heft 27 - —
Der Staatsanwalt machte unwillkürlich eine Bewe-
gung, um seine Geldbörse aus der Tasche zu ziehen,
da er aber das betreffende Kleidungsstück noch nicht
anhatte, glitt seine Hand erfolglos in die Tiefe.
Seine Frau kam jedem weiteren Versuch zuvor,
indem sie die Börse rasch von der Platte des Nacht-
tisches wegraffte und mit ihren beiden Händen fest-
hielt. „Erst sage mir, wieviel drin sein muß, ehe
du nachsiehst."
Der von allen Missetätern in seinem Amtsbezirk
wie die Pest gefürchtete scharfsinnige Jurist ließ sich
diese Behandlung ruhig gefallen. Er war der um
zwanzig Jahren jüngeren, bildhübschen, blonden
Frau gegenüber vollkommen wehrlos. Vor einigen
Jahren erst war sie in sein Leben getreten wie ein
Frühlingssturm, hatte von ihn: Besitz ergriffen und
alles um und um gekehrt.
Nach kurzer Überlegung versetzte er, es würden
Wohl zwischen dreißig bis vierzig Mark sein.
„Keine zwanzig Mark sind drin!" rief sie froh-
—-.- Vas Luch fürMle 77— —
lockend, indem sie den Inhalt auf dem Fensterbrett
ausschüttete.
„Ich begreife das nicht," murmelte der Staats-
anwalt niedergeschlagen. „Ich bin doch ganz sicher,
daß ich dem Mädchen ein Markstück gegeben habe."
Plötzlich erhellte sich sein Gesicht. „Ach, es stimmt
schon. Ich habe gestern etwas bezahlt, was ich ver-
gessen hatte. Zigarren."
„Wieviel war denn das?"
Das Verhör wurde ihm nun doch unbequem.
Er rauchte stark, viel zu stark, wie seine Frau fand,
und es paßte ihm nicht, sich bei seinen Ausgaben
dafür beaufsichtigen zu lassen.
„Es stimmt vollkommen. Du kannst ruhig ant-
worten, daß mir das Versehen nicht passiert ist,"
erwiderte er etwas mißmutig. „Warum soll ich es
denn überhaupt gewesen sein? Hegemann und
Brückner haben doch auch Trinkgeld gegeben."
„Weil kein anderer Mensch so zerstreut ist wie
du," entgegnete sie schlagfertig. „Und auch niemand
-7-_ 601
sonst eine so blödsinnig unbrauchbare Geldbörse
hat, wo alles durcheinanderliegt, so daß man sich
auf einem halbdunklen Vorsaal geradezu versehen
muß. Außerdem weißt du entschieden nicht genau,
wieviel du drin gehabt hast, weißt auch nicht mehr,
wieviel gestern deine Glimmstengel gekostet haben.
Ich werde schreiben, du wüßtest nicht bestimmt,
was du bei dir gehabt hättest, es könnte leicht
möglich sein, daß du dich vergriffen hättest, und
wenn niemand anderes darauf Anspruch erhebt,
wäre das Goldstück von dir. Tummle dich nun aber
auch, daß du endlich fertig wirst!"
Noch ehe er zu einem Widerspruch ansetzen konnte,
war sie schon aus dem Zimmer geeilt. Er seufzte,
griff nach dem Pinsel und der Schale mit dem kalt-
gewordenen Seifenwasser und fuhr endlich fort, sich
zu rasieren.
Die Familie Teubner saß ihrer Gewohnheit
gemäß in „seiner" Stube bei dem nachmittäglichen
Imbiß. Frau Teubner und Else tranken Tee und
aßen sehr dünne, mit Butter leicht angehauchte
Weißbrotschnitten dazu, was die Landgerichtsrätin
zugleich fein und billig fand. Der Rat selbst war
nicht fürs Moderne, er trank Kaffee, der vom Früh-
stück aufgespart und mit liebevoller Vorsicht gewärmt
wurde. Dazu verzehrte er ein Stück Schwarzbrot.
Zu schmückenden Zwecken und im Hinblick auf
etwaigen Besuch stand noch eine Kristalldose auf
dem Tisch, in der einiges Teegebäck ein beschauliches
und unangefochtenes Dasein führte, das nur durch
die Aussicht auf baldige völlige Versteinerung ver-
düstert wurde.
Die beiden Antwortbriefe, das Zwanzigmarkstück
betreffend, waren kurz vorher zusammen abgegeben
worden und bildeten den Unterhaltungsstoff. Frau
Teubner war entrüstet. „Ganz unfaßlich ist es mir,"
meinte sie, „daß die Herren alle beide keine Ahnung
haben, wieviel Geld sie bei sich hatten. Man ersieht
daraus so recht, wie wenig ordentlich doch die meisten
Männer find, auch die, denen man es nicht zugetraut
hätte. Was sollen wir nun machen? Ich finde,
es ist höchst unangenehm. Wir können ihnen doch
nicht Vorschlägen, sich in das Geld zu teilen, oder
IleWicker. Nach einem Semälde von Paul poetzsch.
ihnen nahelegen, es Selma zu überlassen, was
eigentlich das einfachste wäre und eine gerechte
Strafe dafür, daß beide so unvorsichtig sind."
„Paß auf, Mamachen!" bemerkte^ Else, die die
Sache mehr von der vergnüglichen Seite anffaßte,
„es wird ein höchst erbaulicher Großmutkampf wer-
den, wenn sie herauskriegen, daß sie beide zugleich
nach dem Mammon verlangt haben. Sie werden
dann beide zurückzucken, und Selma wird schließlich
Siegerin bleiben!"
„Wer weiß!" wandte der Rat schmunzelnd ein.
„Bar Geld lacht. Jeder will es gern gewesen sein,
so viel ist klar geworden. Kinder, ich fürchte, die
Geschichte kostet mich noch vierzig Mark, da ich an-
standshalber einem jeden der Herren seine ver-
meintlichen zwanzig Mark zurückerstatten muß."
„Nach Adam Riese können es höchstens zwanzig
werden," versetzte Else. „Selmas Goldstück ist wirk-
lich vorhanden und kommt nicht aus deiner Tasche!"
„Selma braucht es nicht herauszurücken, wenn
es nicht sicher ist, woher es stammt, du kleiner Nase-
weis!" erwiderte der Rat lächelnd. „Und ich kann
Leute nicht Lügen strafen, mit denen ich freund-
schaftlich verkehre, sondern muß so tun, als ob ich
beiden glaube. Am Ende kommt der junge Brückner
auch noch und erklärt, daß er seine zwanzig Mark
wiederhaben will. Dann kann ich sechzig loswerden!"
„Hast du ihm denn davon geschrieben?" fragte
Frau Teubner.
„I bewahre, ich werde mich hüten. Ihr seht
ja, was bei eurer Schreiberei herausgekommen ist!
Wenn jemand was von mir will, so mag er nur von
selber kommen."
In demselben Augenblick klingelte es. Alle drei
fuhren zusammen. Ein unbestimmbares Etwas in
der Luft kündete plötzlich große kommende Ereignisse
an. Die beiden Frauen lauschten atemlos, nur der
Landgerichtsrat schien unempfindlich gegen diese
feinen Schwingungen. Er sah bloß eine Störung
voraus und goß schnell noch seine zweite Tasse
Kaffee hinunter.
Dann stürmte Selma ohne vorheriges Anklopfen
herein. „Einen Empfehl von Herrn Referendar
Brickner, und ob er um eine Unterredung mit Herrn
Landgerichtsrat bitten dirfte!"
Selmas Stimme klang belegt vor fieberhafter
Aufregung; vorhin erst die beiden Stadtpostbriefe
und nun dieser Besuch! Jetzt mußte es sich ent-
Der Staatsanwalt machte unwillkürlich eine Bewe-
gung, um seine Geldbörse aus der Tasche zu ziehen,
da er aber das betreffende Kleidungsstück noch nicht
anhatte, glitt seine Hand erfolglos in die Tiefe.
Seine Frau kam jedem weiteren Versuch zuvor,
indem sie die Börse rasch von der Platte des Nacht-
tisches wegraffte und mit ihren beiden Händen fest-
hielt. „Erst sage mir, wieviel drin sein muß, ehe
du nachsiehst."
Der von allen Missetätern in seinem Amtsbezirk
wie die Pest gefürchtete scharfsinnige Jurist ließ sich
diese Behandlung ruhig gefallen. Er war der um
zwanzig Jahren jüngeren, bildhübschen, blonden
Frau gegenüber vollkommen wehrlos. Vor einigen
Jahren erst war sie in sein Leben getreten wie ein
Frühlingssturm, hatte von ihn: Besitz ergriffen und
alles um und um gekehrt.
Nach kurzer Überlegung versetzte er, es würden
Wohl zwischen dreißig bis vierzig Mark sein.
„Keine zwanzig Mark sind drin!" rief sie froh-
—-.- Vas Luch fürMle 77— —
lockend, indem sie den Inhalt auf dem Fensterbrett
ausschüttete.
„Ich begreife das nicht," murmelte der Staats-
anwalt niedergeschlagen. „Ich bin doch ganz sicher,
daß ich dem Mädchen ein Markstück gegeben habe."
Plötzlich erhellte sich sein Gesicht. „Ach, es stimmt
schon. Ich habe gestern etwas bezahlt, was ich ver-
gessen hatte. Zigarren."
„Wieviel war denn das?"
Das Verhör wurde ihm nun doch unbequem.
Er rauchte stark, viel zu stark, wie seine Frau fand,
und es paßte ihm nicht, sich bei seinen Ausgaben
dafür beaufsichtigen zu lassen.
„Es stimmt vollkommen. Du kannst ruhig ant-
worten, daß mir das Versehen nicht passiert ist,"
erwiderte er etwas mißmutig. „Warum soll ich es
denn überhaupt gewesen sein? Hegemann und
Brückner haben doch auch Trinkgeld gegeben."
„Weil kein anderer Mensch so zerstreut ist wie
du," entgegnete sie schlagfertig. „Und auch niemand
-7-_ 601
sonst eine so blödsinnig unbrauchbare Geldbörse
hat, wo alles durcheinanderliegt, so daß man sich
auf einem halbdunklen Vorsaal geradezu versehen
muß. Außerdem weißt du entschieden nicht genau,
wieviel du drin gehabt hast, weißt auch nicht mehr,
wieviel gestern deine Glimmstengel gekostet haben.
Ich werde schreiben, du wüßtest nicht bestimmt,
was du bei dir gehabt hättest, es könnte leicht
möglich sein, daß du dich vergriffen hättest, und
wenn niemand anderes darauf Anspruch erhebt,
wäre das Goldstück von dir. Tummle dich nun aber
auch, daß du endlich fertig wirst!"
Noch ehe er zu einem Widerspruch ansetzen konnte,
war sie schon aus dem Zimmer geeilt. Er seufzte,
griff nach dem Pinsel und der Schale mit dem kalt-
gewordenen Seifenwasser und fuhr endlich fort, sich
zu rasieren.
Die Familie Teubner saß ihrer Gewohnheit
gemäß in „seiner" Stube bei dem nachmittäglichen
Imbiß. Frau Teubner und Else tranken Tee und
aßen sehr dünne, mit Butter leicht angehauchte
Weißbrotschnitten dazu, was die Landgerichtsrätin
zugleich fein und billig fand. Der Rat selbst war
nicht fürs Moderne, er trank Kaffee, der vom Früh-
stück aufgespart und mit liebevoller Vorsicht gewärmt
wurde. Dazu verzehrte er ein Stück Schwarzbrot.
Zu schmückenden Zwecken und im Hinblick auf
etwaigen Besuch stand noch eine Kristalldose auf
dem Tisch, in der einiges Teegebäck ein beschauliches
und unangefochtenes Dasein führte, das nur durch
die Aussicht auf baldige völlige Versteinerung ver-
düstert wurde.
Die beiden Antwortbriefe, das Zwanzigmarkstück
betreffend, waren kurz vorher zusammen abgegeben
worden und bildeten den Unterhaltungsstoff. Frau
Teubner war entrüstet. „Ganz unfaßlich ist es mir,"
meinte sie, „daß die Herren alle beide keine Ahnung
haben, wieviel Geld sie bei sich hatten. Man ersieht
daraus so recht, wie wenig ordentlich doch die meisten
Männer find, auch die, denen man es nicht zugetraut
hätte. Was sollen wir nun machen? Ich finde,
es ist höchst unangenehm. Wir können ihnen doch
nicht Vorschlägen, sich in das Geld zu teilen, oder
IleWicker. Nach einem Semälde von Paul poetzsch.
ihnen nahelegen, es Selma zu überlassen, was
eigentlich das einfachste wäre und eine gerechte
Strafe dafür, daß beide so unvorsichtig sind."
„Paß auf, Mamachen!" bemerkte^ Else, die die
Sache mehr von der vergnüglichen Seite anffaßte,
„es wird ein höchst erbaulicher Großmutkampf wer-
den, wenn sie herauskriegen, daß sie beide zugleich
nach dem Mammon verlangt haben. Sie werden
dann beide zurückzucken, und Selma wird schließlich
Siegerin bleiben!"
„Wer weiß!" wandte der Rat schmunzelnd ein.
„Bar Geld lacht. Jeder will es gern gewesen sein,
so viel ist klar geworden. Kinder, ich fürchte, die
Geschichte kostet mich noch vierzig Mark, da ich an-
standshalber einem jeden der Herren seine ver-
meintlichen zwanzig Mark zurückerstatten muß."
„Nach Adam Riese können es höchstens zwanzig
werden," versetzte Else. „Selmas Goldstück ist wirk-
lich vorhanden und kommt nicht aus deiner Tasche!"
„Selma braucht es nicht herauszurücken, wenn
es nicht sicher ist, woher es stammt, du kleiner Nase-
weis!" erwiderte der Rat lächelnd. „Und ich kann
Leute nicht Lügen strafen, mit denen ich freund-
schaftlich verkehre, sondern muß so tun, als ob ich
beiden glaube. Am Ende kommt der junge Brückner
auch noch und erklärt, daß er seine zwanzig Mark
wiederhaben will. Dann kann ich sechzig loswerden!"
„Hast du ihm denn davon geschrieben?" fragte
Frau Teubner.
„I bewahre, ich werde mich hüten. Ihr seht
ja, was bei eurer Schreiberei herausgekommen ist!
Wenn jemand was von mir will, so mag er nur von
selber kommen."
In demselben Augenblick klingelte es. Alle drei
fuhren zusammen. Ein unbestimmbares Etwas in
der Luft kündete plötzlich große kommende Ereignisse
an. Die beiden Frauen lauschten atemlos, nur der
Landgerichtsrat schien unempfindlich gegen diese
feinen Schwingungen. Er sah bloß eine Störung
voraus und goß schnell noch seine zweite Tasse
Kaffee hinunter.
Dann stürmte Selma ohne vorheriges Anklopfen
herein. „Einen Empfehl von Herrn Referendar
Brickner, und ob er um eine Unterredung mit Herrn
Landgerichtsrat bitten dirfte!"
Selmas Stimme klang belegt vor fieberhafter
Aufregung; vorhin erst die beiden Stadtpostbriefe
und nun dieser Besuch! Jetzt mußte es sich ent-