M 27
V35 Luch fül- Mle...' .—- --1 Sch
alles getan, vielleicht alles — ich weiß nicht, ob ich's
konnte, aber im Augenblick 'war ich der Meinung,
ich müßte es versuchen. Darunter habe ich sehr ge-
litten !"
Da legte sie den Arm um ihren Jungen und
küßte ihn.
„Und nun bin ich wie erlöst, nun ist mir, als sei
ich wieder ein ehrlicher Mensch, der sich aus der
Straße zeigen dars! — Ach Mama, ich hänge mit
heißer Liebe an dir, mein Leben gäbe ich für dich,
aber das — nein, ich glaube doch, das hätte ich nicht
getan!"
„Das durftest du nicht!" klang's ernst und be-
stimmt. „Und wann war das alles?"
„Gestern früh kam die Enthüllung. Hätte ich
gewußt, daß du abends heimkehrtest, ich wäre noch
in der Nacht hergekommen, um zu wissen, was ich
tun durfte und konnte. Ich hätte mir finstere, furcht-
bare Stunden gespart."
„Sie sind nun überstanden, mein Sohn, in Ehren
überstanden. Laß uns darüber zufrieden sein, alles
andere ist so namenlos gleichgültig. — Ich bin also
nun arm —"
„Mama, du denkst doch nicht —"
„Du könntest
mich hungern las-
sen? Nein, Ar-
nulf, wer erwog,
ob er für seiner
Mutter Seelen-
ruhe und Glück
die eigene Ehre
opfern dürfe, der
läßt diese Mutter
nicht darben. Du
wirst mir geben,
was ich brauche,
und ich werde
es nehmen, weil
deine Liebe es mir
gibt. Aber was
immer du für mich
tätest, es reicht
nicht heran an den
Wert dessen, was
du nur in dieser
Stunde gegeben
hast: die Frei-
heit. An allem,
was ich diesem
Manne vorwer-
fen mochte, war
ich mitschuldig.
An dem falschen
Scheine, der in
Swinemünde ge-
gen mich sprach,
und dem Onkel
Michael glauben
mußte, um des-
willen er mich
jahrelang aufgab,
denn ich hätte zu
Papa offen sein
sollen, ohne Angst
und ohne Zau-
dern. An deiner
Enttäuschung,
denn ich gab dich,
Da neigte er den Kopf und sagte: „Ja, Mama,
wie du es willst, soll es sein. Nur frei, ganz frei muß
er dich geben!"
„Ganz frei!"
„Onkel Michael muß sich fügen, ich werde mit
ihm reden, ich werde es fordern, ihm wäre ich sogar
bereit diese eine Unwahrheit zu sagen, ich sei mit
der Entnahme des Geldes einverstanden gewesen."
„Nein, Arnulf, die Wahrheit! Dein Name, deine
Stellung verbieten jedes Aufsehen. Wir retten nicht
den Betrüger, wir schützen uns."
„Wird Onkel das anerkennen?"
„Ja, denn wir sind andere geworden mitein-
ander — er und ich!"
„Also noch einmal, Mama, wie du es willst, soll
sein."
„Ich könnte Onkel Michael jeden Augenblick hier
haben. Es ist das eine Wort vereinbart: ,Kommll
und er erscheint. Aber ich werde ihn nicht rufen.
In vier. Wochen muß er sowieso kommen, und dann,
ov reich, ob arm, wird der Flüchtling zurück sein, dann
mag mit ihm alles zusammen verrechnet werden.
Ich habe geirrt, ich habe gebüßt. Rein und sich
selber nur treu — dann trägt man alles!"
Da ging ein ratloses Blickewechseln zwischen
Mutter und Sohn.
„Wir sind allein," bemerkte Arnulf.
„Armand ist verreist," setzte Clemence hinzu.
„Na, das ändert nichts an der Sachlage. Daß
er sich meinen Meinungsäußerungen entzogen hat,
läßt ihn nicht aushören, hier Herr des Hauses zu
sein. Also ausgerückt ist er? Seit wann?"
„Ich habe ihn bei meiner Rückkehr aus Hägershof
nicht mehr angetroffen und seitdem nichts von ihm
gehört."
„Das sind vier Wochen?"
„Kinder, das ist ja Krach, ausgewachsener Krach!
Da werde ich wohlnoch einige Auskünfte bekommen?"
„Ja, Onkel, solche Auskünfte erwarten dich aller-
dings."
„Na, dann mal zu! Ich bin auf die freudigsten
Überraschungen gefaßt. Vorher aber das Wichtigste.
Beim Vormundschaftsgericht war ich, beim Justizrat
Hiller auch, die Ausschüttung kann vor sich gehen.
Es wird hosfentlich ein fideler Geburtstag."
„Doch erst in vier Tagen!"
„Na ja, inzwischen sehe ich mir Berlin ein bißchen
an. Der Kaiser
ist auf der Nord-
landsfahrt, und
der Hof ist auch
nicht da — ich
denke, da darf
man auch ins
Schloß. Im Win-
ter ging das nicht.
Nun trifft sich's
besser. DieWacht-
parade habe ich
schon aufziehen
sehen. Ganz sa-
mos war's, nur
daßsovielBumm-
ler mitlaufen, stört
mir das Schau-
spiel. Ihr müßt
doch in Berlin
viel Zeit haben!
Ich bin mit Ach
und Krach auf
eine Woche frei
geworden in 'ner
Erntepause. —
Aber, da schwatz'
ich und schwatz'
ich von mir, ohne
zu hören, was
ihr mir melden
wollt. Also, ich
setz' mich fest zu-
recht, um nicht
umzufallen, und
bin ganz Ohr.
Wer von euch er-
stattet Bericht?"
„Willst du nicht
erst etwas genie-
ßen?" fragte Cle-
mence auswei-
chend. „Wir essen
gleich zu Abend."
„Wenn du
sn der Heimat, nach einem vemalde von rerdinand Leeke.
(VUgmai-wandschmuck in kombiniertem rnrbenUchtdruck, SrMolio-rormni, Nildgröfte cm auf besonders feinem cichidruckksrton, vormnt 70 : S7 cm.
Verlag der Union vsulfche vsrlagsgefeNfchaft in Ziuligart, LerUn, Leipzig, Wien, cinreipreis des Südes Z Mark.)
mein höchstes Gut, in unwürdige Hände, ich prüfte
diese Hände nicht. Am Vermögenschaden, denn ich
wagte mich an Dinge, die ich nicht verstand, und
lieferte mich so ganz widerstandslos in die Hand
eines Betrügers. Aber was er nun getan, davon
kann ich die Hände rein zurückziehen, da bin ich frei, da
darf ich abrechnen mit ihm als mit einem Fremden!"
„Während du abwesend warst und ich in Un-
gewißheit schwankte, ist er zu den Seinigen gefahren.
Sie sind wohlhabend?"
„Ja, er nannte sie so. Aber wenn sie ihm Berge
Goldes gäben, wenn sie mir alles ersetzten, was ich
an Vermögen einbüßte, eines können sie mir nicht
wiedergeben: Liebe, Achtung, Vertrauen! — Mit
Lügen bin ich verstrickt worden vom ersten Augen-
blicke an, aus der Lüge will ich hinaus und Wahrheit
atmen können!"
„Und was wird mit ihm?"
„Mit ihm? Um unser- um deinetwillen: nichts!
Auch um seinetwillen —"
„Mama, ich verstehe dich nicht?"
„Möglich, mein Sohn, jetzt nicht. Vielleicht ein-
mal später."
Und da, blitzgleich kam es ihm doch. Er hatte
eine Schwester gehabt, wenn sie auch nur wenige
Tage lebte, und Blanche war jenes Mannes Kind.
In dem weichen, schwimmenden Blick der Mutter
hatte er es gelesen, einem Blick, der ein letzter Ab-
glanz von verlorenem Glücke schien.
24.
Die vier Wochen waren um, und Michael Theiner
erschien wieder in Berlin. Es war ihm seltsam zu-
mute, als er auf dem Treppenabsatze stand und an
dem großen Eckspiegel verweilte.
Sechs Jahre war's her, daß man vor ihm ge-
flohen war und ein grobes Dienstmädchen ihm die
Tür vor der Nase zuschlug. Ach, der braven Seele
hatte er längst vergeben, so fürchterlich ihn damals
auch ihre Frechheit empörte! Die groben Leute sind
meist die ehrlichsten, jedenfalls wußte man bei ihnen
stets, woran man war, niemals bei den glatten, den
höflichen.
Er hatte geklingelt, im Flur waren Türen ge-
gangen. Clemence selbst, aber im Begriff aus-
zugehen, sah nach dem Einlaß Begehrenden.
„Michael — du!" Und schon lag sie an seinem
Halse. „Wieder unangemeldet!"
„Das mach' ich nicht anders, Tinchen, du weißt
es ja."
Und dann war Arnulf herbeigeeilt. Er hatte die
Stimme erkannt. Theiner wurde in die Mitte ge-
nommen und ins Zimmer gezogen.
„Ich wollte doch, daß du bei mir wohntest —
und nun ist nichts zurechtgemacht!" sagte Cle-
mence.
Er verhehlte sein Erstaunen nicht. „Ich bei dir?
Das war einmal! Zu Harrys Zeiten. In der'Wahl
meiner Gastfreunde bin ich peinlich."
meinst, daß 'ne Herzstürkung vorher nötig ist —
meinetwegen. Früher hattet ihr 'nen Chateau
Lafitte, der nicht von schlechten Trauben war."
„Ich werde Frau Schrader benachrichtigen.
Vielleicht will Mama dann mit dir allein reden,"
sagte Arnulf.
„Oho! Reißen jetzt schon die Soldaten aus?
Das wird ja sehr feierlich! — Aber schließlich, Tin-
chen, hier hast du vielleicht Wünsche —"
Clemence hatte endlich ihre Fassung gefunden.
„Ja, Arnulf, ich bitte dich, im Eßzimmer ein Gedeck
mehr auflegen zu lassen, und indes sage ich dem
Onkel das, was er wissen muß."
Der Sohn ging, und die Mutter begann ihre
Beichte. Erst sprach sie stockend, zögernd und un-
sicher, dann in sester Klarheit und Bestimmtheit.
Er warf seine Bemerkungen dazwischen, und
schließlich meinte er: „Das ist Schluß der Komödie,
jetzt haben wir den Burschen. Nun aber keine
Schwachheiten mehr, nun ganze Arbeit! Unter-
schlagung, Betrug — Staatsanwaltschaft!"
„Um Himmels willen! Arnulf ist Offizier, auch
auf seinen Stiefvater darf ein öffentlicher Makel
nicht fallen. Eine goldene Brücke wollen wir ihm
lieber bauen, auf der er flieht für immer —"
„Scheidung?"
„Ja, ich bin mit ihm fertig!"
„Schön, aber dann, wenn er euch alle nichts mehr
angeht, dann fasse ich ihn. Die Sorte kommt wieder,
LXVII. ISIS.
V35 Luch fül- Mle...' .—- --1 Sch
alles getan, vielleicht alles — ich weiß nicht, ob ich's
konnte, aber im Augenblick 'war ich der Meinung,
ich müßte es versuchen. Darunter habe ich sehr ge-
litten !"
Da legte sie den Arm um ihren Jungen und
küßte ihn.
„Und nun bin ich wie erlöst, nun ist mir, als sei
ich wieder ein ehrlicher Mensch, der sich aus der
Straße zeigen dars! — Ach Mama, ich hänge mit
heißer Liebe an dir, mein Leben gäbe ich für dich,
aber das — nein, ich glaube doch, das hätte ich nicht
getan!"
„Das durftest du nicht!" klang's ernst und be-
stimmt. „Und wann war das alles?"
„Gestern früh kam die Enthüllung. Hätte ich
gewußt, daß du abends heimkehrtest, ich wäre noch
in der Nacht hergekommen, um zu wissen, was ich
tun durfte und konnte. Ich hätte mir finstere, furcht-
bare Stunden gespart."
„Sie sind nun überstanden, mein Sohn, in Ehren
überstanden. Laß uns darüber zufrieden sein, alles
andere ist so namenlos gleichgültig. — Ich bin also
nun arm —"
„Mama, du denkst doch nicht —"
„Du könntest
mich hungern las-
sen? Nein, Ar-
nulf, wer erwog,
ob er für seiner
Mutter Seelen-
ruhe und Glück
die eigene Ehre
opfern dürfe, der
läßt diese Mutter
nicht darben. Du
wirst mir geben,
was ich brauche,
und ich werde
es nehmen, weil
deine Liebe es mir
gibt. Aber was
immer du für mich
tätest, es reicht
nicht heran an den
Wert dessen, was
du nur in dieser
Stunde gegeben
hast: die Frei-
heit. An allem,
was ich diesem
Manne vorwer-
fen mochte, war
ich mitschuldig.
An dem falschen
Scheine, der in
Swinemünde ge-
gen mich sprach,
und dem Onkel
Michael glauben
mußte, um des-
willen er mich
jahrelang aufgab,
denn ich hätte zu
Papa offen sein
sollen, ohne Angst
und ohne Zau-
dern. An deiner
Enttäuschung,
denn ich gab dich,
Da neigte er den Kopf und sagte: „Ja, Mama,
wie du es willst, soll es sein. Nur frei, ganz frei muß
er dich geben!"
„Ganz frei!"
„Onkel Michael muß sich fügen, ich werde mit
ihm reden, ich werde es fordern, ihm wäre ich sogar
bereit diese eine Unwahrheit zu sagen, ich sei mit
der Entnahme des Geldes einverstanden gewesen."
„Nein, Arnulf, die Wahrheit! Dein Name, deine
Stellung verbieten jedes Aufsehen. Wir retten nicht
den Betrüger, wir schützen uns."
„Wird Onkel das anerkennen?"
„Ja, denn wir sind andere geworden mitein-
ander — er und ich!"
„Also noch einmal, Mama, wie du es willst, soll
sein."
„Ich könnte Onkel Michael jeden Augenblick hier
haben. Es ist das eine Wort vereinbart: ,Kommll
und er erscheint. Aber ich werde ihn nicht rufen.
In vier. Wochen muß er sowieso kommen, und dann,
ov reich, ob arm, wird der Flüchtling zurück sein, dann
mag mit ihm alles zusammen verrechnet werden.
Ich habe geirrt, ich habe gebüßt. Rein und sich
selber nur treu — dann trägt man alles!"
Da ging ein ratloses Blickewechseln zwischen
Mutter und Sohn.
„Wir sind allein," bemerkte Arnulf.
„Armand ist verreist," setzte Clemence hinzu.
„Na, das ändert nichts an der Sachlage. Daß
er sich meinen Meinungsäußerungen entzogen hat,
läßt ihn nicht aushören, hier Herr des Hauses zu
sein. Also ausgerückt ist er? Seit wann?"
„Ich habe ihn bei meiner Rückkehr aus Hägershof
nicht mehr angetroffen und seitdem nichts von ihm
gehört."
„Das sind vier Wochen?"
„Kinder, das ist ja Krach, ausgewachsener Krach!
Da werde ich wohlnoch einige Auskünfte bekommen?"
„Ja, Onkel, solche Auskünfte erwarten dich aller-
dings."
„Na, dann mal zu! Ich bin auf die freudigsten
Überraschungen gefaßt. Vorher aber das Wichtigste.
Beim Vormundschaftsgericht war ich, beim Justizrat
Hiller auch, die Ausschüttung kann vor sich gehen.
Es wird hosfentlich ein fideler Geburtstag."
„Doch erst in vier Tagen!"
„Na ja, inzwischen sehe ich mir Berlin ein bißchen
an. Der Kaiser
ist auf der Nord-
landsfahrt, und
der Hof ist auch
nicht da — ich
denke, da darf
man auch ins
Schloß. Im Win-
ter ging das nicht.
Nun trifft sich's
besser. DieWacht-
parade habe ich
schon aufziehen
sehen. Ganz sa-
mos war's, nur
daßsovielBumm-
ler mitlaufen, stört
mir das Schau-
spiel. Ihr müßt
doch in Berlin
viel Zeit haben!
Ich bin mit Ach
und Krach auf
eine Woche frei
geworden in 'ner
Erntepause. —
Aber, da schwatz'
ich und schwatz'
ich von mir, ohne
zu hören, was
ihr mir melden
wollt. Also, ich
setz' mich fest zu-
recht, um nicht
umzufallen, und
bin ganz Ohr.
Wer von euch er-
stattet Bericht?"
„Willst du nicht
erst etwas genie-
ßen?" fragte Cle-
mence auswei-
chend. „Wir essen
gleich zu Abend."
„Wenn du
sn der Heimat, nach einem vemalde von rerdinand Leeke.
(VUgmai-wandschmuck in kombiniertem rnrbenUchtdruck, SrMolio-rormni, Nildgröfte cm auf besonders feinem cichidruckksrton, vormnt 70 : S7 cm.
Verlag der Union vsulfche vsrlagsgefeNfchaft in Ziuligart, LerUn, Leipzig, Wien, cinreipreis des Südes Z Mark.)
mein höchstes Gut, in unwürdige Hände, ich prüfte
diese Hände nicht. Am Vermögenschaden, denn ich
wagte mich an Dinge, die ich nicht verstand, und
lieferte mich so ganz widerstandslos in die Hand
eines Betrügers. Aber was er nun getan, davon
kann ich die Hände rein zurückziehen, da bin ich frei, da
darf ich abrechnen mit ihm als mit einem Fremden!"
„Während du abwesend warst und ich in Un-
gewißheit schwankte, ist er zu den Seinigen gefahren.
Sie sind wohlhabend?"
„Ja, er nannte sie so. Aber wenn sie ihm Berge
Goldes gäben, wenn sie mir alles ersetzten, was ich
an Vermögen einbüßte, eines können sie mir nicht
wiedergeben: Liebe, Achtung, Vertrauen! — Mit
Lügen bin ich verstrickt worden vom ersten Augen-
blicke an, aus der Lüge will ich hinaus und Wahrheit
atmen können!"
„Und was wird mit ihm?"
„Mit ihm? Um unser- um deinetwillen: nichts!
Auch um seinetwillen —"
„Mama, ich verstehe dich nicht?"
„Möglich, mein Sohn, jetzt nicht. Vielleicht ein-
mal später."
Und da, blitzgleich kam es ihm doch. Er hatte
eine Schwester gehabt, wenn sie auch nur wenige
Tage lebte, und Blanche war jenes Mannes Kind.
In dem weichen, schwimmenden Blick der Mutter
hatte er es gelesen, einem Blick, der ein letzter Ab-
glanz von verlorenem Glücke schien.
24.
Die vier Wochen waren um, und Michael Theiner
erschien wieder in Berlin. Es war ihm seltsam zu-
mute, als er auf dem Treppenabsatze stand und an
dem großen Eckspiegel verweilte.
Sechs Jahre war's her, daß man vor ihm ge-
flohen war und ein grobes Dienstmädchen ihm die
Tür vor der Nase zuschlug. Ach, der braven Seele
hatte er längst vergeben, so fürchterlich ihn damals
auch ihre Frechheit empörte! Die groben Leute sind
meist die ehrlichsten, jedenfalls wußte man bei ihnen
stets, woran man war, niemals bei den glatten, den
höflichen.
Er hatte geklingelt, im Flur waren Türen ge-
gangen. Clemence selbst, aber im Begriff aus-
zugehen, sah nach dem Einlaß Begehrenden.
„Michael — du!" Und schon lag sie an seinem
Halse. „Wieder unangemeldet!"
„Das mach' ich nicht anders, Tinchen, du weißt
es ja."
Und dann war Arnulf herbeigeeilt. Er hatte die
Stimme erkannt. Theiner wurde in die Mitte ge-
nommen und ins Zimmer gezogen.
„Ich wollte doch, daß du bei mir wohntest —
und nun ist nichts zurechtgemacht!" sagte Cle-
mence.
Er verhehlte sein Erstaunen nicht. „Ich bei dir?
Das war einmal! Zu Harrys Zeiten. In der'Wahl
meiner Gastfreunde bin ich peinlich."
meinst, daß 'ne Herzstürkung vorher nötig ist —
meinetwegen. Früher hattet ihr 'nen Chateau
Lafitte, der nicht von schlechten Trauben war."
„Ich werde Frau Schrader benachrichtigen.
Vielleicht will Mama dann mit dir allein reden,"
sagte Arnulf.
„Oho! Reißen jetzt schon die Soldaten aus?
Das wird ja sehr feierlich! — Aber schließlich, Tin-
chen, hier hast du vielleicht Wünsche —"
Clemence hatte endlich ihre Fassung gefunden.
„Ja, Arnulf, ich bitte dich, im Eßzimmer ein Gedeck
mehr auflegen zu lassen, und indes sage ich dem
Onkel das, was er wissen muß."
Der Sohn ging, und die Mutter begann ihre
Beichte. Erst sprach sie stockend, zögernd und un-
sicher, dann in sester Klarheit und Bestimmtheit.
Er warf seine Bemerkungen dazwischen, und
schließlich meinte er: „Das ist Schluß der Komödie,
jetzt haben wir den Burschen. Nun aber keine
Schwachheiten mehr, nun ganze Arbeit! Unter-
schlagung, Betrug — Staatsanwaltschaft!"
„Um Himmels willen! Arnulf ist Offizier, auch
auf seinen Stiefvater darf ein öffentlicher Makel
nicht fallen. Eine goldene Brücke wollen wir ihm
lieber bauen, auf der er flieht für immer —"
„Scheidung?"
„Ja, ich bin mit ihm fertig!"
„Schön, aber dann, wenn er euch alle nichts mehr
angeht, dann fasse ich ihn. Die Sorte kommt wieder,
LXVII. ISIS.