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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 5
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0131
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HO 5-- -
neuer Streu. Als ob nicht sechs Hände auf dem
Hofe fehlten, die nun gegen den Feind sich erhoben.
Der Henner war ihnen womöglich schon an der
Klinge. Recht war das — selbstverständlich! Das
hatte er aus der Predigt des Pfarrers heute gelernt.
Die es am besten in der Heimat hatten, gehörten
nuch zuerst vor den Feind! Herrgott, wie hatte da
die Predigt ihn heute ans Herz gefaßt! Ja, wenn
große Tage kamen, da lernte man anders denken!
Da wurden Vorurteile weggeblasen wie Spreu bei
einem Windstoß von der Tenne.
Die Hofglocks läutete zum Mittag. Er sah nach
der Uhr. Pünktlich, wie immer, auf die Minute.
Als er an seinen Stuhl getreten war, hob er den
Kopf. Steif stand der Großbauer da, richtete seinen
-blick auf die Kathrin Scherp, die schräg gegenüber

V35 Luch sÜ" -
von ihm die arbeitsge'wohnten Hände auf der Stuhl-
lehne gefaltet hielt. Noch ein tiefer Atemzug, dann
sagte der Großbauer ruhig: „Kathrin, meine liebe
Tochter, tritt an den Stuhl meiner Frau, sprich das
Tischgebet und nimm auf ihm Platz! — Ihr anderen
rückt zu, die Stühle derer aber, die im Felde stehen,
laßt frei!"
Ein paar große Tränen rollten über die frischen
Wangen der Kathrin. Dann ging sie an den Stuhl
der verstorbenen Großbüuerin, senkte den Kopf noch
tiefer als sonst, sprach ruhig und klar das Tischgebet
und setzte sich dann.
Stumm nickte der Großbauer seinen Leuten zu.
Es gab kein Auge an dem langen Tisch, das nicht
feucht schimmerte.
Nach dem Essen hielt der Großbauer Kathrins

... —.- - -M
Hand fest in der seinen und sagte: „Geh nun zu
deinem Vater und lad ibn für nächsten Sonntag zum
Mittagessen ein. Ich schreibe jetzt an den Henner.
Du kannst es morgen tun. Die erste Nachricht soll
er von mir haben!"

Der zehnte August! Der Tag von Mülhausen!
Er brach an, ein klarer Sommertag. Nur über
der Jll schwelten leichte Nebel.
Als der Kanonendonner gestern bald zu-, bald
abnahm, war ein Unteroffizier auf einem Motor-
rad den Ulanen entgegengeschickt worden mit Be-
fehlen. Auf den äußersten rechten Flügel der
deutschen Kampffront, Sennheim gegenüber, waren
sic geschickt worden. Fast bis an die Vogesen heran.

Vie bedrohte Herde.


Roß und Reiter waren müde. An langen Kampier-
leinen standen die Pferde, links von ihnen lagerte
Infanterie, dahinter Artillerie. Schüsse krachten in:
Vorgelände. Verwundete wurden zurückgetragen,
da drüben ein paar Tote beerdigt. Und doch
herrschte eine gehobene Stimmung.
Morgen geht's ihnen da drüben an den Kragen!
Frei soll deutsches Land von der: Friedensbrechern
gefegt werden!
Ein Gedenken an die Heimat. Die Zähne
Wurden zusammengebissen, der Bann abgeschüttelt.
Deutschland wartete auf seine Söhne. Hatten die
da oben in Belgien Lüttich über den Haufen ge-
kannt, taten hier unten andere dasselbe. Die Besten
vom Feinde waren gerade gut genug für sie.
Henner Hemfurth reckte die Arme zur Seite und
sagte leise vor sich hin: „Also leb wohl, Vater, leb
Wahl, Kathrin — wenn es sein muß!"
Noch fraßen die Pferde ihr Morgenfutter. Bor-
stchtig nippten die Ulanen an dem heißen Kaffee
w ihren Feldkesseln. Weißes Weizenbrot, das die
Bevölkerung herbeigebracht hatte, wurde eingetaucht.
Am linken Flügel, in der Richtung Mülhausen,

mußte der Tanz schon begonnen haben. Das
Rollen des Gewehrfeuers wurde stärker, die erstell
Kanonenschläge sangen ihren dumpfen Baß dazu.
Auch vor der Front, bei Sennheim, knatterten die
einzelnen Schüsse weiter. Da drüben trat ein
Bataillon an, Dragonerpatrouillen kamen zurück-
geprescht auf ausgepumpten Pferden, aber mit
blitzenden Augen.
„Heute geht's los!"
Der Rittmeister, umgeben von seinen Zug-
führern, sprach mit einem Generalstabsoffizier.
Nichts war zu spüren von Übereilung. Der Tag war
noch lang.
Ein blutjunger Offizier kam angefegt. Eine kurze
Meldung an den Generalstabsoffizier, dann galop-
pierte er weiter. Die Zugführer liefen im nächsten
Augenblicke zu ihren Zügen.
„Satteln!"
Der Oberleutnant, Henners Zugführer, studierte
mit dem Rittmeister die Karte.
Fünf Minuten später ritt der Oberleutnant mit
zwanzig Mann los. Henner Hemfurth war unter
ihnen.

Der Rittmeister rief ihnen ernst zu. „Jungens,
macht eure Sache gut! — Hemfurth, Sie können
sich heute die Tressen verdienen!"
Im weiten Kreise wurde nach rechts ausgebogen.
Durch Weinberge ging es, dann hinein in die Wälder.
Hinter jedem Stamm konnte der Tod lauern.
Schärfer wurde das Rollen des Gewehrfeuers, härter
der Donner der Kanonen.
Der schweigsame Oberleutnant instruierte jetzt
seine Leute. „Wir haben sestzustellen, bis wie weit
westwärts der Feind seine Flankendeckung aus-
gedehnt hat. Was uns an Patrouillen entgegen-
kommt, wird glatt überritten!"
So, das war genug! Jeder wußte, um was es
sich handelte. Die beiden Unteroffiziere, die einige
Zeit neben dem Oberleutnant geritten waren,
wußten vielleicht noch ein bißchen mehr.
Nun ging es vorsichtig, gedeckt gegen Sicht, an
einem Waldrand entlang. Plötzlich hob der Ober-
leutnant die Hand. Die Pferde standen. Vornüber-
geneigt lauschte man. Richtig, Pferdegetrappel. Der
Stahl des Offiziers flog aus der Scheide, ohne ein
Kommando wurden die Lanzen zur Attacke gefällt.
 
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