546
v35 Luch sül- Llle
kiest 25
liches Vieh. Kein Fremder darf auf den Hof
kommen!"
Clemence hörte es, und es traf sie tief.
Kein Fremder! Also sie war eine Fremde hier,
eine, die niemand erwartet hatte, die gar nicht
mehr hierher gehörte!
Muffki aber hatte seinen Willen durchgesetzt.
Man war aufmerksam geworden. Am Fenster eines
Zimmers im Untergeschoß ging ein Flügel auf, und
der Kopf eines Knaben erschien.
Er wandte sich in die Stube zurück und sagte:
„Papa, Koczmian ist da."
Von drinnen mochte eine Antwort erfolgt sein,
denn gleich darauf fuhr die Knabenstimme fort:
„Wir haben nichts, Koczmian — Sie brauchen
gar nicht erst auszuspannen."
Clemence, die eben die Fahrt bezahlte, war
vom Wagen verdeckt, und jetzt erst kam sie zum Vor-
schein, Ursel an der Hand.
„Otto, denke dir, Tante Tine ist da! Sag's
Papa!" rief die Schwester.
„Tante Tine?" Der zwölfjährige Junge sprach
es verständnislos nach. „Wer ist denn das?"
Und nun war's für Clemence doch wie ein
körperlicher Stich ins Herz. In Hägershof war
Klementine Emme-
Er streckte ihr die Hand hin. Sie aber fiel ihm
entgegen, und er mußte die ganze Gestalt halten.
„Ja, ich — jetzt mußte ich doch, jetzt mußte ich
doch!"
Sie brach in Tränen aus.
Ursel war dieser Szene gegenüber ohne Ver-
ständnis.
„Ich lasse den Koffer ins Gastzimmer bringen.
Papa — ist's recht?"
„Ja, geh!" entgegnete er kurz.
Und dann waren die Geschwister allein.
Der ganze Körper der Schwester war vom Weinen
erschüttert, und der Bruder hielt ratlos diesen zucken-
den Körper fest.
„Kommst du wegen des Trauerfalles?" fragte
er endlich.
Da schauten ihn die feuchten Augen starr an.
„Ja, Michael. Weshalb denn sonst?"
„Ich dachte, es sei etwas geschehen. So fassungs-
los wirst du doch um Adelheids willen nicht sein!"
„Ich bin krank, ich bin wirr, ich weiß nicht, was
ich will. Ich will Frieden mit dir haben! Ein liebes
Wort will ich haben, daß du nicht mehr böse bist!
Jetzt in dieser Stimmung glaubte ich das zu finden
— und vieles andere noch! Wir sind doch Geschwister,
forthiug, fühlte sie beunruhigt, daß sie bisher nur
von sich und nichts von ihm, nichts von seinem
Leide gesprochen hatte, um dessentwillen sie dock-
eigentlich gekommen war.
„Und bist du sehr gebeugt, ist dir sehr weh,
Michael? Wie schrecklich schnell muß das gekommen
sein?"
Die Hand hielt sie ihm fest. „Hm, ja," murrte er.
„Schnell kam's, und schrecklich ist's. Aber die Ursel
mit ihren siebzehn Jahren muß uun 'ran, die Welt
steht nicht still, wenn jemand abschrammt, und
scheint er auch noch so unentbehrlich zu sein. Und
dann, wir haben Arbeit, wir haben Pflichten, da
kommt man über alles weg. Zum Heulen und
Jammern muß man überflüssige Zeit haben. Aber
nun los!"
Damit hatte er die Tür geöffnet.
An einem großen Rundtische saßen zwei Männer,
eine Frau und drei Kinder.
Clemence war gefaßt und stark. Daß sie Tränen
in den Augen hatte, konnte nicht auffallen.
Alexander und Wilhelm Hagedorn waren Brüder
der Verstorbenen. Der erste Steuerrat, der zweite
Gymnasialoberlehrer. Die Dame, Pauline Hage-
dorn, war des Steuerrats Frau.
Sie alle kannten
vieles andere noch
Gut — so komm!"
die Stirn, wie ein
richs wie Clemence
Leskes Gedächtnis
gründlich ausgelöscht.
Aberda schobeiue
harte, energische Hand
den Blondkopf bei-
seite, und Michaels
ragende Gestalt er-
schien im Fenster-
rahmen. Klirrend
schlug das Fenster zu.
Clemence hatte
gegen Michael die
Hand grüßend er-
hoben. In diesem
Augenblick sah sie
nichts in ihm als den
trostbrauchenden, von
Leid heimgesuchten
Bruder. Zu ihm
wollte sie, ihre Arme
um seinen Hals legen,
mit ihm weinen.
Da sah sie das
große Erstaunen in
seinem Gesicht, dies
unfreudige Verwun-
dern — und dann
das Zuschlägen des
Fensterflügels.
Die Füße wurzel-
ten ihr am Boden,
eiue unsägliche Mü-
digkeit lähmte sie.
Selbst die ge-
druckte Todesanzeige
war zu viel für sie
gewesen, eine Ein-
ladung zum letzten
Ehrenerweise hatte sie nicht bedeuten sollen.
Ursel bemerkte das Stocken. Sie hielt die
Tante, die auf einmal so unsicher schwankte, fest
und sagte: „Du siehst recht elend aus, Tante Tine!
Komm ins Haus, ich will dann den Koffer holen
lassen. Es ist doch deiner?"
„Ja, Kind."
„Der Frühstückstisch ist noch gedeckt. Eine Tasse
Kaffee wird dir gut tun."
Der heiser gewordene Hund mußte eine Pause
machen, und Clemence fühlte ihr Blut sausen und
brausen.
Was war denn das? Daß Michael alle brief-
lichen Beziehungen hatte ruhen lassen, war ja er-
klärlich gewesen. Erst hatte er sich geärgert über
die schroffe Ablehnung jeder weiteren Bevormnn-
dung, dann war er in Berlin vor verschlossener
Tür erschienen, und später bei der Hetzfahrt dnrch
aller Herren Länder hatte er gar keine Adressen
gewußt. Aber heute, im Schmerze des Hauses,
mußte er sie doch erwarten, mußte solcher Groll
aufhören, mußte er die Schwester kennen, ihr ver-
geben!
Benommen schritt sie an Ursels Arm weiter,
und jetzt stand sie vor der großen eichenen Flügeltür
des Hauses.
Eben, als Ursel die Hand auf den Drücker legte,
klang im Hausflur des Vaters Stimme hart und
rauh: „Marsch, in die Stube, bis ich euch rufe!"
Eine Tür fiel ins Schloß, und nun stand im
Dämmerlicht der Halle Michael Theiner vor
Clemence.
„Tinchen, du?"
du und ich, wir wollen uns doch wiederfinden —
und ich komme zu dir!"
„Du kommst zu mir, und
als der Trauerfall treibt dich!
Und nun küßte er sie auf
Vater das ungehorsame Kind, dem nach reuiger
Abbitte verziehen werden soll.
Sie aber wurde schon ruhig, da er sie küßte, und
schritt mit ihm die wohlbekannten Stufen zu den
Erdgeschoßzimmern empor.
Ursel erschien. Ein Mädchen folgte ihr.
„Du trinkst erst einen Schluck Kaffee, Tante,
dann bringe ich dich auf dein Zimmer."
Am Türeingang der Wohnstube hielt Michael an.
„Wir sind aber nicht allein, du findest schon
Gäste."
„Wen?"
„Alexander, seine Frau — und Wilhelm. Alle
beim Frühstück. Auch die Kinder sind natürlich da.
Also nimm dich einen Augenblick zusammen. Später
sprechen wir wohl miteinander, du und ich. Mir
scheint, wir haben uns viel zu sagen, wenn wir
wirklich und gründlich miteinander aufräumen
wollen."
„Das wollen wir, Michael. Ich habe nicht
geahnt, daß wir so weit auseinander seien."
„Es würde auffallen, wenn ich dich nicht gleich
zu den übrigen brächte, nachdem Otto einmal
verraten hat, daß du da bist."
„Das sehe ich ein."
„Also, nimm dich zusammen."
„Ich will's tun."
Er nahm ihr Hut und Mantel ab. Als er beides
Phot. A. Grohs, Berlin
Vas eiektriritütZwerk von NIaubeuge, das die Deutschen wiederhergestellt und in betrieb genommen Hoden. (8. 548)
Clemence nicht. Zu
Michaels Hochzeit, wo
allein sie ihr hätten
begegnen können,
war Klementine Em-
merich nicht erschie-
nen, weil der kleine
Arnulf die Masern
hatte und ihrer Pflege
bedurfte. So fanden
sie sich jetzt zum ersten
Male. Die drei Kin-
der waren Ursels Ge-
schwister: der drei-
zehnjährige Hans, der
zwölfjährigeOttound
die neunjährige Wan-
da. Sie drückten sich
scheu herum und muß-
ten erst zu einer
Begrüßung befohlen
werden. Keines der
Kinder konnte die
Tante Tine noch
kennen.
So entwickelte sich
eine steife Unterhal-
tung über den einzig
gemeinsamen Stoff-
Von der Toten sprach
man, ihrer Krankheit
und ihrer Unersetzlich-
keit, die aber schließ-
lich doch ersetzt werden
müsse. Redensarten,
die immer wieder-
kommen bei solchem
Anlaß. Und Clemence
war's zufrieden. Man
forschte sie nicht aus, sie brauchte nicht zu sprechen.
Man verstand ihre Angegriffenheit von der Nacht-
reise und sand es recht, daß sie sich nach notdürftigster
Erfrischung etwas niederlegte.
Zum Sarge führte Ursel die Tante. Dort ver-
richtete sie ein kurzes Gebet. In ihrem Zimmer fiel
sie dann todmüde aufs Bett. Ursel breitete die Reise-
decke über die fröstelnden Glieder der Tante und ging-
Clemence lag und sann. Sie war allein, sie
konnte denken — und sie war in Hägershof!
19.
Am Tage der Beerdigung kamen Michael und
Clemence nicht zu der gewünschten Aussprache-
Clemence war überhaupt fast gauz sich selbst überlassen-
Der Bruder hatte sich den Gästen zu widmen und
Ursel der häuslichen Versorgung dieser Gäste.
Aber manch peinliche Begegnung gab's, al^
sie dann kurz vor der Trauerfeier wieder erschien-
Gutsuachbarn waren gekommen, der Verstorbenen
die letzte Ehre zu erweisen, der Pfarrer begrüßte
sie als alte Bekannte, der Lehrer, der mit der
Schuljugend des Dorfes anmarschiert war, der
Inspektor und viele Dorffrauen, die sich dankbar
ihrer erinnerten, ihrer, die immer hilfsbereit und
freigebig gewesen war.
Und alles fragte, und allem mußte sie ausweichen-
Sie flüchtete zu Michael, uud der verbat sm-
endlich das neugierige Geschwätz.
Als die Schulkinder sangen, war sie erlöst.
Nun war sie nicht mehr die Hauptperson.
Viele von den Trauergüsten hatten weite Fahrten
über Land zurückzulegen. Ihnen wurde nach dem
v35 Luch sül- Llle
kiest 25
liches Vieh. Kein Fremder darf auf den Hof
kommen!"
Clemence hörte es, und es traf sie tief.
Kein Fremder! Also sie war eine Fremde hier,
eine, die niemand erwartet hatte, die gar nicht
mehr hierher gehörte!
Muffki aber hatte seinen Willen durchgesetzt.
Man war aufmerksam geworden. Am Fenster eines
Zimmers im Untergeschoß ging ein Flügel auf, und
der Kopf eines Knaben erschien.
Er wandte sich in die Stube zurück und sagte:
„Papa, Koczmian ist da."
Von drinnen mochte eine Antwort erfolgt sein,
denn gleich darauf fuhr die Knabenstimme fort:
„Wir haben nichts, Koczmian — Sie brauchen
gar nicht erst auszuspannen."
Clemence, die eben die Fahrt bezahlte, war
vom Wagen verdeckt, und jetzt erst kam sie zum Vor-
schein, Ursel an der Hand.
„Otto, denke dir, Tante Tine ist da! Sag's
Papa!" rief die Schwester.
„Tante Tine?" Der zwölfjährige Junge sprach
es verständnislos nach. „Wer ist denn das?"
Und nun war's für Clemence doch wie ein
körperlicher Stich ins Herz. In Hägershof war
Klementine Emme-
Er streckte ihr die Hand hin. Sie aber fiel ihm
entgegen, und er mußte die ganze Gestalt halten.
„Ja, ich — jetzt mußte ich doch, jetzt mußte ich
doch!"
Sie brach in Tränen aus.
Ursel war dieser Szene gegenüber ohne Ver-
ständnis.
„Ich lasse den Koffer ins Gastzimmer bringen.
Papa — ist's recht?"
„Ja, geh!" entgegnete er kurz.
Und dann waren die Geschwister allein.
Der ganze Körper der Schwester war vom Weinen
erschüttert, und der Bruder hielt ratlos diesen zucken-
den Körper fest.
„Kommst du wegen des Trauerfalles?" fragte
er endlich.
Da schauten ihn die feuchten Augen starr an.
„Ja, Michael. Weshalb denn sonst?"
„Ich dachte, es sei etwas geschehen. So fassungs-
los wirst du doch um Adelheids willen nicht sein!"
„Ich bin krank, ich bin wirr, ich weiß nicht, was
ich will. Ich will Frieden mit dir haben! Ein liebes
Wort will ich haben, daß du nicht mehr böse bist!
Jetzt in dieser Stimmung glaubte ich das zu finden
— und vieles andere noch! Wir sind doch Geschwister,
forthiug, fühlte sie beunruhigt, daß sie bisher nur
von sich und nichts von ihm, nichts von seinem
Leide gesprochen hatte, um dessentwillen sie dock-
eigentlich gekommen war.
„Und bist du sehr gebeugt, ist dir sehr weh,
Michael? Wie schrecklich schnell muß das gekommen
sein?"
Die Hand hielt sie ihm fest. „Hm, ja," murrte er.
„Schnell kam's, und schrecklich ist's. Aber die Ursel
mit ihren siebzehn Jahren muß uun 'ran, die Welt
steht nicht still, wenn jemand abschrammt, und
scheint er auch noch so unentbehrlich zu sein. Und
dann, wir haben Arbeit, wir haben Pflichten, da
kommt man über alles weg. Zum Heulen und
Jammern muß man überflüssige Zeit haben. Aber
nun los!"
Damit hatte er die Tür geöffnet.
An einem großen Rundtische saßen zwei Männer,
eine Frau und drei Kinder.
Clemence war gefaßt und stark. Daß sie Tränen
in den Augen hatte, konnte nicht auffallen.
Alexander und Wilhelm Hagedorn waren Brüder
der Verstorbenen. Der erste Steuerrat, der zweite
Gymnasialoberlehrer. Die Dame, Pauline Hage-
dorn, war des Steuerrats Frau.
Sie alle kannten
vieles andere noch
Gut — so komm!"
die Stirn, wie ein
richs wie Clemence
Leskes Gedächtnis
gründlich ausgelöscht.
Aberda schobeiue
harte, energische Hand
den Blondkopf bei-
seite, und Michaels
ragende Gestalt er-
schien im Fenster-
rahmen. Klirrend
schlug das Fenster zu.
Clemence hatte
gegen Michael die
Hand grüßend er-
hoben. In diesem
Augenblick sah sie
nichts in ihm als den
trostbrauchenden, von
Leid heimgesuchten
Bruder. Zu ihm
wollte sie, ihre Arme
um seinen Hals legen,
mit ihm weinen.
Da sah sie das
große Erstaunen in
seinem Gesicht, dies
unfreudige Verwun-
dern — und dann
das Zuschlägen des
Fensterflügels.
Die Füße wurzel-
ten ihr am Boden,
eiue unsägliche Mü-
digkeit lähmte sie.
Selbst die ge-
druckte Todesanzeige
war zu viel für sie
gewesen, eine Ein-
ladung zum letzten
Ehrenerweise hatte sie nicht bedeuten sollen.
Ursel bemerkte das Stocken. Sie hielt die
Tante, die auf einmal so unsicher schwankte, fest
und sagte: „Du siehst recht elend aus, Tante Tine!
Komm ins Haus, ich will dann den Koffer holen
lassen. Es ist doch deiner?"
„Ja, Kind."
„Der Frühstückstisch ist noch gedeckt. Eine Tasse
Kaffee wird dir gut tun."
Der heiser gewordene Hund mußte eine Pause
machen, und Clemence fühlte ihr Blut sausen und
brausen.
Was war denn das? Daß Michael alle brief-
lichen Beziehungen hatte ruhen lassen, war ja er-
klärlich gewesen. Erst hatte er sich geärgert über
die schroffe Ablehnung jeder weiteren Bevormnn-
dung, dann war er in Berlin vor verschlossener
Tür erschienen, und später bei der Hetzfahrt dnrch
aller Herren Länder hatte er gar keine Adressen
gewußt. Aber heute, im Schmerze des Hauses,
mußte er sie doch erwarten, mußte solcher Groll
aufhören, mußte er die Schwester kennen, ihr ver-
geben!
Benommen schritt sie an Ursels Arm weiter,
und jetzt stand sie vor der großen eichenen Flügeltür
des Hauses.
Eben, als Ursel die Hand auf den Drücker legte,
klang im Hausflur des Vaters Stimme hart und
rauh: „Marsch, in die Stube, bis ich euch rufe!"
Eine Tür fiel ins Schloß, und nun stand im
Dämmerlicht der Halle Michael Theiner vor
Clemence.
„Tinchen, du?"
du und ich, wir wollen uns doch wiederfinden —
und ich komme zu dir!"
„Du kommst zu mir, und
als der Trauerfall treibt dich!
Und nun küßte er sie auf
Vater das ungehorsame Kind, dem nach reuiger
Abbitte verziehen werden soll.
Sie aber wurde schon ruhig, da er sie küßte, und
schritt mit ihm die wohlbekannten Stufen zu den
Erdgeschoßzimmern empor.
Ursel erschien. Ein Mädchen folgte ihr.
„Du trinkst erst einen Schluck Kaffee, Tante,
dann bringe ich dich auf dein Zimmer."
Am Türeingang der Wohnstube hielt Michael an.
„Wir sind aber nicht allein, du findest schon
Gäste."
„Wen?"
„Alexander, seine Frau — und Wilhelm. Alle
beim Frühstück. Auch die Kinder sind natürlich da.
Also nimm dich einen Augenblick zusammen. Später
sprechen wir wohl miteinander, du und ich. Mir
scheint, wir haben uns viel zu sagen, wenn wir
wirklich und gründlich miteinander aufräumen
wollen."
„Das wollen wir, Michael. Ich habe nicht
geahnt, daß wir so weit auseinander seien."
„Es würde auffallen, wenn ich dich nicht gleich
zu den übrigen brächte, nachdem Otto einmal
verraten hat, daß du da bist."
„Das sehe ich ein."
„Also, nimm dich zusammen."
„Ich will's tun."
Er nahm ihr Hut und Mantel ab. Als er beides
Phot. A. Grohs, Berlin
Vas eiektriritütZwerk von NIaubeuge, das die Deutschen wiederhergestellt und in betrieb genommen Hoden. (8. 548)
Clemence nicht. Zu
Michaels Hochzeit, wo
allein sie ihr hätten
begegnen können,
war Klementine Em-
merich nicht erschie-
nen, weil der kleine
Arnulf die Masern
hatte und ihrer Pflege
bedurfte. So fanden
sie sich jetzt zum ersten
Male. Die drei Kin-
der waren Ursels Ge-
schwister: der drei-
zehnjährige Hans, der
zwölfjährigeOttound
die neunjährige Wan-
da. Sie drückten sich
scheu herum und muß-
ten erst zu einer
Begrüßung befohlen
werden. Keines der
Kinder konnte die
Tante Tine noch
kennen.
So entwickelte sich
eine steife Unterhal-
tung über den einzig
gemeinsamen Stoff-
Von der Toten sprach
man, ihrer Krankheit
und ihrer Unersetzlich-
keit, die aber schließ-
lich doch ersetzt werden
müsse. Redensarten,
die immer wieder-
kommen bei solchem
Anlaß. Und Clemence
war's zufrieden. Man
forschte sie nicht aus, sie brauchte nicht zu sprechen.
Man verstand ihre Angegriffenheit von der Nacht-
reise und sand es recht, daß sie sich nach notdürftigster
Erfrischung etwas niederlegte.
Zum Sarge führte Ursel die Tante. Dort ver-
richtete sie ein kurzes Gebet. In ihrem Zimmer fiel
sie dann todmüde aufs Bett. Ursel breitete die Reise-
decke über die fröstelnden Glieder der Tante und ging-
Clemence lag und sann. Sie war allein, sie
konnte denken — und sie war in Hägershof!
19.
Am Tage der Beerdigung kamen Michael und
Clemence nicht zu der gewünschten Aussprache-
Clemence war überhaupt fast gauz sich selbst überlassen-
Der Bruder hatte sich den Gästen zu widmen und
Ursel der häuslichen Versorgung dieser Gäste.
Aber manch peinliche Begegnung gab's, al^
sie dann kurz vor der Trauerfeier wieder erschien-
Gutsuachbarn waren gekommen, der Verstorbenen
die letzte Ehre zu erweisen, der Pfarrer begrüßte
sie als alte Bekannte, der Lehrer, der mit der
Schuljugend des Dorfes anmarschiert war, der
Inspektor und viele Dorffrauen, die sich dankbar
ihrer erinnerten, ihrer, die immer hilfsbereit und
freigebig gewesen war.
Und alles fragte, und allem mußte sie ausweichen-
Sie flüchtete zu Michael, uud der verbat sm-
endlich das neugierige Geschwätz.
Als die Schulkinder sangen, war sie erlöst.
Nun war sie nicht mehr die Hauptperson.
Viele von den Trauergüsten hatten weite Fahrten
über Land zurückzulegen. Ihnen wurde nach dem