heft 28
Va8 Luch für- Mle
S11
stand und noch täglich die Sorge um schlimmere
Kunde so fest und tapfer trug, lehrte Klementine
stark sein. Die Frauen küßten sich und verstan-
den sich.
So gebot sie, die höchste Probe der Vaterlands-
liebe: Die Männer kämpfen und bluten, die Frauen
leiden ums Liebste.
Nach einigen Wochen konnte Arnulf selbst schrei-
ben. Er wurde heimgeschickt. Seine Felddienst-
fähigkeit, so meldete er, würde erst nach längerer Zeit
wieder herzustellen sein. In den Lazaretten mußte
Platz geschaffen werden, und wer ein Heim habe,
das ihn aufnehmen könne, den sende man dorthin.
An einem heiteren Herbsttage holten Klementine
und Agnes den Verwundeten ins Haus.
Als Arnulf aus der Umarmung seiner Mutter
sich losmachte, sagte er: „Mach mich gesund, Mama,
bald gesund, daß ich noch mitkomme. Ich habe nur
den einen Gedanken!"
Wehmütig nickte sie. „Keinen mehr für mich?
Keinen mehr für mich?" fragte sie.
„Da ist jeder an dich mit eingeschlossen, Mama,
Vaterland und Mutterverehrung sind untrennbar
eins!"
Und er genas. Langsam aber stetig. —
Häuser leuchteten gespenstisch in ihr Dunkel.
Der Kampf stand.
Am Stamm einer alten Linde dem Hause des
Lehrers gegenüber lauerte Armand Leske, das Ge-
wehr im Anschläge. Hier war Leutnant Emmerich
untergebracht, das wußte er, und diesen hatte er sich
Vorbehalten. Ihn haßte er am meisten, denn Arnulf
hatte ihm alle Pläne seiner Abenteuerkunst vereitelt,
sein Tod würde die Frau ms Herz treffen, die des
entlarvten Toren jetzt vielleicht spottete und lachte.
Gellend heulte das Trompetensignal.
Da flog die Tür des Hauses auf, uud eine Gestalt
erschien in ihrem Rahmen. Jugendlich elastisch,
schlank und flink. Und sofort sprühte hinter dem
dicken Stamme ein Feuerstreif, und die Gestalt lag
auf der Schwelle. Mit noch rauchendem Gewehr
sprang der Mörder zurück, um im Dunkel der Garten-
hecke zu verschwinden.
Zu spät. Ein Soldat, der, den Säbel in der Faust,
zum Alarmplatz stürzte, hatte den Feuerstrahl ge-
sehen, den fliehenden Mann entdeckt und ihn mit
wuchtigem Hiebe niedergeschlagen.
Betäubt lag Armand Leske neben der Hecke, in
die er flüchten wollte. —
Die feindlichen Truppen wichen.
Dann hatte Infanterie die Rückzugslinic bedroht
kampf aus dem Hinterhalt zu ihrem Gewerbe ge-
macht hatten, bis die Nacht herabsank.
Boten schlichen durch die Hecken und duckten sich
in Gräben, wenn sie einen Posten erspähten, ver-
schwanden im Dunkel der lauen Nacht des Schwei-
gens, als ob sie eine Wolke verschluckt hätte.
Vom Kirchlein schlug es Mitternacht.
Da regte sich's. Flinten krachten. Einige der
Posten waren abgeschossen, andere hatten sich noch
wehren können und selbst gefeuert.
Alarm dröhnte gellend durch die Gassen.
Aus Verstecken und Kellern blitzte und dröhnte
es, in die alarmierten Soldaten schlugen die töd-
lichen Geschosse. Die entartetste Mordlust des
Krieges feierte ihr Blutfest.
Der benachrichtigte Feind in Uniform war auch
da und griff in das Gemetzel gegen die Deut-
schen ein.
Aber jetzt hatten sich deren Truppen geordnet,
Kommandorufe schufen Einheitlichkeit und Ziel. Die
und drang jetzt zur Hilfe der Artilleristen in das Un-
glücksdorf.
Eingekreist waren die Verächter des Völkerrechts,
aus Kellern und Bodenluken, aus Stallungen und
Gartenhecken holte man sie heraus.
Das gab ein kurzes und schnelles Gericht.
Hauptmann v. Studdendorf hielt es ab.
Der betäubte Mann an der Hecke wachte eben
auf, das Gewehr noch in gekrampfter Faust, da wurde
auch er gefunden und an die Wand gestellt, zu den
übrigen Todeskandidaten.
Eine prasselnde Salve, dann war es geschehen.
Als Studdendorf, der mit feiner Kompanie
rettend und rächend in den Nachtkampf eingegriffen
hatte, die Gerichteten ansah, blieb er vor einem von
ihnen stehen.
Erschüttert, von Grauen gepackt.
Dieses Gesicht kannte er, diesem Manne hatte er
als Trauzeuge gedient! Hier fand er Armand Leske
wieder!
Aber ganz sicher wollte er gehen. An die Leiche
trat er und zog von der rechten Hand den
Trauring. Das Hochzeitsdatum und die
Buchstabengravierung stimmten. Er hatte
sich nicht geirrt. Er steckte den Ring zu
sich und ging.
Das ganze Dorf stand in Flammen,
sowie die Verwundeten aus den Häusern
geborgen waren. Auch des Maires Haus
sank in Schutt und Trümmer, auch er war
mit der Waffe in der Hand gefunden
worden, aber tot am Giebelfenster, von der
rächenden deutschen Kugel hingestreckt.
In den Flammen seines Besitztums fand
der heuchlerische Frevler an Treu und
Glauben sein Grab.
Auf der Schwelle des Schulhauses hob
man Arnulf Emmerich auf. Die Kugel
hatte ihm die linke Schulter durchbohrt,
der Blutverlust ihn ohnmächtig gemacht.
Als er Studdendorf erkannte, leuchtete
Helle Freude aus dem bleichen Antlitz, die
rechte Hand streckte er ihm entgegen und
sagte: „Es ist nichts, schreiben Sie Mama,
es ist nichts!"
Dann wurde er wieder bewußtlos.
* -i-
-r-
Studdendorfs Leute hatten noch am
selben Tage, da das Strafgericht über das
belgische Dorf vollstreckt war, weiterziehen
müssen. Er selbst hatte den jüngeren
Freund und Kameraden nicht mehr spre-
chen können.
Ihm persönlich ging es gut, dem neu-
gebackenen Jnfanteriehauptmann der Re-
serve, und er sandte manche Feldpostkarte
mit frohen Siegesnachrichten in das Heim
Klementines, das ja auch das seiner jungen
Frau war. Wer Arnulfs Verwundung gab
er dabei Bericht, und gehorsam dem Willen
des besorgten Sohnes hatte er geschrieben:
„ Seine eigenen Worte waren: ,Es ist nichts,
schreiben Sie Mama, es ist nichts!' Dieses
Auftrages entledige ich mich gern. Arnulf
ist in eines mir bekannten Arztes Pflege
in guter Hand. Seine Jugend und die
Art seiner Wunde lassen das Beste hoffen."
Wohl waren damals Mutterangst und
Mutterschmerz stürmisch aufgewallt, aber
das blasse junge Weib, das neben ihr
stand, mußte auch Armand Leske sich zu den deutschen
Registern stellen, nun aber ging er über die Grenze,
um von dort aus in den Reihen der Feinde zu
fechten. Nicht als Soldat, sondern als Aufwiegler
der Massen, die im Hasse zu Verbrechern am Völker-
recht wurden.
Erst im französischen Lothringen, dann, als die
Deutschen Lüttich im Sturm genommen hatten,
schmiedete Armand Leske in Belgien aus des Groß-
vaters flammenden Theorien die fluchwürdige ver-
räterische Praxis als Franktireur.
Er haßte.
Er haßte die Welt da drüben im Osten, in der
seine Habgierpläne gescheitert waren. Gegen sic
wollte er kämpfen, an ihr sich rächen!
26.
Im goldigen Glanze eines Spätsommerabends
lag das freundliche Dörfchen, in das die Batterie
eines Artillerieregimentes einzog.
Der Maire stand mit entblößten: Haupte vor dem
Hauptmann, der mit ihm über die Unter-
bringung der Mannschaft, noch vom Pferde
herab, verhandelte.
In fließendem Französisch bedeutete
er ihn: „Sorgen Sie für Ordnung und
Ruhe, Herr Maire, und kein Huhn vom
Hofe, keine Traube vom Spalier soll
Ihnen genommen werden. Wir sind Sol-
daten und kämpfen nur gegen Soldaten.
Was wir brauchen, bezahlen wir."
Unterwürfig verneigte sich der An-
geredete. „Viele der Einwohner sind ge-
flohen, für die anderen glaube ich gut-
sagen zu können."
„Schön. Toren, die geflohen sind!
Man wird ihre Türen erbrechen müssen,
wenn sic verschlossen sind, denn meine
Soldaten haben Anspruch auf Unterkunft;
aber sonst soll auch ihnen nichts abhanden
kommen. -— Leutnant Emmerich!"
„Zu Befehl, Herr Hauptmann!"
„Leiten Sie die Unterbringung. Noch
ist eine halbe Stunde bis Sonnenunter-
gang, und das ist gut."
Der Kommandant selbst stieg ab und
gab das Pferd seinem Burschen.
„Ich und der Mann hier sind Ihre
Gäste, Herr Maire."
„Wird mir eine Ehre sein, Herr Kom-
mandant — darf ich bitten: dort ist mein
Haus!"
Er wies auf ein stattliches Gebäude,
hinter dem sich ein schöner, alter Obst-
garten hinstreckte.
Noch ergingen die Wachtbefehle, und
dann schritten Wirt und Gäste dem Gehöft
zu, der Bursche führte die Pferde.
Am Zaun der Dorfstraße hatten Ein-
wohner gestanden. Erst scheu und ver-
ängstigt, dann, als sie des Offiziers Zusiche-
rungen in ihrer eigenen Landessprache
vernahmen, wagten sie sich näher.
Die Deutschen sahen so bieder und
harmlos aus. Aus treuherzigen Gesich-
tern sprach nichts von der ihnen ange-
dichteten Barbarei, aus ihrem ganzen
Verhalten aber die Gewöhnung zu eiser-
ner Disziplin. Was der Befehlshaber in
dieser Männer Namen aussprach, war
für sie Gesetz.
So dachten die älteren, die ruhigeren und ver- Keller und Hecken wurden gesäubert, brennende
nünftigeren unter den Hörern.
Aber nicht alle.
Finstere Gesichter, grimmig funkelnde Blicke fand
mau in jener Gruppe, die auf dem Flur der Dorf-
schenke sich staute. Ihnen war der Ankömmling ein
Feind, und den Feind haßte man.
Im Dämmern des Hausflurs, von den Seinen
nicht beobachtet, den Fremden da draußen über-
haupt unsichtbar, spähte einer. Im blauen Kittel
des Landvolkes steckte er, in einer Tracht, die zu den
weißen, wohlgepflegten Händen nicht paßte. Aus
scharfen Augen sah er, die in Erregung glühten.
Die Zähne hatte er fest zusammcngebissen, sonst
würde ihm ein Schrei des Zorns über die Lippen
gekommen sein, da er jenen Namen hörte: Leut-
nant Emmerich.
Die Leute waren abgesessen und führten ihre
Gäule fort, die Patrouillen, die Posten waren aus-
gesandt, und friedliche Abendstimmung breitete sich
über das Örtchen, über die Zäune herüber aus
Wiesen und Äckern sangen sogar Grillen ihr an-
heimelnd Lied.
Da zog Armand Leske seine Gefolgschaft in das
abgelegene Hinterzimmer der Gastwirtschaft. Dieser
Raum war nur den Vertrautesten auffindbar, und
hier berieten die tückischen Hasser, die den Volks-
XXVIII. 1918.
Va8 Luch für- Mle
S11
stand und noch täglich die Sorge um schlimmere
Kunde so fest und tapfer trug, lehrte Klementine
stark sein. Die Frauen küßten sich und verstan-
den sich.
So gebot sie, die höchste Probe der Vaterlands-
liebe: Die Männer kämpfen und bluten, die Frauen
leiden ums Liebste.
Nach einigen Wochen konnte Arnulf selbst schrei-
ben. Er wurde heimgeschickt. Seine Felddienst-
fähigkeit, so meldete er, würde erst nach längerer Zeit
wieder herzustellen sein. In den Lazaretten mußte
Platz geschaffen werden, und wer ein Heim habe,
das ihn aufnehmen könne, den sende man dorthin.
An einem heiteren Herbsttage holten Klementine
und Agnes den Verwundeten ins Haus.
Als Arnulf aus der Umarmung seiner Mutter
sich losmachte, sagte er: „Mach mich gesund, Mama,
bald gesund, daß ich noch mitkomme. Ich habe nur
den einen Gedanken!"
Wehmütig nickte sie. „Keinen mehr für mich?
Keinen mehr für mich?" fragte sie.
„Da ist jeder an dich mit eingeschlossen, Mama,
Vaterland und Mutterverehrung sind untrennbar
eins!"
Und er genas. Langsam aber stetig. —
Häuser leuchteten gespenstisch in ihr Dunkel.
Der Kampf stand.
Am Stamm einer alten Linde dem Hause des
Lehrers gegenüber lauerte Armand Leske, das Ge-
wehr im Anschläge. Hier war Leutnant Emmerich
untergebracht, das wußte er, und diesen hatte er sich
Vorbehalten. Ihn haßte er am meisten, denn Arnulf
hatte ihm alle Pläne seiner Abenteuerkunst vereitelt,
sein Tod würde die Frau ms Herz treffen, die des
entlarvten Toren jetzt vielleicht spottete und lachte.
Gellend heulte das Trompetensignal.
Da flog die Tür des Hauses auf, uud eine Gestalt
erschien in ihrem Rahmen. Jugendlich elastisch,
schlank und flink. Und sofort sprühte hinter dem
dicken Stamme ein Feuerstreif, und die Gestalt lag
auf der Schwelle. Mit noch rauchendem Gewehr
sprang der Mörder zurück, um im Dunkel der Garten-
hecke zu verschwinden.
Zu spät. Ein Soldat, der, den Säbel in der Faust,
zum Alarmplatz stürzte, hatte den Feuerstrahl ge-
sehen, den fliehenden Mann entdeckt und ihn mit
wuchtigem Hiebe niedergeschlagen.
Betäubt lag Armand Leske neben der Hecke, in
die er flüchten wollte. —
Die feindlichen Truppen wichen.
Dann hatte Infanterie die Rückzugslinic bedroht
kampf aus dem Hinterhalt zu ihrem Gewerbe ge-
macht hatten, bis die Nacht herabsank.
Boten schlichen durch die Hecken und duckten sich
in Gräben, wenn sie einen Posten erspähten, ver-
schwanden im Dunkel der lauen Nacht des Schwei-
gens, als ob sie eine Wolke verschluckt hätte.
Vom Kirchlein schlug es Mitternacht.
Da regte sich's. Flinten krachten. Einige der
Posten waren abgeschossen, andere hatten sich noch
wehren können und selbst gefeuert.
Alarm dröhnte gellend durch die Gassen.
Aus Verstecken und Kellern blitzte und dröhnte
es, in die alarmierten Soldaten schlugen die töd-
lichen Geschosse. Die entartetste Mordlust des
Krieges feierte ihr Blutfest.
Der benachrichtigte Feind in Uniform war auch
da und griff in das Gemetzel gegen die Deut-
schen ein.
Aber jetzt hatten sich deren Truppen geordnet,
Kommandorufe schufen Einheitlichkeit und Ziel. Die
und drang jetzt zur Hilfe der Artilleristen in das Un-
glücksdorf.
Eingekreist waren die Verächter des Völkerrechts,
aus Kellern und Bodenluken, aus Stallungen und
Gartenhecken holte man sie heraus.
Das gab ein kurzes und schnelles Gericht.
Hauptmann v. Studdendorf hielt es ab.
Der betäubte Mann an der Hecke wachte eben
auf, das Gewehr noch in gekrampfter Faust, da wurde
auch er gefunden und an die Wand gestellt, zu den
übrigen Todeskandidaten.
Eine prasselnde Salve, dann war es geschehen.
Als Studdendorf, der mit feiner Kompanie
rettend und rächend in den Nachtkampf eingegriffen
hatte, die Gerichteten ansah, blieb er vor einem von
ihnen stehen.
Erschüttert, von Grauen gepackt.
Dieses Gesicht kannte er, diesem Manne hatte er
als Trauzeuge gedient! Hier fand er Armand Leske
wieder!
Aber ganz sicher wollte er gehen. An die Leiche
trat er und zog von der rechten Hand den
Trauring. Das Hochzeitsdatum und die
Buchstabengravierung stimmten. Er hatte
sich nicht geirrt. Er steckte den Ring zu
sich und ging.
Das ganze Dorf stand in Flammen,
sowie die Verwundeten aus den Häusern
geborgen waren. Auch des Maires Haus
sank in Schutt und Trümmer, auch er war
mit der Waffe in der Hand gefunden
worden, aber tot am Giebelfenster, von der
rächenden deutschen Kugel hingestreckt.
In den Flammen seines Besitztums fand
der heuchlerische Frevler an Treu und
Glauben sein Grab.
Auf der Schwelle des Schulhauses hob
man Arnulf Emmerich auf. Die Kugel
hatte ihm die linke Schulter durchbohrt,
der Blutverlust ihn ohnmächtig gemacht.
Als er Studdendorf erkannte, leuchtete
Helle Freude aus dem bleichen Antlitz, die
rechte Hand streckte er ihm entgegen und
sagte: „Es ist nichts, schreiben Sie Mama,
es ist nichts!"
Dann wurde er wieder bewußtlos.
* -i-
-r-
Studdendorfs Leute hatten noch am
selben Tage, da das Strafgericht über das
belgische Dorf vollstreckt war, weiterziehen
müssen. Er selbst hatte den jüngeren
Freund und Kameraden nicht mehr spre-
chen können.
Ihm persönlich ging es gut, dem neu-
gebackenen Jnfanteriehauptmann der Re-
serve, und er sandte manche Feldpostkarte
mit frohen Siegesnachrichten in das Heim
Klementines, das ja auch das seiner jungen
Frau war. Wer Arnulfs Verwundung gab
er dabei Bericht, und gehorsam dem Willen
des besorgten Sohnes hatte er geschrieben:
„ Seine eigenen Worte waren: ,Es ist nichts,
schreiben Sie Mama, es ist nichts!' Dieses
Auftrages entledige ich mich gern. Arnulf
ist in eines mir bekannten Arztes Pflege
in guter Hand. Seine Jugend und die
Art seiner Wunde lassen das Beste hoffen."
Wohl waren damals Mutterangst und
Mutterschmerz stürmisch aufgewallt, aber
das blasse junge Weib, das neben ihr
stand, mußte auch Armand Leske sich zu den deutschen
Registern stellen, nun aber ging er über die Grenze,
um von dort aus in den Reihen der Feinde zu
fechten. Nicht als Soldat, sondern als Aufwiegler
der Massen, die im Hasse zu Verbrechern am Völker-
recht wurden.
Erst im französischen Lothringen, dann, als die
Deutschen Lüttich im Sturm genommen hatten,
schmiedete Armand Leske in Belgien aus des Groß-
vaters flammenden Theorien die fluchwürdige ver-
räterische Praxis als Franktireur.
Er haßte.
Er haßte die Welt da drüben im Osten, in der
seine Habgierpläne gescheitert waren. Gegen sic
wollte er kämpfen, an ihr sich rächen!
26.
Im goldigen Glanze eines Spätsommerabends
lag das freundliche Dörfchen, in das die Batterie
eines Artillerieregimentes einzog.
Der Maire stand mit entblößten: Haupte vor dem
Hauptmann, der mit ihm über die Unter-
bringung der Mannschaft, noch vom Pferde
herab, verhandelte.
In fließendem Französisch bedeutete
er ihn: „Sorgen Sie für Ordnung und
Ruhe, Herr Maire, und kein Huhn vom
Hofe, keine Traube vom Spalier soll
Ihnen genommen werden. Wir sind Sol-
daten und kämpfen nur gegen Soldaten.
Was wir brauchen, bezahlen wir."
Unterwürfig verneigte sich der An-
geredete. „Viele der Einwohner sind ge-
flohen, für die anderen glaube ich gut-
sagen zu können."
„Schön. Toren, die geflohen sind!
Man wird ihre Türen erbrechen müssen,
wenn sic verschlossen sind, denn meine
Soldaten haben Anspruch auf Unterkunft;
aber sonst soll auch ihnen nichts abhanden
kommen. -— Leutnant Emmerich!"
„Zu Befehl, Herr Hauptmann!"
„Leiten Sie die Unterbringung. Noch
ist eine halbe Stunde bis Sonnenunter-
gang, und das ist gut."
Der Kommandant selbst stieg ab und
gab das Pferd seinem Burschen.
„Ich und der Mann hier sind Ihre
Gäste, Herr Maire."
„Wird mir eine Ehre sein, Herr Kom-
mandant — darf ich bitten: dort ist mein
Haus!"
Er wies auf ein stattliches Gebäude,
hinter dem sich ein schöner, alter Obst-
garten hinstreckte.
Noch ergingen die Wachtbefehle, und
dann schritten Wirt und Gäste dem Gehöft
zu, der Bursche führte die Pferde.
Am Zaun der Dorfstraße hatten Ein-
wohner gestanden. Erst scheu und ver-
ängstigt, dann, als sie des Offiziers Zusiche-
rungen in ihrer eigenen Landessprache
vernahmen, wagten sie sich näher.
Die Deutschen sahen so bieder und
harmlos aus. Aus treuherzigen Gesich-
tern sprach nichts von der ihnen ange-
dichteten Barbarei, aus ihrem ganzen
Verhalten aber die Gewöhnung zu eiser-
ner Disziplin. Was der Befehlshaber in
dieser Männer Namen aussprach, war
für sie Gesetz.
So dachten die älteren, die ruhigeren und ver- Keller und Hecken wurden gesäubert, brennende
nünftigeren unter den Hörern.
Aber nicht alle.
Finstere Gesichter, grimmig funkelnde Blicke fand
mau in jener Gruppe, die auf dem Flur der Dorf-
schenke sich staute. Ihnen war der Ankömmling ein
Feind, und den Feind haßte man.
Im Dämmern des Hausflurs, von den Seinen
nicht beobachtet, den Fremden da draußen über-
haupt unsichtbar, spähte einer. Im blauen Kittel
des Landvolkes steckte er, in einer Tracht, die zu den
weißen, wohlgepflegten Händen nicht paßte. Aus
scharfen Augen sah er, die in Erregung glühten.
Die Zähne hatte er fest zusammcngebissen, sonst
würde ihm ein Schrei des Zorns über die Lippen
gekommen sein, da er jenen Namen hörte: Leut-
nant Emmerich.
Die Leute waren abgesessen und führten ihre
Gäule fort, die Patrouillen, die Posten waren aus-
gesandt, und friedliche Abendstimmung breitete sich
über das Örtchen, über die Zäune herüber aus
Wiesen und Äckern sangen sogar Grillen ihr an-
heimelnd Lied.
Da zog Armand Leske seine Gefolgschaft in das
abgelegene Hinterzimmer der Gastwirtschaft. Dieser
Raum war nur den Vertrautesten auffindbar, und
hier berieten die tückischen Hasser, die den Volks-
XXVIII. 1918.