief: „8iZnorina— 8ignorina
vorotea!" da fuhr ich herum und --sah den
„Schwarm" meiner grünen Backfischtage, meinen
Tänzer und Bonbonspender vom Lämmerhüpfen,
Don Ferrando Roccasanta vor mir stehen! Ich er-
kannte ihn gleich wieder, auf der Stelle, wennschon
er ja natürlich älter geworden war und größer auch,
wie mir's schien, aber er trug noch den kleinen, ge-
zwirbelten Schnurrbart, den ich damals „süß" ge-
funden, und schlank war er auch geblieben, und seine
blauen Augen hatten noch denselben freundlichen,
geraden und warmen Ausdruck wie damals vor neun
Jahren.
„Don Ferrando! Jst's möglich?" rief ich über-
rascht und ganz unvernünftig erfreut, indem ich ihm
die Hand reichte, die er so respektvoll küßte, wie eben
nur ein Italiener es tut.
„Man sieht, daß eine kleine Neugierde sich doch
manchmal lohnt und — belohnt," sagte er heiter.
„Ich komme eben nach Rom, und die Filomena
flüstert mir beim Offnen zu, daß „die Signorina von
den Mietern im zweiten Stock" im Cortile herum-
spaziere, und da faßte mich die Neugier, die Dame
von Angesicht zu sehen, von der ich im vorigen
Winter einmal einen Schimmer ihrer blonden Haare
erwischt. Und diese Signorina sind Sie! Ich habe
Sie auf den ersten Blick wiedererkannt, trotzdem Sie
damals ein kurzes, weißes Kleid mit blauer Schärpe
und einen langen, enorm langen, blonden Zopf
trugen."
„Nun, dann Ivar das Erkennen ein gegenseitiges,
Don Ferrando," erwiderte ich. „Sie irren aber,
wenn Sie mich hier schon gesehen zu haben meinen.
Ich bin erst seit zwei Tagen mit Herrn nnd Frau
v. Eckschmidt angekommen. Jedenfalls hat die Dame,
für die Sie mich gehalten, mehr Zurückhaltung be-
sessen als ich, denn ich fürchte, mir steht das Recht
nicht zu, mich in diesem wonnigen Cortile aufzu-
halten. Würden Sie wohl die Güte haben, mich des-
halb gelegentlich bei dem Herzog von Poggio Lau-
reto zu entschuldigen?"
Don Ferrando machte eine tiefe Verbeugung.
„Der Herzog von Poggio Lanreto wird es als eine
Ehre betrachten, wenn Sie, Signorina, den Cortile
so oft mit Ihrer Gegenwart beehren, als es Ihnen
gefällt," sagte er mit unnachahmlicher Grandezza,
aber auch mit lachenden Augen. „Ich sage das mit
vollem Recht, da ich ja der Herzog bin."
„Das — das hatte ich wahrhaftig nicht gewußt,"
gestand ich etwas betreten ein. „Da dieser Palast
den Namen Roccasanta führt, so nahm ich zwar an,
daß Sie in Beziehung dazu stehen könnten, aber daß
Sie inzwischen den Titel gewechselt, ahnte ich natür-
lich nicht."
„Also haben Sie sich meiner doch erinnert!" rief
er mit einem Aufleuchten seiner Augen, das mir die
Helle Röte ins Gesicht trieb, worüber ich mich wütend
ärgerte. „Roccasanta ist unser Familienname,"
setzte er rasch hinzu, „der Titel Poggio Laureto ver-
erbt sich bei uns in der Primogenitur. Als ich die
Ehre hatte, Ihre Bekanntschaft zu machen, Signo-
rina, da lebte mein Vater noch; mein ältester
Bruder folgte ihm im Majorat. Er starb zu unserem
größten Schmerze kurz vor seiner Vermählung, und
so trat ich denn die Erbschaft an."
„Also meinen herzlichen Dank, Herr Herzog,"
sagte ich schnell gefaßt. „Sic leben, wie ich höre
während des Sommers auf dem Lande nut Ihrer
Familie. Darf ich fragen, wo Ihre Besitzung liegt?
Mein seliger Vater hat oft Ausflüge mit mir in die
Umgebung Roms gemacht, bei denen wir viele
wunderschöne Villeggiaturen sahen; ich kann mich
aber auf ein Poggio Laureto, einen.Lorbcerhügelh
nicht erinnern."
„Mein Landhaus liegt nach Viterbo zu — gleich
hinter Bracciano, wenn Ihnen der schöne, blaue
Kratersee gleichen Namens bekannt ist," erwiderte
der Herzog. „Wir können den See von unserer Ter-
rasse aus sehen, wie er, einem schimmernden Saphir
gleich, in seiner grünen Fassung liegt. Es ist land-
schaftlich ein schöner Punkt, nufer ,LorbeerhügeU.
Aber meine Familie ist sehr klein; sie besteht nur aus
meiner Mutter und mir selbst. Mein altes Ge-
schlecht wird mit mir erlöschen."
„Nun, dazu hat es nach menschlichem Ermessen
doch noch lange Zeit!" rief ich aus. „Sie sind jung
und machen nicht den Eindruck eines verdorrenden
Stammes."
„Gott sei Dank, daß ich in Ihren Augen nicht wie
ein solcher aussehe," entgegnete er lächelnd.
Er ist ja nicht, was man einen schönen Mann
nennen könnte, aber er sieht sympathisch aus, und
wenn er lächelt, dann wird er geradezu hübsch, eben
weil fein Lächeln ein so hübsches, liebes ist.
„Signorina," fuhr er mit leicht bewegtem Tone
fort, „es braucht jeder Stamm, selbst wenn er noch
so frisch aussieht, eine Sonne und einen Frühling,
um neue Blätter zu treiben. Ich habe meine Sonne,

— ' ' . ... -— 4
meinen Frühling noch nicht gefunden.-- Doch
mir scheint, daß ich ganz gegen jede Vorschrift von
Madame Etikette verstoße, wenn ich hier so mit Ihnen
stehe und ohne die erforderliche Gegenwart einer
Ehrendame mit Ihnen rede. Verzeihen Sie mir
diese ganz unrömifche Formlosigkeit. Meine liebe
Mutter ist nämlich eine Engländerin; in ihrem Lande
findet man nichts dabei, wenn ein junger Mann
eine junge Dame anspricht. Diese englische Hälfte
meines Blutes hat mich schon öfter in Konflikt mit
meinen italienischen Kavalierspflichten gebracht --
also, verzeihen Sie mir. Darf ich mir erlauben,
Ihnen bald meine Aufwartung zu machen?"
„Das würde mir eine große Freude sein; da ich
aber sozusagen im Gefolge von Herrn und Frau
v. Eckschmidt reise — LU pair, um die Lage klarzu-
stellen — so muß ich natürlich erst anfragen, ob es
den Herrschaften genehm ist, wenn ich Besuche in
ihrem Salon empfange," gestand ich ohne Rückhalt ein.
„Oh, in der Tat!" rief Don Ferrando erstaunt.
„Ich glaubte verstanden zu haben, daß die Wohnung
droben im Namen der Nichte der Herrschaften mit
dem schwer auszusprechcnden Namen gemietet wurde,
und diese in der Begleitung der ersteren sich befinden.
Sind Sie ganz sicher, Signorina, daß Sie diese Nichte
nicht find?"
„Ganz sicher," antwortete ich lachend. „Ich
kenne diese Leute überhaupt erst seit einigen Tagen."
„Sonderbar! Die Filomena bezeichnete Sie aus-
drücklich als Nichte."
„Die Filomena verwechselt mich eben mit dieser
Persönlichkeit, von der ich keine Ahnung habe. Eck-
schmidts behaupten, die Filomena sei etwas konfus."
„Nun, die Filomena ist kein Licht der Welt, aber
als konfus ist sie mir noch nicht aufgefallen, und ich
kenne sie doch nun schon fast mein ganzes Leben
lang," meinte der Herzog gutmütig. „Wenn Sie,
Signorina, die Nichte also nicht sind, welche die
nominelle Mieterin der Wohnung droben ist, wo
befindet sich dann diese Dame zurzeit?"
„Ich habe keine Ahnung," sagte ich wahrheits-
getreu.
„Nun, mich geht das auch nichts an — das ist
die Sache meines Verwalters," erledigte der Her-
zog dieses Thema. „Auf alle Fälle muß ich mich
Ihnen jetzt empfehlen — leider! Einmal der be-
rühmten Etikette wegen, und dann, weil ich in Ge-
schäften nach Rom gekommen bin und abends wieder
in Poggio Laureto zurück sein möchte. — Darf
ich auf ein Wiedersehen hoffen?"
„Oh, ich hoffe ja auch darauf!" rief ich etwas vor-
schnell mit meiner dummen Impulsivität, wofür ich
mich gleich am liebsten bei den Ohren gekriegt hätte,
denn es leuchtete in den Augen Don Ferrandos auf,
daß mir dabei ein wenig angst wurde. Nicht sehr,
aber doch etwas.
„Ist das aufrichtig gemeint?" fragte er,leise.
„Ich bin immer aufrichtig," entgegnete ich ebenso
unbedacht wie vorhin, denn nichts kann mich mehr
reizen, als wenn jemand mir auf Kosten der Wahr-
haftigkeit Redensarten zutraut.
„Dann danke ich Ihnen von Herzen für das gute
Wort," sagte er ganz feierlich, machte mir eine tiefe
Verbeugung und entfernte sich durch die Glastür
des westlichen Flügels.
Ich aber stand wie angewurzelt, bis er ver-
schwunden war, ganz bestürzt über diese Wirkung
meiner Worte, die ich vielleicht nicht hätte sagen,
mindestens aber anders hätte stellen sollen.
Übrigens, so entsetzlich groß ist meine Reue nun
doch nicht, daß sie gleich mit vier Pferden hinter
meinen Worten hätte drein fahren wollen. Don
Ferrando ist mir so freundschaftlich, um nicht zu
sagen herzlich entgegengekommen, daß ich ihm meine
ernst gemeinte Hoffnung, ihn wiederzusehen, schon
ganz ruhig aussprechen durfte, wenn ich's mir ruhig
überlege. Vielleicht nicht ganz so unumwunden
und prompt, in einem etwas kühleren Ton wär's
richtiger gewesen — ach! hol's der Fuchs! Ich habe
niemals in meinem Leben eine Mördergrube aus
meinem Herzen gemacht, und wenn jemand mir
warm etwas ausspricht, so werde ich nie lernen, ihm
einen Eiszapfen als Gegengabe zu reichen. Ich
nicht!
Nachdem der Herzog also entschwunden war,
empfand ich plötzlich ein sehnsüchtiges Verlangen
nach meinem stillen Kämmerlein, um alles Erlebte
in Ruhe überdenken zu können. Es war keine Seele
in Sicht, ich lief also in die Grotte hinein und hätte
dort fast nicht die Tür nach meinem geheimen Gange
gefunden, so gut ist sie in diesem Aufbau von Felsen
und Steinchen versteckt. Ich drückte aber so lange
in der Gegend, wo sie sein mußte, herum, bis sie,
abermals mit greulichem Quietschen, nach innen auf-
ging. Die Steine an ihrem äußeren Rahmen greifen
so raffiniert darüber, daß man von der Grotte aus
absolut keine Spalte entdecken kann. Innen schob
ich den Riegel so gut als möglich wieder vor und
 
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