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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 14
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302

— kiest 14

Vas Luch für- Mle

ernstlich zu dieser Annahme, weil eben sonst keinerlei
Anzeichen Vorlagen. Aber selbst wenn inan diesem
Verdacht hätte Raum geben wollen, es war keine
Möglichkeit, bestimmte Maßnahmen zu treffen. Un-
möglich, bei den mehreren tausend Russen in Berlin
Haussuchungen zu halten! Das einzige war, daß
man das Haus, in den: Hauptmann v. Schilling
wohnte, noch weiter im Auge behielt.
Aber auch diese Beobachtungen wurden endlich
eingestellt, da sie nicht das geringste Ergebnis hatten.
-i-
Der Geheime Finanzrat v. Bodemer und seine
Gattin, die zum näheren Bekanntenkreise der Fa-
milie Schilling gehörten, gaben eine größere Abend-
gesellschaft. Es war die letzte „Abfütterung" vor
dem Sommer. Die Familie Bodemer war reich,
unterhielt einen sehr lebhaften gesellschaftlichen Ver-
kehr, und die Frau Geheimrütin hatte den Ehrgeiz,
überall „dabei zu fein". Sie gehörte zu allen Aus-
schüssen für wohltätige und gemeinnützige Veran-
staltungen, saß im Vorstande einer ganzen Menge
solcher Vereine und hatte daher gute Beziehungen
in Berlin, zur Aristokratie sowohl wie zur höheren
Beamtenschaft, zum Offizierkorps wie zur Finanz-
welt.
„Ich bitte sehr, daß Sie Fräulein Vernon mit-
bringen," hatte die Frau Geheimrätin an den Rand
der gedruckten Einladung geschrieben, die Oberst
v. Schilling und Gattin erhalten hatten.
Der Frau Oberst war bei ihrem immer noch leise
sich regenden Vorurteil die Einladung für die Er-
zieherin wenig angenehm, aber es war wohl richtig,
was ihr Gatte meinte, daß man einer so liebens-
würdigen Bitte sich nicht verschließen dürfe.
Frau Geheimrätin v. Bodemer begrüßte die in-
mitten der Familie Schilling Erschienene mit einem
Schwall französischer Worte. „Ich liebe Ihre Sprache
sehr, mein liebes Fräulein Vernon, und ich freue
mich, so oft ich Gelegenheit habe, mein bißchen Fran-
zösisch zu üben." — Sie stellte die Französin ver-
schiedenen Damen und Herren vor. Ehe sie Made-
leine den Herren überließ, die sich sofort um die schöne
Fremde drängten, sagte sie noch: „Ich habe auch
Fräulein Rydberg geladen, die Schwedin in der
Familie Halden. Sie kennen sie doch?"
Die Angeredctc hatte sich in ihrem abenteuer-
lichen, wechselvollen Leben so viel Selbstbeherrschung
angeeignet, daß sie sich die Bestürzung über diese
unerwartete Mitteilung nicht im geringsten anmerken
ließ, denn Jane, die sie zu ihren besonderen Zwecken
zu verwenden geduckte, durfte unter keinen Um-
ständen ihren Aufenthalt in der Familie Schilling
erfahren. „Ich hatte noch nicht das Vergnügen,"
erwiderte sie lächelnd, „aber ich habe bereits viel
Gutes von Fräulein Rydberg gehört und freue mich
sehr auf ihre Bekanntschaft."
Die Fran Geheimrütin nickte ihr freundlich zu,
und sie zog sich in Gesellschaft einiger Herren und
Damen zurück, die alle begierig waren, mit ihren
Kenntnissen der französischen Sprache zu glänzeu,
während ihr die alte Dame wohlwollend und selbst-
vergnügt nachsah. Die bescheidene, zurückhaltende
Schwedin war ihr gar nicht so wichtig, und sie hatte
sie gewissermaßen nur als Gegenstück zu Madeleine
Vernon geladen. Sie dachte es sich als ein anziehen-
des Salonbild: die strahlende, berückende brünette
Schönheit der Französin Seite an Seite mit der
blonden Tochter des rauheren Nordens. Übrigens
verlieh ja die bloße Gegenwart von Ausländerinnen
einer deutschen Gesellschaft immer noch einen be-
sonderen Reiz.
Madeleine Vernon sann indes, während sie eifrig
mit den sie umringenden Gästen plauderte, über die
Frage nach, wie sie sich am besten der Begegnung
mit Jane Rydberg entziehen könnte. Am geratensten
wäre es wohl gewesen, sich unter einem Vorwande
zu entfernen. Aber jetzt, bei Beginn der Gesellschaft,
wäre es zu auffallend gewesen, geradezu unmöglich.
Vielleicht gelang es ihr, einstweilen inmitten der
Gesellschaft der Schwedin auszuweichen — bei der
großen Flucht der geöffneten Zimmer und kleinen
Säle immerhin keine Unmöglichkeit. Im schlimmsten
Fall mußte sie es eben darauf ankommen lassen, daß
sich Jane Rydberg durch rasche, warnende Blicke be-
stimmen ließ, ihre früheren Beziehungen nicht zu
verraten. Freilich bestand auch die Gefahr, daß
Jane sie zuerst erblickte, womöglich schon von weitem
mit ausgestreckter Hand auf sie zukam und sie mit
ihrem wahren Namen als alte Bekannte begrüßte.
Sie mußte ihre ganze Gewandtheit und Selbst-
beherrschung aufbieten, um den auf sie Einsprechen-
den eine liebenswürdige Miene zu zeigen und in der
geschickten Weise Rede zu stehen, die man von ihr als
Französin offenbar erwartete. Innerlich war sie voll
Unruhe, und ihre Blicke schweiften forschend, be-
obachtend nach allen Seiten.
„Wo ist denn nun diese berühmte Französin, von

der mir unsere Gastgeberin mit so viel Wärme ge-
sprochen hat?" fragte Jane Rydberg, sich Arm in
Arm mit Wanda Halden durch die zahlreichen Grup-
pen von plaudernden Gästen hindurchwindend.
„Da, wo wir die größte Ansammlung von Herren
bemerken, werden wir sie finden."
Die Schwedin sah erstaunt auf ihre Begleiterin.
Hatte nicht eine gewisse Bitterkeit, ja Geringschätzung
in ihrem Ton gelegen? Deuteten die krausen Linien
auf der Stirn und das Zucken nur die Mundwinkel
nicht auf eine heimliche Gegnerschaft?
„Übt Fräulein Vernon denn wirklich eine so
große Anziehungskraft aus?" fragte sie weiter.
„Um exotische Damen bildet sich immer gleich
ein Hofstaat unserer Herren."
Jane Rydberg lächelte. „Dann muß ich aber
wenig Anziehendes haben, denn mich umdrängt
keine Schar von Bewunderern."
„Verzeihen Sie! Das gilt selbstverständlich nur
von solchen Damen, die die allgemein bei uns herr-
schende Voreingenommenheit für das Fremde durch
ein entsprechendes Auftreten unterstützen, anstatt
sich der nötigen Zurückhaltung zu befleißigen."
„Das heißt also, daß diese Vernon darauf aus-
geht, bewundert zu werden?"
„Urteilen Sie selbst!"
Sie wies mit einer Kopfbewegnng nach einer
Gruppe hin, in der die Herren bei weitem über-
wogen. Alle zeigten jene verbindliche Miene von
Menschen, die sich bemühen, einem anderen zu ge-
fallen und ihm ihre Bewunderung zum Ausdruck
zu bringen.
Inmitten der Herren befand sich eine Dame, die
sich temperamentvoll bewegte und augenscheinlich
lebhaft sprach, die aber im Augenblick mit dem Rücken
gegen ihre Beobachterinnen stand.
„Kommen Sie," forderte Jane auf, „die Ge-
legenheit ist günstig, mich mit Fräulein Vernon be-
kannt zu machen."
Aber freilich, das war leichter gesagt als getan.
Von der Französin selbst war nur ein Teil des Hinter-
kopfes zu sehen, da ein paar große breitschulterige
Herren sie fast ganz verdeckten. Unmöglich war's,
sich an die mitten im Kreise Stehende heranzu-
drängen. Die Herren schienen wie gebannt.
Die beiden Damen blieben also abseits stehen und
sahen dem Trubel zu.
Wanda Haldens Stirn nmwölkte sich immer
mehr. „Wollen wir hier noch lange Posten stehen?"
fragte sie spöttisch.
Jane legte wieder ihren Arm in den Wandas.
„Gut, lassen Sie uns weitergehen! Vielleicht haben
wir später mehr Glück."
Bald darauf ging es zur Tafel. Madeleine Ver-
non sah von weitem, wie Herbert Halden an Jane
Rydberg herantrat und ihr seinen Arm bot. Sie
selbst wurde von einem Regierungsassessor, einem
Neffen des Gastgebers, zu Tisch geführt. Man
speiste an kleinen Tischen in verschiedenen Zimmern.
Die Französin ließ Jane nicht aus den Augen, wäh-
rend sie selbst geschickt vermied, sich ihren Blicken dar-
zubieten. Erst als sie sich überzeugt hatte, daß Her-
bert Halden mit seiner Tischdame Platz genommen
hatte, trat sie mit ihrem Tischherrn in ein entfernt
liegendes Zimmer.
Nach Aufhebung der Tafel erinnerte sich die Frau
des Hauses an das schöne Bild, das sie ihren Gästen
bieten wollte, und hielt nach den beiden fremd-
ländischen Damen Ausschau. Jane war die erste, die
sie erblickte. „Nun, mein liebes Fräulein Rydberg,
wie gefällt Ihnen unsere viel umworbene Made-
leine Vernon?"
„Ich hatte leider noch nicht das Vergnügen."
Die Frau Geheimrätin war enttäuscht. „Wie
schade!" Sie drehte sich lebhaft nach allen Seiten.
„Ach bitte, meine Herren —" sie sah die Französin
im Nebensalon. Ein Stück ihres Gesichts war von
dem Zimmer aus, in dem sie mit Jane stand, zu
sehen. „Dort, sehen Sie, die Dance in dem weinroten
Kleid — dort, die zierliche, schlanke Erscheinung!"
Jane blickte in die ihr gewiesene Richtung und
stutzte. Die Haltung der ebenmäßigen Gestalt, die
Art, wie sie den Kopf mit dem geschmackvoll frisierten,
tiefbraunen Haar ein wenig zur Seite geneigt hielt,
erinnerte sie — an wen doch gleich? — richtig, an
Anna Pawlowna Sawurow.
„Herr Regierungsrat," wandte sich die Geheim-
rätin an einen Herrn in ihrer Nähe, „haben Sie doch
die Freundlichkeit, Fräulein Vernon für einen Augen-
blick hierher zu bitten."
Die lebhafte, geschäftige Art der Gastgeberin
hatte Aufmerksamkeit erregt. Man blickte in die
Richtung, in der die Französin am Arm eines Herrn
inmitten anderer dahinwandelte. Schon hatte sie
ihr Gesicht wieder nach einer anderen Richtung ge-
kehrt, schon hatten sich andere Gruppen Plaudernder
dazwischengeschoben. Das weinrotc Kleid, der feine
Kopf waren nicht mehr zu sehen.

Der Name der Französin, das Verlangen der
Gastgeberin nach ihr, ging von Mund zu Mund.
Auch Elert v. Schilling, der selbst bereits nach der
heimlich Geliebten gesucht hatte, hörte davon. Eilig
schritt er auf Madeleine zu.
Sie sah ihn von weitem, löste sich von dem Arm
ihres Begleiters und kam ihm entgegen. IW
Mienen waren matt und abgespannt. „Herr v. Schm
ling," redete sie ihn an, noch bevor er ihr von dem
Wunsche der Fran Geheimrat Kenntnis geben
konnte, „ich fühle mich nicht wohl. Haben Sie die
Güte, mich hinausznbeglciten und nur einen Wagen
zu besorgen."
Er sah sic überrascht an. „Ja, Sic sehen in der
Tat angegriffen aus. Es ist wohl die Hitze —" .
„Ich war schon den ganzen Tag über ziemlich
matt und hätte lieber zu Hause bleiben sollen. Aber
die Einladung war so liebenswürdig —"
Er bot ihr sofort seinen Arm. Die Sorge um st?
ließ ihn ganz vergessen, daß man Madeleine er-
wartete. Er geleitete sie zum Klciderraum, während
andere Herren ihnen bedauernd folgten. Sie legte
rasch, von allen Seiten unterstützt, ihren Mantel an,
beauftragte einen der Herren, sie bei der Gastgebern!
zu entschuldigen und verabschiedete sich in aller EuH
Unten atmete sie erleichtert auf. Am Arme des
Geliebten ging sie bis zur nächsten Straßenecke. Er
wollte sie durchaus nach Lichterfelde hinausbegleiten,
aber sie litt nicht einmal, daß er bis zum Bahnhol
mitkam. Sie warf sich in das nächste Auto und
schickte ihn mit nochmaligen Entschuldigungen zurück-

Einige Stunden später fuhr die Familie Halden
in zwei Antodroschken vom Fest heim. Die drei
Damen, Frau Halden, Wanda und Jane Rydberg
in der ersten, der Geheime Admiralitätsrat Nch
seinem Sohn in der zweiten. Frau Halden und IW
tauschten ihre Erlebnisse und Eindrücke aus. Wand"
saß in die Polster zurückgelehnt, schweigend, in W)
versunken.
Sie dachte an das kurze Gespräch, das sie rim
Elert v. Schilling gehabt hatte. Während des ersten
Teils des Festes war sie ihm ausgewichen, aber dann,
als die junge Welt angefangen hatte zu tanzen
es war kurz nach dem plötzlichen Aufbruch von Made-
leine Vernon gewesen — hatte er sie aufgcfordert,
und sie hatte sich ihm nicht entziehen können. Ws
willkürlich mußte sie wohl, als er uach dem Tanze
zu plaudern begann, in Miene und Haltung etwa"
Abweisendes angenommen haben, denn er unter-
brach sich und sah sie aufmerksam an.
„Ich weiß aber wirklich nicht, gnädiges Fr'W
lein," hatte er scherzend gesagt, „womit ich mir IW
Ungnade zugezogen habe."
Ernst, kühl, ihre Augenbrauen ein wenig einWf
ziehend, hatte sie ihn angesehen. „Ich verstehe W
nicht, Herr v. Schilling."
Wieder sah er ihr prüfend ins Gesicht. „W
haben fo etwas — wie soll ich sagen —- so etwas l,W
nahbares an sich. Ja, wenn ich mich nicht getänstw
habe, sind Sie mir während des heutigen Abend-
geradezu aus dem Wege gegangen."
Sie lächelte spöttisch. „Sie irren, Herr v. §ach,
ling. Ich wüßte nicht, warum ich mich vor IHR'"
fürchten und flüchten sollte."
Da war er ernst und ein wenig empfindlich W
worden. „Dazu haben Sie allerdings keine Ver-
anlassung, aber jedenfalls darf ich feststellen, W
Sie zu mir anders find als sonst."
„Wie war ich denn sonst?"-
„Nun, Sie gaben sich immer heiter, nett,
befangen. Heute aber sind Sie wie nmgewandew
Sie hatte sich ärgerlich auf die Lippen gebE
und dann fast schroff erwidert: „Ich weiß nicht,
Sie dazu berechtigt, mich Ihnen gegenüber für
fangen zu halten."
„Aber mein gnädigstes Fräulein," hatte er gW
erschrocken ausgerufcn, „ich wollte Sie doch fsi
verletzen — im Gegenteil!" Und dann hatte er i!
bittend ins Ange gesehen, und in seiner Otnn
hatte ein warmer Klang gelegen: „Fräulein Wach '
seien Sie aufrichtig! Eie haben etwas gegen M :
Sie haben mir früher Sympathie, ja, ich kann w
sagen Freundschaft bewiesen, und jetzt — Va,
Sie nickt wieder. Seien Sie offen, Fräulein Wwn
wodurch habe ich mir Ihre Ungnade zugezoge",^
Sie hatte die Empfindungen, die in ihr aufsteR -
wollten und die Tränen, die aus der Tiefe R f
Herzens heraufquollen, mit dem Aufgebot a .
Willenskraft zurückgedrängt und ihn kühl, stolz
gewiesen. „Sie irren, Herr v. Schilling. Ich W,
Ihnen gegenüber keine so heftigen Empfindung ,
die Sic als Ungnade zu bezeichnen berechtigt wch,,.x
Wie sollte ich dazu kommen? Freundschaft "
empfindet ein junges Mädchen doch wohl nur gu
Altersgenossinnen." ..
Damit war das Gespräch, das ihr eine so ick'
 
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