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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 6
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128

Vas Luch fül- Lite

Heft 6

Hitze, als er sich über ihre
Rechte neigte. „Wenn dies
meine Hoffnung fördern
könnte —"
Hatte sie genickt oder
nicht genickt — er wußte
es nicht. Der Gästeschwarm
drängte ihn mit in den Flur
hinaus, allwo Appel und
Kathrine die Laternenträ-
gerinnen wandfeits aufge-
stellt hatten.
Eine Frage nach Lorchen
brannte ihm jetzt auf den
Lippen. „Mamsell Himber-
lich ist wohl krank, Jung-
fer?" Er drückte Appel
zwei gute Groschen förder-
sam in die Hand.
„Jh wo! Sie hat bloß
draußen mitgeholfen. —
Danke recht sehr, Herr Dok-
tor !"
Wenn er Lorchen hätte
sehen können, wie sie in
ihrem Kämmerlein übers
Bett gebeugt lag, das Ant-
litz in beide Hände ver-
graben, todwund im Her-
zen, ohne zu wissen, was
darin wie eine wüste Leere
aufklaffte, alle Lebensfreude
verschlang und ein nie ge-
kanntes Weh ohne Ende
aufflammen machte —
Wostermann würde Appels
hilfreiche Hand im Zorn
von sich gestoßen haben.
Aber bevor er irgend
eine Äußerung zu tun ver-
mochte, erhielt er einen
unbeabsichtigten Puff von
Herrn Kroker,dessenStimme
dumpf unter dem Pelzkragen
hervorschallte.
„Also, wertester Physi-
kus, der Mensch wird morgen
vormittag eingeliefert. Ich
nehm's auf mich, ihn leben-
dig herzuschaffen. Was ihr
nachher mit ihm macht, ist
eure Sache, ihr Herren! —
Habe Ihnen hoffentlich kein
Loch gestoßen mit meinem
Ellbogen, Doktorchen —
Wostermännchen — Ratten-
fänger — Liedersänger!"
„Lebendig oder nicht,"
murmelte seine Gattin,
einen Sechser in Appels
empfängliche Hand gleiten
lassend. „Fort kommt er
jetzt! Und damit basta!"
elftes Kapitel. >7-
Der Februarmorgen
machte keine Miene, der
Sonne zum Durchbruch zu
verhelfen. Scharf und kalt
blies der Wind durch deu
dichten Nebel, dessen Feuchte
tropfend an den knorrigen
Bäumen neben der Land-
straße festklebte.
Zwischen ihnen hin be-
wegte sich langsam ein Lei-
terwagen. Zwei magere
Gäule zogen ihn unter Püf-
fen und Stößen über das
holperige Erdreich. Stroh-
schütten häuften ein hartes
Lager auf dem Bretter-
boden, darauf der Kranke
fieberheiß sich in die alte
Pferdedecke einwühlte, die
zur Erwärmung über ihn
gebreitet lag.
Das Armenhaus, dessen
Zögling Abel Wasmut einst
gewesen nnd dem er eine
absonderliche Anhänglichkeit
bewahrte, lag am Ende
einer schönen Kastanien-
nllee, einstmals fernab vom
Städtchen, als die mittel-
alterliche Befestigung keine
Baulichkeiten vor den Toren
gestattete. Es wurde vor

kapitänleutuaat lveddigeu, der heldenhafte Kommandant de; Unterseeboots »lU 9«
mit seiner jungen brau. (5. 120)
Usch einer phowgrsphie von Hans kreuer in Hamburg,


Deutsche bliegeroffiriere, die mit dem eisernen kreur dekoriert wurden. (5. 131)


Nach einer phologrsphie non h. Sensemsnn, yefphowgraph in Meie.

langer Zeit beim Ausbruch
einer pestartigen Seuche
als. Krankenhaus errichtet
und, da die Mauern stand-
hielten, später in ein Ar-
menhaus verwandelt für
bedürftige alte Leute und
verwaiste Knaben. An seine
ursprüngliche Bestimmung
erinnerten noch die beiden
Krankenzimmer, die zur
Aufnahme hilfloser Patien-
ten bestimmt waren.
Vor diesem Gebäude,
au dessen erblindeten Schei-
ben die Insassen sich neu-
gierig die Nasen plattdrück-
teu, hielt der Leiterwagen
knarrend still.
Der Armenhausvater
und sein Weib, robuste
Gestalten, schlurften aus
der Tür, die ein flachs-
haariger Junge geöffnet
hielt, nachdem ihn: zuvor
vermittels einiger Püffe
das Verständnis für seine
Verpflichtung eröffnet war.
„Wir wollen ihm nu
'runter heben," sagte der
Knecht, der die Fuhre ge-
lenkt hatte und jetzt, vor
dem Wagen stehend, um
sich zu erwärmen, seine
Arme mit voller Kraft nm
die Brust schlug. „Die
Knochen sind einem rein
erfroren, so —"
Der Armenhausvater
brummte. „Was soll das
nun wieder, einem so 'ne
halbe Leiche auf deu Hals
zu laden! So viel Einsicht
hätte Sein Herr und der
Kreisphyfikus auch haben
können. Na, nehm' Er ihn
bei den Füßen, ich krieg'
ihn am Kopp, und du,
Fiken, trägst die Decke. —
Die Decke bleibt doch hier?"
„Nee," sagte der Knecht,
„die geht wieder mit zu-
rück. Die Madam würde
mich schön —"
„Meinetwegen!" knnrrte
der Vorsteher, den Kopf des
Kranken aus dein Stroh
ziehend. „Da mag er frie-
ren. Bei uns wachsen die
Decken auch nicht auf den
Bäumen, und mit der Hei-
zung ist's dies Jahr sehr
knapp bestellt."
Die Wahrheit war, daß
die städtischen Behörden
reichlich genug geliefert
hatten, Herr und Frau
Stippke es aber vorzogen,
ihre eigene Wohnung bis
zum Übermaß zu Heizen,
den sonstigen Insassen da-
gegen eine dauernde Ab-
kühlung angedeihen zu
lassen.
Der Kranke empfand
von seiner Übersiedlung in
eine rattenkahle Stube
nichts. Er lag hier ebenso
ohne Bewußtsein wie in
Haberfelde. Die roh zu-
sammengezimmerte Bett-
stelle stand dicht neben dem
Ofen, so daß dem Kopf
etwaige Wärme ständig
zugute kam.
Eine alte, gebrechliche
Frau und der flachshaarige
Junge, in bewährter Weise
über ihre Pflichten aufge-
klärt, erhielten die besondere
Aufsicht über den Kranken
zuerteilt, unter dem haus-
väterlichen Hinweis auf
einen sehr angenehmen
finsteren Keller.
Da es vorläufig un-
möglich war, Namen und
Herkunft des Kranken
 
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