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verzeihliche Verlangen, etwas von der Welt zu sehen.
Nichts von der Bitterkeit oder gar Vergcltuugsucht,
die Frau Düerland beseelten, nichts von dem Miß-
trauen, von dem Behagen am Matsch. Da war etwas
anderes im Werke! Dies andere zu ergründen,
wurde dem beschäftigungslosen Tatendrange zum
angenehmen Sport, und so wanderte Klementine
harmlos an der Seite einer lauernden Wächterin.
Die Sache hing entschieden mit dem Ostseehotel
zusammen, das fühlte deren kritischer Instinkt.
Und plötzlich begann sie: „Wir gehen am besten
die Swine entlang, um die Befestigungen, dann
am Strande zurück, uud im Ostseehotel sagen Sie
im Vorbeigehen ab, Frau Amtsrat."
Klementine wehrte sich. „Wenn wir beide nicht
kommen, ist's unnötig."
Aha! dachte Frau Düerland. Laut sagte sie:
„Ich möchte dorthin. Mein Mann vermißt nämlich
eine Meerschaumspitze. Vielleicht ist sie dort liegen
geblieben."
Die junge Frau machte einen letzten Versuch.
„Mich entschuldigen Sie wohl für den Augenblick
der Nachfrage. Es wäre mir, weil ich bisher täglich
dort aß, doch etwas peinlich, nun einzutreten und
nicht zu bleiben."
Frau Düerland nickte. „Aber, aber — man ist
doch nicht verpflichtet! — Nun, wie Sie wollen,
ich bestell's allein."
Bei sich selbst war sie überzeugt, daß hier etwas
zu erspüren sei. Daß die junge Frau dann auf der
Strandpromenade mit einer gewissen Unruhe die
Augen schweifen ließ und am Hotel rascher, als die
bisherige Gangart war, vorüberstrebte, stärkte jene
Überzeugung.
Die Zigarrenspitze fand sich natürlich nicht.
Der Kellner nahm aber mit Interesse davon
Notiz, daß die angekündigte Frage nach dem Tische
der Frau Amtsrat Emmerich nicht erfolgen werde,
da die Dame heute im „Walfisch" speise.
Und dann saßen die beiden Frauen in der
Veranda des „Walfisches". Es war ja so warm
geworden, eine wohlige, salzgewürzte Luft zog vom
Meere her. Wieder hatte Klementine ein wenig
protestiert, aber diesmal ohne Erfolg. Bei solchem
Wetter brauchte man sich doch nicht im Jnnenhause
zu verkriechen.
Plötzlich fiel der Löffel klirrend auf den Teller,
eine Falte grub sich in die schöne Stirn der jungen
Frau, und ihre Angen nahmen eine zornige Starr-
heit an.
Die Treppe herauf zur braungetäfelten Halle
stieg Assessor Leske.
Und diesmal grüßte er.
Ja, hatte er denn den Kellner des Ostseehotels
im Solde? Jagte er auf sie wie auf ein Wild? Was
sollte diese dreiste Art, ihr lästig zu fallen? Solche
Fragen schossen der Erschrockenen durch den Sinn.
Frau Düerland las in dem veränderten Gesichte.
Die Schrift verstand sie, den Text würde sie schon
noch entziffern.
Klementine neigte flüchtig den Kopf.
Als der Grüßende im Hause verschwunden war,
sagte die alte Dame: „Sie kennen den Herrn?"
„Flüchtig."
„Seltsam, er saß im Ostseehotel vor gedeckter
Tafel, und nun ist er hier!"
„Sehr seltsam in der Tat."
Dabei war sie glühend rot geworden, und bei sich
dachte sie: Es ist eine Unverschämtheit! Jetzt muß
ich unbedingt mit Harry sprechen.
Das Zusammensein mit der Fremden hatte also
nicht nur seinen Zweck gründlich verfehlt, sondern
dem, was sie vermeiden wollte, erst recht gedient.
Ein leiser Groll gegen Frau Düerland faßte sie, und
sie bereute, diese unangenehme Frau, ausgesucht'
zu haben. Auch von ihr mußte Harry sie befreien.
Jenen Aufdringlichen aber sollte er natürlich ge-
hörig zur Rede stellen. Ja, das sollte er!
Kaum aber hatte sie das gedacht, da entsanu sie
sich schaudernd der Szene von heute morgen. Die
Worte fielen ihr ein: „Freilich, wenn ich mal den
Glauben verlöre, dann — ich glaube, dann geht's
ans Mord!"
Sollte der Freche dort wirtlich wert sein, daß
sie ihren Mann behelligte? Wie Harry sich empor-
gereckt hatte, wie es in seinen guten blauen Augen
wild aufgeglommen war, einem Wetterleuchten
gleich! Wenn dieses anscheinend unerschütterliche
Phlegma einmal zum rächenden Handeln umschlug,
bei Gott, es konnte, mußte fürchterlich werden!
Nein, das war er nicht wert, dieser aufdringliche
Wegelagerer, mit ihm würde sie selbst fertig! Im
Strandkorb wollte sie sein, heute noch. Er würde
kommen und sich seine Lektion holen.
Gut so, daß sie dem blind vertrauenden Gatten
gar nicht erst die Seelenruhe gestört hatte!
Die brennend neugierigen Augen der Frau
Düerland sahen, sahen und sahen.
v35 Luch fül- Mle
In dieser Seele dort fand ein Kampf statt, und
der Ankömmling da drinnen hatte ihn entzündet!
5.
Endlich war auch dies unbehagliche Mittagsmahl
vorüber. Man trennte sich.
„Auf baldiges Wiedersehen!" wünschte Frau
Düerland.
Ein fast unhöflich kühles: „Ja, hoffentlich —"
heuchelte Zustimmung, dann war Klementine
Emmerich frei. Nun konnte sie in Ruhe überdenken,
was sie sagen wolle, wie sie ihn zur Rechenschaft
ziehen könne.
Und als sich der Strand mit Nachmittagsgästen
belebte, suchte auch sie ihren Korb auf.
Sie hatte sich ein Buch mitgenommeu und las.
Anfänglich wollte die Lektüre nicht fesseln, immer
wieder lauschte sie auf jeden Schritt im Sande, blickte
sie rechts oder links die Wasserkante entlang.
Als sich nichts begab, wurde sie ruhiger.
Das Meer lispelte und raunte so einförmig in
seinem Wellengeriesel, die blaue Weite da draußen
lag so glatt und still. Das alles gab eine wonnige
Friedenstimmung.
Nun konnte sie doch lesen, und die Zeit verflog.
Plötzlich huschte ein langer Schatten heran, und
eine hochragende Gestalt stand am Eingang des
Strandkorbes. Der Erwartete war da.
Er grüßte mit seiner sicheren Lässigkeit. Die
junge Frau fühlte, daß sic erbleichte, gleich darauf
aber kam eine feste Entschlossenheit über sie, und alle
Vorsätze wurden zum Tatwillen.
„Gnädigste Frau Amtsrat, gestatten Sie mir,
die Gelegenheit zu benützen, um mich zu erkuudigen,
wie Ihnen der gestrige Ausflug bekommen ist."
„Eine Gelegenheit?" Sie sah ihn mit strengen
Blicken an. „Sie schaffen sich Ihre Gelegenheiten,
dünkt mich, gleichviel, ob sie dem Betroffenen er-
wünscht sind oder nicht."
Er lächelte sein stilles, spöttisches Lächeln. „Ich
finde eine ungnädige Aufnahme. Das beklage ich
um so mehr, je aufrichtiger meine Anteilnahme ist,
gnädige Frau. Werden Sie auch so grausam sein,
mich das Mißverständnis nicht aufklären zu lassen,
das hier offenbar vorliegt?"
Klementine lehnte sich abweisend auf ihren:
Sitze zurück. „Ich kenne kein Mißverständnis
zwischen uns, Herr Assessor, und möchte Sie bitten,
auch Ihrerseits kein solches anzunehmen. Ein Miß-
verständnis setzt die Möglichkeit eines Verständnisses
voraus."
„Sehr richtig, meine Gnädige."
„Das ist —"
„Eine Unverschämtheit, sagen Ihre Augen. Wo-
mit habe ich einen so harten Tadel verdient?"
„Sie fragen noch? Leugnen Sie vielleicht, daß
Sie mir nachspüren, mich verfolgen? Von der
dreisten Fensterpromenade bis zu den Mahlzeiten?"
„Ich leugne nichts und bemerke mit Zufrieden-
heit, daß Ihnen mein Eifer nicht entgangen ist."
„Ihr Eifer?"
„Jawohl, der Eifer, mich nach Ihrem Befinden
zu erkundigen."
„Was haben Sie für ein Recht dazu?"
„Gar kein Recht, sondern nur das Bedürfnis,
mich zu verantworten."
„Nun, dann will ich Sie von vornherein darüber
aufklären, daß ich nicht geneigt bin, irgend eine
Verantwortung anzuerkennen. Die Hilfe, die Sie
nur gestern erwiesen, halte ich für eine derart selbst-
verständliche Ritterpflicht —"
„Das war sie. Aber Sie gingen im Zorne von
nur, und deshalb suchte ich eine Möglichkeit, zu er-
fahren, womit ich Zorn statt Dank verdient habe."
„Sie suchten diese Möglichkeit in einer Form,
die den Zorn nur steigen: mußte. Sie wurden —
unbequem."
Da war die spöttische Überlegenheit wieder in
seinem Gesichte. „Das eben ist das Mißverständnis,
von dem ich sprach."
„Genug, Herr Assessor, genug dieses Aus-
weichens. Sie wissen jetzt, daß ich Ihre Be-
mühungen als eine Unbequemlichkeit empfinde,
und werden sie als Mann von Takt einstellen.
Das erwarte ich. Den Dank, den ich vielleicht
gestern in erklärlicher Betroffenheit nicht förmlich
genug aussprach, statte ich hiermit nachträglich ab
und bitte Sie, damit unser Zusammentreffen für
abgeschlossen anzusehen."
„Um mir das zu sagen —"
„Ließ ich mich hier finden — ja!"
„Ah, Sie haben mich erwartet?"
Als sie das Bekenntnis in einer trotzigen Laune
kaum abgegeben hatte, bedauerte sie es schon, denn
ein schlechtverhehlter Triumph lag in seinen Mienen.
„So fühlten Sie doch wenigstens ein Bedürfnis
des Wiedersehens. Ich Hütte gewünscht, daß es aus
-- kM 20
freundlicherer Quelle entsprungen wäre, aber schließ-
lich muß ich mich bescheiden."
Sie wurde verwirrt. „Empfiudeu Sie uiclst,
daß uusere Unterreduug beendigt ist, uud daß jede
Fortsetzung mich beleidigt?"
„Nein."
„Dann muß also ich gehen?" Sie nahm Schirm
und Buch uud erhob sich.
„Verzeihung, das müssen Sie natürlich nicht.
Lassen Sie mich nur uoch mein maßloses Erstaunen
darüber aussprechen, daß Sie, eine Dame von Welt,
einer harmlosen Badebekanntschaft, die die gemein-
sam bestandene Sturmnot mit einem Hauch von
Romantik umkleidete, eine Bedeutung bcimessen,
die ich durchaus uicht wollte."
Das traf sie. Jetzt eutstellte dieser berechnende
Taktiker die Sache noch so, daß er den: Zusammen-
treffen schuldhafte Absichten unterlegte. Das reizte
sie, den Platz nicht zu räumen. Eine Flucht wäre
ihr wie ein Zugeständnis vorgekommen.
Sie setzte sich wieder und öffnete das Buch.
Er aber fuhr fort, als habe ihn niemand auf-
gefordert zu gehen. Es war auch, als ob er mehr
für sich als für eine Hörerin spreche: „Wenn ich
mich der Sonne freue oder des Sturmes, wenn ich
eine Blume bewundere oder einen Felsenhang,
vor einem Wassersturz, bebend erschauere oder ein
Menschenantlitz aubcte — ich ehre den Schöpfer
all dessen in meiner Art, mich dünkt's Frommsein.
Ich bin weltfremd damit, ich weiß es, aber ich bist
glücklich. Das alles soll ich nicht sein dürfen, weil
es einem anderen unmöglich ist, mich zu verstehen.
Seltsames Sitteugesetz der Welt, das solches fordert!
Aber freilich, jener andere hat auch sein Recht,
eben das Recht, anders zu fein. Nur soll er mir
erst beweisen, daß er besser, höher und reiner ist
als meine Natürlichkeit, die der Form spottet, die
.nur verehrt."
Klemeutinc hatte das Buch sinken lassen. Dieser
Mensch gab ihr Rätsel auf. Der leichtlebige Spötter
war auf einmal verschwunden, etwas Tiefsinniges
sprach ans seinen Worten. Da lauschte sie auf.
Es war immer ein lebhafter Trieb ihres gutartigen
Herzens gewesen, gerecht zu sein. Gerecht und
vertrauend.
Der Sprecher aber fuhr fort: „Vielleicht bin
ich ein Egoist. In der Alhambra habe ich gestanden,
am Tor der Gerechtigkeit, und bein: Eintritt schon
in die feierliche Pracht entschwundener Jahrhunderte
war es mir, als werde alles mein, was ich sehen solle.
In: Myrtenhof, im Saal der Gesandten, in der
beklemmende:: Traumeinsamkeit, durch die zwölf
Löwen, die die schwarze Marmorfontäne tragen,
in der Abencerragenhalle, die ihr Architekturgewebe
wie steinerne Spitzenpracht um den Beschauer
spinnt — überall wurde ich reicher, ohne daß ich
nahm, im bloßen Bewundern reicher. Ist's Selbst-
sucht, dann bin ich selbstsüchtig; aber in der rohen
Form des Begehrens es zu sein, lehne ich es als
mich beleidigend ab. Das, gnädige Frau, die Sie
beleidigt sein wollten, durfte ich Ihnen sagen, ehe
ich ging. Jetzt gehe ich."
Da rief sie ihn zurück. „Halt, Herr Assessor, E
gehen Sie nicht! Es scheint, daß ich Ihnen m
meiner Angst und Verwirrung unrecht getan habe-
Dafür bitte ich um Verzeihung. Zur Versöhnung
reichen Sie mir die Hand."
Er nah::: die Hand und küßte sie mit Inbrunst-
Den Bohlensteg daher aber schritt Frau Düer-
land. Grüßend schwenkte sie den Schirm und ries
schon von fernher: „Nummer vierhunderteinund-
siebzig — ich hab' nür's wohl behalten! Es war
so langweilig daheim, da habe ich mich aufgemachtz
Ihnen meinen Gegenbesuch zu machen. Ich sto^
doch nicht?"
Fragend ging ihr Blick von Klementine gw"
Assessor und wieder zurück.
Die juuge Frau wußte uoch uicht eiumal, datz
die Späheri:: seit zehn Minuten schon ihre Beob-
achtungen angestellt und sich diesen Augenblick der
Störung selbst ausgesucht hatte, dennoch wurde pc'
blutrot wie eine ertappte Sünderin.
Frau Düerland bemerkte den Farbenwechsel nm
Genugtuung. Da war sie ja hinter niedliche Ge-
schichten gekommen! Der „ganz flüchtige" Ab-
kannte wurde zu sehr auffällig langem Hmchkub
zugelassen, während der Gatte draußen im Swine-
schilf Enten schoß. Es gab doch noch eine vergeltend:
Gerechtigkeit für vernachlässigte Frauen! In: Auge»"
blick nahm die Kritikerin völlig Partei gegen ihn,
Klementine gegenüber empfand sie neben neidisch^
Bewunderung nur etwas Arger, weil diese versuch
hatte, sie zu täuschen.
„Ich darf wohl bitten —?" sagte sie erwartung-"
voll.
Ehe die Aufgeforderte sich aus ihrer Verwirrung
aufraffeu konnte, verneigte sich Leske tief und sagte-
„Assessor a. D. Leske, Gnädigste. Ich hatte de>
verzeihliche Verlangen, etwas von der Welt zu sehen.
Nichts von der Bitterkeit oder gar Vergcltuugsucht,
die Frau Düerland beseelten, nichts von dem Miß-
trauen, von dem Behagen am Matsch. Da war etwas
anderes im Werke! Dies andere zu ergründen,
wurde dem beschäftigungslosen Tatendrange zum
angenehmen Sport, und so wanderte Klementine
harmlos an der Seite einer lauernden Wächterin.
Die Sache hing entschieden mit dem Ostseehotel
zusammen, das fühlte deren kritischer Instinkt.
Und plötzlich begann sie: „Wir gehen am besten
die Swine entlang, um die Befestigungen, dann
am Strande zurück, uud im Ostseehotel sagen Sie
im Vorbeigehen ab, Frau Amtsrat."
Klementine wehrte sich. „Wenn wir beide nicht
kommen, ist's unnötig."
Aha! dachte Frau Düerland. Laut sagte sie:
„Ich möchte dorthin. Mein Mann vermißt nämlich
eine Meerschaumspitze. Vielleicht ist sie dort liegen
geblieben."
Die junge Frau machte einen letzten Versuch.
„Mich entschuldigen Sie wohl für den Augenblick
der Nachfrage. Es wäre mir, weil ich bisher täglich
dort aß, doch etwas peinlich, nun einzutreten und
nicht zu bleiben."
Frau Düerland nickte. „Aber, aber — man ist
doch nicht verpflichtet! — Nun, wie Sie wollen,
ich bestell's allein."
Bei sich selbst war sie überzeugt, daß hier etwas
zu erspüren sei. Daß die junge Frau dann auf der
Strandpromenade mit einer gewissen Unruhe die
Augen schweifen ließ und am Hotel rascher, als die
bisherige Gangart war, vorüberstrebte, stärkte jene
Überzeugung.
Die Zigarrenspitze fand sich natürlich nicht.
Der Kellner nahm aber mit Interesse davon
Notiz, daß die angekündigte Frage nach dem Tische
der Frau Amtsrat Emmerich nicht erfolgen werde,
da die Dame heute im „Walfisch" speise.
Und dann saßen die beiden Frauen in der
Veranda des „Walfisches". Es war ja so warm
geworden, eine wohlige, salzgewürzte Luft zog vom
Meere her. Wieder hatte Klementine ein wenig
protestiert, aber diesmal ohne Erfolg. Bei solchem
Wetter brauchte man sich doch nicht im Jnnenhause
zu verkriechen.
Plötzlich fiel der Löffel klirrend auf den Teller,
eine Falte grub sich in die schöne Stirn der jungen
Frau, und ihre Angen nahmen eine zornige Starr-
heit an.
Die Treppe herauf zur braungetäfelten Halle
stieg Assessor Leske.
Und diesmal grüßte er.
Ja, hatte er denn den Kellner des Ostseehotels
im Solde? Jagte er auf sie wie auf ein Wild? Was
sollte diese dreiste Art, ihr lästig zu fallen? Solche
Fragen schossen der Erschrockenen durch den Sinn.
Frau Düerland las in dem veränderten Gesichte.
Die Schrift verstand sie, den Text würde sie schon
noch entziffern.
Klementine neigte flüchtig den Kopf.
Als der Grüßende im Hause verschwunden war,
sagte die alte Dame: „Sie kennen den Herrn?"
„Flüchtig."
„Seltsam, er saß im Ostseehotel vor gedeckter
Tafel, und nun ist er hier!"
„Sehr seltsam in der Tat."
Dabei war sie glühend rot geworden, und bei sich
dachte sie: Es ist eine Unverschämtheit! Jetzt muß
ich unbedingt mit Harry sprechen.
Das Zusammensein mit der Fremden hatte also
nicht nur seinen Zweck gründlich verfehlt, sondern
dem, was sie vermeiden wollte, erst recht gedient.
Ein leiser Groll gegen Frau Düerland faßte sie, und
sie bereute, diese unangenehme Frau, ausgesucht'
zu haben. Auch von ihr mußte Harry sie befreien.
Jenen Aufdringlichen aber sollte er natürlich ge-
hörig zur Rede stellen. Ja, das sollte er!
Kaum aber hatte sie das gedacht, da entsanu sie
sich schaudernd der Szene von heute morgen. Die
Worte fielen ihr ein: „Freilich, wenn ich mal den
Glauben verlöre, dann — ich glaube, dann geht's
ans Mord!"
Sollte der Freche dort wirtlich wert sein, daß
sie ihren Mann behelligte? Wie Harry sich empor-
gereckt hatte, wie es in seinen guten blauen Augen
wild aufgeglommen war, einem Wetterleuchten
gleich! Wenn dieses anscheinend unerschütterliche
Phlegma einmal zum rächenden Handeln umschlug,
bei Gott, es konnte, mußte fürchterlich werden!
Nein, das war er nicht wert, dieser aufdringliche
Wegelagerer, mit ihm würde sie selbst fertig! Im
Strandkorb wollte sie sein, heute noch. Er würde
kommen und sich seine Lektion holen.
Gut so, daß sie dem blind vertrauenden Gatten
gar nicht erst die Seelenruhe gestört hatte!
Die brennend neugierigen Augen der Frau
Düerland sahen, sahen und sahen.
v35 Luch fül- Mle
In dieser Seele dort fand ein Kampf statt, und
der Ankömmling da drinnen hatte ihn entzündet!
5.
Endlich war auch dies unbehagliche Mittagsmahl
vorüber. Man trennte sich.
„Auf baldiges Wiedersehen!" wünschte Frau
Düerland.
Ein fast unhöflich kühles: „Ja, hoffentlich —"
heuchelte Zustimmung, dann war Klementine
Emmerich frei. Nun konnte sie in Ruhe überdenken,
was sie sagen wolle, wie sie ihn zur Rechenschaft
ziehen könne.
Und als sich der Strand mit Nachmittagsgästen
belebte, suchte auch sie ihren Korb auf.
Sie hatte sich ein Buch mitgenommeu und las.
Anfänglich wollte die Lektüre nicht fesseln, immer
wieder lauschte sie auf jeden Schritt im Sande, blickte
sie rechts oder links die Wasserkante entlang.
Als sich nichts begab, wurde sie ruhiger.
Das Meer lispelte und raunte so einförmig in
seinem Wellengeriesel, die blaue Weite da draußen
lag so glatt und still. Das alles gab eine wonnige
Friedenstimmung.
Nun konnte sie doch lesen, und die Zeit verflog.
Plötzlich huschte ein langer Schatten heran, und
eine hochragende Gestalt stand am Eingang des
Strandkorbes. Der Erwartete war da.
Er grüßte mit seiner sicheren Lässigkeit. Die
junge Frau fühlte, daß sic erbleichte, gleich darauf
aber kam eine feste Entschlossenheit über sie, und alle
Vorsätze wurden zum Tatwillen.
„Gnädigste Frau Amtsrat, gestatten Sie mir,
die Gelegenheit zu benützen, um mich zu erkuudigen,
wie Ihnen der gestrige Ausflug bekommen ist."
„Eine Gelegenheit?" Sie sah ihn mit strengen
Blicken an. „Sie schaffen sich Ihre Gelegenheiten,
dünkt mich, gleichviel, ob sie dem Betroffenen er-
wünscht sind oder nicht."
Er lächelte sein stilles, spöttisches Lächeln. „Ich
finde eine ungnädige Aufnahme. Das beklage ich
um so mehr, je aufrichtiger meine Anteilnahme ist,
gnädige Frau. Werden Sie auch so grausam sein,
mich das Mißverständnis nicht aufklären zu lassen,
das hier offenbar vorliegt?"
Klementine lehnte sich abweisend auf ihren:
Sitze zurück. „Ich kenne kein Mißverständnis
zwischen uns, Herr Assessor, und möchte Sie bitten,
auch Ihrerseits kein solches anzunehmen. Ein Miß-
verständnis setzt die Möglichkeit eines Verständnisses
voraus."
„Sehr richtig, meine Gnädige."
„Das ist —"
„Eine Unverschämtheit, sagen Ihre Augen. Wo-
mit habe ich einen so harten Tadel verdient?"
„Sie fragen noch? Leugnen Sie vielleicht, daß
Sie mir nachspüren, mich verfolgen? Von der
dreisten Fensterpromenade bis zu den Mahlzeiten?"
„Ich leugne nichts und bemerke mit Zufrieden-
heit, daß Ihnen mein Eifer nicht entgangen ist."
„Ihr Eifer?"
„Jawohl, der Eifer, mich nach Ihrem Befinden
zu erkundigen."
„Was haben Sie für ein Recht dazu?"
„Gar kein Recht, sondern nur das Bedürfnis,
mich zu verantworten."
„Nun, dann will ich Sie von vornherein darüber
aufklären, daß ich nicht geneigt bin, irgend eine
Verantwortung anzuerkennen. Die Hilfe, die Sie
nur gestern erwiesen, halte ich für eine derart selbst-
verständliche Ritterpflicht —"
„Das war sie. Aber Sie gingen im Zorne von
nur, und deshalb suchte ich eine Möglichkeit, zu er-
fahren, womit ich Zorn statt Dank verdient habe."
„Sie suchten diese Möglichkeit in einer Form,
die den Zorn nur steigen: mußte. Sie wurden —
unbequem."
Da war die spöttische Überlegenheit wieder in
seinem Gesichte. „Das eben ist das Mißverständnis,
von dem ich sprach."
„Genug, Herr Assessor, genug dieses Aus-
weichens. Sie wissen jetzt, daß ich Ihre Be-
mühungen als eine Unbequemlichkeit empfinde,
und werden sie als Mann von Takt einstellen.
Das erwarte ich. Den Dank, den ich vielleicht
gestern in erklärlicher Betroffenheit nicht förmlich
genug aussprach, statte ich hiermit nachträglich ab
und bitte Sie, damit unser Zusammentreffen für
abgeschlossen anzusehen."
„Um mir das zu sagen —"
„Ließ ich mich hier finden — ja!"
„Ah, Sie haben mich erwartet?"
Als sie das Bekenntnis in einer trotzigen Laune
kaum abgegeben hatte, bedauerte sie es schon, denn
ein schlechtverhehlter Triumph lag in seinen Mienen.
„So fühlten Sie doch wenigstens ein Bedürfnis
des Wiedersehens. Ich Hütte gewünscht, daß es aus
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freundlicherer Quelle entsprungen wäre, aber schließ-
lich muß ich mich bescheiden."
Sie wurde verwirrt. „Empfiudeu Sie uiclst,
daß uusere Unterreduug beendigt ist, uud daß jede
Fortsetzung mich beleidigt?"
„Nein."
„Dann muß also ich gehen?" Sie nahm Schirm
und Buch uud erhob sich.
„Verzeihung, das müssen Sie natürlich nicht.
Lassen Sie mich nur uoch mein maßloses Erstaunen
darüber aussprechen, daß Sie, eine Dame von Welt,
einer harmlosen Badebekanntschaft, die die gemein-
sam bestandene Sturmnot mit einem Hauch von
Romantik umkleidete, eine Bedeutung bcimessen,
die ich durchaus uicht wollte."
Das traf sie. Jetzt eutstellte dieser berechnende
Taktiker die Sache noch so, daß er den: Zusammen-
treffen schuldhafte Absichten unterlegte. Das reizte
sie, den Platz nicht zu räumen. Eine Flucht wäre
ihr wie ein Zugeständnis vorgekommen.
Sie setzte sich wieder und öffnete das Buch.
Er aber fuhr fort, als habe ihn niemand auf-
gefordert zu gehen. Es war auch, als ob er mehr
für sich als für eine Hörerin spreche: „Wenn ich
mich der Sonne freue oder des Sturmes, wenn ich
eine Blume bewundere oder einen Felsenhang,
vor einem Wassersturz, bebend erschauere oder ein
Menschenantlitz aubcte — ich ehre den Schöpfer
all dessen in meiner Art, mich dünkt's Frommsein.
Ich bin weltfremd damit, ich weiß es, aber ich bist
glücklich. Das alles soll ich nicht sein dürfen, weil
es einem anderen unmöglich ist, mich zu verstehen.
Seltsames Sitteugesetz der Welt, das solches fordert!
Aber freilich, jener andere hat auch sein Recht,
eben das Recht, anders zu fein. Nur soll er mir
erst beweisen, daß er besser, höher und reiner ist
als meine Natürlichkeit, die der Form spottet, die
.nur verehrt."
Klemeutinc hatte das Buch sinken lassen. Dieser
Mensch gab ihr Rätsel auf. Der leichtlebige Spötter
war auf einmal verschwunden, etwas Tiefsinniges
sprach ans seinen Worten. Da lauschte sie auf.
Es war immer ein lebhafter Trieb ihres gutartigen
Herzens gewesen, gerecht zu sein. Gerecht und
vertrauend.
Der Sprecher aber fuhr fort: „Vielleicht bin
ich ein Egoist. In der Alhambra habe ich gestanden,
am Tor der Gerechtigkeit, und bein: Eintritt schon
in die feierliche Pracht entschwundener Jahrhunderte
war es mir, als werde alles mein, was ich sehen solle.
In: Myrtenhof, im Saal der Gesandten, in der
beklemmende:: Traumeinsamkeit, durch die zwölf
Löwen, die die schwarze Marmorfontäne tragen,
in der Abencerragenhalle, die ihr Architekturgewebe
wie steinerne Spitzenpracht um den Beschauer
spinnt — überall wurde ich reicher, ohne daß ich
nahm, im bloßen Bewundern reicher. Ist's Selbst-
sucht, dann bin ich selbstsüchtig; aber in der rohen
Form des Begehrens es zu sein, lehne ich es als
mich beleidigend ab. Das, gnädige Frau, die Sie
beleidigt sein wollten, durfte ich Ihnen sagen, ehe
ich ging. Jetzt gehe ich."
Da rief sie ihn zurück. „Halt, Herr Assessor, E
gehen Sie nicht! Es scheint, daß ich Ihnen m
meiner Angst und Verwirrung unrecht getan habe-
Dafür bitte ich um Verzeihung. Zur Versöhnung
reichen Sie mir die Hand."
Er nah::: die Hand und küßte sie mit Inbrunst-
Den Bohlensteg daher aber schritt Frau Düer-
land. Grüßend schwenkte sie den Schirm und ries
schon von fernher: „Nummer vierhunderteinund-
siebzig — ich hab' nür's wohl behalten! Es war
so langweilig daheim, da habe ich mich aufgemachtz
Ihnen meinen Gegenbesuch zu machen. Ich sto^
doch nicht?"
Fragend ging ihr Blick von Klementine gw"
Assessor und wieder zurück.
Die juuge Frau wußte uoch uicht eiumal, datz
die Späheri:: seit zehn Minuten schon ihre Beob-
achtungen angestellt und sich diesen Augenblick der
Störung selbst ausgesucht hatte, dennoch wurde pc'
blutrot wie eine ertappte Sünderin.
Frau Düerland bemerkte den Farbenwechsel nm
Genugtuung. Da war sie ja hinter niedliche Ge-
schichten gekommen! Der „ganz flüchtige" Ab-
kannte wurde zu sehr auffällig langem Hmchkub
zugelassen, während der Gatte draußen im Swine-
schilf Enten schoß. Es gab doch noch eine vergeltend:
Gerechtigkeit für vernachlässigte Frauen! In: Auge»"
blick nahm die Kritikerin völlig Partei gegen ihn,
Klementine gegenüber empfand sie neben neidisch^
Bewunderung nur etwas Arger, weil diese versuch
hatte, sie zu täuschen.
„Ich darf wohl bitten —?" sagte sie erwartung-"
voll.
Ehe die Aufgeforderte sich aus ihrer Verwirrung
aufraffeu konnte, verneigte sich Leske tief und sagte-
„Assessor a. D. Leske, Gnädigste. Ich hatte de>