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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 8
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Vas Luch fül- Mle —- -- -- heft Z

Frankreichs Grenzen sollten ihrer noch viel mehr
stehen. Sämtlich von Müttern geboren, die nun
in Angst und Sorge um sie lebtcu!
Die braune Stute des Gefreiten war heute be-
sonders unruhig und schnupperte mit geblähten
Nüstern, als witterte sie Besonderes im Kommen
des Tages.
, „Sei ruhig, Liese, r—u—h—i—g!" Besänftigend
strich er ihr über Mähne und Hals. Aber er war
selbst nicht ruhig.
Auch deu Offizieren des Regiments schien die
Unruhe zuzusetzen. Sie standen in Gruppen beiein-
ander. Einige davon hielten mit ihren Fcrnstechern
Ausschau. Aber es gab nicht viel zu sehen. Kürassiere
kamen vorüber, sie und die ihnen folgende schwere
Feldartillerie wirbelten massige Staubwolken auf.
Dunstig wurde es zum Ersticke«. Da konnte die
Sonne freilich nicht länger durchdringen.

„Warum rücken wir nicht mit vor? Warum
müssen wir hier Maulaffen feilhalten?" wendete
Müller sich an den Sergeanten.
Armbruster mochte ähnlich gedacht haben. Aber
der Frage seines Gefreiten gegenüber zeigte er ein
wissendes Lächeln. „Keine Sorge, mein Lieber,
man vergißt uns nicht. Kommen auch noch dran
und am rechten Platz!"
Er sprach nicht weiter, sondern verhielt den Atem
und lauschte. Die anderen machten es ebenso.' Bald
stand das ganze Regiment. Selbst die Pferde spitzten
die Ohren. Kanonendonner! Ganz in der Ferne,
dem dumpfen Grollen eines aufziehenden Gewitters
ähnlich. Es geht los! Herrgott, laß uns mit dabei
sein! Keine Lippe bewegt sich. Aber der gleiche
Wunsch spricht aus den Hunderten gebräunter Ge-
sichter.
Stiebender Hufschlag schürst die Grasnarbe. Von

irgendwoher, wo das Hauptquartier sich befinden
soll, kommt der Regimentsadjutant herangeflitzt
Gerade auf den Oberstleutnant zu, dec nuu wie an-
gegossen auf seinem Rappwallach sitzt. Eine kurze
Meldung. Der Kommandierende überfliegt den ilpn
eingehändigten Tagesbefehl.
„Aufsitzen!"
Von Schwadron zu Schwadron pflanzt sich der
Ruf fort. Ungeduldiges Scharren nnd Wiehern,
Rasseln der Halfterketten und Säbelscheiden. Dann
sitzen die Jungens im Sattel. Ein unübersehbares
Feld grauuniformierter, sehniger Reiter, ein drohend
starrender Lanzenwald.
„T—r—a—b!"
Zug um Zug schwenkte ein, in kurzen Abständen
ging es voran. Aber wohin? Enttäuschungen viele"
Gesichtern. Man ritt dem Geschützdonner nicht ent-
gegen, sondern wich ihm aus. Soll denn wieder

Zusammenstoß deutscher und französischer kavalleriedivistonen bei lsarebrouck. vriginalreichnung von U. lkeich. (5. 179)


zurückgewichen werden? Schwerlich; denn ritt man
in der nämlichen Richtung weiter den ganzen Tag
und wohl auch die Nacht, kam mau ans Meer. Also
eine Flankenbewegung. Darum hatte der Alte beim
Lesen des Tagesbefehls auch fo merkwürdig vor sich
hingelächelt!
„Könnt' man nicht mitten in die Schwefelbande
hineinreiten?" murrte Müller, der neben seinem
Sergeanten ritt und seine liebe Not hatte, den Gaul
durch den morastigen Grund zu steuern. „Wo geht's
nun hin?" Vorwurfsvoll betrachtete er das vor
ihnen aufblinkende blaue Seeauge, dessen schilf-
gesäumte Ufer in weitem Bogen umritten werden
mußten. „Paßt auf, in der Richtung reiten wir bis
zum Abend weiter, und dann soll der Kuckuck in
solchen Sümpfen Attacke reiten!"
Endlos lange Vormittagstundcn wandelten sich
in glühenden Mittag, bevor das Kommando zum
Halten und Abkochen gegeben wurde. Das Reginient
hielt auf zerstampftem Wiesengruud. Zur Rechten
langgezogene Hügelrücken, die Grasnarbe war ab-
geweidet, weggeworfene Kannen und Büchfen, bunt

gemischt mit sonstigem Gerät, Spuren von nieder-
gebrannten Holzfeuern verrieten, daß vor ihnen schon
andere am nämlichen Platze gerastet hatten.
Müller kam die Gegend seltsam bekannt vor. Er
freute sich darüber, daß er zum Postenstehen kom-
mandiert wurde — oben auf der Hügelhöhe, von
der man weit ins flache Land hinausschauen konnte.
Aber er mußte sich getäuscht haben. Wohl blinkten
aus niedrigem Gehölz die blauen Seeaugen zu ihm
hoch, manchmal kreisrund und dann wieder so lang-
gestreckt, daß sie in verdämmernder Ferne die leicht-
gekräuselten Wellchen geradeswegs in den Himmel
zu ergießen schienen. Aber die Kirchtürme dazwi-
schen fehlten, die hatten sich so friedlich und feier-
lich zwischen den Seen vom Atherblau abgehoben.
So weit Müller den Blick schweifen ließ, Kirch-
türme konnte er nicht entdecken. Auch keine schindel-
gedeckten Häuser, aus deren Kaminen geschäftig
der Rauch wirbelte und allerhand behagliche Vor-
stellungen von guten, nahrhaften Dingen, die da
in den Küchen zubereitet wurocn, erzeugte. Wie
sah überhaupt die ganze Gegend aus! Die Luft

war durchsichtig klar. Nach seiner Schätzung mußte >
er meilenweit schauen können. Das war gerade f^
als ob ein Riesenhagel über die Auen niedcrgepnm
seit wäre oder ein Sturm vom Meere her die Bäunn
geknickt und die Fluren verwüstet hätte. Sols
gründliche Arbeit verrichtet indessen kein Orkan, kwcu
all Verwüstung. Auch Trümmerhaufen glaubte er nw
zu erspähen. Aus einzelnen stieg noch grauer Raun
auf. Das waren wenige Tage zuvor noch blühen- >
Häuser und Dörfer gewesen. Darum die unheimliäp
Verlassenheit! Mit einer Verwünschung umklaN
merte er den Lanzenschaft fester. Verruchte Mösls"
unter! Wie lauge dauerte es noch, bis man Av
rechnung mit den Bluthunden halten durfte! .. .
Bumm! bumm! bumm! Der Wind hatte Pf"
gedreht. Aus dem Osten kamen die Kanonenfchlügl,
dumpf, verhalten grollend. Aber viele Hunden
eherner Feuerschlünde mußten brüllen, um sich
solcher Entfernung noch vernehmlich zu machen-
Trompetensignale im Lager. Im Handgalopl
preschte Müller zurück. Sein Sergeant hatte N)
fürsorglich einen Napf voll Suppe ausgehobe '
 
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