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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 8
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0196
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8 ... .—-.— — Vas Luch für Alle —. , .. l85



umsonst herangereiften Saat, Rache für die niedergebrann-
ien Heimstätten, die gemarterten und ermordeten Land-
leute mit ihren Weibern und Kindern.
. lind da sah er wieder die blonde Margell. Nicht länger
Mit roten Backen und glänzenden Augen, kein Lächeln
wehr nur die roten Lippen. Todestraurig und mit ge-
brochenen Augen.
Herrgott, nahm diese Wiesenfläche denn kein Ende! Wie
lange ritten sie schon auf die verderbenspeienden Kano-
uen los! Wie lange! Sein rechter Nebenmann wechselte
lortwührend. Längst war Schmidt kl. verschwunden,
dann Giesecke, dauu Braun, Fritz Rümmler, der Spaß-
macher der Schwadron — und nun blieb auch Holzner
Zurück, der kleine liebe Kerl.
llicd wann kam die Reihe an ihn selbst? Und an
den Sergeanten? Ein rascher Blick nach ihm. Hurra,
der lebte noch lind hielt aus!
Aber was brachte die nächste Sekunde? Sein Lehrer
Buchner hatte in der Schule immer gesagt, der schnellste
Reiter sei der Tod, aber noch schneller ritte das Menschen-
lßrn auf seinem Gedankenrvß. Was inan in solchem
Augenblicke alles zusammendenken konnte! Der alte Manu
hatte recht gehabt! Seine Gedanken waren zugleich über-
all, mm war er gar bei der Mutter und sah sie am
lilartenzaun auf deu Briefträger warten. Ob sie noch eine
Karte von ihn: bekommen würde nach jener letzten, die
w auf der Bank im Baumschatten geschrieben, als neben
rhm die blonde Sophie gesessen? Aber wo — wo?
Mit blödem Blicke schaute er wieder auf. Dort etwa,
wo eben die Hötle wieder aufflammte — keine hundert
Schritte mehr von ihnen geschieden? Ein widerlich süßer
Geruch erfüllte die Luft, ganz anders Ivie jener Balfa-
Minenduft damals. Ein
Brechreiz schüttelte ihn. _———_
Dann ein Streifen sei-
Ms linken Armes. Etwas
Warmes schoß über seine
«oügelhand und tropfte
^on ihr ab. Sergeant Arm-
Musters Körper war vorn
ssder den Pferdehals ge-
fallen, dann ^sank er an
amn sich hochbäumenden
Pferd hinunter. Zugleich
spürte Müller selbst einen
suchenden Schmerz in der
unten Schulter. Der Arm
wurde schlaff und konnte
Mcht mehr recht den Zügel
hwten. Gottlob, daß es
wcht sein rechter war! Ter
hn-'lt noch die Lanze in
wagrechter Lage. Nur
auch wenige Pferdelängen
nennten sie von jenen
Höhen, wo der Feind sie
erwartete.
Weiter trug ihn die
Fäute. Eine heiße Lache
chlug ihm ins Gesicht und
wendete seine Augen. Er
sonnte sie nicht auswi-
schen, die Linke gehorchte
chm nicht. Wer ritt zu sei-
ner Linken? Ah, der Ober-
wutnant. Wo kam der

her? Lebte er überhaupt
noch? Da schwang er dell
Säbel—„Hurra! Hurra!"
— Und da fiel er schon hin-
tenüber —. Um sie krachte
es ohrbetäubend. Wie reife
Saat fielen die Kame-
raden !
Nun hatten sie die
Batterien erreicht. Müller
konnte die rauchenden
Mündungen sehen, dahin-
ter die pulvergeschwärzten
Gesichter der Bedienungs-
mannschaften mit in schreck-
hafter Ungläubigkeit weit
aufgerisfenen Augen, un-
fähig, das Wunder zu be-
greifen, das die überkühne
Reitermacht mitten durch
deic dichtesten Granaten-
hagel geführt —. Blind auf
sie einschlagende, um das
eigene Leben zitternde
Offiziere. Ein überstürz-
tes Hasten, Laden lind
Feuern. Unter dem Luft-
druck bäumten sich die
Pferde, brachen halb nie-
der, rafften sich wiederauf
und stürmten wie besessen
weiter. Und die auf ihuen
saßen mit stoßbereiten
Lanzen, spürten kein an-

5. Mick auf Kalifch.

4. Vas 5cylotz in 5ublin.


S. Slick auf Lodr.

deres Verlangen mehr, als aufräumen zu dürfen unter
dem. schreienden Mordgesindel.
Müller hatte zwei Geschütze aufs Korn genommen,
zwischen denen er hindurchreiten wollte. Fast unter den
Nüstern seiner Stute krachte die eine Haubitze. Sein
Trommelfell drohte unter dein gräßlichen Dröhnen zu
platzen. Der Rauch, glutheiß, stickig und betäubend,
drang ihm in Mund und Nase. Im nächsten Augen-
blick fegte er mit eingelegter Lanze zwischen den Ge-
schützen hindurch. Eiu russischer Kanonier mit neger-
schwarzem Gesicht, aus dein die Augen unheimlich weiß
starrten, schlug seinen Karabiner auf ihn an. Ehe er
ihn Ml die Wange bringen konnte, durchbohrte ihn die
Lanze. Wie sie der Gefreite nut kurzem Nucke wieder
zurückriß, stürzte sein Feind mit dem Gesicht nach vorn
nieder. Seinen letzten Todesschrei erstickte das Wiehern
der Pferde, das Krachen der Gewehre, das Zischen der
wie Metzgerbeile ans die Feindesschädel niederwuchtenden
Säbelklingen.
Ein blutdürstiger Vergeltungsdrang überkam den Ge-
freiten. Mit sicherem Stoß fuhr seine Lanzenspitze in das
Herz eines blutjungen Kanoniers. Ter hielt sich im Fallen
mit beiden Händen am tödlichen Eisen. Mit unbeschreib-
lich traurigem Blick starrte er auf seineil Überwinder, und
einen kurzen Laut stieß er dazu aus, der klang so sehn-
süchtig weich wie der heilige Muttername.
Eine Riesenhand würgte an des Lanzeureiters Kehle.
Als ob es ihn zwingen wollte, laut aufzuschreien. Aber
für weichere Gefühle war jetzt kein Raum. Schon warf
sich ein pockennarbiger Kosak, ein gedrungen gebauter
Bursche mit einem Stiernacken und tückisch funkelnden
Wvlfsaugen, auf den Angreifer. Mit einer abgebrochenen
 
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