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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 50.1915

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Heft 25
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https://doi.org/10.11588/diglit.47351#0546
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tzeft 25

V38 Luch fül- Ltte

547

Begräbnis aufgetafelt, und dann erst war man all-
mählich dazugekommen, unter sich zu sein. Eigent-
lich erst, nachdem auch die Großstädter der Verwandt-
schaft, Alexander, Wilhelm und Pauline, in den Wagen
geklettert waren und dieser zum Bahnhof rollte.
Michael hatte ihnen das Geleit gegeben.
Clemence und Ursel standen in der Tür der
Halle und winkten einen letzten Gruß, als das Gefährt
um die Parkmauer bog und dort den Blicken ent-
schwand.
Da trat der
Bruder zur
Schwester und
sagte: „Willst du
in mein Zimmer-
kommen, Tür-
chen, nnd ist dir's
jetzt recht?"
' Sie erschrak,
ihr Herz Pochte.
„Ja, Michael —
ich gehe mit dir!"
Und dann
saßen sie sich
gegenüber. Er
stützte den einen
Arm auf die
Schreibtischplat-
te und den Kopf
in die Hand, sein
Auge schien die
wirren Muster
des Teppichs zu
zählen.
„Ja, wo fan-
gen wir nun an?
Es ist eine ganze
Rumpelkammer
von Verquert-
heiten. Aber es
hilft nichts, also
in die Hände ge-
spuckt und zuge-
packt! Oder willst
du zuerst spre-
chen?"
Clemence saß
in einem Leder-
sessel, die Hände
im Schoß ver-
schränkt. Ihr
war jetzt ganz
ruhig und zuver-
sichtlich. Esmuß-
te sich ja alles
bald klären. Das
übliche Donner-
wetter wollte sie
über sich ergehen
lassen, dann gab's
doch Sonnen-
schein.
„Wenn du
meinst, auf dem
Herzeu hab' ich
genug."
„Dann karre
du zuerst los."
„Dir ist deine
Frau gestorben,
Michael, und
du hattest eine
Schwester. War
die Schwester
nicht die erste,
an die du dich
wenden, die du
rufen mußtest?"
Er hielt den
Blick ruhig aus,
der sich fragend
auf ihn gerichtet
hatte, und ent-
„Aber Michael — so wenig bin ich dir?"
„Unsinn! Woher weiß ein Mensch, wo ihr euch
herumtreibt in der Welt, du und dein Mann?"
Da erschauerte sie. „Das ist schon lange nicht
mehr! Ich bin müde, ich bin daheim und allein."
„Hm, es ist also so weit!"
„Was ist so weit?"
„Die Zitrone ist ausgepreßt — die eine. Nun
kommt die andere an die Reihe!"
„Du redest in Rätseln, Michael. Ich bitte dich,
Peinige mich nicht! Sei aufrichtig, wir wollen uns
doch von Grund aus verständigen."
„Ja, das wollen wir."
„Du sprichst von Armand, das fühle ich, aber

was soll da die Redewendung von der einen nnd
der anderen Zitrone?"
„So, Tinchen, du fängst an, zu begreifen — das
freut mich. Natürlich spreche ich von ihm, dem fran-
zösischen Wind — nee, nee, ich halt' schon den Atem
an, also von Armand. Und die Zitronen heißen Tine
und Arnulf. Du bist leer, jetzt komint der Junge dran."
„Ich bin leer? Was sind das für Ideen, Michael?
Woher hast du solche Märchen?"

„Das geht dich eigentlich nichts an, Tinchen,
seitdem du dir meine sogenannte Vormundschaft
verbeten hast und mich von deinem Küchendragoner
an der Flurtür mit Vorlegekette abfertigen ließest.
Aber ich bin nicht so, ich lass' mir mit solchem Weiber-
kram die Laune nicht verderben. Also, ich weiß
cS von Studdendorf."
„Studdendorf?"
„Ja. Seit einem Jahre hält er mich auf dem
laufenden."
„Studdendorf? Wie kommt er dazu, in deinem
Auftrage um mich zu spionieren?"
„Aus ehrlicher, tiefer Anhänglichkeit. Du weißt
gar nicht, wie gern er euch hatte und hat. Das ist

ein guter, ein goldguter Kerl! Von Harry spricht
er mit Dankbarkeit, von dir mit Verehrung und von
Arnulf mit zärtlicher Sorge."
„Und du hältst diese Sorge für nötig?"
„Ja."
„Das ist beleidigend für —"
„Für den, der dazu Anlaß gibt, den wir alle
beide kennen und daher nicht zu nennen brau-
chen. Möglich, daß es für den beleidigend ist,
aber auf den
kann ich keine
Rücksicht neh-
men, wenn ich
einmal mit dir
ganz ins reine
kommen soll."
Da neigte sie
ergeben den
Kopf. „Es ist
deine Art, ich
mußmich fügen."
„Ja, es ist
meine Art, die
Augen scharf zu
brauchen, und
ich habe dann oft
gesehen, wo an-
dere blind blie-
ben. — Also, es
ist schon lauge
hin, das Zigeu-
nerglück? Weil
du müde bist,
sagst du?"
„Ja, ich bin
müde. Seit mei-
ne kleineBlcmche
starb, fing es an,
dann bin ich
müde geworden,
Michael, immer
Müder Jahr auf
Jahr. Aber was
weiß ein Mann
davon!"
„Nichts, aber
dafür weiß er
anderes. Zum
Beispiel, daß
Armand Leske
merkwürdig ein-
verstanden mit
dieser plötzlichen
oder allmäh-
lichen Müdigkeit
seiner Frau war,
weil seiue glücks-
ritterlichen Spe-
kulationen das
Goldfaß erschöpft
haben —"
Clemence
wurde kreide-
bleich. „Wersagt
das? Verleum-
dung ist's, ge-
hässige Lüge!
Wer sagt das?
Auch Studden-
dorf?"
„Nein, dafür
gibt es andere
Stellen, und ich
weiß es seit Jahr
und Tag. Aber
daß ich mich in
deine Vermö-
gensangelegen-
heit jemals wie-
dermischensollte,
hast du mir ja
verboten. Ich
mußte still seiu
und fraß meinen
ohnmächtigen Groll in mich hinein, wie ich mußte.
Daß ich dabei meiner einzigen Schwester gegenüber
nicht liebevoller wurde, kannst du dir denken. Ein-
mal noch habe ich alle Wut hinuntergewürgt und
habe dir geschrieben — wart mal, wann war's?
Ich saß mitten in der Saatbestellung — März vor
einem Jahr."
„Du an mich? Michael!"
„Es ist so. Und solltest du meinem Wort nicht
glauben — hier ist der Brief."
Er schloß den Schreibtisch auf und nahm einen
vielbestempelten Briefumschlag heraus.
„ Bitte, lies!" Er zog den Bogen aus dem Umschlag.
lgvrls^Miig iMNU

Vie Zerstörung des italienischen Luftschiffes »Vitia di verrara«. vriginalreichnung von NI. Zeno vierner. (5. Z48)


XXV. IS'.S.
 
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