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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 6
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0142
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130 ---
ermitteln, begnügte man sich behördlich damit, ihn
unter der Rubrik „Unbekannt und unheilbar" in
die Register einzutragen.
Am folgenden Tage, Sonntags, nach dem Nach-
mittagsgottesdienst, erschien, das Gesangbuch in
der Hand, Abel Wasmut in seinem Jugendheim,
vom Ehepaar Stippke stets als willkommener Gast
begrüßt, denn er verfehlte nie, der ehrsamen Fiken
Stippke eine Tüte Beckmoderschen Kaffeezuckers
und Vater Stippke einen Pack Beckmoderschen Ta-
baks für seine Pfeife mitzubringen.
In diesen gestohlenen Freundschaftsbeweisen lag
bei alledem eine Gemütsregung, die einzige in
Abels Brust. Sie bekundete, daß er die Prügel
und Nöte seiner traurigen Jugendzeit vergessen
hatte über dem Bedürfnis eines Zuhauseseins,
mochte es anderen noch so minderwertig und ab-
stoßend erscheinen.
Demzufolge trat er mit glatt gescheiteltem Haar
und niedergeschlagenen Augen in die Backofenhitze
des Zimmers — zur rechten Zeit, um an dem Kaffee-
genuß des Ehepaares teilzunehmen. Und da es
dessen vorsorglichem Verfahren nötig erschien, Milch
und Kaffee der Armen einer bekömmlichen Ver-
dünnung zu unterziehen, war der Trank gar nicht
übel, den Frau Stippke in die mäßig sauberen
Tassen goß. Zum Zubeißen dienten einige Sem-
meln, die von der Verwaltung einem alten, magen-
kranken Mann zugebilligt waren.
„Na, Wasmutchen," sagte der Hausvater
schmatzend, „halte dich dran, solange der Totendoktor
lebt. Oder meinste, daß er dich im Testament be-
dacht hat? Dann wirste wissen, wer's gut mit dir
gemeint hat."
Abel zwinkerte mit seinen wimperlosen Lidern.
„Ich kann's nicht hören, daß von meines Herrn
Ende gesprochen wird. — Mutter Stippke, so wahr
ich vor Ihr sitze, denke Sie bloß an mich, wenn Sie
was Schreckliches hört."
„Was meinste denn, Abelchen?" fragte Fiken,
ihr von Hitze und Kaffee gedunsenes Gesicht über
den Tisch streckend. — „Stippke, das mußte doch Beck-
modern unter'n Fuß geben, was für 'ne treue Seele
er an Abeln hat. Dann wird's Testament auch da-
nach sein, und dann wird Abelchen schon wissen —"
„Wenn ich zu Geld komme," sagte Wasmut, und
seine Lippen zitterten vor Gier, „dann ginge ich in
die weite Welt. Doch da wird für mich nichts ab-
fallen, solange Doktor Wostermann im Hause ist.
Wenn Er wüßte, Vater Stippke, was ich weiß, was
ich gesehen, wo ich den Wostermann getroffen habe!"
„Abel, er wird doch nicht —"
„Ich weiß nichts — gar nichts," murmelte Was-
mut, sein Pockennarbiges Gesicht in die Tasse ver-
senkend. „Bloß aus der Furcht komme ich nicht mehr
heraus, solange Doktor Wostermann im Hause ist.
Weil ich ihm aufpasse, Mutter Stippke, bin ich ihm
überall im Wege. Er zankt sich mit Beckmoder, daß
ich weg soll. Aber der hustet ihm was. Er hat ihn
schon ein paarmal 'rausschmeißen wollen — bloß er
geht nicht."
„Geht nicht!" wiederholte Stippke mit vorwurfs-
vollem Kopfschütteln, den Beckmoderschen Tabak in
Brand setzend. „Aber er wird's schon merken, wenn's
unter die Leute kommt!"
„Um Himmels willen nicht!" sagte Abel. „Wenn
er was merkt —"
„Hältste uns für so dumm, Abelchen, daß wir dir
die Beine abschlagen wollen?" fragte Frau Stippke
vorwurfsvoll. „Was haste denn gesehen? Einen
guten Rat kannste immer von uns haben."
Wasmut würgte noch ein paarmal, dann wis-
perte er mit häßlichem Aufflackern in den Augen:
„Nachts hat er heimlich aufgepaßt, wo der Alte sein
Geld versteckt hat."
„Hat er denn viel Geld versteckt?"
Abel erschrak ob seiner Unvorsichtigkeit. „Wie
soll ich's wissen, Mutter Stippke! Sie könnte mich
gerade so gut fragen, ob der Bürgermeister die
Taschen voll hat. Ich bin bloß so erschrocken ge-
wesen, wie ich ihn nachts an der Alkoventür hab'
stehen sehen und durch die Ritze gucken. Als er mich
sah, ist er so blaß geworden wie der Kalk an der
Wand. Und seitdem denke ich immer —"
Er verschluckte den Rest und kniff die Lippen
fest aufeinander.
Da^ nichts weiter aus ihm herauszulocken und
der Kaffeetrunk zu Ende war, forderte Vater Stippke
Abel auf, ihn nach dem Krankenzimmer zu begleiten
und den Vagabunden sich einmal anzusehen.
Es war noch gerade hell genug, daß die Bett-
statt mit dem, der darin lag, nicht ganz in Finsternis
verschwamm, und also tappte Abel Wasmut vor-
sichtig hinter dem Vorsteher her.
Am Fenster saß das alte Weib und rasselte mit
den Stricknadeln wie ein Verdammter an seinen
Ketten. Bei Stippkes Eintritt humpelte sie auf.
„Er will seine Stiefeln haben!" Dabei zeigte sic

.— Vas Luch für- vlle-
auf ein umdunkeltes Etwas, das in der kahlen Ecke
wie ein großer, schwarzer Klumpen lag.
In der Tat schien die Bewußtlosigkeit von dem
Kranken gewichen zu sein. Seine dunklen Augen
richteten sich auf die fremden Gestalten.
„Na," sagte der Armenvater, der die Kranken-
zugabe zu seinem Wirkungskreise als lästiges An-
hängsel empfand, unwirsch, „hat Er seinen Rausch
ausgeschlafen? Hat Er setzt fo viel Verstand beiein-
ander, daß Er merkt, wie andere Leute sich Seinet-
wegen abrackern müssen? Weiß Er, wo Er ist?"
Der Kranke hatte Abel Wasmuts über sich ge-
neigtes Gesicht ins Auge gefaßt, und der Eindruck
davon Ivar eine innerliche Abwehr, die sich durch
eine schwache Handbewegung kundgab. „Wer ist
das?" flüsterte er kaum hörbar.
„Das ist uuser Ziehkind," sagte Vater Stippke.
„He, Alte, biege ihm die Finger nach rückwärts,
daß er bei Sinnen bleibt. Knacken muß es! — Kein
besseres Mittel, Welchen!"
Die Alte verstand ihre Sache. Der Kranke stöhnte
und schlug von neuem die Äugen auf.
„Meine Stiefeln —" murmelte er, seine blut-
leeren Lippen schmerzlich verziehend.
Abel Wasmut hatte genug von dieser Besichti-
gung. „Ich muß jetzt nach Hause. Ich danke für
die gute Bewirtung, und wenn's wieder so kommt—"
„Bist immer willkommen," sagte Vater Stippke
wohlmeinend. — „Alte, wenn der Saufaus da wie-
der von Stiefeln schwatzt, gieß ihm-kaltes Wasser
über den Kopp — von wegen dem Fieber."
Damit gingen beide aus der Tür.
„Wenn das der Kranke aus Haberfelde ist," sagte
Abel, seine Mütze aufsetzend und einen Schal um
den langen Hals wickelnd, „dann kennt ihn der
Wostermann. Doktor Beckmoder hat ihn ja hinaus-
geschickt. Ich hab's selber bestellt, daß er fahren
sollte. — Er hat erst Geld haben wollen, aber der
Alte hat ihn schön bedient," fügte er höhnisch hinzu.
Der Zug grimmigen Hasses lag noch auf Abels
Gesicht, als er das Asyl des Elends und des Alters
verließ und seinen Rückweg durch die sinkende
Finsternis antrat.
Durch die Kastanienallee ging ein flüsterndes
Raunen, als hielten dort nächtliche Stimmen ge-
heime Zwiesprache, richtende, rächende Stimmen,
die gegen das Städtchen hinzogen, dem Burschen
voran und im Rücken, daß er den eigenen Schritt
nicht mehr horte, sondern wie ein Schatten durch
die Stämme glitt.
Am Marktplatz kameu ihm zwei Heimkehrende
entgegen, Appel und Kathrine, beide von gleicher
Schwatzhaftigkeit beseelt. Und so wurde Abel eine
rührende Schilderung des Kranken im Armenhaus
frisch vom Fleck los.
„Das ist doch schrecklich," sagte Appel gerührt,
„sich das bißchen Leben so zu verhunzen. Unsereins,
wenn er aufwacht, denkt ans liebe Essen, so 'n armes
Wurm denkt an die Stiebeln. Wenn's die Madam
hört, schickt sie gewiß ein Töppchen hin. Was gibt's
doch für Elend in der Welt! Er kann sich immer
noch für 'n Grafen halten, Abel Wasmut."
Der fror aber allmählich ganz erbärmlich. Er
flüsterte noch ein paar salbungsvolle Worte der Zu-
stimmung und eilte durch die lange Gasse nach Hause.
Appel aber, der die Bürgermeisterin in der Küche
begegnete, hatte aus erster Hand Gelegenheit, die
Schleusen ihres Mitgefühls zu öffnen. Sie tat es,
und was sie nicht richtig behalten hatte, das phan-
tasierte sie auf ihre Art dazu.
Frau Jettes mildtätige Ader regte sich denn auch
sofort, aber zugleich erhob fie die Vortrefflichkeit
städtischer Einrichtungen über alle Kritik.
„Sieht Sie,-Appel, Braten und Zuckergebackenes
kann kein Armenhausvater an die Kranken austeilen,
weil bloß ein Schelm mehr gibt, als er hat. Das
Jahr, Appel, ist lang, und jede Länge — denke Sie
immer daran — hat die Last. Die Armen — das
sollte Sie Wohl wissen, Appel — sind in der Welt,
damit ihnen von den anderen geholfen wird, und
also will ich, wenn der Kranke nicht ins Gras beißen
muß, was wir alle — merke Sie wohl auf, Appel,
und beherzige Sie es — wir alle einmal tun müssen,
ihm mit Suppe und Pflaumenmus unter die Arme
greifen. Aber lasse Sie sich nicht verführen, etwas
zu bejammern, was nicht anders sein kann und was
sehr weise eingerichtet worden ist. Schreibe Sie sich
das ins Gedächtnis, Appel!"
Appel, tiefgerührt von so viel guten Lehren,
wischte sich mit dem Schürzenzipfel eine Reuetrüne
aus dem Auge und versprach gänzliche Besserung.
Worauf die Bürgermeistern: fortfuhr: „Merkt
Sie nicht auch, daß Mamsell Lorchen nicht fo recht
auf dem Damm ist? Hat Sie sie in letzter Zeit singen
gehört bei der Arbeit? Hat Sie gesehen, daß sie
den roten Primeltopf vertrocknen läßt? Fällt's Ihr
nicht auf, daß fie das Essen kaum anrührt, und
daß sie znsammenfährt, wenn man sie anruft?"

' Heft 6
„Wenn fie auch rein gar nichts gehabt hat von
so 'n schönes, vornehmes Fest!" sagte Appel mit
kühner Offenherzigkeit. „Wenn fie die Beine nur
unter'n Küchentisch gesteckt hat! Jämmerlich geheult
hat sie genug, aber durch den Türritz wollte sie nicht
gucken. Für Mamsell Lorchen hätte ich gerne ab-
gewaschen und abgetrocknet."
„Ich habe auch schon gemeint," sagte Frau Pog-
hammer, nicht ganz zufrieden mit ihrem strengen
Tun, „daß solch junges Ding sich manches zu sehr
zu Herzen nimmt. Tue Sie aber, Appel, das Re-
bellische von Ihrem Wesen ab und wolle Sie nie
klüger sein als Ihre Herrin."
(Fortsetzung folgt.)

wilde Hatz.
(Tieho dsr Mld nut Teile 12S.I
^stne Szene aus den so überaus blutigen und er-
V- bitterreu Kämpfen im Oberelsaß ist's, die unser Bild
veranschaulicht. In einem Dorf am Fuße der Vogesen
haben sich Franzosen eingenistet, die Vortruppen einer
größeren Heeresmacht. Es soll wieder einmal einer jener
verzweifelten, aber immer erfolglos gebliebenen Vorstöße
gegen unser von verhältnismäßig nur wenig zahlreichen
Streitkräften verteidigtes Grenzland unternommen werden,
durch die sich die in dem umvirtsamen Gebirge zurück-
gehaltenen Franzosen Lust schassen iv ollen. Der Hunger
wühlt in den Eingeweide» der Rothosen, denn schon
seit Wochen haben sie nichts Ordentliches mehr zu beißen
gehabt. Vielleicht gelingt es diesmal, festen Fuß in des
Elsaß reichen Fluren zu fassen und nach Herzenslust in
die elsässischen Fleischtöpfe zu langen. Doch sie haben
die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Unsere wackeren
Badener und Schwaben, die hier die Grenzwacht haben,
sind auf der Hut. Sie haben die feindlichen Vortruppen
ruhig herankommen lassen, da sie aus Erfahrung wissen,
daß sie diese ohne große Mühe wieder zurückwerfen
werden, und daß die Fliehenden dann die langsam und
vorsichtig nachrückende Hauptmacht in Verwirrung bringen
und dieser dadurch die richtige Stoßkraft nehmen werden,
was wiederum den ganzen Vorstoß zum Scheitern bringen
kann. So lassen sie also zunächst die französische Vorhut,
die für die Nacht in dem kleinen Dorfe Quartier ge-
nommen, ungeschoren, um sie in Sicherheit zu wiegen.
Kaum aber graut der Morgen, da geht der Tanz los.
Furchtbar tönt das Hurra der Deutschen, die das Dorf
stürmen, den jäh aufgeschreckten Franzosen in den Ohren.
Schwach nur ist der Widerstand, den die Rothosen zu
leisten wagen, und schon tönt aus ihren Reihen das
fatale: „Rette sich, wer kann!" Alles wendet sich zur
Flucht. In rasender Eile geht es zum Dorf hinaus, daß
die Deutschen Mühe haben, den Fliehenden auf den
Hacken zu bleiben. Es ist eine wilde Hatz, bei der zwar
auch mancher brave deutsche Soldat stein Leben lassen
muß, aber ihre Absicht erreichen die Deutschen vollkommen:
der große Vorstoß des Feindes scheitert.
Vie vemichtung dreiei- enMchel- panrer-
kl-eurei' dui-ch das deutsche Untei-see-
doot »U 9«.
(Tietze die beiden porlrSle auf 5eiie 128 und dN5 Sild uns Teile IN.)
I^apitänleutnant Otto Weddigen, der heldenhafte
IV Kommandant des Unterseebootes „U 9", wurde 1882
in Herford in Westfalen geboren. Er ist der Sohn eines
Herforder Fabrikanten. In der Unterseebootabteilung ist
Weddigen seit sechs Jahren tätig. Zum Kommandanten
des „U 9" wurde er erst bei Beginn des jetzigen Krieges
ernannt. Als junger Seeoffizier gehörte er zur Besatzung
des Flußkanonenbootes „Vaterland", das im China-Feld-
zug als erstes Boot durch die Stromschnellen des Jangtse
fuhr. Für die Rettung eines Matrosen bei Helgoland
wurde er mit der Rettungsmedaille ausgezeichnet. Am
16. August 1914 vermählte sich Weddigen in Wilhelms-
haven mit einem Fräulein Prete aus Homburg. Unsere
Porträte aus Seite 128 stellen das Brautpaar am Polter-
abend dar. — Die Vernichtung der englischen Kreuzer,
die unser anschauliches Bild auf Seite 129 vorführt, voll-
zog sich folgendermaßen. In der Morgenfrühe befand
sich „v 9", das eine Bemannung von 26 Mann hatte,
20 Seemeilen nordwestlich von Hoek van Holland, mit
annähernd südwestlichem Kurs dampfend. Die See war
ruhig, das Wetter klar, teils neblig. Gegen 6 Uhr sichtete
man von „U 9" drei große feindliche Kreuzer, die bei weiten
Schiffsabständen mit nicht allzu großer Geschwindigkeit in
entgegengesetzter Richtung fahrend sich näherten. „U 9" be-
schloß, zuerst den in der Mitte fahrenden der drei Kreuzer
anzugreifen, führte die Absicht aus und brachte den?
Kreuzer, es war die „Aboukir", einen tödlichen Torpedo-
treffer bei. Der Kreuzer sank nach wenigen Minuten.
Als nun die beiden anderen Kreuzer nach der Stelle
dampften, wo die „Aboukir" gesunken war, machte „II 9"
den erfolgreichen Torpedoangriff auf die „Hogue". Auch
dieser Kreuzer verschwand nach kurzer Zeit in den Fluten.
Jetzt wandle sich „v 9" gegen die „Cresfy". Beinahe
unmittelbar nach dem Torpedoschuß kenterte die „Cresfy",
schwammnoch eineWeilekielobenund sank dann. Das ganze
Gefecht hat, vom ersten Torpedoschuß bis zum letzten
gerechnet, ungefähr eine Stunde gedauert. Von den
englischen Kreuzern ist kein einziger Schuß abgegeben
worden. Nach dem Sinken der „Cresfy" fanden sich
mehrere britische Kreuzer und Torpedofahrzeuge an der
Stelle ein, und einzelne Torpedobootszerstörer verfolgten
das Unterseeboot. Noch am Abend wurde es nicht weit
von Terschellingbank von den Zerstörern gejagt. Mit Ein-
bruch der Dunkelheit gelang cs „U 9", außer Sicht der
 
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