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Fast nur durch Überraschungen kann man große Er-
folge erzielen. Das Schicksal eines Feldzuges wird
zum guten Teil schon durch den Aufmarsch der Ar-
meen entschieden.
Deshalb hat man, bevor der Aufmarsch der deut-
schen Armee vollendet war, den Soldaten, die be-
reits an der Grenze standen, nicht gestattet, ihren
Angehörigen Mitteilungen zu machen; deshalb
durften innerhalb der Grenzgebiete keine ver-
schlossenen Briefe befördert werden; deshalb nimmt
man auch verschlossene Briefe für das Ausland nicht
an und befördert in der Gefahrzone keine Tele-
gramme, denn mit Hilfe der sogenannten Telegramm-
schlüssel kann die anscheinend harmloseste Familien-
oder Geschäftsdepesche eine wichtige politische oder
militärische Nachricht enthalten.
.- Das Zuch für Mle -
Der amerikanische Zeitungskorrespondent Dou-
glas Story, der in: Jahre 1904 den russisch-japa-
nischen Krieg im russischen Hauptquartier mitmachte,
erzählt folgende Episode, die ihm von dem russischen
Stabsoffizier Baron Hoven, der zum Stabe des
Vizekönigs Alexejew gehörte, mitgeteilt wurde. An-
fang Februar hatten sich die Beziehungen zwischen
Japan und Rußland derartig verschärft, daß der Aus-
bruch des Krieges zu vermuten war. Am 5. Fe-
bruar 1904 ließ sich bei Baron Hoven ein Chinese
melden, der mitteilte, er habe eine außerordentlich
wichtige militärisch-politische Nachricht, und er sei
bereit, sie an die Russen zu verkaufen. Baron Hoven
entgegnete, er könne die Katze nicht im Sack kaufen,
sei aber bereit, für wichtige Nachrichten anständige
Bezahlung, zu besorgen. Der Chinese teilte darauf
- - --— l^eft 6
mit, die Japaner würden in drei Tagen Port Arthur
angreifen. Baron Hoven gab die Nachricht weiter
mit dem Hiuzufügen, daß er sie nicht glaube. Auch
die Vorgesetzten des Barons Hoven erklärten die
Meldung des Chinesen für eine alberne Lüge. Es
schien ihnen ganz unmöglich, daß die Japaner wagen
sollten, Port Arthur anzugreifen; außerdem sagten
sie sich, daß ein Chinese so wichtige Kunde sicherlich
nur gegen vorherige Bezahlung preisgebe; der ver-
meintliche Verräter sei nichts als ein Phantast. Aist
echt russischer Sorglosigkeit ließ man die Nachricht
unbeachtet. Der Befehlshaber in Port Arthur er-
hielt keine Mitteilung, und ganz genau, wie der
Chinese, angegeben hatte, überfielen in der Nacht
des 8. Februar die japanischen Torpedoboote die in:
Hafen von Port Arthur liegenden russischen Krieg-
Vie erste Parade deutscher Iruppen in vrüssel. (5. 135)
Nach einer pheiographis der Leriiner lilustrnlionL-SesellschnfI m. v. U. in Leriin.
schiffe, deren Offiziere rind Mannschaften zum Teil
an Land waren, und fügten der russischen Flotte
außerordeml'chen Schaden zu. Nun ist doch an-
zunehmen, daß die Japaner den Plan des Über-
falls auf Port Arthur sorgfältig geheim gehalten
haben, daß sie ihre Absichten niemand verrieten,
— und doch wußte der Chinese drei Tage vor der
Ausführung, was sie planten. Der Chinese soll
später ausgesagt haben, es sei ihm gelungen, einen
Depeschenaustausch zwischen zwei javanischen Kom-
mandeuren abzuhören.
Bei Beginn des gegenwärtigen Krieges erstreckte
sich die Wahrung des Geheimnisses aber nicht nur
auf die inländischen militärischen und politischen Nach-
richten, sondern auch auf solche, die aus dem Aus-
lande kamen. Auch dazu hatte man gewichtige
Gründe. Nie gedeihen die ungeheuerlichsten Lügen,
die wildesten Gerüchte besser als in den ersten Wochen
eines Feldzuges. Auf unerklärliche Weise entstehen
Gerüchte, die das nachrichtenhungrige Publikum
gläubig aufnimmt, und da es in der Natur des Men-
schen begründet ist, unangenehme Dinge leichter hin-
zunehmen als angenehme, finden fie Verbreitung
und Glauben. Durch häufige Unglücksbotschasten
wird aber die Stimmung im ganzen Lande, nicht
nur bei der Zivilbevölkerung, sondern schließlich auch
bei den Truppen, die ins Feld rücken, ungünstig be-
einflußt. Gegen solch grundlose Schädigung der
Gesamtstimmung wirkt nur unbedingtes Nachrichten-
verbot.
Die Namen der Führer unserer Armeen wurden
diesmal erst spät veröffentlicht; aus wohlerwogenen
Gründen. In kritischen Augenblicken wiegt die Per-
sönlichkeit des Feldherr,: unendlich schwer. Warum
sollte man Spione und Agenten der Feinde auf diese
Offiziere aufmerksam machen und förmlich zu Atten-
taten anstiften?
Chausseen, Bahnübergänge, Viadukte, Tunnel,
Brücken wurden bei Beginn des Feldzuges streng
überwacht. Mancher hatte an dieser Maßregel aus-
zusetzen, daß sie zu weit ging, und daß selbst ganz be-
deutungslose Straßenübergänge und Brücken ängst-
lich behütet wurden. Aber auch das war notig, um
das Geheimnis im ganzen zu wahren. Hätte man
nur die wichtigsten Punkte besetzt, so hätte man ja
den feindlichen Agenten und Spionen geradezu ge-
sagt: das hier sind wirklich wichtige Stellen', hier
müßt ihr versuchen, Störungen herbeizuführeu.
Ein Geheimnis aber ist in: modernen Kriege fast
unhütbar geworden, das Geheimnis der Stellung
des Gegners. Verwegene Fahrten von Flugzeuge»
und Lenkballoneu verrateu fast immer Anmarsch
und Stellung des Feindes in kürzester Zeit. Selbst
Vorbereitungen zu nächtlichen Überfällen sind sehe
schwer so zu treffen, daß die Flieger nichts davon er-
kunden können. Es kommt also nur darauf an, wer
die kühneren und tüchtigeren Flieger hat. Die Flie-
ger sind es auch, denen mau im heutige» Kriege die
wichtigsten Meldungen und Befehle anvertraut,
weil sie viel weniger als die kühnsten Ordonnanz-
offiziere Gefahr laufen, iu Feindeshand zu fallen.
Im übrigen bedient man sich nach Möglichkeit der
Telegraphen- und Telephonleitungen. Hier sti
allerdings eine Entdeckung des Geheimnisses da-
durch denkbar, daß wagemutige Feinde sich zur
Nachtzeit cinschalten und die Depeschen „abhören'
können. Die drahtlose Telegraphie erschwert da-
gegen die Befriedigung der gegnerischen Neusser
schon erheblich.
Fast nur durch Überraschungen kann man große Er-
folge erzielen. Das Schicksal eines Feldzuges wird
zum guten Teil schon durch den Aufmarsch der Ar-
meen entschieden.
Deshalb hat man, bevor der Aufmarsch der deut-
schen Armee vollendet war, den Soldaten, die be-
reits an der Grenze standen, nicht gestattet, ihren
Angehörigen Mitteilungen zu machen; deshalb
durften innerhalb der Grenzgebiete keine ver-
schlossenen Briefe befördert werden; deshalb nimmt
man auch verschlossene Briefe für das Ausland nicht
an und befördert in der Gefahrzone keine Tele-
gramme, denn mit Hilfe der sogenannten Telegramm-
schlüssel kann die anscheinend harmloseste Familien-
oder Geschäftsdepesche eine wichtige politische oder
militärische Nachricht enthalten.
.- Das Zuch für Mle -
Der amerikanische Zeitungskorrespondent Dou-
glas Story, der in: Jahre 1904 den russisch-japa-
nischen Krieg im russischen Hauptquartier mitmachte,
erzählt folgende Episode, die ihm von dem russischen
Stabsoffizier Baron Hoven, der zum Stabe des
Vizekönigs Alexejew gehörte, mitgeteilt wurde. An-
fang Februar hatten sich die Beziehungen zwischen
Japan und Rußland derartig verschärft, daß der Aus-
bruch des Krieges zu vermuten war. Am 5. Fe-
bruar 1904 ließ sich bei Baron Hoven ein Chinese
melden, der mitteilte, er habe eine außerordentlich
wichtige militärisch-politische Nachricht, und er sei
bereit, sie an die Russen zu verkaufen. Baron Hoven
entgegnete, er könne die Katze nicht im Sack kaufen,
sei aber bereit, für wichtige Nachrichten anständige
Bezahlung, zu besorgen. Der Chinese teilte darauf
- - --— l^eft 6
mit, die Japaner würden in drei Tagen Port Arthur
angreifen. Baron Hoven gab die Nachricht weiter
mit dem Hiuzufügen, daß er sie nicht glaube. Auch
die Vorgesetzten des Barons Hoven erklärten die
Meldung des Chinesen für eine alberne Lüge. Es
schien ihnen ganz unmöglich, daß die Japaner wagen
sollten, Port Arthur anzugreifen; außerdem sagten
sie sich, daß ein Chinese so wichtige Kunde sicherlich
nur gegen vorherige Bezahlung preisgebe; der ver-
meintliche Verräter sei nichts als ein Phantast. Aist
echt russischer Sorglosigkeit ließ man die Nachricht
unbeachtet. Der Befehlshaber in Port Arthur er-
hielt keine Mitteilung, und ganz genau, wie der
Chinese, angegeben hatte, überfielen in der Nacht
des 8. Februar die japanischen Torpedoboote die in:
Hafen von Port Arthur liegenden russischen Krieg-
Vie erste Parade deutscher Iruppen in vrüssel. (5. 135)
Nach einer pheiographis der Leriiner lilustrnlionL-SesellschnfI m. v. U. in Leriin.
schiffe, deren Offiziere rind Mannschaften zum Teil
an Land waren, und fügten der russischen Flotte
außerordeml'chen Schaden zu. Nun ist doch an-
zunehmen, daß die Japaner den Plan des Über-
falls auf Port Arthur sorgfältig geheim gehalten
haben, daß sie ihre Absichten niemand verrieten,
— und doch wußte der Chinese drei Tage vor der
Ausführung, was sie planten. Der Chinese soll
später ausgesagt haben, es sei ihm gelungen, einen
Depeschenaustausch zwischen zwei javanischen Kom-
mandeuren abzuhören.
Bei Beginn des gegenwärtigen Krieges erstreckte
sich die Wahrung des Geheimnisses aber nicht nur
auf die inländischen militärischen und politischen Nach-
richten, sondern auch auf solche, die aus dem Aus-
lande kamen. Auch dazu hatte man gewichtige
Gründe. Nie gedeihen die ungeheuerlichsten Lügen,
die wildesten Gerüchte besser als in den ersten Wochen
eines Feldzuges. Auf unerklärliche Weise entstehen
Gerüchte, die das nachrichtenhungrige Publikum
gläubig aufnimmt, und da es in der Natur des Men-
schen begründet ist, unangenehme Dinge leichter hin-
zunehmen als angenehme, finden fie Verbreitung
und Glauben. Durch häufige Unglücksbotschasten
wird aber die Stimmung im ganzen Lande, nicht
nur bei der Zivilbevölkerung, sondern schließlich auch
bei den Truppen, die ins Feld rücken, ungünstig be-
einflußt. Gegen solch grundlose Schädigung der
Gesamtstimmung wirkt nur unbedingtes Nachrichten-
verbot.
Die Namen der Führer unserer Armeen wurden
diesmal erst spät veröffentlicht; aus wohlerwogenen
Gründen. In kritischen Augenblicken wiegt die Per-
sönlichkeit des Feldherr,: unendlich schwer. Warum
sollte man Spione und Agenten der Feinde auf diese
Offiziere aufmerksam machen und förmlich zu Atten-
taten anstiften?
Chausseen, Bahnübergänge, Viadukte, Tunnel,
Brücken wurden bei Beginn des Feldzuges streng
überwacht. Mancher hatte an dieser Maßregel aus-
zusetzen, daß sie zu weit ging, und daß selbst ganz be-
deutungslose Straßenübergänge und Brücken ängst-
lich behütet wurden. Aber auch das war notig, um
das Geheimnis im ganzen zu wahren. Hätte man
nur die wichtigsten Punkte besetzt, so hätte man ja
den feindlichen Agenten und Spionen geradezu ge-
sagt: das hier sind wirklich wichtige Stellen', hier
müßt ihr versuchen, Störungen herbeizuführeu.
Ein Geheimnis aber ist in: modernen Kriege fast
unhütbar geworden, das Geheimnis der Stellung
des Gegners. Verwegene Fahrten von Flugzeuge»
und Lenkballoneu verrateu fast immer Anmarsch
und Stellung des Feindes in kürzester Zeit. Selbst
Vorbereitungen zu nächtlichen Überfällen sind sehe
schwer so zu treffen, daß die Flieger nichts davon er-
kunden können. Es kommt also nur darauf an, wer
die kühneren und tüchtigeren Flieger hat. Die Flie-
ger sind es auch, denen mau im heutige» Kriege die
wichtigsten Meldungen und Befehle anvertraut,
weil sie viel weniger als die kühnsten Ordonnanz-
offiziere Gefahr laufen, iu Feindeshand zu fallen.
Im übrigen bedient man sich nach Möglichkeit der
Telegraphen- und Telephonleitungen. Hier sti
allerdings eine Entdeckung des Geheimnisses da-
durch denkbar, daß wagemutige Feinde sich zur
Nachtzeit cinschalten und die Depeschen „abhören'
können. Die drahtlose Telegraphie erschwert da-
gegen die Befriedigung der gegnerischen Neusser
schon erheblich.