Var Luch füMIIe
Illustnette Rsmillenreitung
2b. liest. 1915.
Amerika». Copyright 1915 by Unio» Tcutschc Bcrlagsgefellschast, Stnttgart.
„Sachte — ich frage schon weiter. Ist es Klatsch,
daß du zu nächtlicher Stunde mit deinem Anbeter —"
„Ah! Jetzt finde ich die Spuren. Nur zwei
Menschen sahen das —"
„Sie sahen das! Es ist also kein Klatsch!"
„Gemeinheit ist es, bodenlose, heimtückische Ge-
meinheit, die sich Sünden sucht, weil sie sie selber
begehen könnte. Düerland sind's, diese elenden
Schleicher und Verleumder!"
„Ich habe dir keinen Zeugen genannt,
und ich bestätige dir keinen, denn ich sagte
dir schon, auch ich würde gern an Klatsch
geglaubt haben, wenn du die Tatsachen
selbst zu bestreiten gewagt hättest. Das hast
du nicht getan, sondern nur auf die Lau-
scher gescholten. Das ist ein Eingeständnis,
Tine, an dies halte ich mich, an nichts
sonst. Und es wurde ja noch schlimmer,
noch verhängnisvoller —"
„Noch schlimmer! Vater im Himmel,
was noch, was noch? Soll ich denn wirk-
lich bis zum Wahnsinn gefoltert werden?"
„Bis zur Wahrheit."
„Du glaubst an keine Frauenstärke,
an keine Tugend, dir ist das Weib ein
Spielball jeder Laune. Ohne Halt und
ohne Reinheit! Ich glaube, du könntest
dein eigenes Weib am frischen Grabhügel
nicht ausnehmen. Michael, du bist schreck-
lich !"
„Weichen wir nicht ab. Ich belüge
mich nicht über die Schwachheit der Men-
schen. Nicht über die des Mannes, nicht
über die der Frau. Ohne Versuchung
gibt's keine Helden, mit Versuchung
wenige. Aber wozu das alles? Ich wollte
ja mehr erwähnen."
„Ja, das Schlimmere, das Verhäng-
nisvollere."
Er nickte. Die grauen Augen hatten
etwas vom Folterknecht. „Warst du damals
mit deinem Galan öfters zusammen?"
„Michael?"
„Warst du?"
„Er bot sich mir an, mir, der Hilflosen,
über der so Entsetzliches lag, daß sie nicht
aus und ein wußte. Für mich war auch
das ein günstiger Zufall!"
„Ganz recht, ein Zufall!"
Das klang schneidend grausam.
„Die reine Folter!" jammerte sie. „Das
ist die reine Folter!"
„Du fuhrst von deinem Toten mit
dem neuen Anbeter heim?"
„Ich verbitte mir dies Wort! Armand
war nicht mein Anbeter, ein Helfer war
er, dem ich dafür dankte, daß er mir half, als ich
in meinem Elend niemand sonst hatte. Du weißt,
daß er nur noch mit Arnulf gemeinsam half, als
du aukamst."
„Ja. Und ich habe gleich damals gedacht: Hier
hilft der Teufel einer armen Seele von ihrer Selig-
keit."
„Weil du ihn haßtest vom ersten Blick an."
„Ganz recht — vom ersten Blick an."
„Also ohne Prüfung, ohne ihn zu kennen."
„Die Gabe des Sehens ist verschieden und da-
mit auch der Wert des ersten Blickes. Ich traue
dem meinen und habe mich noch nie getäuscht. Aber
du weichst immer aus, gerade wie ein Hase, der vor
dem Hunde seinen Haken schlägt. Weshalb? Schließlich
kommt das Böseste. Weißt du, woran Harry starb?"
„Der Arzt hat cs mir gesagt, am Schlagfluß."
„Ja. Und die tödliche Erregung, die zum Schlage
führte, schuf die Entdeckung deines Verhältnisses!"
Der Rfeideulett
Roman von üttur Wincklei'-Ignnendei'g.
iroUsekmsm.) — tNachdruLosi-diUsn.,
las den Brief ihres Bruders an sie.
M / Flackernde Augen lasen. Von wüstem
Spiel, von wilden Spekulationen und von
wucherischen Nettungsmanövern.
Von Arnulfs Gefahr, in diesem
Strudel sittlich und finanziell zugrunde
gerichtet zu werden. Von einer väterlichen
Leitung, die verbrecherisch sei, und von einer
Mutter, die, weil sie das dulde, mit zur
Verbrecherin an ihrem Kinde werde.
Zitternd, vernichtet starrte sie ihn an.
„Den Umschlag nun!" sagte er hart
und kurz.
Sie nahm ihn. Teilnahmlos, ohne Über-
legung. Sie hielt ihn verkehrt. Er mußte
ihr erst das Viereck lesegerecht legen, und
nun stand es in Armands festen und doch
gewählten Schriftzügen: „Annahme ver-
weigert!"
„Er war doch an mich, dein Brief?"
„Gewiß."
„Ich mußte ihn selbst annehmen oder
ablehnen?"
„Unter ehrlichen Leuten — ja."
„Michael! Um Gottes willen, nimm
mir nicht die Hoffnung, daß da ein Miß-
verständnis waltet!"
„Mißverständnis ist die bequeme Aus-
rede der Diplomaten und der Spitzbuben.
Was gibt's da noch mißzuvcrstehsn!"
„Und was da in deinem Briefe steht,
das soll wahr sein, das soll möglich sein?"
„Ja."
„Ich bin arm, Armand ist in Wucher-
banden, Arnulf im Begriff zu verwahr-
losen?"
,Ja."
„Beweise hast du?"
„Wenn der Bann gebrochen ist, der
dich bisher umspann, wirst du sie erhal-
ten."
„Welcher Bann?"
„Der in Swinemünde anfing, der
meine Schwester Ehre und Würde ver-
gessen ließ."
Da wurde sie bleich wie der Tod, wie
irrsinnig starrte sie den Sprecher an. Und
ein gepreßter Schrei rang sich aus ihrem
Munde. „Ehre und Würde — mein Gott,
bin ich denn von Sinnen?"
Der finster blickende Mann blieb unerbittlich.
„Ich glaube, du warst es. Vielleicht wirst du jetzt
gesund."
„Ehre und Würde! Ich vergaß sie — wo und
gegen wen?"
„Auch das weiß ich."
„Und auch das von Studdendorf?"
„Nein, das" weiß der nicht."
„Aber von wem dann? Bin ich denn von einer
Wett von Lügnern und Verleumdern umgeben?
Und mein eigener Bruder glaubte ihnen?"
Sie brach kraftlos zusammen. Sie fand keine
Träne für ihren Jammer, nur ratlos war sie, ge-
demütigt, ohnmächtig.
„Ich glaubte nicht, ich sah, ich prüfte."
Flehend streckte sie ihm die beiden Hände hin.
„Michael, bei allem, was uns beiden heilig ist, bei
dem Andenken unserer Eltern, jetzt sprich, jetzt laß
mich nicht mehr fragen, jetzt frage du!"
„Gut. Hast du Leske noch bei Lebzeiten Harrys
kennen gelernt?"
„Ja."
„Hast du die Bedeutung dieser Bekanntschaft ihm
gegenüber jemals erwähnt?"
„Da war nichts zu erwähnen. Zufälle ver-
hinderten es, daß ich näher mit ihm darüber sprach."
„Zufälle und Mißverständnisse! Du weißt, wie
ich über beide denke."
öeneral v. 8öhm-ermo!Ii,
der kMrer der II. österreichisch-ungarischen ürmee. (5. 571j
„Bei Gott, es waren solche!"
„Böse Zufälle, die dir gestatteten, mehrere Zu-
sammenkünfte mit einem Anbeter zu haben, dessen
Zudringlichkeit der übrigen Welt auffiel —"
„Welcher Welt? Auch Studdendorf?"
„Ich gebe dir mein Wort, daß Studdendorf nur
seit etwa zwei Jahren, nur seit Armands verwüsten-
den Spekulationen und noch verwüstenderen Ein-
flüssen auf Arnulf an meinen Feststellungen beteiligt
ist. Frage also nicht unnütz nach ihm."
„Wer dann?"
„Das zu verraten, lehne ich ab."
„Dann sage ich dir, daß es ein ruchloser Klatsch
ist, dem du geglaubt hast! Du gegen deine eigene
Schwester!"
„Ruchloser Klatsch? Es könnte sein, ich würde
das gern angenommen haben, wenn nicht Tatsachen
diesen Klatsch bestätigt Hütten."
„Tatsachen? Ich kenne keine!"
XXVI. <9IS.
Illustnette Rsmillenreitung
2b. liest. 1915.
Amerika». Copyright 1915 by Unio» Tcutschc Bcrlagsgefellschast, Stnttgart.
„Sachte — ich frage schon weiter. Ist es Klatsch,
daß du zu nächtlicher Stunde mit deinem Anbeter —"
„Ah! Jetzt finde ich die Spuren. Nur zwei
Menschen sahen das —"
„Sie sahen das! Es ist also kein Klatsch!"
„Gemeinheit ist es, bodenlose, heimtückische Ge-
meinheit, die sich Sünden sucht, weil sie sie selber
begehen könnte. Düerland sind's, diese elenden
Schleicher und Verleumder!"
„Ich habe dir keinen Zeugen genannt,
und ich bestätige dir keinen, denn ich sagte
dir schon, auch ich würde gern an Klatsch
geglaubt haben, wenn du die Tatsachen
selbst zu bestreiten gewagt hättest. Das hast
du nicht getan, sondern nur auf die Lau-
scher gescholten. Das ist ein Eingeständnis,
Tine, an dies halte ich mich, an nichts
sonst. Und es wurde ja noch schlimmer,
noch verhängnisvoller —"
„Noch schlimmer! Vater im Himmel,
was noch, was noch? Soll ich denn wirk-
lich bis zum Wahnsinn gefoltert werden?"
„Bis zur Wahrheit."
„Du glaubst an keine Frauenstärke,
an keine Tugend, dir ist das Weib ein
Spielball jeder Laune. Ohne Halt und
ohne Reinheit! Ich glaube, du könntest
dein eigenes Weib am frischen Grabhügel
nicht ausnehmen. Michael, du bist schreck-
lich !"
„Weichen wir nicht ab. Ich belüge
mich nicht über die Schwachheit der Men-
schen. Nicht über die des Mannes, nicht
über die der Frau. Ohne Versuchung
gibt's keine Helden, mit Versuchung
wenige. Aber wozu das alles? Ich wollte
ja mehr erwähnen."
„Ja, das Schlimmere, das Verhäng-
nisvollere."
Er nickte. Die grauen Augen hatten
etwas vom Folterknecht. „Warst du damals
mit deinem Galan öfters zusammen?"
„Michael?"
„Warst du?"
„Er bot sich mir an, mir, der Hilflosen,
über der so Entsetzliches lag, daß sie nicht
aus und ein wußte. Für mich war auch
das ein günstiger Zufall!"
„Ganz recht, ein Zufall!"
Das klang schneidend grausam.
„Die reine Folter!" jammerte sie. „Das
ist die reine Folter!"
„Du fuhrst von deinem Toten mit
dem neuen Anbeter heim?"
„Ich verbitte mir dies Wort! Armand
war nicht mein Anbeter, ein Helfer war
er, dem ich dafür dankte, daß er mir half, als ich
in meinem Elend niemand sonst hatte. Du weißt,
daß er nur noch mit Arnulf gemeinsam half, als
du aukamst."
„Ja. Und ich habe gleich damals gedacht: Hier
hilft der Teufel einer armen Seele von ihrer Selig-
keit."
„Weil du ihn haßtest vom ersten Blick an."
„Ganz recht — vom ersten Blick an."
„Also ohne Prüfung, ohne ihn zu kennen."
„Die Gabe des Sehens ist verschieden und da-
mit auch der Wert des ersten Blickes. Ich traue
dem meinen und habe mich noch nie getäuscht. Aber
du weichst immer aus, gerade wie ein Hase, der vor
dem Hunde seinen Haken schlägt. Weshalb? Schließlich
kommt das Böseste. Weißt du, woran Harry starb?"
„Der Arzt hat cs mir gesagt, am Schlagfluß."
„Ja. Und die tödliche Erregung, die zum Schlage
führte, schuf die Entdeckung deines Verhältnisses!"
Der Rfeideulett
Roman von üttur Wincklei'-Ignnendei'g.
iroUsekmsm.) — tNachdruLosi-diUsn.,
las den Brief ihres Bruders an sie.
M / Flackernde Augen lasen. Von wüstem
Spiel, von wilden Spekulationen und von
wucherischen Nettungsmanövern.
Von Arnulfs Gefahr, in diesem
Strudel sittlich und finanziell zugrunde
gerichtet zu werden. Von einer väterlichen
Leitung, die verbrecherisch sei, und von einer
Mutter, die, weil sie das dulde, mit zur
Verbrecherin an ihrem Kinde werde.
Zitternd, vernichtet starrte sie ihn an.
„Den Umschlag nun!" sagte er hart
und kurz.
Sie nahm ihn. Teilnahmlos, ohne Über-
legung. Sie hielt ihn verkehrt. Er mußte
ihr erst das Viereck lesegerecht legen, und
nun stand es in Armands festen und doch
gewählten Schriftzügen: „Annahme ver-
weigert!"
„Er war doch an mich, dein Brief?"
„Gewiß."
„Ich mußte ihn selbst annehmen oder
ablehnen?"
„Unter ehrlichen Leuten — ja."
„Michael! Um Gottes willen, nimm
mir nicht die Hoffnung, daß da ein Miß-
verständnis waltet!"
„Mißverständnis ist die bequeme Aus-
rede der Diplomaten und der Spitzbuben.
Was gibt's da noch mißzuvcrstehsn!"
„Und was da in deinem Briefe steht,
das soll wahr sein, das soll möglich sein?"
„Ja."
„Ich bin arm, Armand ist in Wucher-
banden, Arnulf im Begriff zu verwahr-
losen?"
,Ja."
„Beweise hast du?"
„Wenn der Bann gebrochen ist, der
dich bisher umspann, wirst du sie erhal-
ten."
„Welcher Bann?"
„Der in Swinemünde anfing, der
meine Schwester Ehre und Würde ver-
gessen ließ."
Da wurde sie bleich wie der Tod, wie
irrsinnig starrte sie den Sprecher an. Und
ein gepreßter Schrei rang sich aus ihrem
Munde. „Ehre und Würde — mein Gott,
bin ich denn von Sinnen?"
Der finster blickende Mann blieb unerbittlich.
„Ich glaube, du warst es. Vielleicht wirst du jetzt
gesund."
„Ehre und Würde! Ich vergaß sie — wo und
gegen wen?"
„Auch das weiß ich."
„Und auch das von Studdendorf?"
„Nein, das" weiß der nicht."
„Aber von wem dann? Bin ich denn von einer
Wett von Lügnern und Verleumdern umgeben?
Und mein eigener Bruder glaubte ihnen?"
Sie brach kraftlos zusammen. Sie fand keine
Träne für ihren Jammer, nur ratlos war sie, ge-
demütigt, ohnmächtig.
„Ich glaubte nicht, ich sah, ich prüfte."
Flehend streckte sie ihm die beiden Hände hin.
„Michael, bei allem, was uns beiden heilig ist, bei
dem Andenken unserer Eltern, jetzt sprich, jetzt laß
mich nicht mehr fragen, jetzt frage du!"
„Gut. Hast du Leske noch bei Lebzeiten Harrys
kennen gelernt?"
„Ja."
„Hast du die Bedeutung dieser Bekanntschaft ihm
gegenüber jemals erwähnt?"
„Da war nichts zu erwähnen. Zufälle ver-
hinderten es, daß ich näher mit ihm darüber sprach."
„Zufälle und Mißverständnisse! Du weißt, wie
ich über beide denke."
öeneral v. 8öhm-ermo!Ii,
der kMrer der II. österreichisch-ungarischen ürmee. (5. 571j
„Bei Gott, es waren solche!"
„Böse Zufälle, die dir gestatteten, mehrere Zu-
sammenkünfte mit einem Anbeter zu haben, dessen
Zudringlichkeit der übrigen Welt auffiel —"
„Welcher Welt? Auch Studdendorf?"
„Ich gebe dir mein Wort, daß Studdendorf nur
seit etwa zwei Jahren, nur seit Armands verwüsten-
den Spekulationen und noch verwüstenderen Ein-
flüssen auf Arnulf an meinen Feststellungen beteiligt
ist. Frage also nicht unnütz nach ihm."
„Wer dann?"
„Das zu verraten, lehne ich ab."
„Dann sage ich dir, daß es ein ruchloser Klatsch
ist, dem du geglaubt hast! Du gegen deine eigene
Schwester!"
„Ruchloser Klatsch? Es könnte sein, ich würde
das gern angenommen haben, wenn nicht Tatsachen
diesen Klatsch bestätigt Hütten."
„Tatsachen? Ich kenne keine!"
XXVI. <9IS.