Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

DOI Heft:
Heft 8
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0195
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
184 — -.v35 Luch für Mle

heft 8



gestampft. Ameisenhaftes
Treiben in den Reihen der
Russen. In großer Hast
wurden lange schwarze
Dinger vorgeschoben —
Kanonen! Müller ver-
suchte zu zählen. Es moch-
ten hundert sein, die nun
ihre Feuerschlünde auf sie
richteten. Mochten sie! Um
so weniger Geschütze be-
drohten fortan die Sturm-
kolonnen der heldestmüti-
gen Landwehr.
„Trab!"
Der sich fortpflanzende
Kommandoruf gefror zu
nadelspitzen Eisstückchen,
die sich ihm schmerzhaft ins
Hirn, in Fleisch und Blut
einbohrten. Er hatte die
Empfindung, als läge in
dem Kommando der Be-
fehl für ihn, sich Hals über
Kopf in einen schwindelnd
tiefen Abgrund zu stürzen.
Oder war es Feigheit, die
ihn schwindeln machte?
Nein, er war nicht feig.
Dieselbe leere Verdutztheit
las er in den bleichen Zü-
gen der Kameraden. So-
gar Sergeant Armbruster,
sein heimliches Idol, das

Phot. Berliner Illustrations-Gesellschaft rn. b H.in Berlin.
1. Vie »Krakauer Vorstadt« in Warschau.

2. Ilowst 5wiat in Warschau.

Z TIZdtebüdei' o
tz vom kriegschauplah in?o!en. A
A (lext auf 5. 179) ß
mando verbeugte sich das ganze Regiment vor den heran-
prasselnden Geschossen. Die Pferde nahmen es ruhiger,
sie waren eingeschossen und tänzelten nur nervös, wenn
eine zu kurz abgekommeue Granate vor der Front kre-
pierte und der Eisenhagel die Erdnarbe hochwirbelte.
Dann schlug ein Etwas in seine Nebenmänner zur Linken
mit dumpfem Schlag und einem Aufklatfchen, als klopfte
man ein großes Fleischstück mürbe. Ein roter Sprühnebel
flog vor seinen Augen vorüber, und wie er den Blick
wendete, sah er seitlich hinter sich zerfetzte Körper nieder-
brechen.
Im gleichen Augenblick platzte keine zehn Schritte vor
ihnen eine Granate und warf gegen sie einen Hagel von
Eisenstücken, Erde und Staub. Die entweichenden scharfen
Gase machten ihm übel. Mit lautern S—s—s zischte ein
Schrapnell an seinem Ohr vorüber. Seine Stute bäumte
sich auf den Hinterbeinen. Gerade noch zeitig genug,
um nicht über ein anderes sich im Todeskampfe verzap-
Pelndes Dragonerpferd zu Fall zu kommen. Mit wild-
rollenden Augen und weitgebffnetem Maul, so daß die
scheidenden Sonnenstrahlen die langen gelben Zähne ver-
goldeten, stieß die verröchelnde Kreatur einen letzten
Schrei aus, der das Kanonengebrüll noch übertönte.
Bei jedem Platzen der
feindlichen Granaten, jeg-
lichem Todesgeröchel, je-
dem Sterbeschrei ringsum
hatte Gefreiter Müller die
Empfindung, als müßte
ihm das Herz stillstehen. Er
saß auf seinem immer tol-
ler sich bäumenden Pferde
automatenhaft, mit einge-
schlafenen Gliedern. Das
Schreckliche ringsum drohte
ihn zu zermalmen. Zu-
gleich aber regte sich in
seiner Seele der Zorn.
Was trieb diese Barbaren
drüben auf die deutsche
Scholle? Warum schleu-
derten sie deu Tod iu ihre
Reihen? Warum diese
blutige Ernte? Wilder Ver-
geltungsdrang trieb ihn
voran. Es Hütte nicht der
anfeuernden Trompeten-
signale bedurft. Nur ein
einziges Beten erfüllte
ihn: nicht sterben, bevor er
an den verruchten Leibern
jener Unholde, in ihrem
Herzblut die heilige Rache
kühlen konnte —Rache für
den entweihten, geplün-
derten Boden mit seiner

in seiner Hochachtung gleich nach dem lieben Gott kam,
machte dasselbe verdutzte Gesicht, wie damals im Reit-
stall, als der Alte ihn zufällig dabei erwischt gehabt, wie
er aus Versehen statt des bockigen Gauls den Einjährigen
Märker ein wenig mit der Peitsche gekitzelt hatte, weil der
Unglückswurm am Hals des Gaules hing. Müller mußte
still vor sich hinlächeln, als er an jene Reitstallidylle zurück-
dachte. Aber nur einen Augenblick.
Unaufhaltsam ging es vorwärts. Das Donnern der
viel tausend Pferdehufe, das Krachen der Sättel, das Klir-
ren der Säbel und Halfterketten vereinigte sich zu einer
herrlichen kriegerischen Musik. Die senkrecht eingelegten
Lanzen wurden zum starrenden Walde. „Hurra! Hurra!
Hurra!" Der Alte ritt mit geschwungenem Säbel voran,
genau wie daheim auf dem Exerzierplatz, die Rittmeister
nicht minder. Sie kannten keine Furcht vor jenen grau-
schwarzen Dingern, auf die sie geradeswegs zuritten.
Sergeant Armbruster faßte plötzlich feines Gefreiten
Zügelhand mit kurzem, herzlichem Drucke. Überrascht
blickte der solcher Vertraulichkeit Ungewohnte ihm in die
Augen. Sie waren blau und strahlend wie immer, aber
ein verklärter Schimmer darin wie nie zuvor.
„Fahr w chl, Kamerad!" sagte er kurz. „Hab' dich
gern leiden mögen! Für König und Vaterland in den
Tod! Hurra!"
„Hurra!" gellte Müller ihm nach, ein stolzes Lächeln
um die Lippen. Das Regiment nahm den Ruf auf.
„Hurra! Hurra!"
Dann flammte vor ihnen die Hölle auf. Rote Flam-
mengarben schossen Blitze. Ein fürchterliches Krachen,
das schnell in fauchendes Zischen und Prasseln sich wan-
delte, machte sie vorübergehend taub. Wie auf Kom-

3. Vas vustschlost sohann 5obieskis bei Warschau.
 
Annotationen