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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 4
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0102
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88
war bald wieder droben in meinem Zimmer, wo ich
erst Selbstunterricht in dein Mechanismus der Paneel-
tür nahm, ehe ich sic endgültig schloß rind den Arazzo
darüberhängte.
Dann setzte ich mich hin und überlegte. Zuerst
die Geheimhaltung des entdeckten Ausganges.
Nein, das ist nicht wahr. Ich werde mir doch in
diesem Hefte nicht selbst etwas vorlügen wollen?
Ich dachte zuerst an meine Begegnung mit Don Fer-
rando und ertappte mich dabei, wie ich mit vollen
Segeln dem „Schwarm" meiner grünsten Jahre
nachzufolgen bereit war. Nein — bin, nm ganz ehr-
lich zu sein. Dieser Unsinn muß natürlich im Keim
erstickt werden. Nicht etwa, weil ich mich seiner nicht
für ebenbürtig halte, sondern weil ein römischer
Grande,, der in seinem Palaste Wohnungen ver-
mietet, selbstredend nicht daran denken kann, ein
armes Mädchen zu heiraten. Arm nämlich im Ver-
hältnis zu seiner Lebensstellung, denn für mich
brauche ich ja nicht zu hungern oder zu darben, aber
was ich habe, wäre in diesem Falle als Mitgift eine
Kleinigkeit.
Warum mußte Don Ferrando noch einmal
meinen Weg kreuzen? frage ich. Warum? Nur
damit ich die Qual kosten darf, ihn mir endgültig aus
dem Kopse zu schlagen? O ja, ich weiß es jetzt ganz
genau, daß ich ihn nie vergessen habe, daß er im
Hintergrund stand, als ich meine Körbe austeilte.
Es tut nichts, ich bereue keinen einzigen davon und
werde wieder welche flechten, falls ich noch einmal
in diese peinliche Lage kommen sollte. Also, der
Fall Don Ferrando wäre für mich erledigt.
Wer glaubt's?
Dorothee, mein altes Mädchen, ich werde dich
schon zwingen, daran zu glauben!
Nach diesem Entschluß lenkte ich meine Gedanken
auf meine anderen Erlebnisse.
Das natürlichste für mein persönliches Empfinden
im allgemeinen und in diesem Falle im besonderen
wäre es, Eckschmidts einfach meine Entdeckung des
geheimen Ganges und damit auch meine Begeg-
nung mit dem Herzog mitzuteilen. Die Sache an
sich ist ja so harmlos, und eigentlich müßte es ihnen
angenehm sein, zu wissen, daß ich heraus kann, ohne
durch all ihre Räume, besonders durch des Doktors
Studierzimmer, laufen zu müssen. Dennoch aber
hält mich eine mir ganz fremde Zurückhaltung ab,
davon zu reden. Vielleicht verläßt mich dieses Ge-
fühl wieder, das meiner sonstigen Offenheit zuwider-
läuft, und dann ift's ja immer noch Zeit, davon zu
sprechen.
Natürlich muß ich mit meiner Entdeckung auch
meine Begegnung mit Don Ferrando mit Still-
schweigen übergehen. Eckschmidts würden gewiß
erstaunt sein, zu hören, daß ihr „Hausherr" eine alte
Bekanntschaft von mir ist; sie würden mir aber kaum
glauben, wenn ich ihnen sagte, daß ich zum Fenster
hinausgesprungen oder zum Schlüsselloch hinaus-
geschlüpft bin und ihn dabei zufällig getroffen habe!
Alles in allem: Eckschmidts werden mir vermutlich
auch nicht alles sagen, was sie tun und treiben, und
ich habe keine Verbindlichkeit dazu übernommen.
Zum Beispiel, was Don Ferrando mir mitteiltc,
daß diese Wohnung auf den Namen einer Nichte von
ihnen gemietet worden ist, und zwar nicht vorgestern,
sondern schon im Vorjahre. Das ist eigentlich sehr
interessant und ergibt eine ganze Reihe von Fragen.
Erstens, warum nennen sie eine Nichte eine „ent-
fernte Verwandte"? Eine Nichte ist entweder eines
Bruders oder einer Schwester Tochter und steht
einen: dadurch doch recht nahe. Freilich gibt's auch
„sogenannte" Nichten, die in Ermanglung einer-
anderen Bezeichnung diesen Ehrentitel erhalten, um
sic in ein Respektsverhältnis zu den älteren Personen
zu versetzen. Zweitens, wo ist diese Nichte hinge-
kommen/die die Farbe meiner Haare hat und meinen
Ring trug? Drittens, wer ist diese Nichte? Viertens,
warum binden mir Eckschmidts auf, daß sie die Woh-
nung jetzt „zufällig" wieder leer gefunden haben?
Hier wurde ich von Frau Modesta zum Tee ge-
rufen. Die lange Siesta muß für beide doch nicht
sehr erquicklich gewesen fein, denn sie sahen an-
gegriffen und abgespannt aus und bestätigten meine
Beobachtung auch dadurch, daß sie erklärten, heute
nicht mehr ausgehen zu wollen.
„Mein Mann hat zu arbeiten, und wir beide
können es uns mit einer Handarbeit gemütlich im
Salon machen," setzte Frau Modesta süß hinzu.
„Wenn Sie keine ganz besondere Beschäftigung
für mich haben, dann bitte ich um eine Stunde Ur-
laub," sagte ich nach einem Augenblick der Über-
legung. „Ich möchte gern einmal meine Freunde
aufsuchen."
„Ihre Freunde?" unterbrach sie mich scharf.
„Warum haben Sie nicht gleich in Venedig gesagt,
daß Sie hier Freunde haben?"
„Verzeihung, aber ich bin ganz sicher, Ihnen
unterwegs erzählt zu haben, daß ich hier im Jnsti-

mVas Zuch für Mle —
tute der Damen del Sacro Cuore auf Santa Trinita
de' Monti erzogen worden bin," erwiderte ich, be-
fremdet über den scharfen Ton. „Ich halte es für
eine Pflicht der Dankbarkeit und der persönlichen
Zuneigung, wenn ich meine ehemaligen Lehrerinnen,
mit denen ich in Korrespondenz geblieben bin, hier
aufsuche."
„Davon kann keine Rede sein!" rief Frau v. Eck-
schmidt heftig. „Sie find nicht mit uns gegangen,
um hier in Rom bei Pontius und Pilatus hcrum-
zuslitzen. Außerdem habe ich eine Beschäftigung für
Sie — und damit basta!"
„Gnädige Frau," sagte ich, äußerlich vollkommen
ruhig, „ich muß Sie wirklich bitten, Ihre Ausdrücke
besser zu wählen, um so mehr, als ich keineswegs die
Absicht habe, in Rom auf eigene Faust ,herum-
zuflitzeM, sondern nur um eine Stunde Urlaub bat,
um in einem Kloster meine alten Lehrerinnen zu
begrüßen. Ich muß mich sehr schlecht ausgedrückt
haben, wenn meine Worte Sie zu einer Annahme
verleiten konnten, gegen die ich Protest einlcgen
muß."
„Sachte! Sachte! Sachte — meine Damen!"
nahm der Doktor das Wort. „Sie haben sich ganz
klar ausgedrückt, meine liebe Thea, aber meine Frau
ist heute in besonderer Angelegenheit etwas erregt
und muß sich sicher verhört haben. — Nicht wahr,
liebe Modesta, so ist es? Laß mich vermitteln, liebe
Frau, denn du bist in deiner Herzensgüte sicher die
erste, deine kleine Aufwallung zu bedauern und
einzufehen, daß unsere Thea einen ganz berechtigten
Wunsch ausgesprochen hat."
„In der Tat," murmelte Frau v. Eckfchmidt, in-
dem sie nur ihre große, weiße Hand mit sichtlicher
Anstrengung cntgegenhielt. „Legen Sie einer leber-
kranken Person nicht jedes Wort auf die Gold-
wage."
Als anständiger Mensch konnte ich natürlich nicht
anders, als die mir gereichte Friedenspfote anzu-
nehmen, aber ich berührte sie nur ganz flüchtig, denn
meine moralischen Federn waren zu sehr gesträubt,
als daß ich sofort wieder hätte grinsen können.
„So ift's recht!" rief der Doktor mit seinem
reizendsten Lächeln. „So ift's recht! Sehen Sie,
liebe Thea, so ist meine gute Frau immer: gleich ist
sie bereit, jedes hastige Wort mit ihrem großen Herzen
wieder zu versöhnen. Lieber Gott, wir haben alle
unsere Fehler, aber niemand verbessert sie bereit-
williger als meine Modesta. — Ah, meine Gelieb-
teste, du brauchst über dieses Lob nicht zu erröten —
sie war übrigens weiß wie ein frischer Käse —, denn
du verdienst es. Was man verdient, braucht einen
nicht zu beschämen. Um nun die kleine Angelegen-
heit ganz zu regeln, schlage ich einen Kompromiß
vor. Auf Kompromissen beruht ja der ganze Ver-
kehr unter den Menschen — nicht wahr?"
„Gewiß," erwiderte ich trocken. „Mein Vater
pflegte zu sagen, daß Kompromisse Notbrücken sind,
die unter der ersten schweren Belastung zusammen-
brechen, und wer sie betritt, fällt ins Wasser. So-
lange aber beide Teile sich nur vom gegenseitigen
Ufer begrüßen, nehmen sie sich ganz gut aus."
„Bravo, das ist eine geistreiche Beobachtung,"
meinte der Doktor lächelnd. „Bauen wir also die
Brücke — sie braucht ja keine Lasten zu tragen. Wer
wird auch gleich mit schwerer Ladung kommen!
Weise Menschen überlassen die den Fuhrknechten.
Ich schlage also vor, daß Sie, liebe Thea, Ihren
Lehrerinnen auf Trinita de' Monti ein Briefchen
schreiben und darin anfragen, wann den Damen
Ihr Besuch gelegen ist, denn die Klosterfrauen haben
doch ihre geregelte Tätigkeit und werden Sie mit
wenigen Minuten nicht gern abfertigen wollen."
„Das ist ein sehr guter Vorschlag, für den ich
Ihnen, Herr Doktor, zu Dank verpflichtet bin," sagte
ich aufrichtig. „Dieser Weg gewährt mir eine sichere
und viel gemütlichere Besuchstunde, als ein unan-
gesagter Überfall es getan hätte. Ich sehe das freu-
digst ein, trotzdem aber möchte ich mich ausdrücklich
dagegen verwahren, daß ich mit meiner Bitte um
Urlaub irgendwelche Pflicht hier hätte verletzen
wollen."
„Darüber bedarf es keiner Worte," erwiderte
der Doktor an Stelle seiner Frau, an die ich mich
gewendet. „Wenn Sie Ihren Brief jetzt schrei-
ben können, so wäre das sehr günstig, denn ich
muß noch zur Post und könnte ihn dann gleich mit-
nehmen."
„Gewiß, cs sind ja nur ein paar Zeilen nötig, die
schnell geschrieben sind," sagte ich, indem ich mich
erhob. „Aber," setzte ich, schon in der Tür stehend,
hinzu, „darf ich mir noch eine Bitte erlauben? Ich
wollte vorhin in den Cortile hinabgehen, fand aber
die Tür in der Anticamera verschlossen. Da wollte
ich bitten, ein anderes Mal den Ausgang offen zu
lassen, denn während der Siesta, an die Sie ge-
wöhnt sind, möchte ich drunten gern frische Luft
schöpfen."

- - ' —i heft 4
„Da haben Sie wieder einmal einen Schwaben-
streich eines zerstreuten Professors," rief Frau v. Eck-
schmidt laut lachend, was mich überraschte, denn ihre
bisherige Haltung war durchaus keine vergnügte ge-
wesen. „Wissen Sie, was mein Mann getan hat?
Er hat den Schlüssel in Gedanken abgezogen, in die
Tasche gesteckt und ihn dann wie eine Stecknadel ge-
sucht!"
„Nun, das passiert in den besten Familien," ver-
teidigte sich der Doktor gutmütig. — „Warum haben
Sie nicht bei uns angeklopft, liebe Thea, als Sie her-
aus wollten?"
„Weil ich kein rücksichtsloser Mensch bin, Herr
Doktor, und Ihren Nachmittagschlaf geachtet habe,"
erwiderte ich. „Es ist doch aber auch wirklich sehr
störend, daß es keinen anderen Ausgang aus dieser
Wohnung gibt. Warum ist zum Beispiel die Tür
nach dem Korridor im Salon so hermetisch ver-
schlossen?"
„Ja, warum?" wiederholte Frau v. Eckfchmidt.
„Es wird behauptet, der Schlüssel sei verlegt, und
sie suchen ihn nun schon so lange, als wir hier wohnen.
Echt italienisch — nicht wahr? Uns persönlich stört
ja der eine Ausgang nicht —"
„Aber ich muß jedesmal durch das Arbeits-
zimmer des Herrn Doktors laufen, was mir
sehr peinlich ist," fiel ich ein. „Könnte man nicht
selbst einen Schlüssel für die Salontür machen
lassen?"
„Ein vortrefflicher Gedanke, liebe Thea, aber ich
hatte ihn schon vor Ihnen," erwiderte Frau Modesta.
„Dazu muß jedoch erst der Herr Verwalter seine
gnädige Erlaubnis erteilen, und des hohen Herrn
kann man nie habhaft werden. Nun, unsere römische
Zeit läuft ja bald ab, und da müssen wir uns eben
schon so behelfen."
Mit diesem Bescheid ging ich in mein Zimmer, um
meinen Brief an Mater Teresa di Gesu zu schreiben,
wenig überzeugt davon, daß der Schlüssel „verlegt"
sein sollte, nachdem ich die musterhafte Ordnung ge-
sehen, mit der dieses Haus geführt wird. Da sitzt
etwas anderes dahinter, denn ich hatte bei meiner
Frage nach einen: zweiten Ausgange zufällig ge-
sehen, wie Eckschmidts einen Blick wechselten, und
mir war's auch, als hätte in dem Ton von Frau
Modesta, als sie mir riet, mich zu „behelfen",
etwas wie Hohn gelegen. Ich kann mich natürlich
getäuscht haben und will's zunächst auch an-
nehmen.
Der Ausfall von Frau v. Eckfchmidt war denn
aber doch recht sonderbar. Wenn das so zunimmt,
wie es anfängt, dann kann's ja hübsch werden. Natür-
lich „wird" es nicht, denn ich werde sagen: „Der
Klügere gibt nach" und mich drücken. Womit natür-
lich die Weltreise vor den lieben Verwandten ein ein-
gestandener Neinfall wird. Aber was hilft's? Besser,
sie ziehen mich auf, als diese Frau schnauzt mich an.
Irgendwo muß man eine Grenze -ziehen, oder ich
„schnauze" auch, wodurch die Sache wieder au pair
wird.
So, nun bin ich wenigstens wieder beim Galgen-
humor angelangt, und nun wollen wir sehen, wie die
Sache sich historisch entwickelt. Der Doktor ist eine
Perle, denn mit welch exquisitem Takt hat er doch
die wirklich sich sehr peinlich zuspitzende Szene wieder
ins rechte Fahrwasser gelenkt!' Daß er die vor-
nehmere Natur von beiden ist, darüber besteht kein
Zweifel; seinetwegen könnte man schon vieles mit
in den Kauf nehmen, was einem, von Frau Modesta
geboten, doch recht schwer fällt.
Sie war übrigens wieder sehr liebenswürdig, als
ich nut meinem Briefe in den Salon zurückkehrte,
und taktvoll genug, auf unseren Zusammenstoß nicht
mehr zurückzukommen.
tFortsehung folgt..

Vie vei-riichtung einer russischen kvsaken-
adteilung durch deutsche Infanterie.
(Ziehe das Mld auf 8eits 90 und 91.)
H^san Halle sich bei unseren Feinden in Ost und West
den Beginn und damit auch den weiteren Verlauf
des Krieges etwas anders gedacht, als er nun wirklich
vor sich gegangen ist. Man glaubte, durch ein Heer von
Spionen, durch verräterische Helfershelfer im Feindes-
land und andere „wirksame" Hilfsmittel den Aufmarsch
der deutschen Heere empfindlich stören, um Wochen ver-
zögern und infolgedessen den französischen Vorstoß ins
Elsaß und nach Lothringen und weiter bis zum Rhein mit
unwiderstehlicher Wucht ausführen zu können. Man glaubte
vor allem auch, den Osten des Deutschen Reiches und die
östlichen Grenzlande der österreichisch-ungarischen Monar-
chie mit mehr als 400000 Mann russischer Kavallerie rasch
überschwemmen zu können, damit auch hier der strategische
Aufmarsch Deutschlands und seines Verbündeten von
vornherein in Verwirrung gebracht und Rußland die
Möglichkeit gegeben würde, seine aus den verschiedensten
Gründen nur sehr langsam sich vollziehende Mobilisation
 
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