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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 24
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lieft 24

035 Such fürSlle

557

Phot. Urbahns, Kiel.

Nachdem alle notwendigen Förmlichkeiten
erfüllt nnd die sofortige Bestattung der Leiche
angeordnet worden war, verließ die Mord-
kommission würdevoll und gemessenen Schrit-
tes die Stätte ihrer aufklürcnden Wirksamkeit.

bliebe doch die Tatsache an sich, daß in deinem Hause
jemand umgebracht wurde, mit äußerst empfind-
lichen Nachteilen für dich verbunden. Die Kon-
zession, ja das ganze Monopol würde dir kurzerhand
entzogen werden, und weiß der Teufel, was nicht
noch alles. In endlose Prozesse könntest du ver-
wickelt werden, und das Prozessieren ist mit so viel
Arger und Kosten verknüpft und haspelt sich so lange
fort, bis an dem Täubchen, wie das Sprichwort so
schön sagt, auch nicht ein Froschhaar mehr übrig ist.
Und zu guter Letzt spaziertest du doch noch ins Gefäng-
nis, wenn du nicht gerade einen guten Freund oder
weitläufigen Verwandten im Ministerium oder sonst
an einer einflußreichen Stelle sitzen hast. Siehst
du, Pawel Pawlowitsch, das ist's! Die guten Be-
ziehungen machen bei uns zulande alles aus. Und
du hast keine guten Beziehungen, wie ich weiß.
Mich selbst hast du ja nur als strengen und gewissen-
haften, aber auch gerechten Beamten kennen ge-
lernt, weißt aber, scheint nur, gar nicht, ein wie
gutes und gefühlvolles Herz hier in dieser Brust
schlägt, ach ja, ein so gutes Herz —"
Wie zur Bekräftigung seiner Worte stöhnte
Sergius Sergewitsch gefühlvoll auf, gleichzeitig sein
Gesicht zur Seite wendend, gleich als schämte er

drängte das Volk der Gaffer sich an der Tür, so daß
der Raum nur noch finsterer gähnte. Der Polizei-
meister schlurfte langsam in das Dunkel hinein, seine
Füße gleichsam als Fühler benützend. Plötzlich stieß
sein Fuß an einen Gegenstand. Es war der Leichnam
des Erschlagenen. Gewandt beugte er sich nieder
und verharrte in dieser Stellung für einige Minuten.
Seine ganze Aufmerksamkeit schien die Untersuchung
der Leiche in Anspruch zu nehmen.
„Ich muß bemerken," sagte er nach einer Weile,
indem er dabei immer noch an der Leiche herum-
hantierte, „daß die Leiche keinerlei äußerlich wahr-
nehmbare Spuren, die auf ein gewaltsames Ende
schließen lassen, aufweist." Plötzlich mußte etwas
seine Neugierde erregt haben. „Merkwürdig!" rief
er mit seitwärts heraufgewendctem Kopf nnd winkte
den Arzt näher zu sich heran. „Das ist aber doch
eigentümlich, Herr Gerichtsarzt! Sehen Sie nur,
wie seltsam die Kehle des Toten geschwollen ist."
Der Angerufene bückte sich tiefer zu dem Polizei-
meister herab, dachte für die kurze Dauer eines
Unkenrufes an seine Spielschulden und an die
früheren, gar nicht mißzuverstchenden Worte des
Polizisten, befühlte eingehend die Gurgel des Toten
nnd sagte dann: „In der Tat, Euer Wohlgeboren,

sich dieser außerdienstlichen Regung seines
menschenfreundlichen, ach, so guten Herzens.
Dies verleitete den Pächter zu dem Glau-
ben, daß dies der rechte Augenblick sei zu
sagen, was in all solchen Fällen ein Russe
zu einem Beamten zu sagen Pflegt. „Väter-
chen Wohltäter," rief er aus, „so viel Güte
sollte ihres gerechten Lohnes nicht teilhaftig
werden? Gestatten Sie mir, Euer Wohl-
geboren, Ihnen als Zeichen meiner Hoch-
achtung tausend Rubel zu Füßen zu legen."
„Freund, Freund!" warnte der Polizei-
meister, „ich glaube gar, du willst dich über
die Tugend lustig machen. Schämst du dich
nicht, so viel Edelmut und Großherzigkeit,
wie Sergius Sergewitsch sie dir entgegen-
bringt, mit lumpigen tausend Rubeln be-
lohnen zu wollen?"
„Euer Wohlgeboren geruhten mich miß-
zuverstchen," stotterte der Pächter. „Mein
sehnlichster Wunsch ist, Euer Hochwohlgeboren
als Zeichen meiner unbegrenzten Hochachtung
zehntausend Rubel zu Füßen legen zu dür-
fen."
„Mein lieber Pawel Pawlowitsch," sagte
der Polizeimeister, „es wäre wenig schön,
ja gerade unedel von mir gehandelt, wollte
ich die Regungen deines guten Herzens unter-
drücken oder auch nur behindern. Handle,
wie dir's Gott eingibt. Aber versuche nicht,
mich betrügen zu wollen — zehntausend
Rubel und nicht eine Kopeke weniger, sonst —.
Doch gehen wir jetzt, deine Unschuld ans
Tageslicht zu bringen."
Als der Polizeimcister mit dem Pächter
die Schenke wieder betrat, wandte er sich
noch unter der Tür an den Arzt mit den
Worten: „Sehen Sie, Herr Gerichtsarzt, ganz
wie ich Ihnen sagte: Der Bauer hat natür-
lich an Speise oder Trank sich übernommen
und ist dabei einfach draufgegangen. Sie
werden gleich die Bestätigung sehen. Kommen Sie,
bitte!"
Unter Anführung des Pächters begab sich die
Mordkommission quer über den Hof nach dem Lager-
raum, wohin man die Leiche in der ersten Verwir-
rung und entgegen der bestehenden Vorschrift ge-
schafft hatte.
Etwa in der Mitte zwischen Vorderhaus uud
Schuppen lag linkerhand ein großer Kehrichthaufen.
Soeben kam eine Magd vorbei, die daselbst einen
Eimer mit Speiseresten, Gräten, Knochen nnd
sonstigem Abfall ausleerte.
Der Polizeimeister verlangsamte seine Schritte
und blickte wie nachdenklich zu Boden. Dabei
passierte es ihm, daß er seinen Bleistift verlor. Die
Magd sprang hinzu, ihn aufzuheben. Der Polizei-
Weister bedeutete sie, ihrer Arbeit nachzugchen, und
hob den Bleistift selbst auf. Ohne daß der unbedeu-
tende Vorfall weiter bemerkt wurde, langte die
Kommission beim Schuppen an.
Matt und kraftlos fiel das Licht des zur Neige
gehenden Tages durch die blinden Scheiben des
einzigen, gegenüber dem Eingang in die Mauer ein-
gelassenen Fensters in den Schuppen. Das karge
wcht, das mit den eintretenden Männern durch
oie niedere Tür sich stahl, kroch, unsicher tastend,
gteich als scheue es den unheimlichen Ort, über
oen schmutzbedeckten, ziegelroten Steinboden. Schon
uach den ersten scheuen Versuchen gab es den Kampf
Wit der Dunkelheit ans und erlosch allmählich ganz.
Der Polizeimeister und der Gerichtsarzt betraten
Zuerst den Schuppen. Mit hochgereckten Hälsen

zuschrumpfen schien, „hab' ich doch in meinem ganzen
Leben noch keinen Rückschluß gezogen, Wohl aber
ziehe ich öfters den Draht durchs Pech —"
„Wer spricht hier von Draht und Pech," polterte
der Beamte. „Merk auf, damit du weißt, wie du
zu antworten hast: angenommen, du gingest in
deiner Unmäßigkeit hin und vertilgtest einen Fisch
mitsamt den Gräten. Davon bleibt dir eine im
Halse stecken und du erstickst daran. Was dann, du
Vielfraß — he?"
Der Bucklige kraute sich Hinternr Ohr, hob dann
den Kopf hoch und meinte: „Ja, dann, Herr Polizei-
meister, dann bin ich eben erstickt."
„Richtig," rief der Beamte, „ganz recht so! —
Habt ihr's auch alle gehört, Zeugen? Der Tote —
Gott verzeihe ihm seine Unmäßigkeit — hat eine
Fischgräte mit hinuntergeschluckt, woran er erstickte.
— Wo ist die Schlafmütze von einem Protokoll-
führer? — Ah, da bist du ja, Michael Michajlowitsch!
Stelle mir sogleich die Personalien der anwesenden
Zeugen fest und bringe ihre übereinstimmenden
Aussagen fein säuberlich zu Papier, dahinlautend:
Als Todesursache der im Hause des sehr ehrenwerten
Branntweinpächters Pawel Pawlowitsch aufgcfun-
denen männlichen Leiche wurde Erstickungstod fest-
gestellt."

ki-ieg und Weltes.
von fsnn^ wichrnnnn.
_ (Nachdruck verboten.)
uf alle kriegerischen Unternehmungen
MM8 ist von jeher das Wetter von größtem
Imis 8 Einfluß gewesen. Die jetzige Kricg-
führung mit ihren Millionenhecren
nnd den wachsenden Transportschwierigkeiten
hat diesen Einfluß dem Altertum gegenüber
noch verstärkt, und auch der gegenwärtig
tobende europäische Mesenkamps hat in den
weglosen Oden und Sümpfen des Ostens,
auf deu verschneiten Kämmen der Karpathen
und Vogesen, in den Niederungen Flanderns
und den verschlammten Schützengräben Nord-
frankreichs die Tatsache mit zahlreichen neuen
Beweisen belegt.
Weniger sicher bewiesen steht dieser Wahr-
heit eine besonders die Wissenschaft interessie-
rende Hypothese gegenüber, die umgekehrt
eine Einwirkung des Krieges auf die Gestal-
tung der Witterungsverhältnisse behauptet.
Aufzukommen vermochte ein solcher Gedanke
erst nach der allgemeinen Einführung der
Feuerwaffen, und es ist denn auch nicht
mehr als hundert Jahre her, daß er zum
ersten Male von einem Gelehrten ausge-
sprochen wurde.
Das Volk hat sich ja seinen alten Glauben an
menschliche, mit bösen Geistern in Verbindung
stehende Wettcrmacher, der in den Hexenprozessen
zahlreiche Opfer forderte, nie nehmen lassen und
war in Verfolg desselben schließlich zur Überzeugung
gekommen, daß der Kanonendonner der Napoleo-
nischen Kriege den Charakter des Wetters mit-
bestimme. Das Körnchen Wahrheit, das sich in
jedem Aberglauben zu bergen Pflegt, suchte damals
Anton Baumgartner ans Licht zu ziehen, indem er
die häufigen Regengüsse auf das massenhaft ver-
schossene Pulver zurückführte. Sah er sich auch außer-
stande, zu berechnen, wie weit die in der Luft hervor-
gebrachteu chemischen Zersetzungen zu wirken ver-
mochten, so hielt er doch an der Ansicht fest, daß die
Entwicklung entzündeten Salpeters und Schwefels
in der Atmosphäre bedeutende Veränderungen Her-
vorrufen müsse.
, Was abergläubischer bäuerlicher Instinkt längst
mit seinem Hagel- und Wetterschießen zur Zer-
streuung drohender Gewitterwolken bezweckt hatte,
wurde also hier auf die großen Verhältnisse des
Krieges übertragen. Zur wissenschaftlichen Theorie
erhoben, blieb es, teils verteidigt, teils angefochten,
bis in die Tage unseres Weltkrieges bestehen und
hat neuerdings manche der alten Erörterungen
wieder anfleben lassen.
Im Für und Wider der Meinungen Partei zu
ergreifen, soll nicht unsere Aufgabe sein, doch da
sich zwischen Wissen, Glaube und Aberglaube nicht
immer scharfe Grenzen ziehen lassen, vielmehr da,
wo sich diese Gebiete berühren, die Umrisse ge-
wöhnlich verschwommen ineinanderfließen, so dürfte
es immerhin von Interesse sein, wenigstens in den

Udmirgl o. Usedom,
ver Kommandant der öesestigungen an den Dardanellen. (5- 5Z4)
da ist etwas nicht in Ordnung. — Heda, Polizei-
soldaten, bringt mir mal den Kasten her!"
Er entnahm demselben einige Instrumente und
machte sich wieder an der Kehle des Leichnams zu
schaffen.
„Nun, was ist's?" fragte Sergius Sergewitsch,
der mit einem raschen Seitenblick feststellte, wie sich
das neugierige Volk immer näher herandrängte.
Allen voran Arcm, der Bucklige. „Na — und?"
fragte er noch einmal.
„Da sitzt etwas in der Kehle," erwiderte der Arzt
und fühlte zu seinem Arger, wie er über seine eigenen
Worte errötete.
Im Augenblick stand der Polizeimeister auf den
Beinen. „Hallo! Zeugen heran, hier!" rief er laut.
Der Schuster glaubte feinen Augen nicht trauen
zu dürfen, als er sah, wie der Arzt dem Toten eine
große Fischgräte aus dem Halse zog.
„Zeugen, habt ihr das gesehen?" forschte der
Polizeimeister.
„Warum sollten wir das nicht gesehen haben!"
erwiderte Arem für sich und alle übrigen zugleich.
„Und was für einen Schluß läßt dies auf die
Todesursache des Verstorbenen zu?" fragte jener
weiter.
Diese Frage brachte den Buckligen ersichtlich in
Verlegenheit, weil in der Fragestellung nicht schon
die Antwort enthalten war, er also nicht recht wußte,
wie sich ausdrücken, ohne den Zorn des Gewaltigen
herauszufordern. „Ich bitte sehr um Entschuldigung,
Euer Wohlgeboren," brachte er endlich heraus, wobei
seine verwachsene Gestalt noch mehr zusammen- -
 
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